Unterhaltsbedarf eines in einem Kinderheim untergebrachten Kindes; Voraussetzungen und Umfang des Rückgriffs gegen die Eltern
Tatbestand:
Die Kläger begehren von den Beklagten als ihren Adoptiveltern Kindesunterhalt für die Zeit ab Januar 2000.
Der am 6. Februar 1932 geborene Beklagte zu 1 ist Konzertorganist und pensionierter Musikhochschullehrer. Die am 13. Februar
1959 geborene Beklagte zu 2 ist Studiendirektorin, hat sich während des vorliegenden Rechtsstreits vom Schuldienst beurlauben
lassen und arbeitet jetzt als Teilzeitkraft an einer Universität.
Seit 1996 adoptierten die Beklagten drei mittelamerikanische Kinder in ihren Heimatländern (Mexiko und Guatemala). Das zunächst
in Mexiko adoptierte, am 6. Januar 1986 geborene Mädchen M. wurde auf Veranlassung der Beklagten wieder dorthin zurückgebracht,
weil diese mit ihren Eigenschaften nicht zufrieden waren. In der Folgezeit adoptierten die Beklagten in Mexiko den am 18.
Juni 1988 geborenen Kläger zu 1. Die Adoption wurde auf Antrag der Beklagten erneut durch Beschluss des Amtsgerichts Emmerich
vom 9. April 1998 (6 XVI 5/98) ausgesprochen. Im Jahre 1999 adoptierten die Beklagten in Guatemala den am 22. März 1990 geborenen Kläger zu 2. Durch Beschluss
des Amtsgerichts Düsseldorf vom 10. Juni 2005 (98 XVI 27/02) wurde dieses Annahmeverhältnis anerkannt und ausgesprochen, dass es einem nach deutschem Recht begründeten Annahmeverhältnis
gleich steht. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Beklagten hat das Landgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 20. Juli
2006 als unzulässig verworfen (25 T 467/06). Die Beklagten haben gegen diese Entscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ein weiteres aus Guatemala stammendes und
am 30. Mai 1992 geborenes Mädchen M. gaben die Beklagten während der Adoptionsanwartschaft wieder zurück.
Im November 1999 wurden die Kläger wegen Verdachts der Kindesmisshandlung durch die Beklagten vom Jugendamt in Obhut genommen
und in Kinderheimen untergebracht. Mit Beschluss vom 7. März 2000 wurde den Beklagten das Sorgerecht entzogen und das zuständige
Jugendamt zum Vormund bestellt. Ein Antrag auf Rückübertragung des Sorgerechts für den Kläger zu 1 blieb in zwei Instanzen
erfolglos (OLG Düsseldorf Beschluss vom 16. Februar 2004 - 3 UF 40/03).
Jedenfalls seit Dezember 1999 erhalten die Kläger Hilfe zur Erziehung nach den Vorschriften des SGB VIII. Die monatlichen Kosten der Heimunterbringung belaufen sich insgesamt auf mehr als 3.000 EUR. Im Januar 2000 übersandte das
Jugendamt den Beklagten eine Rechtswahrungsanzeige. Durch Leistungsbescheid der Stadt E. vom 4. Oktober 2000 wurden die Beklagten
zu "Kostenbeiträgen gemäß § 94 Abs. 1 und 2 KJHG" herangezogen. Gegen diesen Bescheid legten sie Widerspruch ein; das Verwaltungsverfahren ruht derzeit.
Nach Rückübertragung der Unterhaltsansprüche durch den Träger der Jugendhilfe begehren die Kläger Unterhalt von den Beklagten.
Das Amtsgericht gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagten, an den Kläger zu 1 einen Unterhaltsrückstand
für die Zeit von Januar 2000 bis März 2001 in Höhe von 16.800 DM und laufenden Unterhalt ab April 2001 in Höhe von monatlich
1.120 DM und ab Juli 2001 in Höhe von monatlich 1.175 DM sowie an den Kläger zu 2 rückständigen Unterhalt für die Zeit von
Januar bis März 2001 in Höhe von 14.550 DM und laufenden Unterhalt für die Zeit ab April 2001 in Höhe von monatlich 970 DM
und ab Juli 2001 in Höhe von monatlich 1.013 DM zu zahlen. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten hat
das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision
der Kläger.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in KindPrax 2005, 108 veröffentlicht ist, hat die Klage abgewiesen, weil die
Kläger nicht unterhaltsbedürftig seien. Zwar bemesse sich der Unterhaltsbedarf der Kläger nach den konkret entstandenen Kosten
der Heimunterbringung. Der einer Unterbringung entgegen stehende Wille der Beklagten sei unbeachtlich, weil ihnen die elterliche
Sorge entzogen und das Jugendamt als Vormund berechtigt sei, die Art und Weise der Unterhaltsgewährung zu bestimmen.
Der Unterhaltsbedarf der Kläger sei allerdings durch die Leistungen der Jugendhilfe in vollem Umfang gedeckt. Zwar seien auch
Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich gegenüber einem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch subsidiär, wie sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ergebe. Diese Regelung werde indes durch die speziellen Heranziehungs- und Übergangsvorschriften der §§ 92, 94 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 SGB VIII konkretisiert. Nach § 94 Abs. 2 SGB VIII könnten die Eltern ohnehin nur in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Kosten herangezogen werden. Nur in
diesem Umfang könne der Träger der Jugendhilfe in der gesetzlich vorgesehenen Form bei den unterhaltspflichtigen Eltern Rückgriff
nehmen. Auch wenn nach § 94 Abs. 3 SGB VIII kein Kostenbeitrag erhoben werden könne, gehe der Unterhaltsanspruch eines Kindes nur in Höhe des Betrages auf den Träger
der öffentlichen Jugendhilfe über, der zu zahlen wäre, wenn die Leistung der Jugendhilfe und der sie veranlassende besondere
Bedarf außer Betracht bleibe. Da die Leistungen der Jugendhilfe in dem darüber hinausgehenden Umfang auch der Familienförderung
dienten, seien sie gegenüber dem Kindesunterhalt nur insoweit nachrangig, als das Gesetz die Heranziehung der Eltern zu den
Kosten vorsehe.
Nach § 94 Abs. 3 SGB VIII gehe der Unterhaltsanspruch nur dann auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe über, wenn die Eltern vor Beginn der Hilfe
nicht mit dem Kind zusammengelebt hätten. Selbst wenn dem Jugendamt die Befugnis zur Beantragung der Jugendhilfe hier erst
einige Wochen nach Herausnahme der Kinder aus der Familie übertragen worden sei, ändere das nichts daran, dass die Beklagten
vor Beginn der Hilfen mit den Klägern zusammengelebt hätten. Die Leistungen der Jugendhilfe stünden in engem Zusammenhang
mit der Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Beklagten, wobei es auf eine kurze Zwischenzeit ohne Leistungsbewilligung
nicht ankomme. Die gesetzliche Regelung in § 94 Abs. 3 SGB VIII differenziere nicht danach, aus welchen Gründen die Kinder aus der Familie genommen und ins Heim gegeben seien. Ein Übergang
des Unterhaltsanspruchs auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe sei wegen des früheren Zusammenlebens auch dann ausgeschlossen,
wenn wegen Erziehungsversagens der Eltern eine spätere Rückkehr nicht in Betracht komme. Das folge schon aus § 34 SGB VIII, wonach die Heimunterbringung Jugendlichen auch eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten könne und nicht auf den
Versuch einer Rückkehr in die Familie beschränkt sei. Soweit die Leistungen der Jugendhilfe - in Höhe der durch die auswärtige
Unterbringung ersparten Aufwendungen - nicht nachrangig seien, scheide ein Unterhaltsanspruch gleichwohl aus. Denn aus der
Rückgriffsvorschrift des § 94 Abs. 2 SGB VIII folge, dass der Unterhalt zunächst gedeckt sei und der Jugendhilfeträger im Wege des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs
Rückgriff nehmen müsse. Nur so könne für die Beklagten die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme vermieden werden.
II. Diese Erwägungen überzeugen auch gegenüber den Einwendungen der Revision.
Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Unterhaltsbedarf der Kläger durch die Leistungen der Jugendhilfe
vollständig gedeckt ist und dem Träger der Jugendhilfe lediglich ein Anspruch auf Zahlung eines öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrags
gegen die Beklagten zusteht. Dabei ist nach der Übergangsregelung zu den am 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen Änderungen
des SGB VIII zwischen Unterhaltsansprüchen für die Zeit bis zum 31. März 2006 und solchen für die Zeit ab April 2006 zu unterscheiden.
Denn nach § 97 b SGB VIII erfolgte die Heranziehung zu den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen, die - wie hier - schon vor dem 1. Oktober
2005 fortlaufend gewährt worden sind, bis zum 31. März 2006 nach dem früheren Recht und erst für die Zeit ab April 2006 nach
den zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen geänderten Vorschriften des SGB VIII.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht Unterhaltsansprüche der Kläger für die Zeit bis zum 31. März 2006 abgewiesen, weil ihr
Unterhaltsbedarf vollständig gedeckt war. Solche Ansprüche konnten deswegen nicht mehr auf den Träger der Jugendhilfe übergehen
und von diesem auch nicht auf die Kläger zurückübertragen werden.
a) Der Unterhaltsbedarf der Kläger bemisst sich allerdings nach den konkreten Kosten für ihre Heimunterbringung. Zwar schulden
die Eltern einem auswärts untergebrachten minderjährigen Kind neben dem Barunterhalt auch Betreuungsunterhalt, der sich regelmäßig
pauschal nach der Höhe des Barunterhalts richtet (Senatsurteil vom 30. August 2006 - XII ZR 138/04 - FamRZ 2006, 1597, 1598 f. mit Anm. Born). Sind die Kinder allerdings in einem Heim untergebracht, richtet sich ihr Unterhaltsbedarf nach den
durch die Heimunterbringung veranlassten und konkret feststehenden Kosten. Der einer Heimunterbringung entgegenstehende Wille
der Beklagten ist insoweit unerheblich, weil ihnen nach §
1666 BGB die elterliche Sorge entzogen wurde und das Recht zur Bestimmung der Art und Weise der Unterhaltsgewährung nach §
1612 Abs.
2 BGB somit auf das Jugendamt als Vormund übergegangen ist.
b) Dieser Unterhaltsbedarf der Kläger war allerdings durch die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in vollem Umfang gedeckt.
Die nach den Vorschriften des SGB VIII in der bis zum 30. September 2005 geltenden Fassung (SGB VIII a.F.) gewährten Leistungen waren zwar grundsätzlich gegenüber Unterhaltsansprüchen subsidiär, zumal durch sie Verpflichtungen
Anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger ausdrücklich nicht berührt werden sollten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII a.F.; Wiesner SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe 2. Aufl. vor § 90 Rdn. 2 f.). Allerdings wurde diese grundsätzliche Subsidiarität schon nach früherem Recht durch diverse Vorschriften eingeschränkt
und speziell ausgestaltet (Wiesner aaO. § 10 Rdn. 22; Schellhorn SGB VIII § 10 Rdn. 13 f. m.w.N.; Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 327 a und OLG Schleswig
OLGR 2001, 322).
aa) Danach waren Kinder, Jugendliche oder deren Eltern teilweise individuell durch Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch
Leistungsbescheid festzusetzen war, zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in einem Heim heranzuziehen (§ 92 Abs. 2 i.V.m. § 91 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII a.F.). Teilweise ging der Unterhaltsanspruch des Kindes auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe über (§ 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII a.F.; OLG Karlsruhe OLGR 1999, 276). Im Übrigen konnte der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Anspruch gegen einen nach
bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen bei Leistungen an einen jungen Volljährigen auf sich überleiten (§ 96 SGB VIII a.F.; Münder Frankfurter Kommentar zum SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe 4. Aufl. § 96 Rdn. 1). Für die Art der Heranziehung der Eltern des unterhaltsbedürftigen Kindes oder Jugendlichen unterschied die Sonderregelung
in § 94 SGB VIII a.F. danach, ob sie vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammengelebt, ihm also im Wesentlichen Naturalunterhalt
geleistet hatten (so § 94 Abs. 2 SGB VIII a.F.), oder ob die Eltern schon in diesem Zeitpunkt nicht mit dem Kind oder Jugendlichen zusammengelebt hatten, ihm also
schon zuvor Barunterhalt schuldeten (§ 94 Abs. 3 SGB VIII a.F.). In beiden Fällen sollte die finanzielle Belastung der Eltern durch die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nicht
verändert werden, also gegenüber der vorher bestehenden Situation weder sinken noch steigen (Wiesner aaO. § 94 Rdn. 2).
Nur wenn die Kinder schon zuvor von ihren Eltern getrennt lebten, war von diesen kein Kostenbeitrag zu erheben, da der (laufende)
Unterhaltsanspruch des Kindes oder des Jugendlichen in Höhe des Betrages, der zu zahlen wäre, wenn die Leistungen der Jugendhilfe
und der sie veranlassende besondere Bedarf außer Betracht bleibt, auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe überging. In
solchen Fällen war der Unterhaltsbedarf der Kinder wegen der Subsidiarität der Kinder- und Jugendhilfe nicht gedeckt, was
einen Übergang ihrer Forderungen auf den Träger der Jugendhilfe ermöglichte. Nur über diese Ansprüche, die der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe - wie hier geschehen - auf das Kind oder den Jugendlichen zurückübertragen kann (Münder aaO. § 94
Rdn. 7 ff.; Wiesner aaO. § 94 Rdn. 19 ff.), ist im Zivilrechtsweg zu entscheiden (§ 94 Abs. 3 Satz 2 und 4 SGB VIII a.F.; Wiesner aaO. § 94 Rdn. 2).
Demgegenüber erfolgte die Heranziehung der Eltern, die bis zum Beginn der Jugendhilfe mit den Kindern oder Jugendlichen zusammenlebten,
allein durch öffentlich-rechtlichen Leistungsbescheid. Um eine doppelte Inanspruchnahme der Eltern sowohl durch Leistungsbescheid
als auch aufgrund des familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs zu vermeiden, sah das Gesetz für diese Fälle keinen Übergang
des Unterhaltsanspruchs vor. Diese gesetzliche Regelung sprach dafür, dass der Unterhaltsbedarf des Kindes oder Jugendlichen
in solchen Fällen durch die Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe voll abgedeckt und ein Rückgriff gegen die Eltern auf
den öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag beschränkt sein sollte (vgl. Münder aaO. § 94 Rdn. 1, 3 ff. und Wiesner aaO. Rdn.
5, 12 ff.; zur Berechnung des Kostenbeitrags nach altem Recht vgl. BVerwGE 108, 222, 226 ff.).
Aus diesen gesetzlichen Regelungen ergibt sich, dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Fällen, in denen die Eltern
vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammenlebten, ausnahmsweise bedarfsdeckend auf den zivilrechtlichen
Unterhaltsanspruch anzurechen waren. Dafür spricht, dass die Eltern stets nur den Unterhalt schuldeten, der zu zahlen wäre,
wenn die Leistungen der Jugendhilfe und der sie veranlassende besondere Bedarf außer Betracht blieb (§ 94 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2 SGB VIII a.F.) und dieser Betrag in solchen Fällen als Kostenbeitrag zu erheben war (§§ 91 Abs. 1 Nr. 4c, Abs. 5, 92 Abs. 2 SGB VIII a.F.). Wegen der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme konnte der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch in solchen Fällen daneben
nicht fortbestehen. Im Einklang damit sah das Gesetz für diese Fälle weder einen Anspruchsübergang noch eine Überleitungsmöglichkeit
vor (§ 94 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 SGB VIII a.F.) und verwies zur Durchsetzung auch nicht auf den Zivilrechtsweg (§ 94 Abs.3 S. 4 SGB VIII a.F.).
bb) Zu Recht ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagten bis zum Beginn der Leistungen öffentlicher
Jugendhilfe mit den Klägern zusammengelebt haben und nach § 94 Abs. 2 SGB VIII deswegen nur eine Heranziehung zu öffentlich-rechtlichen Unterhaltsbeiträgen in Betracht kommt.
Eltern oder Elternteile lebten mit dem Kind oder dem Jugendlichen im Sinne des § 94 Abs. 2 SGB VIII a.F. zusammen, wenn mit ihm eine Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft bestand. Nach dem Sinn der Regelung war eine nur vorübergehende
Unterbrechung der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft, etwa durch eine auswärtige Unterbringung, unschädlich (Wiesner aaO.
§ 94 Rdn. 5; BVerwGE 68, 299, 301). Denn die unterschiedlichen Rechtsfolgen des § 94 Abs. 2 SGB VIII a.F. einerseits und des § 94 Abs. 3 SGB VIII a.F. andererseits fanden ihren Grund in dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind bei Beginn der öffentlichen Jugendhilfe.
Wurde diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der Trennung der Kinder von ihren Eltern geleistet, war deren Kostenbeteiligung
im Wege des öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrags durchzusetzen.
So lag der Fall hier. Grund für die Heimunterbringung der Kläger und somit für die öffentlich-rechtlichen Fürsorgeleistungen
war die Entziehung des Sorgerechts nach §
1666 BGB und die Herausnahme der Kläger aus der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft mit den Beklagten. Die Leistungen der Jugendhilfe
waren mithin unmittelbare Folge der Herausnahme der Kläger aus der Familie der Beklagten. Darauf, dass die Kläger schon im
November 1999 vom Jugendamt in Obhut genommen worden waren, während sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts möglicherweise
erst ab Dezember 1999 Hilfe zur Erziehung nach den Vorschriften des SGB VIII erhielten, kommt es nicht an. Die bei Beginn der Leistungen bestehende kurzfristige Unterbrechung der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft
mit den Adoptiveltern ist für die Anwendbarkeit des § 94 Abs. 2 SGB VIII a.F. deswegen unerheblich.
cc) Das Berufungsgericht hat Unterhaltsansprüche der Kläger für die Zeit bis März 2006 deswegen zu Recht abgewiesen, weil
ihr voller Unterhaltsbedarf durch die Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe gedeckt war. Damit geht einher, dass solche
Unterhaltsansprüche auch nicht mehr auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe übergehen konnten und dieser auf einen öffentlich-rechtlichen
Kostenbeitrag der Eltern nach §§ 91 ff., 94 Abs. 2 SGB VIII a.F. verwiesen war. Ebenso schied eine Überleitung von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen
aus, weil solches nach § 96 SGB VIII a.F. nur bei Unterhaltsansprüchen junger Volljähriger in Betracht kam und beide Kläger in der hier relevanten Zeit bis März
2006 noch minderjährig waren.
2. Unterhaltsansprüche der Kläger gegen die Beklagten scheiden erst recht auf der Grundlage der zum 1. Oktober 2005 in Kraft
getretenen Änderungen des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII) für die Zeit ab April 2006 aus.
a) Zwar werden nach § 10 Abs. 1 SGB VIII Verpflichtungen Anderer durch die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin nicht berührt. Zugleich hat der Gesetzgeber
in § 10 Abs. 2 SGB VIII aber die Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Personen dahin konkretisiert, dass diese nach den §§ 90 bis 97 b SGB VIII an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen zu beteiligen sind. Damit wollte der Gesetzgeber insbesondere die Eltern
nicht aus ihrer Verantwortung zur Pflege und Erziehung und damit zur Sicherstellung des materiellen Wohls ihrer Kinder entlassen.
Einen rechtlichen Nachrang der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gegenüber der Elternverantwortung hat das Gesetz aber
nur insoweit konkretisiert, als der Träger der Kinder- und Jugendhilfe öffentlich-rechtliche Kostenbeiträge erheben kann (Münder
Frankfurter Kommentar zum SGB VIII Kinder- und Jugendhilferecht 5. Aufl. § 10 Rdn. 28; Wiesner SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe 3. Aufl. § 10 Rdn. 28; Jans/Happe/Saurbier/Maas Kinder- und Jugendhilferecht 3. Aufl. Stand Januar 2006 B II Art. 1 § 10 Rdn. 23).
aa) Unterhaltspflichten sind somit gegenüber Leistungen nach dem SGB VIII anders als gegenüber den meisten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch grundsätzlich nicht vorrangig. Im Recht der Kinder-
und Jugendhilfe ist dies schon deswegen geboten, weil die Leistungsgewährung nicht wegen des Ausbleibens der Unterhaltszahlungen
erfolgt, sondern unabhängig davon erzieherischen, behinderungsbedingten oder anderen Förderbedarf voraussetzt. Die Sicherung
des notwendigen Lebensunterhalts durch den Jugendhilfeträger nach § 39 SGB VIII wirkt sich deswegen auch auf den zivilrechtlichen Unterhaltsbedarf des Kindes aus.
Entsprechend ordnet § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nunmehr ausdrücklich an, dass der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist und dies bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werden muss. Zwar entfällt der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch
dadurch nicht dem Grunde nach. Die mit den Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts verbundene Bedarfsdeckung kann aber
die Höhe des Unterhaltsanspruchs reduzieren oder zu seinem vollständigen Wegfall führen. Soweit der Unterhalt im Rahmen der
Leistungsgewährung nach dem SGB VIII sichergestellt ist, ist auch der unterhaltsrechtliche Bedarf des Leistungsempfängers in aller Regel gedeckt (Münder aaO.
§ 10 Rdn. 29 f.; BT-Drucks. 15/3676 S. 31). Dadurch wird der Unterhaltspflichtige seiner materiellen Verantwortung gegenüber
dem jungen Menschen zwar nicht enthoben, weil er durch die Erhebung eines Kostenbeitrags in die Pflicht genommen werden kann.
Eine doppelte Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen mittels Kostenbeitrags einerseits und Unterhaltsanspruchs andererseits
ist aber ausgeschlossen.
bb) Im Einklang damit regelt § 92 Abs. 2 SGB VIII, dass die Heranziehung durch Erhebung eines Kostenbeitrags erfolgt. Zum Umfang der Heranziehung enthält § 94 Abs. 5 SGB VIII nunmehr eine Verordnungsermächtigung, von der durch die Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und
vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung - KostenbeitragsV) vom 1. Oktober 2005 (BGBl.
I S. 2907; vgl. auch Wiesner aaO. § 94 und Münder aaO. Anh. zu § 94) Gebrauch gemacht wurde.
Weil die Inanspruchnahme der Eltern nunmehr stets auf einen öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag beschränkt ist, hat der Gesetzgeber
durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz 2005 die frühere Vorschrift zur Überleitung von Ansprüchen gegen
einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen aufgehoben. Denn die Konzentration der Heranziehung auf einen öffentlich-rechtlichen
Kostenbeitrag macht weitere Regelungen über die Überleitung von Ansprüchen gegen eine nach bürgerlichem Recht unterhaltspflichtige
Person entbehrlich (BT-Drucks. 15/3676 S. 42; Münder aaO. Anm. zu § 96).
b) Für die Zeit ab April 2006 ist der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch der Kläger dem Grunde nach zwar nicht entfallen,
der Unterhaltsbedarf aber durch die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vollständig gedeckt. Ein Unterhaltsanspruch der
Kläger besteht somit auch für diese Zeit nicht mehr. Der Rückgriff gegen die dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Eltern
ist deswegen lediglich in Form der pauschalierten Kostenbeteiligung nach §§ 90 ff. SGB VIII im Wege des Verwaltungsverfahrens zulässig. Der Träger der Kinder- und Jugendhilfe muss sich deswegen auf das schon anhängige
Verwaltungsverfahren verweisen lassen.