Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs bei Arbeitslosigkeit eines Ehegatten
Tatbestand:
Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt. Ihre am 19. Januar 1966 geschlossene Ehe wurde mit Verbundurteil vom 11.
September 1990 nach deutschem Recht geschieden. Der Scheidungsausspruch wurde am 14. März 1991 rechtskräftig. Die Ehefrau
(Antragsgegnerin) ist Deutsche, der Ehemann (Antragsteller) Angehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika. Er ist freier
Versicherungsvertreter und lebt von der Vermittlung von amerikanischen Versicherungen an Angehörige und Mitarbeiter der US-Streitkräfte.
Mit notarieller Urkunde vom 9. November 1989 hatte er sich verpflichtet, an die Ehefrau für die Zeit des Getrenntlebens einen
monatlichen Unterhalt von 800 DM zu zahlen. Die gemeinsame volljährige, in Ausbildung stehende Tochter unterstützte er seit
Frühjahr 1989 mit monatlich 700 DM. Aus seiner nicht ehelichen Verbindung mit seiner Lebensgefährtin ging 4. Juli 1991 ein
Kind hervor, dem gegenüber er sich laut Jugendamtsurkunde vom 1. August 1991 zu einer Unterhaltszahlung von monatlich 301
DM verpflichtete. Die Ehefrau war während der Ehe zeitweise als Bürokraft und Kassiererin beschäftigt. Durch stundenweise
Aushilfstätigkeiten verdient sie gegenwärtig monatlich 470 DM netto.
Das Amtsgericht hat ihr im Verbundurteil einen monatlichen Elementarunterhalt von 720 DM ab Rechtskraft der Scheidung zuerkannt.
Den weitergehenden Antrag, auch auf Krankenvorsorgeunterhalt, hat es zurückgewiesen. Hiergegen haben zunächst beide Parteien
Berufung eingelegt. Die Ehefrau hat ihr Rechtsmittel zurückgenommen. Der Ehemann hat u.a. vorgetragen, der stetige Kursverfall
des Dollar und die Truppenreduzierungen bei den amerikanischen Streitkräften hätten schon während der Ehe seit 1982 zu einer
laufenden Verringerung seines Einkommens geführt, so daß die Ehegatten den gemeinsamen Lebensbedarf zum Teil durch Kontenüberziehungen
und Kreditaufnahmen hätten finanzieren müssen.
Das Oberlandesgericht hat seine Berufung im wesentlichen zurückgewiesen und der Ehefrau einen nachehelichen Unterhalt von
700 DM zuerkannt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Ehemannes, mit der er sein Ziel völliger Klageabweisung
weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Nach Meinung des Berufungsgerichts steht der Ehefrau ein Unterhaltsanspruch nach §§
1572,
1573 Abs.
1 und
2
BGB zu. Es hat dazu ausgeführt, die 53-jährige Ehefrau verfüge über keine heutzutage verwertbaren qualifizierten beruflichen
Kenntnisse. Sie habe in der letzten Zeit der Ehe nur Teilzeitarbeit geleistet. Außerdem sei sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes
nicht voll einsatzfähig, was sich aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 29. Mai 1990 ergebe, das durch die zusätzlichen gutachterlichen
Ausführungen des Dr. M. "relativiert" werde. Zudem leide sie noch an den Folgen eines Armbruchs. Daher sei davon auszugehen,
daß sie derzeit nicht mehr als 470 DM monatlich netto verdienen könne. Da eine Besserung ihres Gesundheitszustandes nicht
absehbar sei, scheide sowohl die Zurechnung eines fiktiven Einkommens aus Halbtagstätigkeit als auch eine zeitliche Zäsur
bei der Unterhaltsberechnung aus.
Dagegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch in der Revisionsinstanz zu prüfen ist (Senatsurteil vom
21. September 1983 - IVb ZR 360/81 - FamRZ 1983, 1215), ist gegeben. Sie folgt gemäß Art. 2 des EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
vom 27. September 1968 (EGÜbK, BGBl 1972 II S. 774) schon aus dem inländischen Wohnsitz des Ehemannes (vgl. Johannsen/Henrich
Eherecht 2. Aufl. Art. 18
EGBGB Rdn. 37, Zöller/Geimer
ZPO 17. Aufl. § 606a Rdn. 21).
b) Nicht zu beanstanden ist, daß das Berufungsgericht die Unterhaltsfrage nach deutschem Recht behandelt hat. Bei Ehegatten
unterschiedlicher Staatsangehörigkeit richtet sich die Frage, welches nationale Recht auf die unterhaltsrechtlichen Beziehungen
der Ehegatten anwendbar ist, nach dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober
1973 (BGBl. 1986 II S. 837), das nach seinem Art. 3 unabhängig von der Nationalität der Beteiligten gilt. Nach seinem Art.
8 Abs.
1, der inhaltlich Art. 18 IV
EGBGB entspricht, ist für die Unterhaltsbeziehungen geschiedener Ehegatten dasjenige Recht maßgebend, nach dem die Ehe geschieden
worden ist, hier also das deutsche Recht.
c) Die Revision greift aber zu Recht die Herleitung eines Unterhaltsanspruchs aus §
1572
BGB an. Danach kann ein geschiedener Ehegatte Unterhalt verlangen, solange und so weit von ihm wegen Krankheit oder anderer Gebrechen
oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Er braucht nur eine
seinen Fähigkeiten, seinem Alter und Gesundheitszustand und den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechende, angemessene Tätigkeit
auszuüben (§
1574 Abs.
2
BGB). Dabei kommt auch ein Teilanspruch in Betracht, wenn der Ehegatte infolge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung nur einer
Teilzeitbeschäftigung nachgehen kann (MünchKomm/Richter
BGB 2. Aufl. §
1572 Rdn. 10). Ein Anspruch aus §
1572
BGB scheidet dagegen als Teilanspruch - aus, wenn ein Ehegatte nur bestimmte Tätigkeiten (z.B. schweres Tragen, langes Stehen)
nicht oder nur eingeschränkt, dagegen eine andersgeartete, leichtere Arbeit vollschichtig verrichten kann (Senatsurteil vom
26. September 1990 - XII ZR 84/89 - BGHR
BGB §
1572 Erwerbsbehinderung 1 = FamRZ 1991, 170, 171; Soergel/Häberle
BGB 12. Aufl. §
1572 Rdn. 3).
Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, daß die Ehefrau nur zu einer Teilzeitbeschäftigung, gleich welcher Art, in
der Lage ist und nimmt zur Begründung auf das Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamts vom 29. Mai 1990 Bezug, welches durch
die gutachterlichen Äußerungen des Arztes Dr. M. vom 25. Juni 1990 in Frage gestellt werde. Angesichts der Widersprüchlichkeit
beider Gutachten genügt dies dem Erfordernis einer umfassenden Beweiswürdigung jedoch nicht, wie die Revision zutreffend rügt.
Das Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes stellt bei der zum Zeitpunkt der Untersuchung 51-jährigen Ehefrau ein leichtes
Übergewicht, eine altersentsprechende Wirbelsäule und ein Krampfaderleiden fest. Es führt aus, daher sei die von ihr zum Zeitpunkt
der Erstellung des Gutachtens ausgeübte Tätigkeit als Bedienung und Büfettkraft, verbunden mit dauerndem Stehen und Laufen,
nur im Umfang von vier Stunden täglich zumutbar. Dagegen sei eine leichtere körperliche Tätigkeit im Wechsel zwischen Sitzen
und Laufen vollschichtig möglich. Das Gutachten des Dr. M., ihres Hausarztes, stellt ebenfalls ein Krampfaderleiden, ferner
ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Muskelverspannungen und belastungsabhängige Knieschmerzen fest und kommt demgegenüber
zu dem Schluß, daß die Ehefrau auch in anderen leichteren Berufen nicht vollschichtig tätig sein kann. Das Urteil läßt eine
Stellungnahme dazu vermissen, aus welchen Gründen es den Untersuchungsbefund und die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch
das privatärztliche Gutachten für überzeugender hält. Außerdem hat es bei der erforderlichen umfassenden Würdigung nicht berücksichtigt,
daß solche gesundheitlichen Beschwerden wie Krampfadern, Wirbelsäulensyndrome und Gelenkschmerzen verbreitete körperliche
Abnutzungserscheinungen sind, insbesondere bei Frauen im Alter der Ehefrau, aber nicht stets eine völlige oder auch nur teilweise
Einschränkung der Erwerbsfähigkeit zur Folge haben (Senatsurteil vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 347/81 - FamRZ 1984, 353, 356; Senatsurteil vom 26. September 1990 aaO. S. 172).
Darüber hinaus weist die Revision zutreffend darauf hin, daß das privatärztliche Gutachten zwar auf Anregung des Gesundheitsamtes
und mit Billigung des Amtsgerichts erstellt worden ist, jedoch nicht von einem unabhängigen Gutachter, sondern von dem Hausarzt
der Ehefrau stammt und so mit der Sache nach ein urkundlich belegtes Parteivorbringen ist. Das Gericht hätte daher dieses
Gutachten nicht verwerten dürfen, nachdem der Gegner einer Verwertung als Sachverständigengutachten nicht zugestimmt hat (BGH
Urteil vom 5. Mai 1986 - III ZR 233/84 - NJW 1986, 3077, 3079).
Schließlich rügt die Revision zu Recht, daß auch der bloße Hinweis auf Folgen des Armbruchs im Dezember 1990 nicht geeignet
ist, eine dauernde teilweise Erwerbsunfähigkeit der Ehefrau zu belegen.
Die Zuerkennung eines Teilunterhaltsanspruchs nach §
1572
BGB wird hiernach von den bisher getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht getragen. Denn
es ist nicht auszuschließen, daß die Ehefrau eine leichtere Tätigkeit, etwa in ihrem früher ausgeübten Beruf als Bürokraft
oder Kassiererin, ganztags ausüben kann.
d) Bedenken bestehen auch gegen die Zuerkennung eines Anspruchs aus §
1573 Abs.
1
BGB. Er besteht, solange und soweit ein Ehegatte nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag und soweit
er keinen vorrangigen Anspruch nach den §§
1570 bis
1572
BGB hat. Voraussetzung ist, daß sich der Ehegatte unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel nachhaltig bemüht haben
muß, eine angemessene Tätigkeit zu finden, wozu die bloße Meldung beim Arbeitsamt nicht genügt. Er trägt im Verfahren zudem
die uneingeschränkte Darlegungs- und Beweislast für seine Bemühungen und muß in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte
und in welchem zeitlichen Abstand er im einzelnen in dieser Richtung unternommen hat. Die Beweiserleichterung nach §
287 Abs.
2
ZPO kommt ihm nicht zugute (Senatsurteil vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 45/85 - BGHR
BGB §
1573 Abs.
1 Beweislast 1 = FamRZ 1986, 885, 886 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügen nach zutreffender Auffassung der Revision die Darlegungen der Ehefrau über ihre
Arbeitssuche nicht. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, beim Arbeitsamt gemeldet zu sein und sich daneben bei vier Firmen
um eine Stellung als Bürokraft bemüht zu haben. Ob sie regelmäßig, zumindest aber in näherem zeitlichen Abstand allen in Frage
kommenden Angeboten ernsthaft nachgegangen ist, ist von ihr nicht näher konkretisiert und vom Oberlandesgericht auch nicht
geprüft worden (vgl. Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 2. Aufl. IV Rdn. 142). Freilich hat dies allein noch nicht
zur Folge, daß die auf § 1573 Abs. 1 gestützte Unterhaltsklage abgewiesen werden muß. Vielmehr muß die mangelhafte Arbeitssuche
dafür kausal sein, daß keine angemessene Stellung gefunden werden konnte. Die bloß theoretische Chance eines Arbeitsplatzes
reicht nicht aus; es muß aufgrund tatrichterlicher Würdigung nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und nach
den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Ehegatten, aber auch nach seiner subjektiven Arbeitsbereitschaft feststehen,
daß trotz ausreichender Bemühungen keine reale Beschäftigungschance bestanden hat. Jeder ernsthafte Zweifel geht dabei zu
Lasten des beweisbelasteten Unterhaltsklägers (Senatsurteil vom 4. Juni 1986 aaO.; Senatsurteil vom 29. Oktober 1986 - IVb ZR 82/85 - BGHR
BGB §
1573 Abs.
1 Beweislast 2 = FamRZ 1987, 144; s.a. ebenda Erwerbsmöglichkeit 1; Senatsurteil vom 8. April 1987 - IVb ZR 39/86 - FamRZ 1987, 912, 913).
Wie die Revision zu Recht rügt, fehlt es hier an eine solchen umfassenden tatrichterlichen Würdigung nach den oben genannten
Gesichtspunkten. Das Berufungsgericht hat sich darauf beschränkt, festzustellen, daß die Ehefrau über keine verwertbaren qualifizierten
Kenntnisse verfüge und auch ihr Gesundheitszustand nur die jetzt innegehabte Teilzeitbeschäftigung in einer Boutique erlaube.
Es hat weder auf die gegenwärtige konkrete Arbeitsmarktlage im dortigen Raum abgehoben, noch Erfahrungswerte aus anderen vergleichbaren
Fällen herangezogen, noch sich mit dem insoweit unstreitigen Vortrag beider Parteien auseinandergesetzt, daß die Ehefrau während
der Ehe zeitweise als Bürokauffrau, Faktoristin und Kassiererin gearbeitet und 1981/82 einen Förderungskurs in Lohn- und Gehaltsbuchhaltung
und EDV absolviert hat. Danach erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, daß sie, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines
neuen Kurses, in dem ihre Kenntnisse auf neuesten Stand gebracht werden, eine angemessene Stelle als Bürokraft finden kann.
Damit reichen die bisherigen Feststellungen für einen Anspruch aus § 1573 Abs. 1 nicht aus.
e) Bei der Beurteilung des Unterhaltsanspruchs nach §
1573 Abs.
2
BGB hat das Berufungsgericht nicht unterschieden, inwieweit der Unterhaltsanspruch einerseits auf §
1572 und §
1573 Abs.
1
BGB, andererseits auf §
1573 Abs.
2
BGB beruhen soll. Das hat die Revision in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht. Die Ansprüche aus §
1573 Abs.
1 und
2
BGB sind gegenüber §
1572
BGB grundsätzlich subsidiär. Der Senat hat aber - in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach ein Unterhaltsanspruch
auch nicht teilweise auf §
1573 Abs.
2
BGB gestützt werden konnte, wenn schon nach §
1572
BGB ein Anspruch auf den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalt bestand (Senatsurteil vom 9. Juli 1986 -
IVb ZR 39/85 - BGHR
ZPO §
549 Rechtsänderung 1 = FamRZ 1986, 886, 888) - für den Fall des §
1570
BGB entschieden, daß ein Ehegatte, von dem wegen der Kindesbetreuung nur eine Teilerwerbstätigkeit erwartet werden kann, nach
§
1570
BGB Unterhalt nur bis zur Höhe des durch eine Vollerwerbstätigkeit erzielbaren Mehreinkommens verlangen kann. Daneben kann er
Aufstockungsunterhalt nach §
1573 Abs.
2
BGB beanspruchen, wenn sein Eigenverdienst zusammen mit dem Teilanspruch aus §
1570
BGB zu seinem vollen Unterhalt (§
1578
BGB) nicht ausreicht (Senatsurteil vom 13. Dezember 1989 - IVb ZR 79/89 - BGHR
BGB §
1573 Abs.
2 Ergänzungsanspruch 4 - FamRZ 1990, 492, 494; vgl. auch Senatsurteil vom 26. September 1990 - XII ZR 84/89 - BGHR
BGB §
1573 Abs.
2 Ergänzungsanspruch 5 = FamRZ 1991, 170, 171). Gleiches gilt für den Fall, daß ein Ehegatte krankheitsbedingt nur eine Teilerwerbstätigkeit ausüben kann, mit der
er seinen vollen Unterhalt nicht verdienen kann (Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 2.
Aufl. S. 264 unter 5 b).
Dieses mögliche Nebeneinander von verschiedenen Anspruchsgrundlagen macht regelmäßig deren genaue Differenzierung erforderlich.
Das gilt zum einen mit Blick auf ein späteres Abänderungsverfahren, zum anderen deshalb, weil die zeitliche Begrenzungsmöglichkeit
nach §
1573 Abs.
5
BGB nur Ansprüche nach §
1573 Abs.
1 bis 4
BGB betrifft, nicht hingegen die anderen Anspruchsgrundlagen (Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 - IVb ZR 102/86 - BGHR
BGB §
1573 Abs.
2 Ergänzungsanspruch 1 = FamRZ 1988, 265, 267; Senatsurteil vom 13. Dezember 1989 aaO.). Nur ausnahmsweise kann die genaue Bestimmung unterbleiben, wenn im Einzelfall
eine zeitliche Begrenzung aus Billigkeitsgründen unter Berücksichtigung der Ehedauer, der Kindesbetreuung und der Gestaltung
von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit ohnehin ausscheidet.
Den Ausführungen des Berufungsgerichts läßt sich nicht entnehmen, daß es von einem solchen Ausnahmefall ausgegangen ist und
deshalb von einer Differenzierung abgesehen hat. Eine Billigkeitsabwägung nach den Kriterien des §
1573 Abs.
5
BGB hat es nicht vorgenommen. Auch daraus, daß es eine zeitliche Zäsur bei der Unterhaltsberechnung verneint hat, kann nicht
geschlossen werden, daß damit die zeitliche Begrenzung nach §
1573 Abs.
5
BGB angesprochen sein sollte. Das Berufungsgericht hat vielmehr lediglich darauf abgehoben, daß sich derzeit nicht voraussehen
lasse, ob und gegebenenfalls wann sich die körperlichen Behinderungen der Ehefrau bessern werden, so daß von einem höheren
Verdienst als den gegenwärtig erzielten 470 DM nicht ausgegangen werden könne. Soweit daher - neben einem etwaigen noch festzustellenden
Teilanspruch aus §
1572 oder §
1573 Abs.
1
BGB - überhaupt ein Aufstockungsunterhalt in Betracht kommt, ist es Sache des Tatrichters, festzustellen, wie hoch der Aufstockungsteil
ist.
2. Den Unterhaltsbedarf der Ehefrau hat es mit monatlich 1.400 DM als dem mindestangemessenen Unterhalt nach der Düsseldorfer
Tabelle entsprechend Frankfurter Praxis (FamRZ 1988, 1135) bemessen. Es hat dazu ausgeführt, daß das frühere Einkommen des Ehemannes aus den Versicherungsvermittlungen den Ehegatten
zwar einen gehobenen Lebensstandard erlaubt habe, hiervon aber für die Zeiträume 1987 bis 1990 nicht mehr auszugehen sei,
da die Einnahmen infolge des Dollarverfalls und der Truppenreduzierungen gesunken seien. Gleichwohl liege ein Bedarf von 1.400
DM monatlich im Rahmen der ehelichen Lebensverhältnisse, da die Ehegatten noch 1987 eine Wohnung zu einer Kaltmiete von 1.350
DM angemietet hätten und der Ehemann der Ehefrau 1989 einen Trennungsunterhalt von 800 DM notariell zugesagt habe.
Das steht nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Das Maß des vollen nachehelichen Unterhalts richtet sich gemäß
§
1578 Abs.
1
BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die insbesondere von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen im Zeitpunkt der
Rechtskraft der Scheidung (vgl. dazu Senatsurteile vom 16. Januar 1985 - IVb ZR 59/83 - FamRZ 1985, 357, 359 und vom 30. Januar 1985 - IVb ZR 67/83 - FamRZ 1985, 371, 373) bestimmt werden. Diese sind daher in jedem Einzelfall konkret festzustellen, was das Berufungsgericht unterlassen hat.
Die Bedarfssätze von Tabellenwerken sind lediglich Orientierungshilfen, die bei der tatrichterlichen Verteilung der verfügbaren
Mittel über- oder unterschritten werden können und daher eine konkrete Bedarfsfeststellung nicht entbehrlich machen (ständige
Rechtsprechung, vgl. u.a. Senatsurteile vom 4. November 1981 - IVb ZR 624/80 - FamRZ 1982, 151, 152; vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 51/82 - FamRZ 1984, 356, 357; vom 14. Januar 1987 - IVb ZR 93/85 - FamRZ 1987, 266, 267; Senat BGHZ 104, 158, 168). Einzelne Bedarfsposten wie Wohnungsmiete oder sonstiges Konsumverhalten der Ehegatten können nur Indizien sein, die
zudem am objektiven Maßstab eines vernünftigen Betrachters gemessen werden. Eine nach den Verhältnissen zu dürftige Lebensführung
bleibt ebenso außer Betracht wie ein übertriebener Aufwand (Senatsurteil vom 4. November 1981 aaO.). Das gilt insbesondere
dann, wenn die Lebenshaltungskosten, wie der Ehemann unwidersprochen vorgetragen hat, vom tatsächlichen Einkommen nicht mehr
gedeckt waren und zum Teil durch Kredite finanziert wurden. Daß ein Unterhaltspflichtiger bei einem Berufswechsel und einem
daraus folgenden vorübergehenden Einkommensverlust Vorsorge, notfalls durch Kreditaufnahme, treffen muß, um seinen Unterhaltspflichten
gegenüber der Familie nachkommen zu können (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1987 - IVb ZR 81/86 - FamRZ 1988, 145, 147), steht dazu nicht in Widerspruch. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Schließlich sind auch nicht punktuell die
Verhältnisse der Jahre 1987 oder 1989 maßgebend, sondern diejenigen im Zeitpunkt der rechtskräftigen Scheidung, wobei bei
Selbständigen allerdings in der Regel ein Durchschnittseinkommen aus den letzten drei Jahren zu errechnen ist (Senatsurteil
vom 4. November 1981 aaO.).
3. Das Berufungsgericht hat den Ehemann nach §
1581
BGB i.V. mit §
287
ZPO zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 700 DM als leistungsfähig angesehen. Dazu hat es folgendes ausgeführt: Zwar
ergebe sich ein rechnerischer Unterhaltsanspruch der Ehefrau selbst dann nicht, wenn man anstelle des Jahresgewinns vor Steuern,
der sich unter Abzug der steuerlich anerkannten Betriebsausgaben errechne, von den Bruttoprovisionseinnahmen 1990 in Höhe
von 60.775 DM (monatlich ca. 5.065 DM ausgehe und davon nur 20% als unterhaltsrechtlich relevante Betriebsausgaben abziehe
(brutto ca. 4.051 DM). Denn unter Berücksichtigung von Steuern, Alters- und Krankenvorsorge ergebe sich ein verfügbares Nettoeinkommen
von nur 2.100 DM, von dem der Ehemann u.a. die Kreditraten von monatlich 900 DM für das am 16. September 1987 gemeinsam aufgenommene
Darlehen bei der Kundenkreditbank und den Unterhalt für sein nichteheliches Kind begleichen müsse. Bei einem zuzubilligenden
Selbstbehalt von 1.400 DM für den Ehemann bleibe für die Ehefrau nichts übrig. Gleichwohl sei der Ehemann imstande, 700 DM
monatlich an die Ehefrau zu zahlen. Denn seine effektive Lebensführung widerspreche evident dem vorgelegten Zahlenmaterial.
So habe er sich 1989 in Kenntnis seiner finanziellen Lage zu einem Trennungsunterhalt von 800 DM monatlich verpflichtet, 1991
einen erhöhten Unterhaltssatz von 301 DM monatlich gegenüber seinem nichtehelichen Kind anerkannt, zusammen mit seiner Lebensgefährtin
eine Mietwohnung für 1.700 DM monatlich genommen und seit mehr als zwei Jahren an seine volljährige Tochter 700 DM gezahlt.
Diese könne er statt dessen an seine vorrangig berechtigte Ehefrau zahlen.
Auch dagegen wendet sich die Revision zu Recht.
a) Der Tatrichter hat den Umfang der Leistungsfähigkeit und das zur Verteilung verfügbare Einkommen zu ermitteln. Er hat dabei
im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung nach §
286 Abs.
1
ZPO die vom darlegungs- und beweispflichtigen Unterhaltsschuldner vorgelegten Unterlagen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit
zu überprüfen. Dabei ist es Sache des Unterhaltsschuldners, seine Einnahmen und Ausgaben so darzustellen, daß die steuerlich
beachtlichen Aufwendungen von den unterhaltsrechtlich relevanten abgegrenzt werden können (Senatsurteile vom 23. April 1980
- IVb ZR 510/80 - FamRZ 1980, 770, 771; vom 30. Januar 1985 - IVb ZR 70/83 - FamRZ 1985, 471, 472). Dem kann in der Regel durch Vorlage von Gewinn- und Verlustrechnungen, Einkommensteuererklärungen und Steuerbescheiden
genügt werden (vgl. Senatsurteile vom 4. November 1981 aaO.; vom 15. Oktober 1986 - IVb ZR 78/85 - FamRZ 1987, 259, 260). Insbesondere aus den Gewinn- und Verlustrechnungen ist ersichtlich, welche Positionen von vornherein für die Unterhaltsberechnung
ganz oder teilweise außer Betracht bleiben (etwa Privatanteile von Kfz, Telefon, Reise- und Bewirtungskosten, erhöhte Abschreibungsraten
für Einrichtungsgegenstände, Eigenanteil für Wohnungsmiete, verschleierte Personalkosten bei Ehegattenarbeitsverträgen u.ä.,
vgl. Schwab/Borth aaO. IV Rdn. 588). Vermag das Gericht anhand der Unterlagen notfalls unter Hinzuziehen eines Sachverständigen
eine solche Abgrenzung nicht zu treffen oder ergeben sich aufgrund unvollständiger Aufzeichnungen und widersprüchlicher Angaben
konkrete Zweifel am behaupteten unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen, kann es solche Posten gemäß §
286
ZPO als unwahr zurückweisen. Es kann darüber hinaus gemäß §
287 Abs. 2 solche unklaren Positionen auch unter Zuhilfenahme von Erfahrungswerten in vergleichbaren Fällen schätzen und so zur
Annahme eines gegebenenfalls höheren Einkommens gelangen. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß §
287 Abs.
2
ZPO auch im Unterhaltsprozeß Anwendung findet und vom Tatrichter insbesondere in Fällen der Ermittlung eines behaupteten Mehrbedarfs
oder bei der Ansetzung eines fiktiven Einkommens herangezogen werden kann (vgl. Senats Urteil vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 45/85 - FamRZ 1986, 885, 886 m.w.N.). Das gilt entsprechend für die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens beim Unterhaltsverpflichteten
(Wendl/Staudigl aaO. S. 39, 53, 136). Voraussetzung für §
287 Abs.
2
ZPO ist aber, daß die weitere Aufklärung und Beweisaufnahme unverhältnismäßig schwierig ist und zu dem Umfang der Unterhaltsforderung
in keinem Verhältnis steht.
b) Das Berufungsgericht hat seine Schlußfolgerung, der Ehemann sei im Umfang von 700 DM leistungsfähig, auf §
287
ZPO gestützt. Hierzu ist es aber nicht etwa deshalb gelangt, weil es bei Überprüfung der vom Ehemann für die Jahre 1987 bis 1990
vollständig vorgelegten Einkommensteuererklärungen, Steuerbescheide sowie Gewinn- und Verlustrechnungen auf konkrete Zweifel
oder Unrichtigkeiten gestoßen wäre, deren Aufklärung sich als unverhältnismäßig schwierig erwiesen hätte. Es hat das unterhaltsrechtlich
relevante Einkommen vielmehr nur pauschal - und zwar lediglich für das Jahr 1990 - ermittelt. Sodann hat es aus einem Vergleich
mit einzelnen Ausgaben des Ehemannes gefolgert, daß er noch zusätzlich verfügbare Mittel habe, ohne indes fest zustellen,
von welchem unterhaltsrechtlich maßgebenden Einkommen es letztlich ausgeht, um zu einem Unterhaltsanspruch der Ehefrau in
Höhe von 700 DM zu gelangen. Für diese Vorgehensweise kann es sich nicht auf eine Einkommensschätzung nach §
287 Abs.
2
ZPO berufen, da dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Revision rügt im übrigen zutreffend, daß sich das Berufungsgericht
mit dem durch Unterlagen belegten Vortrag des Ehemannes (GA S. 134; Anlage in Bd. I KKB-Kredit, GA 231 ff. KKB-Überziehungskonto)
nicht auseinandergesetzt hat, daß er den Lebensunterhalt zum Teil durch Kontoüberziehungskredite und Darlehen der Kundenkreditbank
finanziert habe und noch finanziere. Zudem gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß zwangsläufig auf ein verschleiertes
höheres Einkommen zu schließen ist, wenn die Ausgaben die behaupteten Einnahmen übersteigen.
4. Die aufgezeigten Mängel nötigen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Denn es fehlen ausreichende Feststellungen zur Frage der Erwerbsfähigkeit der Ehefrau, ihrer Erwerbsmöglichkeiten auf dem
Arbeitsmarkt, ihres eheangemessenen Unterhaltsbedarfs und zur Frage des Umfangs der Leistungsfähigkeit des Ehemannes. Bei
seiner neuerlichen Wertung wird das Gericht auch zu beachten haben, daß eine pauschale Bewertung der unterhaltsrechtlich anzuerkennenden
Betriebsausgaben mit 20% der Bruttoeinnahmen auf Bedenken stößt. Unter den Betriebsausgaben gibt es solche, die über einen
längeren Zeitraum hinweg relativ konstant bleiben, aber auch solche, die nach Art. und Höhe von Jahr zur Jahr unterschiedlich
sind. Es bedarf daher in jedem Einzelfall der Überprüfung, in welchem Umfang sie jeweils unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen
sind.