Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung gegen einen Anspruch auf Kostenfreistellung für ein Widerspruchsverfahren
Grundsätzliche Anwendbarkeit von zivilrechtlichen Aufrechnungsvorschriften im Sozialrecht
Fehlende Gleichartigkeit von Forderungen
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Beklagte gegen einen vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Kostenfreistellung für ein Widerspruchsverfahren
mit einer Erstattungsforderung aufrechnen kann.
Der Bevollmächtigte des Klägers machte für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren (W 96202-01419/18) Kosten iHv 380,80 EUR
geltend (Antrag auf Kostenfestsetzung und Rechnung vom 17. April 2018). Eine Abtretung oder ein Übergang der Forderung erfolgten
nicht. Der Beklagte erkannte die Kostenhöhe an (Bescheid vom 25. April 2018) und rechnete mit einer gegenüber dem Kläger bestehenden
Erstattungsforderung iHv 780,- EUR auf. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der auf Freistellung von der Vergütungsforderung des Bevollmächtigten iHv 380,80 EUR gerichteten Klage stattgegeben
(Urteil vom 7. Januar 2019). Die Klage sei begründet. Der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch, bei dem es sich um
einen Freistellungsanspruch handele, sei nicht durch Aufrechnung erloschen, weil es an der Gleichartigkeit der Forderungen
fehle.
Mit der vom SG zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen dieses Urteil. Er geht von der Gleichartigkeit der (Geld)-Forderungen
aus, weil es sich bei dem Anspruch des Klägers um einen Aufwendungsersatzanspruch handele.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Januar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
II.
Der Senat hat gemäß §
153 Abs.
4 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl
§
153 Abs.
4 Satz 2
SGG).
Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat der nach §
54 Abs.
5 SGG zulässigen Leistungsklage zu recht stattgegeben. Die Aufrechnungserklärung des Beklagten ist kein Verwaltungsakt, so dass
kein Widerspruchsverfahren gegen diese durchzuführen war und auch die Anfechtungsklage nicht statthaft ist. Der Kläger hat
gegen den Beklagten einen Anspruch auf Auszahlung des Betrages iHv 380,80 EUR als Vergütung. Der Anspruch des Klägers ergibt
sich aus § 63 Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) iVm dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 25. April 2018, mit dem der Beklagte die vollen geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren
iHv 380,80 EUR anerkannt hat. Die Forderung hat der Kläger nicht abgetreten. Auch ein gesetzlicher Forderungsübergang ist
nicht ersichtlich.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Forderung des Klägers nicht gemäß §
389 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) erloschen, weil der Beklagte insoweit die Aufrechnung erklärt hat. Denn es fehlt bereits an der Aufrechnungslage gemäß §
387 BGB. Gemäß §
387 BGB müssen die Gläubiger und Schuldner einander Leistungen schulden (Gegenüberstehen der Forderungen) und diese Forderungen müssen
ihrem Gegenstand nach gleichartig sein. Letzteres ist hier nicht der Fall.
Der Anspruch des Leistungsempfängers aus § 63 SB X stellt einen Freistellungsanspruch gegen den Beklagten dar. Dieser kann
mangels Gleichartigkeit nicht gegen einen Zahlungsanspruch des Beklagten aus einem Erstattungsbescheid aufgerechnet werden.
Es entspricht zunächst gefestigter höchstrichterlicher Rspr, dass im sozialrechtlichen Verfahren die die Aufrechnung betreffenden
zivilrechtlichen Vorschriften der §§
387 ff
BGB, soweit sich aus den §§
51 ff Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) - nichts Abweichendes ergibt, entsprechende Anwendung finden (vgl BSG, Urteile vom 12. Juni 2008 - B 3 P 1/07 R - juris - Rn 13; vom 11. Oktober 1979 - 3 RK 88/77 - juris - Rn 13; und vom 25. August 1961 - 1 RA 233/59 - juris - Rn 12f). Sodann ist ebenfalls höchstrichterlich geklärt, dass es an der Voraussetzung einer gleichartigen Forderung
gemäß §
387 BGB fehlt - danach bewirkt die Aufrechnung, dass Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt als erloschen gelten,
in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind -, wenn eine Geldforderung einem Freistellungsanspruch
gegenüber steht (vgl BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZR 135/08 - juris - Rn 3; Urteil vom 6. Juli 1977 - IV ZR 17/76 - juris - Rn 51; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Mai 2015 - L 6 AS 288/13 - juris - Rn 31). Nicht anders liegt es hier. Denn da der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X nicht von einer tatsächlich geleisteten Zahlung des Erstattungsgläubigers (hier des Klägers) abhängt, vielmehr ausreichend
ist, wenn dieser einer Honorarforderung des bevollmächtigten Rechtsanwalts tatsächlich ausgesetzt ist (vgl BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R - juris - Rn 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2009 - L 1 AL 13/08 - juris - Rn 34) - soweit der Erstattungsanspruch weder an den Bevollmächtigten abgetreten noch ein Forderungsübergang aus
sonstigen Gründen eingetreten ist - kann auf § 63 SGB X ein auch vorliegend streitgegenständlicher Freistellungsanspruch des Erstattungsgläubigers gegen die zur Kostenerstattung
verpflichtete Behörde gestützt werden, solange dieser - wie hier - den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts noch nicht beglichen
hat (vgl BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R - Rn 2; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 - L 31 AS 1774/16 - juris - Rn 32; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Mai 2015 - L 6 AS 288/13 - Rn 26f). Mangels abweichender Rechtsfolgen kann letztlich offenbleiben, ob der Freistellungsanspruch aus einer entsprechenden
Anwendung des §
257 BGB folgt - danach kann derjenige, der berechtigt ist, Ersatz für Aufwendungen zu verlangen, die er für einen bestimmten Zweck
macht, wenn er für diesen Zweck eine Verbindlichkeit eingeht, Befreiung von dieser Verbindlichkeit verlangen - oder er sich
unmittelbar aus Sinn und Zweck des § 63 SGB X ergibt (ebenfalls offengelassen durch BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R - Rn 2; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 - L 31 AS 1774/16 - juris - Rn 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Beantwortung der gegenständlichen
Rechtsfragen ergibt sich - wie der Senat schon mehrfach entschieden hat (vgl Beschluss vom 21. März 2017 - L 18 AS 232/17 NZB - juris; Beschluss vom 11. Juli 2018 - L 18 AS 1212/18 -; Beschluss vom 6. August 2018 - L 18 AS 1312/18 NZB -; Beschluss vom 13. August 2018 - L 18 AS 1313/18 NZB -; Beschluss vom 9. April 2019 - L 18 AS 612/19 NZB -; vgl gleichlautend auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - L 32 AS 523/18 NZB - juris) - bereits aus dem Gesetz bzw aus höchstrichterlicher Rechtsprechung auch anderer oberster Bundesgerichte (vgl
BSG, Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - B 13 R 589/09 B - juris - mwN - und vom 21. Januar 1993 - 13 BJ 207/92 - juris - Rn 2). Gleiches gilt auch für die weiter von dem Beklagten aufgeworfene Rechts(vor)frage, ob aus § 63 SGB X ein Befreiungsanspruch folge, der die Aufrechnung hindere.