Begründung eines unterhaltsrechtlichen Mehrbedarfs durch Kosten für den längerfristigen Besuch von Förderunterricht bei einem
privaten Lehrinstitut
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen des Kindesunterhalts um Mehrbedarf für eine Therapie einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS).
Der am 25. Juli 1997 geborene Antragsteller ist der nichtehelich geborene Sohn der Antragsgegnerin, der seit Mai 2010 bei
dem Kindesvater lebt. Die Antragsgegnerin arbeitet vollschichtig als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung und ist zudem
als Rechtsanwältin zugelassen, ohne aus einer solchen Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Der verheiratete Kindesvater ist als
Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei tätig.
Der Antragsteller absolvierte seit März 2011 eine einjährige LRS-Therapie bei einem privaten Anbieter (L.-Institut), durch
die Kosten in einer Gesamthöhe von 2.304 € entstanden sind. Die Antragsgegnerin lehnt die - erstmals im März 2011 geltend
gemachte - Beteiligung an den Kosten der LRS-Therapie bei dem L.-Institut ab.
Im vorliegenden Verfahren verlangt der durch den Kindesvater vertretene Antragsteller von der Antragsgegnerin Zahlung von
anteiligen Therapiekosten in Höhe von 797,04 €. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob genügende Gründe für die
Durchführung der LRS-Therapie - zudem bei einem privaten Anbieter - vorgelegen haben; ferner ist streitig, in welcher Höhe
die Antragsgegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die dagegen gerichtete
Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin,
mit der sie die vollständige Abweisung des Antrags weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache
an das Oberlandesgericht.
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht erkannt, dass die während der Dauer des einjährigen Förderunterrichts
des Antragstellers anfallenden monatlichen Kosten unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf darstellen können. Als Mehrbedarf ist der
Teil des Lebensbedarfs (§
1610 BGB) anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er beim Kindesunterhalt
mit den Tabellensätzen nicht - zumindest nicht vollständig - erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb
bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - FamRZ 2008, 1152 Rn. 24).
2. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Erwägungen, die das Beschwerdegericht im Zusammenhang mit der Notwendigkeit
und der Angemessenheit des privaten Förderunterrichts angestellt hat.
a) Das Beschwerdegericht hat - dem Amtsgericht folgend - seine Überzeugung, dass der Antragsteller an einer förderungsbedürftigen
Rechtschreibschwäche leide, insbesondere aus der Auswertung eines Schreibtests gewonnen, den der Antragsteller auf Anregung
seines Deutschlehrers am 24. Februar 2011 bei dem L.-Institut absolviert hat; das dabei angewendete Testverfahren (sog. Hamburger
Schreibprobe) kann dieser Auswertung entnommen werden. Diese tatrichterliche Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber insbesondere geltend macht, dass es sich bei dem L.-Institut um ein auf Gewinnerzielung
gerichtetes Unternehmen handele, dessen Kompetenz ungeklärt sei, will sie damit die eigene Würdigung von der Überzeugungskraft
des Beweismittels an die Stelle der Würdigung des Beschwerdegerichts setzen, was ihr im Verfahren der Rechtsbeschwerde verwehrt
ist.
b) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der Unterhaltsberechtigte den durch den kostenauslösenden Besuch einer
privaten Bildungseinrichtung entstandenen Mehrbedarf nicht unbeschränkt, sondern nur beim Vorliegen von sachlichen Gründen
geltend machen kann. Darüber hinaus bedarf es einer besonderen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, wenn die Entscheidung
für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung einen nicht unerheblichen Mehrbedarf im Vergleich mit anderen denkbaren
Lösungen des zugrunde liegenden schulischen Problems verursacht (vgl. Senatsurteil vom 3. November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49 zur Privatschule). Im vorliegenden Fall war daher zu prüfen, ob für die kostenauslösende Inanspruchnahme eines privaten
Lehrinstituts im Vergleich zu den schulischen Förderangeboten so gewichtige Gründe vorliegen, dass es gerechtfertigt erscheint,
die dadurch verursachten Mehrkosten zu Lasten der Antragsgegnerin als angemessene Kosten der Ausbildung im Sinne von §
1610 Abs.
2 BGB anzuerkennen.
Auch diese Beurteilung obliegt im Kern der tatrichterlichen Würdigung (vgl. Senatsurteil vom 3. November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49). Das Beschwerdegericht hat - auch insoweit dem Amtsgericht folgend - den Besuch eines privaten Förderunterrichtes insbesondere
deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil der Antragsteller bereits zwischen der fünften und siebten Klasse öffentliche Förderungsmaßnahmen
durch Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) zur Behebung von Lese- und Rechtschreibschwächen ohne besonderen
Erfolg durchlaufen habe. Dies hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Überzeugungsbildung und ist daher aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3. Im Ausgangspunkt richtig ist die Annahme des Beschwerdegerichts, dass für berechtigten Mehrbedarf grundsätzlich beide Elternteile
anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen (Senatsurteil vom 5. März 2008 XII ZR 150/05 - FamRZ 2008, 1152 Rn. 28) und nach den Maßstäben des §
1603 Abs.
1 BGB aufzukommen haben, so dass vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag
in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen ist (Senatsurteil vom 26. November 2008 - XII ZR 65/07 - FamRZ 2009, 962 Rn. 32).
4. Das Beschwerdegericht hat indessen das unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Einkommen des Kindesvaters nicht rechtsfehlerfrei
ermittelt.
a) Das Beschwerdegericht legt seinen Berechnungen durchgehend das von dem Kindesvater im Jahre 2011 erzielte monatliche Nettoeinkommen
in Höhe von 6.921 € zugrunde. Dieser Ansatz ist jedenfalls für die Verteilung der im Jahre 2012 entstandenen Kosten der LRS-Therapie
des Antragstellers nicht mehr zutreffend, weil sich das Einkommen des Kindesvaters nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts
im Jahre 2012 wegen der Zahlung einer Bruttotantieme in Höhe von 12.000 € signifikant erhöht hat.
b) Soweit das Beschwerdegericht das Nettoeinkommen des Kindesvaters um den steuerlichen Splittingvorteil (richtig: um etwa
die Hälfte des steuerlichen Splittingvorteils) in Höhe von 325 € bereinigt hat, weil dieser Vorteil seiner Ehe vorzubehalten
sei, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Ein vom Beschwerdegericht angenommenes Verbot der Teilhabe
am steuerlichen Splittingvorteil besteht beim Kindesunterhalt - um den es hier geht - nicht. Vielmehr gilt insofern der allgemeine
Grundsatz, dass alle Einkommensbestandteile und somit auch der Splittingvorteil für den Kindesunterhalt herangezogen werden
können, und zwar sowohl bei der Ermittlung des Bedarfs nach §
1610 BGB als auch bei der Leistungsfähigkeit nach §
1603 BGB (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 2. Juni 2010 - XII ZR 160/08 - FamRZ 2010, 1318 Rn. 18 ff. und BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 16 ff.). Der aus der Ehe resultierende Splittingvorteil ist beim Kindesunterhalt immer dann uneingeschränkt einkommenserhöhend
zu berücksichtigen, wenn er auf dem alleinigen Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruht. Nur dann, wenn der Ehegatte des
Unterhaltspflichtigen eigene steuerpflichtige Einkünfte bezieht, ist der Splittingvorteil - insoweit zum Nachteil des Kindes
- auf den Unterhaltspflichtigen und seinen Ehegatten zu verteilen (vgl. Senatsurteil BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 31), allerdings nicht nach einem Halbteilungsmaßstab, sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider
Ehegatten (vgl. Wendl/ Kemper 8. Aufl. § 1 Rn. 977; Graba FamRZ 2008, 2192; Pauling FamFR 2010, 363, 364).
c) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde ferner die Behandlung der von dem Kindesvater geltend gemachten Verbindlichkeiten für
die Finanzierung des in seinem Eigentum stehenden Hauses. Das Beschwerdegericht hat vom Einkommen des Kindesvaters Hausschulden
in Gesamthöhe von 2.199 € abgesetzt, ohne dabei zu berücksichtigen, dass den Belastungen ein Gegenwert durch den Vorteil mietfreien
Wohnens gegenübersteht. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich bestritten, dass die von dem Kindesvater getragenen Hausverbindlichkeiten
die Höhe des durch die Immobilie geschaffenen Wohnwerts übersteigen. Zur Höhe dieses Wohnwertes, der beim Kindesunterhalt
grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete zu bemessen ist (Senatsurteil vom 17. Mai
2006 - XII ZR 54/04 - FamRZ 2006, 1100, 1104; vgl. allerdings auch Senatsurteil BGHZ 154, 247, 252 ff. = FamRZ 2003, 1179, 1180 f.), hat der für die Einkommensverhältnisse seines Vaters darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller bislang keinen
Vortrag gehalten.
5. Auch die Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens aufseiten der Kindesmutter ist nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit
sieht der Senat gemäß § 74 Abs. 7 FamFG mit Blick auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tage in der Parallelsache XII ZB 297/12 von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung ab.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch. Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht auch zu beachten haben, dass das Einkommen des barunterhaltspflichtigen
Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung um den geschuldeten Barunterhalt
zu bereinigen ist (vgl. Wendl/Klinkhammer 8. Aufl. § 2 Rn. 435).