Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für eine Walk Aide Myoorthese sowie eine dynamische Finger-Hand-Unterarm-Orthese
zu übernehmen hat.
Die 1967 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin erlitt am 12. Oktober 2008 einen Hirnschlag, in dessen Folge
sich eine Hemiparese rechts, eine Taubheit am rechten Ohr sowie ein Verlust des Sehvermögens des rechten Auges entwickelte.
Von der Parese ist der rechte Arm sowie das rechte Bein betroffen. Die Beklagte versorgte die Klägerin mit einer Fußheberorthese.
Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung des Hausarztes Dr. D. vom 29. März und 1. April 2010 beantragte die Klägerin bei
der Beklagten die Kostenübernahme für eine Walk-Aide-Myoorthese (4.381,43 €) sowie eine dynamische Finger-Hand-Unterarm-Orthese
der Firma E. (2.355,73 €).
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Hessen (MDK) ein. Dr. F. kam am 22.
April 2010 unter Auswertung des Berichtes des Hausarztes Dr. D. vom 12. April 2010 und den beiden Pflegegutachten des MDK
vom 14. Dezember 2008 und 16. März 2009 zu der Bewertung, dass unklar sei, ob die verordneten Orthesen überhaupt in der Lage
seien, bei einer solch komplexen zentralneurologischen Entschädigung einen ausreichenden Behinderungsausgleich zu erzielen.
Ausreichend und zweckmäßig sei die Verordnung einer Unterarm-Hand-Orthese nach Gipsabdruck mit Fingerauflage in bestmöglicher
Funktionsstellung als Lagerungsorthese, die zum Preis von 400,00 bis 600,00 € angefertigt und geliefert werden könne. Der
Einsatz der gewünschten Orthese sei bei dem vorliegenden Krankheitsbild in der Orthopädie sehr umstritten. Bei der vorhandenen
Schädigung könne mit den begehrten Hilfsmitteln kein wesentlicher Einfluss auf das Krankheitsgeschehen erzielt werden.
Mit Bescheid vom 4. Mai 2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass eine medizinische Notwendigkeit
nicht vorliege. Der Nachweis einer erfolgreichen Behandlung der komplexen Halbseitenparese mittels der gewünschten Hilfsmittel
werde nicht geführt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2010 nach erneuter
Einschaltung des MDK (G., Stellungnahme vom 1. Juni 2010) zurückwies.
Am 30. August 2010 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Sie hat ein Attest des Allgemeinmediziners
Dr. H. vom 12. April 2010 vorgelegt und vorgetragen, dass sie die streitigen Hilfsmittel getestet habe. Dabei habe sich deren
Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit erwiesen. Mit der Laufhilfe habe sie erstmalig wieder einen normalen Bewegungsablauf beim
Laufen erzielen können. Mit der Oberarm-Orthese würden die Finger der rechten Hand auseinandergehalten werden. Ferner verkrampfte
sich die Hand nicht ständig wie sonst.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte und Physiotherapeuten eingeholt (PD Dr. J. vom 11.
Januar 2011, K. vom 5. Januar 2011, Dr. H. vom 6. Januar 2011 und Physiotherapeut L. vom 6. Januar 2011).
Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten des MDK eingeholt. Der Chirurg und Sozialmediziner G. sowie der Orthopädie-Mechaniker-Meister
M. kamen nach einer am 3. September 2012 durchgeführten Vergleichsuntersuchung bei der Klägerin unter dem 11. September 2012
zu dem Ergebnis, dass eine Ausstattung der Klägerin mit einem Walk-Aide-System nicht als sachgerecht und begründet nachvollzogen
werden könne. Es lägen keine belastbaren Studiendaten im Sinne einer evidenzbasierten Medizin vor, welche die Wirksamkeit
und den therapeutischen Nutzen belegen könnten. Der Behinderungsausgleich sei fraglich.
Mit Urteil vom 3. Juli 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die begehrten Hilfsmittel seien nicht im Hilfsmittelverzeichnis
gelistet. Es handele sich um neu auf dem Markt befindliche Produkte, deren Nutzen und Wirksamkeit mittels evidenzbasierten
medizinisch-technischen Studien im Einzelnen zu belegen seien. Dieser Nachweis sei nicht erbracht. Die Versorgung scheitere
daher an der Erforderlichkeit. Zudem gebe es mit der ToeOFF-Orthese ein alternatives Hilfsmittel im Rahmen des Hilfsmittelverzeichnisses,
worauf der Allgemeinmediziner G. sowie der Orthopädie-Mechaniker-Meister M. hingewiesen hätten. Ferner sei festzustellen,
dass sowohl beim Einsatz der ToeOFF-Orthese wie auch der Walk-Aide-Myoorthese auf die Nutzung eines 4-Punkt-Gehstocks nicht
verzichtet werden könne. Außerhalb ihrer Wohnung müsse die Klägerin zudem ohnehin auf den von der Beklagten bereitgestellten
elektrobetriebenen Rollstuhl mit Joysticksteuerung zurückgreifen. Innerhalb der Wohnung komme sie mit der gelieferten Fußheberschiene,
dem Gehstock sowie unter Nutzung von strategisch angebrachten Handläufen leidlich zurecht. Der Allgemeinmediziner G. sowie
der Orthopädie-Mechaniker-Meister M. hätten ferner überzeugend ausgeführt, dass sowohl beim Einsatz der ToeOFF-Orthese wie
auch der Walk-Aide-Myoorthese ein rechts hinkendes Gangbild bestehe, wobei mit der Walk-Aide-Myoorthese eine vermehrte Auswärtskantenposition
des rechten Fußes gegenüber der ToeOFF-Orthese festzustellen gewesen sei. In beiden Fällen habe auf die Benutzung des Gehstocks
nicht verzichtet werden können. Mit der ToeOFF-Orthese habe zudem ein physiologischeres Gangbild erzielt werden können. Da
mit dieser Orthese eine achsengerechtere Fußstellung erreicht werden könne, sei diese Orthese auch am besten geeignet, lähmungsbedingten
Fehlstellungen und weiteren Komplikationen entgegenzuwirken. Soweit die Klägerin darauf verweise, dass das Gehen mit der Walk-Aide-Myoorthese
weniger Kräfte zerrend, sicherer und leichter möglich sei als mit der Fußheberschiene, so könne dies auch darauf zurückgeführt
werden, dass entgegen den Hersteller-Vorgaben der von der Klägerin getragene Schuh keine ca. 1,5 cm hohe Absatzhöhe aufgewiesen
habe. Da weder eine bessere Wirksamkeit der begehrten Walk-Aide-Myoorthese gegenüber der von der Klägerin aktuell verwendeten
Fußheberschiene (ToeOFF-Orthese) durch fachspezifische Studien allgemein nachgewiesen sei, noch bei der am 3. September 2012
durchgeführten Vergleichsuntersuchung bei der Klägerin sich eine solche habe feststellen lassen, sei der von der Klägerin
geltend gemachte Anspruch nicht begründet. Dies gelte auch für die Finger-Hand-Unterarm-Orthese, deren Wirksamkeitsnachweis
ebenfalls nicht durch fachspezifische Untersuchungen belegt sei. Nach den Ausführungen der begutachtenden Ärzte des MDK (Dr.
F. vom 27. April 2010 bzw. G. vom 1. Juni 2010) bleibe unklar, ob eine solche Orthese überhaupt geeignet und in der Lage sei,
bei der vorhandenen Schädigung einen messbaren Behinderungsausgleich zu bewirken. Die von der Beklagten angebotene Lagerungsorthese
erscheine als notwendig, zweckmäßig, aber auch ausreichend.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 2. September 2013 zugestellte Urteil am 9. September 2013 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die streitigen Hilfsmittel die Gelenkbeweglichkeit fördern und die Zunahme der Muskulatur
bewirken würden.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Juli 2013 den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2010 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen für eine Finger-Hand-Unterarm-Oberarm-Orthese
sowie eine WalkAid Myoorthese zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Auf Antrag der Klägerin ist gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. N. eingeholt worden. Dieser hat unter dem
10. November 2011 zusammenfassend festgestellt, dass er die zu den Hilfsmitteln vorliegenden Studien nur zum Teil als wissenschaftlich
belegten Wirksamkeitsnachweis interpretiere. Ob die Wirksamkeit der begehrten Hilfsmittel wissenschaftlich nachgewiesen sei,
könne er daher weder eindeutig mit Ja noch mit Nein beantworten. Soweit man von einer positiv zu bewertenden Aussage der Studien
ausgehe, werde durch die Nutzung der streitigen Orthesen eine Verbesserung in der Mobilisation und der Bewegungsfunktion erzielt.
Außerdem werde das Gangbild sicherer und die Sturzgefährdung könne reduziert werden. Ein weiterer positiver Effekt sei die
Muskelaktivierung durch elektrische Impulse. Auf die Frage, ob die Versorgung erforderlich sei, hat er ausgeführt, dass jede
Form der Verbesserung der Mobilität und Funktion der Extremitäten durch innovative Hilfsmittel unterstützt werden sollte.
Da eine breite Studienlage mit validen Wirksamkeitsnachweisen leider bei innovativen Hilfsmitteln oft nicht vorgelegt werden
könne, sollte dies nicht dazu führen, diese Hilfsmittel grundsätzlich von der Genehmigung auszuschließen.
Im Rahmen des Erörterungstermins vor der Berichterstatterin am 29. Januar 2012 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung
durch die Berichterstatterin anstelle des Senats sowie ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auch die im Berufungsverfahren
erfolgte Beweiserhebung hat den erforderlichen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit der begehrten Hilfsmittel nicht
erbracht. Der Sachverständige Dr. N. hat zwar Literatur zu den begehrten Hilfsmitteln genannt. Zugleich hat er aber den wissenschaftlich
belegten Wirksamkeitsnachweis durch die in den von ihm aufgeführten Studien größtenteils in Zweifel gezogen. Darüber hinaus
ist weiterhin nicht nachgewiesen, dass die begehrte Walk-Aide-Myoorthese bei der Klägerin eine bessere Wirksamkeit gegenüber
der vorhandenen Fußheberschiene aufweist. Die Klägerin kann sich auch nicht erfolgreich auf das Urteil des Sozialgerichts
Gießen vom 10. Oktober 2012 (S 9 KR 167/11) berufen, da diesem ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Darüber hinaus ist in dieser Entscheidung keine Aussage zum Wirksamkeitsnachweis
gemacht worden, worauf die Beklagte zutreffend verwiesen hat.