Abweichung des Tatrichters von der Aussage eines sachverständigen Zeugen; Voraussetzungen eines Altenteils
Tatbestand:
Die Parteien sind Geschwister. Mit notariellem Vertrag vom 20. Mai 1994 übergaben die Eltern den Beklagten ein Hausgrundstück
unter gleichzeitiger Bestellung eines lebenslangen Wohnrechts im Erdgeschoß und einer Pflegeverpflichtung der Beklagten. Der
Beklagte zu 1 wohnte bereits seit 1993 in dem Haus und betrieb dort ein Atelier mit Werkstatt. Mit notariellem Vertrag vom
11. Juli 1995 ließen die Vertragsparteien die Eintragung der Pflegeverpflichtung im Grundbuch löschen, waren sich aber darüber
einig, daß sie gleichwohl weiter gelten solle. Ende 1995 kehrte der Kläger nach einem Auslandsaufenthalt zurück. In der Folge
kam es zu erheblichen Spannungen, die schließlich dazu führten, daß der Beklagte zu 1 das Haus verließ. Am 12. April 1996
schloß der Kläger mit seinen Eltern einen Erbvertrag, worin er zum Schlußerben des letztversterbenden Elternteils bestimmt
wurde.
Die Eltern haben von den Beklagten die Rückübertragung und Räumung des Hausgrundstücks verlangt. Nach deren Tod hat der Kläger
den Rechtsstreit als Erbe fortgesetzt. Er hat an dem erstinstanzlichen Vortrag festgehalten, die Eltern seien bei Abschluß
des Vertrages von den Beklagten über deren Bereitschaft, die Pflegeleistungen zu erbringen, arglistig getäuscht worden. Außerdem
habe ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertrags wegen Vernachlässigung der Pflegeverpflichtung und weiteren Verpflichtungen
bestanden. Im zweiten Rechtszug hat der Kläger zusätzlich behauptet, die Mutter der Parteien sei bei Abschluß des Übergabevertrages
geschäftsunfähig gewesen.
Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die
Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht meint, die Geschäftsunfähigkeit der Mutter bei Abschluß des Übergabevertrages am 20. Mai 1994 lasse
sich nicht feststellen. Gleiches gelte für eine arglistige Täuschung durch die Beklagten. Einem Rücktritts- oder Kündigungsrecht
der Eltern stehe § 13 BWüAGBGB i.V.m. Art.
96 EGBGB entgegen, weil der Übergabevertrag ein Altenteil zum Inhalt habe. Auf die Frage des Umfanges und der Qualität der erbrachten
Pflegeleistungen komme es deshalb nicht an. Ebenfalls nicht festzustellen sei ein grober Undank. Eine von dem Kläger zum Beweis
hierfür angebotene Tonbandaufnahme sei nicht verwertbar, weil die Umstände ihres Zustandekommens nicht bekannt seien. Weitere
Rückforderungsgründe bestünden nicht.
Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
II. 1. Die Verneinung von Ansprüchen, denen die Nichtigkeit des Übergabevertrags vom 20. Mai 1994 wegen Geschäftsunfähigkeit
der Übergeberin zugrunde liegt, hat keinen Bestand.
a) Zu Recht rügt die Revision eine Verletzung des §
286 ZPO bei den zur Geschäftsunfähigkeit der Mutter der Parteien bei Übergabe des Hausgrundstücks getroffenen Feststellungen. Der
von dem Berufungsgericht bestellte Sachverständige war in seinem schriftlichen Gutachten zu der Auffassung gelangt, die Übergeberin
sei zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig gewesen. Bei seiner mündlichen Anhörung hat er dieses Urteil aber von der Voraussetzung
abhängig gemacht, daß der Zustand der Geschäftsunfähigkeit der Übergeberin bereits bei deren Einweisung in die vom ihm geleitete
gerontopsychiatrische Klinik durch den als sachverständigen Zeugen vernommenen Neurologen und Psychiater am 17. Mai 1994 bestanden
habe. Zu dieser Frage hat er im Hinblick darauf, daß die Einlieferung erst am 24. Mai 1994 erfolgt war, keine eigenen Feststellungen
zu treffen vermocht. Der sachverständige Zeuge hat zu dem Zustand der Übergeberin am 17. Mai 1994 bekundet, auslösender Faktor
der Einweisung sei ein von der Übergeberin (unter Alkoholeinfluß) verursachter Verkehrsunfall gewesen. Der Unfall habe bei
der Übergeberin - die nach dem Urteil beider Ärzte manisch depressive Züge aufwies - zur psychischen Dekomposition geführt.
Schon vor dem Unfall habe sich eine manische Phase angekündigt, die auch mit vermehrtem Alkoholgenuß verbunden gewesen sei.
Es hätte die Möglichkeit bestanden, diese Phase im häuslichen Bereich "wieder in den Griff zu bekommen", wenn es nicht zu
dem Unfall gekommen wäre. Der Unfall habe aus medizinischer Sicht bewirkt, daß bei der Übergeberin "als Folge hiervon und
im Anschluß hieran" Geschäftsunfähigkeit anzunehmen sei. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen von Geschäftsunfähigkeit am
17. Mai 1994 mit der Begründung in Zweifel gezogen, daß der stationären Einweisung lediglich ein Telefongespräch mit der Übergeberin
und deren Angehörigen zugrunde gelegen habe, daß der Wunsch nach stationärer Behandlung wesentlich von der Übergeberin selbst
ausgegangen und es offenbar ohne weiteres möglich gewesen sei, die Einlieferung auf den 24. Mai 1994, die Zeit nach den Pfingsttagen,
zu verlegen. Damit hat sich das Berufungsgericht, ohne seine eigene bessere Sachkunde darzulegen, über das sachkundige Zeugnis
des behandelnden Facharztes hinweggesetzt. Dies verstößt gegen §
286 ZPO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es der Darstellung entsprechender Sachkunde, wenn ein Gericht
fachlichen Feststellungen oder fachlichen Schlußfolgerungen eines herangezogenen Gutachters nicht folgen will (Urt. v. 15.
März 1988, VI ZR 81/87, VersR 1988, 837; v. 21. Januar 1997, VI ZR 86/96, NJW 1997, 1446; vgl. auch BGH, Urt. v. 17. Oktober 2001, IV ZR 205/00, BGHR
ZPO §
286 Abs.
1, Sachverständigenbeweis 34). Dies gilt auch für den Fall der Abweichung von der Bekundung eines sachverständigen Zeugen über
die von ihm sachkundig getroffene Feststellung der Befundtatsachen oder, wie hier, der Haupttatsache des Beweises. Der zusätzliche
Hinweis, manische Phasen könnten sich kurzfristig aufhellen, stimmt zwar mit der Beurteilung beider Sachverständigen überein,
sie ersetzt aber nicht die von dem sachverständigen Zeugen getroffene Beurteilung des tatsächlichen Krankheitsbildes der Übergeberin
am 20. Mai 1994. Die abschließende Überlegung, für den Zeitpunkt einer Notfalleinweisung im Jahre 1995 habe der Zeuge Geschäftsunfähigkeit
nicht ausschließen können, trägt nichts zur Sache bei.
b) Die Hilfserwägung, die Vertragsparteien hätten den Übergabevertrag durch die Urkunde vom 11. Juli 1995, bei deren Erstellung
die Übergeberin geschäftsfähig gewesen sei, bestätigt (§
141 BGB), geht fehl. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht kein denknotwendiger Zusammenhang zwischen der Aufhebung
eines Teiles des Vereinbarten, hier der übernommenen Pflegeverpflichtung, und der Bestätigung des Restes. Der nach §
141 BGB erforderliche Bestätigungswille setzt voraus, daß die Beteiligten die Nichtigkeit des Vereinbarten kannten oder doch Zweifel
an seiner Rechtsbeständigkeit hegten (BGHZ 129, 371, 377). Mit Zweifeln an der Rechtsbeständigkeit des von der Aufhebungsvereinbarung nicht betroffenen Teils des Vertrags ist
die Teilaufhebung weder notwendig noch auch nur im Sinne einer Beweiserwägung mit Wahrscheinlichkeit verbunden. Das Berufungsgericht
sieht die Bestätigungswirkung der Teilaufhebung vom 11. Juli 1995, kontradiktorisch zu §
141 BGB, gerade darin, daß Zweifel an der Rechtsgültigkeit der unberührten Vertragsteile nicht bestanden hatten. Daß die Vertragsbeteiligten,
wovon das Berufungsgericht auszugehen hatte, den Wegfall der Pflegeverpflichtung in Wirklichkeit nicht wollten (§
117 Abs.
1 BGB), bestätigt das Fehlen eines rechtlichen Bestätigungswillens. Im übrigen erfordert die Bestätigung eines formbedürftigen
Geschäfts zumindest die Bezugnahme auf das ursprünglich Vereinbarte (BGH, Urt. v. 6. Mai 1985, VIII ZR 119/84, NJW 1985, 2579 f.). Die notarielle Urkunde vom 11. Juli 1995 läßt den Übergabevertrag vom 20. Mai 1994 unerwähnt.
2. Auch die Verneinung eines Rücktrittsrechts der Übergeber wegen Nichterfüllung der übernommenen Pflegepflichten hat keinen
Bestand. Das Berufungsgericht läßt offen, ob das Geschuldete erbracht wurde, und meint, ein Rücktrittsrecht sei nach § 13 BWAGBG, der nach dem Vorbehalt für Altenteilsverträge in Art.
96 EGBGB heranzuziehen sei, ausgeschlossen. Hierzu reichen die Feststellungen des Berufungsgerichts indessen nicht hin. Im Ausgangspunkt
zutreffend hebt dieses zwar darauf ab, daß der wesentliche Grundzug des Altenteils in einem Nachrücken der folgenden Generation
in eine die Existenz - wenigstens teilweise - begründende Wirtschaftseinheit besteht (Senat, BGHZ 53, 41, 43; Urt. v. 28. Oktober 1988, V ZR 60/87, WM 1989, 70). Erforderlich ist danach, daß ein Beteiligter dem anderen nach Art einer vorweggenommenen Erbfolge seine wirtschaftliche
Lebensgrundlage überträgt, um dafür in die persönliche Gebundenheit eines abhängigen Versorgungsverhältnisses einzutreten,
während der Übernehmer eine wirtschaftlich selbständige Stellung erlangt (Senat, BGHZ 3, 206, 211; 107, 156, 160). Es genügt mithin nicht, daß der Übernehmer das erlangte Grundstück zur Schaffung seiner wirtschaftlichen
Lebensgrundlage nutzt, erforderlich ist vielmehr zusätzlich, daß die Existenzgrundlage vom Übergeber bereits geschaffen war
und der Übernehmer in diese eintritt. Der Umstand, daß der Beklagte zu 1 im elterlichen Haus ein Atelier mit Werkstatt eingerichtet
hatte und dort nach Übergabe beibehielt, auf den sich das Berufungsurteil stützt, läßt ein Einrücken in eine bereits von den
Übergebern geschaffene Existenzgrundlage nicht erkennen. Denn es reicht nicht aus, daß der Übernehmer in den übergebenen Räumen
seine Berufstätigkeit aufnimmt oder, wie hier, fortsetzt.
3. Sollte sich das Berufungsgericht erneut mit der Frage des Schenkungswiderrufs wegen groben Undanks der Beklagten (§
530 BGB) zu befassen haben, wird es beachten müssen, daß die Tonbandaufzeichnung, durch die der Kläger Augenscheinsbeweis antritt,
nach dessen Behauptung mit Einwilligung der Übergeber erfolgt ist (zur Verwertbarkeit des Beweismittels vgl. BGH, Urt. v.
24. November 1981, VI ZR 164/79, NJW 1982, 277; v. 13. Oktober 1987, VI ZR 83/87, NJW 1988, 1016). Zu berücksichtigen werden auch die Auswirkungen des Todes der Übergeber auf das Fortwirken ihres Persönlichkeitsrechts
sein.