Rentenversicherung
Erwerbsminderung
Medizinische Beurteilung
Zusammentreffen mehrerer Erkrankungen
Gründe:
I. Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin legte am 24. Januar 1983 ihre Gesellenprüfung im Friseur-Handwerk ab. Anschließend war sie bis
zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 04. Januar 2008 in diesem Beruf beschäftigt. Das letzte Arbeitsverhältnis endete im
Dezember 2008. Seit November 1995 ist sie im Hinblick auf einen insulinpflichtigen, mit Insulinpumpe versorgten Diabetes mellitus
im Besitz eines Schwerbehindertenauweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50.
Vom 17. Juli bis zum 28. August 2008 befand sie sich im Rahmen einer stationären medizinischen Rehabilitation in der Hklinik
B wegen einer mittelgradigen depressiven Episode, eines primären insulinabhängigen Diabetes mellitus (Typ 1), Kreuzschmerz,
Zervikalneuralgie und eines benignen essentiellen Hypertonus. Im Entlassungsbericht vom 15. September 2008 wurde das Leistungsvermögen
bei Entlassung mit sechs Stunden und mehr für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten unter Vermeidung
von Nachtschicht, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter Zugluft sowie mit Unfallgefahr verbundenen Arbeiten eingeschätzt.
Am 06. Februar 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte
lehnte die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Reha-Entlassungsberichtes
mit Bescheid vom 02. April 2009 ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2010 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und sich zur Begründung auf ärztliche Berichte bzw. Bescheinigungen ihrer behandelnden Fachärztin für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie L vom 17. März 2010 sowie ihres behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K vom 08. Juni
2010 bezogen.
Das SG hat zunächst Befundberichte des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. K vom 05. Juli 2010 sowie des Dr.
K vom 12. Juli 2010 eingeholt.
Anschließend hat es die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L mit der Erstellung eines Gutachtens betraut. In
ihrem am 25. Januar 2011 erstellen Gutachten ist sie zu dem Schluss gelangt, bei der Klägerin lägen folgende Gesundheitsstörungen
vor:
- Mittelgradige depressive Episode
- Diabetes mellitus Typ I
- Arterieller Hypertonus
- Hypothyreose.
Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen könne die Klägerin täglich regelmäßig körperlich leichte sowie geistig
einfache bis mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten in geschlossenen Räumen sowie im Freien ohne besonderen Zeit- und
Leistungsdruck sowie ohne Nachtschichteinsatz nur noch im Umfang von mehr als drei bis unter sechs Stunden verrichten. Die
Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei herabgesetzt, auch die Fähigkeit für Arbeiten im Publikumsverkehr könne eingeschränkt
sein. Die Depression sei seit 2009 rückläufig. Es bestehe begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung innerhalb von zwei
Jahren ganz behoben werden könne durch psychotherapeutische und psychiatrische Maßnahmen.
Die Beklagte hat die Einschätzung des Leistungsvermögens durch die Sachverständige unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische
Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S vom 16. Februar 2011 kritisiert.
Das SG hat des Weiteren den Facharzt für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie, Rheumatologie, physikalische Medizin Prof. Dr. S
mit der Fertigung eines Gutachtens beauftragt. In seinem am 25. Mai 2011 fertig gestellten Gutachten ist dieser zur Feststellung
folgender Gesundheitsstörungen auf seinem Fachgebiet gelangt:
- Fehlform des Achsorgans mit geringgradigen Nervenwurzelerscheinungen und Überlastungssyndrom der unteren Extremitäten bei
erheblichem Übergewicht.
Bei der Klägerin sei keine Erkrankung auf rheumatologischem Fachgebiet zu diagnostizieren, auch kein Weichteilrheuma. Aus
orthopädischer Sicht bestehe derzeit ein Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden und mehr für körperlich leichte Arbeiten
in geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen mit Gelegenheit zum gelegentlichen Haltungswechsel sowie unter Vermeidung von
einseitigen körperlichen Belastungen, von Arbeiten im festgelegten Arbeitsrhythmus sowie unter besonderem Zeitdruck oder auf
Leitern und Gerüsten. Das Heben und Tragen sei auf Lasten bis zu 10 kg zu beschränken. Die Arbeiten sollten nur in Tagschicht
erfolgen.
Die Klägerin hat zu den Gutachten ärztliche Berichte bzw. Stellungnahmen des Dr. K vom 23. März 2011 sowie der Frau L vom
30. März 2011 eingereicht. Außerdem hat sie ein Attest des Augenarztes Dr. G vom 11. Juli 2011 vorgelegt.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 27. September 2011 abgewiesen. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Rente wegen voller
noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Beweiserhebung habe ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich
leichte Arbeiten ergeben. Soweit die Sachverständige Dr. L ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen beschrieben habe, könne
dem nicht gefolgt werden, da der von ihr erhobene psychopathologische Befund keine Hinweise auf das Bestehen einer schweren
Störung ergeben habe.
Mit ihrer hiergegen vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches
Begehren weiter und macht geltend, das SG habe die massiven Wechselwirkungen zwischen ihrer psychischen Erkrankung und den körperlichen Erkrankungen verkannt. Zur
weiteren Begründung verweist sie auf ein im Rahmen des Rechtsstreits S 86 KR 2458/10 erstelltes psychosomatisches Gutachten der Frau Dr. B vom 27. Oktober 2011.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02. April 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin beigezogen und Auszüge hieraus in
den Rechtsstreit eingeführt.
Darüber hinaus hat der Senat Beweis erhoben und den Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. B mit der Erstellung eines
Gutachtens betraut. In seinem am 12. Juni 2012 fertig gestellten Gutachten hat dieser folgende Diagnosen gestellt:
- Juveniler Diabetes mellitus Typ I
- (Posttraumatische) Verbitterungsstörung vor dem Hintergrund einer histrionisch akzentuierten Persönlichkeit
- Übergewicht
- Labiler Hypertonus
- Substituierte Schilddrüsenunterfunktion bei Hashimoto-Thyreoiditis.
Die Klägerin könne noch körperlich leichte sowie geistig mittelschwere Arbeiten im Freien unter Witterungsschutz und in geschlossenen
Räumen in wechselnder Körperhaltung in einem zeitlichen Umfang von acht Stunden täglich verrichten. Einseitige körperliche
Belastungen seien ebenso zu meiden wie Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, an laufenden Maschinen, auf hohen Leitern und
Gerüsten sowie in Nachtschicht.
Die Klägerin hat an dem Gutachten Kritik geübt und Atteste von Frau L vom 03. August 2012 sowie von Dr. K vom 30. August 2012
eingereicht.
Der Senat hat daraufhin eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Dr. B vom 26. Oktober 2012 eingeholt, in welcher
dieser unter Auseinandersetzung mit den eingereichten Attesten bei seiner Einschätzung verblieben ist.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 29. November 2012 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung des Senats durch
Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten verwiesen.
II. Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die Berufung gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss zurückweisen, denn er hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig aber unbegründet. Ihr steht, wie das Sozialgericht
zutreffend entschieden hat, eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.
Der ab 2009 geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach §
43 Abs.
1,
2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) in der ab dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung.
Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise
oder voll erwerbsgemindert sind.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
1 S. 2
SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI).
Nach §
43 Abs.
3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Dies zugrunde gelegt und nach Auswertung des im Verwaltungsverfahren berücksichtigen Entlassungsberichtes der Hklinik B vom
15. September 2008 sowie der im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. L vom 25. Januar 2011, des Facharztes für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie, Rheumatologie, physikalische Medizin
Prof. Dr. S vom 25. Mai 2011 und des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. B vom 12. Juni 2011 nebst ergänzender
gut-achterlicher Stellungnahme vom 26. Oktober 2012 steht zur Überzeugung des Senats nach §
128 Abs.
1 SGG nicht fest, dass die Klägerin voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Die von den Sachverständigen festgestellten Gesundheitsstörungen
und konkreten Funktionseinschränkungen bzw. Fähigkeitsstörungen begründen nur qualitative Leistungsminderungen und keine quantitative
Leistungsminderung. Dies hat letztlich bereits das SG in dem angefochtenen ausführlichen Urteil vom 27. September 2011 auf der Grundlage der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden
medizinischen Befunde überzeugend dargelegt, weshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß §
153 Abs.
2 SGG abgesehen wird, weil die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen ist.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige, der Facharzt
für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. B, keine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens bestätigen konnte, insbesondere
konnte er keine depressive Erkrankung der Klägerin feststellen. Soweit zuvor eine depressive Episode bestanden hat, ist diese
abgeklungen. Zwar sieht auch er in gewissem Rahmen die von der Klägerin geltend gemachte ungünstige Wechselbeziehung zwischen
der psychiatrischen Erkrankung der Klägerin und insbesondere dem Diabetes mellitus. Diese Wechselwirkung bzw. dieser Zusammenhang
rechtfertigen jedoch keine Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens, vielmehr kann dem Rechnung getragen werden durch qualitative
Leistungseinschränkungen (körperlich leichte sowie geistig einfache bis mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen bzw.
im Freien unter Witterungsschutz, in wechselnder Körperhaltung und insbesondere ohne besonderen Zeitdruck und ohne Nachtschicht
oder auch Wechselschicht). Soweit Dr. L in ihrem Gutachten vom 25. Januar 2011 zu einem Leistungsvermögen von mehr als drei
bis unter sechs Stunden gelangt ist, hält der Senat dies für ebenso wenig überzeugend wie die erste Instanz. Dem Gutachten
lassen sich keine objektiven Befunde entnehmen, die eine solche Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens rechtfertigen
würden. So ist darauf hinzuweisen, dass sich weder aus dem Gutachten der Dr. L noch aus dem des Dr. B etwa gravierende Einschränkungen
der Tagesgestaltung oder des sozialen Lebens ergeben.
Die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §
240 SGB VI kommt bereits deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin nach dem 01. Januar 1961 geboren wurde (§
240 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI).
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.