Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens hinsichtlich evtl. möglicher Nebenverdienste bei Ermittlung
des Kindesunterhalts gegenüber einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II; Eintritt des Kindes in den Prozess bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes während eines Kindesunterhaltsprozesses
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt für die Zeit ab November 2009.
Die Mutter der Antragstellerin und ursprüngliche Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des Antragsgegners. Die im September
1994 geborene Antragstellerin ist deren aus der Ehe hervorgegangene Tochter.
Der 1953 geborene Antragsgegner ist gelernter Maler und Lackierer. Er war als solcher aber nie berufstätig, sondern übte Tätigkeiten
auf verschiedenen anderen Berufsfeldern aus (u.a. als Zeitsoldat, Verkäufer, im Versicherungsaußendienst und bis 2002 als
selbständiger Versicherungsvertreter, später projektweise als Mitarbeiter bei einem Jobcenter). Spätestens seit November 2009
ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Die Parteien streiten darüber, ob dem Antragsgegner wegen Verstoßes gegen seine Erwerbsobliegenheit ein fiktives Einkommen
zuzurechnen ist oder ob er für den Unterhalt deswegen hinreichend leistungsfähig ist, weil er die geforderten Beträge bei
Titulierung des Unterhalts im Rahmen einer Nebentätigkeit auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende anrechnungsfrei hinzuverdienen
könne.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß zum Unterhalt verpflichtet. Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde
des Antragsgegners den Unterhaltsantrag abgewiesen. Dagegen hat die ursprüngliche Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde
eingelegt. Die während des Rechtsbeschwerdeverfahrens volljährig gewordene Antragstellerin ist anstelle ihrer Mutter in das
Verfahren eingetreten. Sie verfolgt das Unterhaltsbegehren weiter.
B.
Rechtsbeschwerde und Unterhaltsantrag sind zulässig, haben aber in der Sache keinen Erfolg.
I.
Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist in wirksamer Weise anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten. Die
auf Seiten der ursprünglichen Antragstellerin bestehende Verfahrensstandschaft nach §
1629 Abs.
3 Satz 1
BGB bestand zwar über die Scheidung hinaus zunächst noch fort (Senatsurteil BGHZ 109, 211 = FamRZ 1990, 283, 284). Sie ist aber mit Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin entfallen, was auch wegen des Unterhalts für die
Vergangenheit gilt (Senatsurteil vom 23. Februar 1983 IVb ZR 359/81 FamRZ 1983, 474, 475). Indessen ist die Antragstellerin in zulässiger Weise anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten.
1. Wie dem Wegfall der Verfahrensstandschaft bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes im Verfahren Rechnung zu tragen ist,
ist umstritten. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats trat in Anlehnung an den Eintritt des Gemeinschuldners anstelle
des Konkursverwalters nach Beendigung des Konkursverfahrens ein Parteiwechsel kraft Gesetzes ein, durch den das unterhaltsberechtigte
Kind ohne weitere prozessuale Erklärungen an die Stelle des Elternteils treten sollte (Senatsurteile vom 23. Februar 1983
IVb ZR 359/81 FamRZ 1983, 474, 475 und vom 30. Januar 1985 IVb ZR 70/83 FamRZ 1985, 471, 473). Dagegen ist der Senat in einer neueren Entscheidung bei Einlegung der Revision durch das volljährig gewordene Kind
davon ausgegangen, dass das Kind ein Recht hat, in den Prozess einzutreten, welches durch Erklärung geltend zu machen ist
(Senatsurteil BGHZ 109, 211 = FamRZ 1990, 283, 284). Auch im Schrifttum ist in Zweifel gezogen worden, dass sich der Parteiwechsel schon kraft Gesetzes vollzieht (Johannsen/
Henrich/Jaeger Familienrecht 5. Aufl. §
1629 Rn. 12; Bamberger/Roth/Veit
BGB 3. Aufl. §
1629 Rn. 51.1 mwN; Schwab/Streicher Handbuch des Scheidungsrechts 6. Aufl. I Rn. 568; Eschenbruch/Klinkhammer Unterhaltsprozess
5. Aufl. Kap. 5 Rn. 64 f.).
Der Senat hält an seiner eingangs genannten früheren Rechtsprechung nicht fest. Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Prozessbzw.
Verfahrensstandschaft nach §
1629 Abs.
3 BGB folgt vielmehr, dass es der freien Entscheidung des volljährig gewordenen Kindes überlassen bleiben muss, ob es sich am Verfahren
beteiligt und dieses fortsetzt. Dass das Kind einerseits die Möglichkeit hat, dem Verfahren beizutreten, es andererseits hierzu
aber auch nicht gezwungen werden darf, lässt sich nur durch einen gewillkürten Klägerbzw. Antragstellerwechsel sicherstellen.
Entsprechend war in den genannten, vom Senat entschiedenen Fällen (Senatsurteile vom 23. Februar 1983 IVb ZR 359/81 FamRZ 1983, 474, 475 und vom 30. Januar 1985 IVb ZR 70/83 FamRZ 1985, 471, 473) das Verfahren jeweils vom volljährig gewordenen Kind fortgesetzt worden.
Die als zwingend ausgestaltete Regelung in §
1629 Abs.
3 Satz 1
BGB lässt die Geltendmachung des Unterhalts nur im eigenen Namen des sorgeberechtigten Elternteils zu und verfolgt den Zweck,
das Kind aus dem Streit der Eltern herauszuhalten (BT-Drucks. 10/4514 S. 23; Staudinger/Peschel-Gutzeit
BGB [2007] §
1629 Rn. 44 mwN). Dem widerspräche es, wenn das Kind mit Eintritt seiner Volljährigkeit ohne Rücksicht auf seinen Willen zur Partei
bzw. zum Beteiligten des Verfahrens würde. Sollte das Kind sich etwa entschließen, das Verfahren nicht weiterzuführen, müsste
es den Unterhaltsantrag mit der Kostenfolge nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG,
269 Abs.
3 ZPO zurücknehmen. Eine einseitige Erledigungserklärung wäre mangels eines erledigenden Ereignisses unbegründet. Aber auch eine
übereinstimmende Erledigungserklärung wäre für das Kind mit einem Kostenrisiko verbunden. Dagegen kann der ehemalige Verfahrensstandschafter
den Antrag abgesehen von einer etwaigen Antragsumstellung auf einen (in seiner Person entstandenen) familienrechtlichen Ausgleichsanspruch
notfalls einseitig für erledigt erklären, weil mit der Verfahrensführungsbefugnis eine Zulässigkeitsvoraussetzung nachträglich
entfallen ist (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 5. Aufl. §
1629 Rn. 12; Bamberger/Roth/Veit
BGB 3. Aufl. §
1629 Rn. 51.1 sowie Senatsurteil vom 26. April 1989 IVb ZR 42/88 FamRZ 1989, 850).
Durch einen hier allein möglichen gewillkürten Beteiligtenwechsel wird demnach nicht nur der Verfahrensherrschaft des (ursprünglichen)
Antragstellers Rechnung getragen, sondern vor allem auch dem Umstand, dass das Kind nicht ohne seinen Willen Beteiligter des
Verfahrens werden darf und aus dem Streit der Eltern herausgehalten werden soll.
2. Die Antragstellerin hat mit Zustimmung ihrer Mutter den Eintritt in das Verfahren erklärt. Da der Beteiligtenwechsel allein
im Wegfall der Verfahrensführungsbefugnis begründet liegt und nicht mit einer Änderung des Streitstoffs verbunden ist, bedurfte
es keiner Zustimmung des Antragsgegners (vgl. Senatsurteil BGHZ 109, 211 = FamRZ 1990, 283, 284; Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 XII ZR 89/10 FamRZ 2012, 1489 Rn. 11; vgl. auch BGHZ 123, 132 = NJW 1993, 3072). Im Gegensatz zum Parteiwechsel bei Einzelrechtsnachfolge (vgl. Senatsurteil vom 29. August 2012 XII ZR 154/09 FamRZ 2012, 1793 Rn. 15) ist der Beteiligtenwechsel nicht wie gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG,
265 Abs.
2 Satz 2
ZPO kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung an die Zustimmung des Verfahrensgegners gebunden (vgl. BGHZ 123, 132 = NJW 1993, 3072). Der Beteiligtenwechsel ist dementsprechend auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zulässig (vgl. Senatsurteil BGHZ 109,
211 = FamRZ 1990, 283, 284; Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 XII ZR 89/10 FamRZ 2012, 1489 Rn. 11; Thomas/Putzo/Hüßtege
ZPO 34. Aufl. §
50 Vorbem. Rn. 24).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt auch nach den Anforderungen
der gesteigerten Unterhaltspflicht gemäß §
1603 Abs.
2 BGB nicht leistungsfähig, denn er könne ohne Gefährdung seines eigenen Selbstbehalts von 900 € bzw. (ab Januar 2011) 950 € keine
Beträge für den Kindesunterhalt erübrigen. Der Antragsgegner könne erst bei einem Bruttoeinkommen von 1.265 € (Stundenlohn
von 7,30 €) bzw. 1.355 € (7,83 €) den ersten Euro an Unterhalt zahlen. Ein solches Einkommen könne er, ohne dass es auf seine
gesundheitlichen Beschwerden ankomme, nicht erzielen. Aufgrund seiner bisherigen Erwerbsvita seien für ihn Ganztagsstellen,
bei denen auch nur 7,30 € erzielt werden könnten, verschlossen. Der Antragsgegner sei beruflich gestrandet, aus welchen Gründen
auch immer. Er sei in so vielen verschiedenen Berufen tätig gewesen, dass er nirgendwo eine wirkliche Qualifikation habe erwerben
können. Auch nach dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck sei es unwahrscheinlich, dass er noch eine nennenswerte Chance
auf dem Arbeitsmarkt für Vollzeitstellen habe. Er werde auf Dauer unverschuldet arbeitslos sein.
Das bedeute aber nicht, dass er deshalb als leistungsfähig anzusehen sei, weil er gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II (aF) soviel hinzuverdienen könne, dass er den Mindestunterhalt für sein Kind sichern könne. Die Bestimmung lasse es zwar
zu, dass titulierte Unterhaltspflichten vom Einkommen abzuziehen seien. Dies gelte aber nicht für in einem laufenden Verfahren
noch zu erstellende, sondern lediglich für bei Eintritt der Arbeitslosigkeit schon vorhandene Titel. In den Gesetzesmaterialien
zum Sozialgesetzbuch II lasse sich keine Stütze für das Gegenteil finden. Die Annahme eines fiktiven Einkommens in Höhe des Unterhaltsbetrages würde
vielmehr zu dem absurden Ergebnis führen, dass der Unterhaltspflichtige sich im Interesse des Kindes auf keinen Fall um einen
Arbeitsplatz bemühen dürfe, der ihm ein Einkommen oberhalb des titulierten Unterhalts ermögliche, er also arbeitslos bleiben
müsse. Der "unterhaltsrechtlichen Bedarfsdeckung" komme der Vorrang gegenüber öffentlichrechtlichen Regelungen dieser Art
zu. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II (aF) erhöhe die Leistungsfähigkeit nicht und dürfe dem Unterhaltspflichtigen auch nicht die Möglichkeit einer Abänderungsklage
verschließen.
2. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
a) Die vom Oberlandesgericht getroffene Feststellung, dass der Antragsgegner kein Einkommen erzielen kann, das ihm die Zahlung
von Kindesunterhalt ermöglicht, bewegt sich noch im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung.
aa) Nach §
1603 Abs.
1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung
seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt
gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art.
6 Abs.
2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche
und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger
Rechtsprechung des Senats nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden (Senatsurteile
BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 29 und vom 3. Dezember 2008 XII ZR 182/06 FamRZ 2009, 314 Rn. 20; Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 2 Rn. 366 ff.).
Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, in die auch mögliche Nebenverdienste einzubeziehen sind, setzt neben den nicht ausreichenden
Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance des Unterhaltspflichtigen voraus (Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 30 f. und vom 3. Dezember 2008 XII ZR 182/06 FamRZ 2009, 314 Rn. 28). Schließlich darf dem Unterhaltspflichtigen auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen
zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist (BVerfG FamRZ 2010, 793).
bb) Die angefochtene Entscheidung genügt diesen Maßstäben.
Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass der Antragsgegner im Verlauf seiner wechselvollen Erwerbsbiografie keine
Qualifikation erwerben konnte, die es ihm heute ermöglichen würde, eine Vollzeitstelle zu erlangen. Dafür hat es die unterschiedlichen
Tätigkeitsfelder aufgezeigt, in denen der Antragsgegner beschäftigt war und auch dem Umstand Rechnung getragen, dass es ihm
zuletzt (seit 2002) auf wechselnden Arbeitsstellen nicht mehr gelungen ist, eine Erwerbstätigkeit nachhaltig zu sichern. Auch
soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, gerade die Vielseitigkeit der Tätigkeiten eröffne dem Antragsgegner eine reale Beschäftigungschance,
bleibt die Würdigung des Oberlandesgerichts nach den Maßstäben des Rechtsbeschwerdeverfahrens noch vertretbar. Da das Oberlandesgericht
nicht zuletzt das Alter des Antragsgegners und den persönlichen Eindruck, den es von ihm gewonnen hat, in die Würdigung einbezogen
hat, verstößt seine tatrichterliche Würdigung weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze (vgl. Senatsurteil vom 30.
Juli 2008 XII ZR 126/06 FamRZ 2008, 2104 Rn. 20).
b) Das Oberlandesgericht hat im Ergebnis zu Recht auch von der Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens abgesehen, das dem Antragsgegner
neben seinem Leistungsbezug gemäß dem Sozialgesetzbuch II anrechnungsfrei zu belassen wäre.
aa) Allerdings schließt der Bezug eines (Erwerbs-)Einkommens neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung für sich
genommen noch nicht aus, dass das (Erwerbs-)Einkommen für den Unterhalt zur Verfügung stehen kann. Vielmehr kann der Unterhaltspflichtige
unter Umständen auch dann unterhaltsrechtlich leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen
bestreiten und ein den Selbstbehalt übersteigendes Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht
in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 111 ff. mwN).
Davon ist im vorliegenden Fall aber nicht auszugehen. Zwar hat das Oberlandesgericht keine Feststellungen dazu getroffen,
dass es dem insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegner nicht möglich sei, eine Geringverdienertätigkeit auszuüben
(vgl. auch Senatsurteil vom 18. Januar 2012 XII ZR 178/09 FamRZ 2012, 517), durch die er neben der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein nach § 11 b Abs. 2, 3 SGB II (zuvor §§ 11 Abs. 2, 30 SGB II idF bis 31. Dezember 2010) teilweise anrechnungsfreies Einkommen erzielen könnte. Indessen hat die Rechtsbeschwerde nicht
aufgezeigt, dass dem Antragsgegner bei Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens mehr als der sogenannte notwendige Selbstbehalt
nach der Düsseldorfer Tabelle und den Leitlinien der Oberlandesgerichte (in diesem Fall Zwischenbetrag zwischen Erwerbstätigen-
und Nichterwerbstätigenselbstbehalt) zur Verfügung stünde, so dass er für den Unterhalt teilweise leistungsfähig sein könnte.
bb) Zutreffend hat das Oberlandesgericht die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners auch nicht aus einer möglichen Titulierung
des Kindesunterhalts hergeleitet.
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II aF; nunmehr § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II) sind vom Einkommen eines Antragstellers der Grundsicherung für Arbeitsuchende Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen
bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag abzusetzen.
Diese Regelung betrifft die Einkommensermittlung für Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie knüpft
an den Grundsatz an, dass die Sozialleistungsbedürftigkeit einer Person sich an den ihr zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts
tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln orientiert (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 20).
Daraus ist von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung die Folgerung gezogen worden, dass den Unterhaltspflichtigen, der
leistungsberechtigt für die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, die unterhaltsrechtliche Obliegenheit treffe, eine Nebentätigkeit
auszuüben und zugleich einen Titel errichten zu lassen, damit ihm das diesbezügliche Einkommen zur Unterhaltszahlung verbleibe
(OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1297, 1299; FamRZ 2007, 1905, 1906; FamRZ 2008, 2304, 2306 mwN; NJW 2008, 3366, 3368; OLG Schleswig NJW-RR 2010, 221, 222; KG FamRZ 2011, 1302).
Dem folgt der Senat nicht. Vielmehr kann durch die Titulierung des Unterhalts und den dadurch ermöglichten Abzug nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II aF (§ 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II) die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht erhöht werden (ebenso OLG Hamm FamRZ 2010, 570, 571 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 1740, 1741; Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 8 Rn. 197).
Von der Einsetzbarkeit teilweise anrechnungsfreien Einkommens unterscheidet sich die vorliegende Fragestellung dadurch, dass
der Unterhalt schon bei der Ermittlung der Sozialleistungsbedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen Berücksichtigung findet.
Insoweit muss also zunächst geklärt werden, welches Einkommen dem Unterhaltspflichtigen nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen
zur Verfügung steht. Zur Vermeidung eines Zirkelschlusses kann dies nur ohne Berücksichtigung einer wegen des Unterhalts erhöhten
Sozialleistung durchgeführt werden.
Dem entsprechen auch die sozialrechtlichen Wertungen. Indem der Gesetzgeber des Sozialgesetzbuchs II für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den in einem Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch
als Obergrenze für die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsbetrag anknüpft, unterstellt er lediglich im Sinne
einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein nach Maßgabe der §§
1601 ff.
BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen Feststellungen
des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs (BSG FamRZ 2011, 810 Rn. 16). Damit setzt die sozialgesetzliche Regelung voraus, dass der bestehende Unterhaltstitel nach bürgerlichem Recht ermittelt
worden ist und bestimmt zugleich, dass sowohl die zuständigen Behörden als auch die Sozialgerichte die Unterhaltshöhe grundsätzlich
nicht zu überprüfen haben. Diese beschränken sich auf die Überprüfung, ob der titulierte Unterhalt tatsächlich gezahlt wird
(BSG FEVS 60, 392, 395; BSG FamRZ 2011, 810 Rn. 13).
Daraus wird deutlich, dass der Unterhalt allein nach den §§
1601 ff.
BGB zu ermitteln ist, bevor die Sozialleistungsbedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen festgestellt wird. Es ist also nicht zulässig,
für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit den möglichen Bezug von Sozialleistungen unter Berücksichtigung eines nach
zivilrechtlichen Kriterien unzutreffend bemessenen oder inzwischen durch die tatsächliche Entwicklung überholten Unterhaltstitels
zu ermitteln.
Dieselben Grundsätze gelten im Übrigen auch in Abänderungsverfahren (aA OLG Koblenz FamRZ 2006, 546; AG Flensburg FamRZ 2012, 1910). Denn auch hier richtet sich die Bestimmung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nach §
1603 BGB und ist die unterhaltsrechtliche Bewertung in Bezug auf die Frage, welcher Unterhalt nach § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II (bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II aF) abzugsfähig ist, vorrangig.