Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Erstattung der Kosten eines Vorverfahrens
Rechtmäßigkeit der Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts
Festsetzung der Geschäftsgebühr bei durchschnittlicher Bedeutung der Rechtssache
Gründe:
I
Im Streit ist die Höhe der für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu erstattenden Kosten eines isolierten Vorverfahrens.
Die Klägerin bezog mit ihren fünf Kindern vom beklagten Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von November 2012 bis April 2013. In den Widerspruchsverfahren gegen diesen Bewilligungszeitraum betreffende Leistungsbescheide
wurden die Klägerin und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertreten
(Widerspruchsbescheide vom 25.1.2013 und 7.2.2013).
Nachdem der Beklagte Kenntnis von der Gewährung von Unterhaltsvorschuss im Januar 2013 an eines der Kinder der Klägerin erhalten
hatte, hob er gegenüber der Klägerin gestützt auf § 48 SGB X die Leistungsbewilligung für Januar 2013 für sie ("ganz", gemeint offenkundig: teilweise) auf, forderte von ihr die Erstattung
von 40,36 Euro und erklärte insoweit die Aufrechnung gegen die ihr zustehenden laufenden Leistungen (Bescheid vom 27.9.2013).
Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein, der diesen auf Anforderung des Beklagten
begründete und noch auf ein Hinweisschreiben des Beklagten Stellung nahm. Der Beklagte half dem Widerspruch in vollem Umfang
ab und hob den angefochtenen Bescheid auf (Bescheid vom 15.1.2014). Die der Klägerin im Widerspruchsverfahren entstandenen
Kosten würden auf Antrag erstattet, soweit sie notwendig gewesen und nachgewiesen seien. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
legte daraufhin seine Vergütungsabrechnung vor, mit der er ua eine Geschäftsgebühr nach Nr 2302 VV RVG von 345 Euro (Mittelgebühr) berechnete. Der Beklagte setzte die zu erstattenden Kosten unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr
von 172,50 Euro (halbe Mittelgebühr) fest (Bescheid vom 29.1.2014) und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin
zurück (Widerspruchsbescheid vom 5.3.2014).
Im Klageverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine neue Gebührenforderung vorgelegt, mit der er ua eine Geschäftsgebühr
von 300 Euro (Schwellengebühr) berechnete sowie eine Erhöhungsgebühr nach Nr 1008 VV RVG von 450 Euro wegen fünf weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin als Auftraggeber. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.3.2017). Das LSG hat die von ihm zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom
16.10.2018). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung höherer als der vom Beklagten bereits gewährten Kosten für das
Vorverfahren. Der Senat halte die Einteilung des Gebührenrahmens für die Geschäftsgebühr in insgesamt elf Stufen für angemessen:
fünf Stufen unter der Mittelgebühr und fünf darüber; die Stufen lägen dabei entsprechend einer gleichmäßigen Aufteilung der
Gebührenbeträge im Abstand von jeweils 59 Euro zwischen der Mindestgebühr und der Höchstgebühr. Vorliegend sei eine drei Stufen
unter der Mittelgebühr von 345 Euro liegende Geschäftsgebühr von 168 Euro gerechtfertigt. Insbesondere sei die Bedeutung der
Angelegenheit für die Klägerin als unterdurchschnittlich einzustufen. Entgegen der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2) sei nicht bereits alles, was über einstellige Eurobeträge bis zu sechs Monaten hinausgehe, als überdurchschnittlich
einzuordnen. Eine Erhöhungsgebühr sei nicht angefallen, weil lediglich die Klägerin Adressatin des aufgehobenen Bescheids
und von diesem betroffen gewesen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 38 SGB II, § 14 Abs 1 RVG und Nr 1008 VV RVG. Die Bedeutung der Angelegenheit sei als überdurchschnittlich zu werten. Zudem sei die Erhöhungsgebühr angefallen, da sie
als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einen Rechtsanwalt im Widerspruchsverfahren beauftragt habe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Oktober 2018 und des Sozialgerichts Speyer vom 15. März 2017
aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 29. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.
März 2014 zu verurteilen, ihr über die festgesetzten Kosten für das Widerspruchsverfahren hinaus weitere 687,22 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet (§
170 Abs
2 Satz 1
SGG), teilweise unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Sie hat auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr Anspruch auf die Erstattung höherer Rechtsanwaltskosten,
als vom Beklagten festgesetzt, jedoch keinen Anspruch auf eine darüber hinausgehende Erstattung auf der Grundlage einer Erhöhungsgebühr
für mehrere Auftraggeber.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Urteile sowie der Bescheid des Beklagten vom 29.1.2014
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2014, durch den dieser es abgelehnt hat, der Klägerin höhere Kosten des Vorverfahrens
als insgesamt 229,08 Euro zu erstatten (172,50 Euro + Auslagenpauschale + Umsatzsteuer). Ihr Begehren nach Erstattung höherer
Kosten verfolgt die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1, Abs
4 SGG), die sie im Verfahren vor dem SG durch Erhöhung der Gebührenforderung zulässig erweitert hat (§
99 Abs
3 Nr
2 SGG). Nicht Streitgegenstand ist, ob ihr die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind, nachdem der Beklagte
dies durch Bescheid vom 15.1.2014 bindend entschieden hat. Auch nicht Streitgegenstand ist, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts
im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X), nachdem der Beklagte dies durch die Festsetzung von Rechtsanwaltskosten im Bescheid vom 29.1.2014 und deren Erstattung
der Sache nach zumindest konkludent anerkannt hat (vgl BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 10), weshalb es einer Verpflichtungsklage nicht bedurfte (vgl zum Ganzen BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 10 ff).
2. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Wird wie vorliegend in der Hauptsache
über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§
78 ff
SGG) gestritten, handelt es sich insbesondere nicht um Kosten des Verfahrens iS von §
144 Abs
4 iVm §
165 Satz 1
SGG, bei denen Berufung und Revision nicht statthaft sind (vgl BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 11). Ebenfalls stand der Berufung nach der Zulassung durch das LSG nicht die Wertgrenze von
§
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG entgegen. Schließlich stellt es keinen Verfahrensfehler dar, dass das LSG kein Gutachten nach § 14 Abs 2 RVG eingeholt hat (vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 13).
3. Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 63 SGB X iVm dem RVG. Nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat,
die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch
erfolgreich ist. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind
nach § 63 Abs 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten - wie hier - notwendig war. Nach § 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest.
Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts iS von § 63 Abs 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten in Rechnung stellt (vgl dazu, dass die
Abrechnung gegenüber dem Mandanten keine Voraussetzung der Kostenerstattung ist, BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 60/13 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 22 RdNr 17 f). Diese Vergütung bemisst sich nach dem RVG (§ 1 Abs 1 Satz 1 RVG), ihre Höhe bestimmt sich nach dem VV der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs 2 Satz 1 RVG). RVG und VV RVG finden vorliegend Anwendung in der ab 1.8.2013 geltenden Fassung des 2. KostRMoG vom 23.7.2013 (BGBl I 2586). Denn der Auftrag
zur Erledigung dieser Angelegenheit ist nach Erlass des Bescheids vom 27.9.2013 und damit nach dem 1.8.2013 erteilt worden
(§ 60 RVG; dazu auch unten 6.).
4. Ausgangspunkt für die Höhe der zu erstattenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts ist die nach dem RVG zu bestimmende Geschäftsgebühr (vgl zu den Maßstäben für deren Bestimmung im Einzelnen BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2 sowie zuletzt BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24).
a) Die Geschäftsgebühr ua für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information bemisst sich in sozialrechtlichen
Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, nach Nr 2302 VV RVG. Betragsrahmengebühren entstehen nach § 3 Abs 1 Satz 1 RVG in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist; dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs 2 RVG). Vorliegend wären in einem gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstanden, denn die Klägerin wehrte sich als Leistungsempfängerin
iS des §
183 Satz 1
SGG gegen einen sie betreffenden Aufhebungs-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid. Ein gerichtliches Verfahren wäre für sie
kostenfrei gewesen.
b) Nach Nr 2302 VV RVG umfasst die Geschäftsgebühr einen Betragsrahmen von 50 bis 640 Euro. Eine Gebühr von mehr als 300 Euro kann indes nach Nr
2302 VV RVG nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog Schwellengebühr).
Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen. Hiermit ist dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung
jedenfalls der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Zudem ist ihm nach § 14 Abs 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr ein Ermessensspielraum von 20 % (sog Toleranzgrenze) zuzugestehen, der von Dritten
wie von den Gerichten zu beachten ist (vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 19; vgl auch BGH vom 11.7.2012 - VIII ZR 323/11 - juris RdNr 10; BGH vom 5.2.2013 - VI ZR 195/12 - juris RdNr 8). Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung
nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG).
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit
für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber hinaus ist
nach § 14 Abs 1 Satz 3 RVG in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, für deren Bemessung ergänzend das Haftungsrisiko als weiteres Kriterium
zu berücksichtigen, ohne dass ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts einen eigenen Gebührentatbestand begründet (vgl
BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 20). Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift ("vor allem") nicht abschließend, sodass weitere, unbenannte Kriterien mit einbezogen
werden können. Sämtliche heranzuziehende Kriterien stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander und vermögen sich bei
Abweichungen vom Durchschnitt untereinander zu kompensieren (vgl BSG, aaO, RdNr 21, 38 f).
c) Die Geschäftsgebühr ist in einem ersten Schritt ausgehend von der sog Mittelgebühr zu bestimmen. Diese errechnet sich aus
dem Gebührenrahmen von 50 bis 640 Euro, beträgt 345 Euro und ist in Verfahren zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit
des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt. Die ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr
ist in einem zweiten Schritt in Höhe der Schwellengebühr zu kappen, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind (vgl im Einzelnen BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 22 ff).
5. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist ausgehend von den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher bindenden
Feststellungen des LSG (§
163 SGG) vorliegend die zuletzt im Verfahren vor dem SG getroffene anwaltliche Bestimmung der Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr von 300 Euro nicht als unbillig zu beanstanden.
a) Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Widerspruchsverfahren war durchschnittlich. Hierbei ist der zeitliche Aufwand
zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache
verwenden musste (vgl im Einzelnen BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 28 ff). Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach den Feststellungen des
LSG zunächst Widerspruch eingelegt, diesen anschließend begründet und mit einem weiteren Schriftsatz im Widerspruchsverfahren
auf ein Hinweisschreiben des Beklagten reagiert. Mit dem LSG kann unterstellt werden, dass es hierfür zumindest des Lesens
des angefochtenen Bescheids und einer Besprechung mit der Klägerin bedurfte.
b) Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war durchschnittlich. Die vom Umfang zu unterscheidende Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit meint die Intensität der Arbeit, wobei ausgehend von einem objektiven Maßstab auf einen Rechtsanwalt
abzustellen ist, der sich bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken kann und darf, den Fall mit den einschlägigen
Rechtsvorschriften, ggf unter Heranziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur, zu bearbeiten (vgl im Einzelnen BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 41935 § 14 Nr 2, RdNr 32 ff). Zu bearbeiten war vorliegend mit der angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung
wegen nachträglicher Berücksichtigung von Einkommen ein Routinefall auf dem Gebiet des Existenzsicherungsrechts, für den mit
dem LSG davon auszugehen ist, dass vom Rechtsanwalt die rechtliche Prüfung gefordert war, ob die Voraussetzungen für eine
Aufhebung und Erstattungsforderung vorlagen, und dass für diese Prüfung auch Kenntnisse und damit ggf das Sichten von Rechtsprechung
und Kommentarliteratur zum Wesen der Bedarfsgemeinschaft, zur Einkommensanrechnung und zu den Voraussetzungen des § 48 SGB X erforderlich waren.
c) Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin war durchschnittlich. Insoweit kommt es auf eine unmittelbare tatsächliche,
ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit,
an (vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 37). Mit dem Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die sie betreffende Aufhebung bewilligter
und bezogener Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 40,36 Euro, eine Erstattungsforderung in dieser Höhe und eine insoweit erklärte Aufrechnung gegen laufende Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedenfalls wegen dieser ua zu einer einmalig um 10 % verminderten Auszahlung ihres monatlichen
Regelbedarfs führenden Aufrechnung (38,20 Euro bei einem Regelbedarf von 382 Euro in 2013), lässt sich die Bedeutung der Angelegenheit
für die Klägerin nicht als unterdurchschnittlich einordnen. Wegen der Höhe der Erstattungsforderung, die nur für einen Monat
die Aufrechnung in voller Höhe von 10 % des für die Klägerin maßgebenden Regelbedarfs trug, ist die Bedeutung indes auch nicht
überdurchschnittlich.
Soweit der 4. Senat des BSG ausgeführt hat, dass bei existenzsichernden Leistungen mangels Vorliegens gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen ist,
dass allenfalls monatliche EuroBeträge im einstelligen Bereich und für einen nur kurzen streitigen Zeitraum von längstens
sechs Monaten eine allenfalls durchschnittliche wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber haben (BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 37), folgt hieraus nichts Anderes. Hiermit ist schon wegen des Hinweises auf gegenteilige Anhaltspunkte
nicht abschließend vorgegeben, in welchen Angelegenheiten nach dem SGB II ausnahmslos von einer überdurchschnittlichen Bedeutung im Rahmen der Bestimmung der Höhe der Geschäftsgebühr auszugehen ist.
Vielmehr ist dem (nur) zu entnehmen, dass im Streit um existenzsichernde Leistungen auch bereits geringe Beträge eine überdurchschnittliche
Bedeutung der Angelegenheit zu begründen vermögen. Hieran ist festzuhalten. Im Übrigen kommt es hier wie auch sonst bei dem
subjektiven Kriterium der Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber auf die Berücksichtigung der Einzelfallumstände
an, die Differenzierungen zulässt.
d) Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin als einer auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesenen
Person waren unterdurchschnittlich. Eine Kompensation dieser Einordnung durch eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit
für die Klägerin, die im Rahmen der Bestimmung der Gebührenhöhe möglich ist (vgl dazu BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 38), kommt vorliegend nicht in Betracht, nachdem die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin
als durchschnittlich einzuordnen war.
e) Ein Haftungsrisiko des Rechtsanwalts, das als "besonderes" Risiko allenfalls die Gebühr erhöhen könnte (vgl dazu BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 39), ist vorliegend nicht zu berücksichtigen.
f) Weitere unbenannte, neben denen des § 14 Abs 1 RVG heranzuziehende Bemessungskriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung der Gebühr zu führen, sind
vorliegend weder vorgetragen noch unter Berücksichtigung der Feststellungen des LSG ersichtlich (zu in Frage kommenden Kriterien
vgl Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl 2019, § 14 RVG RdNr 39 f).
g) Hieraus ergibt sich in einem ersten Schritt, dass die Geschäftsgebühr unterhalb der Mittelgebühr von 345 Euro zu bestimmen
ist, weil sich die Angelegenheit hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin nach unten vom Durchschnitt
abhob, ohne dass dies durch ein als überdurchschnittlich einzuordnendes Bemessungskriterium kompensiert wird, und in einem
zweiten Schritt, dass die Gebühr nicht oberhalb der Schwellengebühr von 300 Euro zu bestimmen ist, weil weder der Umfang noch
die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich waren.
Insgesamt ist in den Blick zu nehmen, dass allein die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin unterdurchschnittlich
waren, die übrigen Bemessungskriterien jedoch durchschnittlich. Dies kann zwar eine Bestimmung der Gebühr unterhalb der Schwellengebühr
rechtfertigen. Indes ist nicht zu erkennen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seiner Bestimmung der Geschäftsgebühr
in Höhe der Schwellengebühr von 300 Euro die ihm bei Rahmengebühren zuzugestehende Toleranzgrenze von 20 % überschritten hat.
So läge ausgehend von der Mittelgebühr von 345 Euro bei einer wegen der unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse
und im Übrigen im durchschnittlichen Bereich einzuordnenden Bemessungskriterien eine um ein Viertel geminderte Mittelgebühr
bei 258,75 Euro und überschreitet ausgehend hiervon die auf 300 Euro bestimmte Geschäftsgebühr die Toleranzgrenze von 20 %
(51,75 Euro) nicht.
Der Anwendung dieser Toleranzgrenze steht vorliegend nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte zunächst im Verwaltungsverfahren
eine Geschäftsgebühr in Höhe der Mittelgebühr geltend gemacht hatte und erst im Verfahren vor dem SG zuletzt eine Geschäftsgebühr in Höhe nur noch der Schwellengebühr geltend gemacht hat. Zwar ist ein Rechtsanwalt an seine
Gebührenbestimmung gegenüber dem auftraggebenden Mandanten gebunden und kann von dieser grundsätzlich nicht zu dessen Nachteil
abweichen (vgl Jungbauer in Bischof/Jungbauer ua, RVG, 8. Aufl 2018, § 14 RVG RdNr 118; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl 2019, § 14 RVG RdNr 4; Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl 2018, § 14 RdNr 52). Doch schließt dies nicht die Änderung der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt gegenüber einem erstattungspflichtigen
Dritten - wie hier - aus, zumal wenn diese - wie hier - zur Verringerung der nach billigem Ermessen durch den Rechtsanwalt
zu bestimmenden Geschäftsgebühr führt; für einen erstattungspflichtigen Dritten ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung
ohnehin nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG; vgl zur Differenzierung zwischen Auftraggeber und erstattungspflichtigem Dritten Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl 2019, § 14 RVG RdNr 6 ff). Durch die neue, geänderte Gebührenbestimmung seitens des Prozessbevollmächtigten - prozessual zulässig im Zusammenhang
mit der klageerweiternden erstmaligen Geltendmachung einer Erhöhungsgebühr nach Nr 1008 VV RVG - ändert sich auch der Bezugspunkt für die Überprüfung der Einhaltung des Ermessensspielraums bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr.
Der Sinn der Toleranzgrenze, den leicht entstehen könnenden Streit möglichst zu vermeiden, ob die anwaltliche Gebührenbestimmung
noch als billig oder schon als unbillig zu gelten hat (vgl zu diesem Zusammenhang BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 19), rechtfertigt es, eine beschränkende Korrektur durch eine neue anwaltliche Bestimmung der
Geschäftsgebühr zuzulassen, ohne dass dies zum Verlust der Toleranzgrenze mit Blick auf die zuletzt bestimmte Rahmengebührenhöhe
führt. Fällen, in denen - anders als hier - eine Verringerung der anwaltlichen Gebührenbestimmung im gerichtlichen Verfahren
zu einem sofortigen Anerkenntnis der Behörde führt, die eine zunächst geltend gemachte Gebührenforderung zu Recht für unbillig
gehalten hatte, lässt sich im Rahmen der Kostenentscheidung Rechnung tragen, indem die Behörde nicht zur Erstattung von Kosten
verpflichtet wird.
h) Eine weitergehende schematische Operationalisierung der Überprüfung einer anwaltlichen Gebührenbestimmung kommt aus Rechtsgründen
nicht in Betracht. Auch wenn sich Gründe für eine solche Operationalisierung formulieren lassen (etwa Rechtssicherheit und
Rechtsanwendungsgleichheit durch Transparenz, Rationalität und Nachvollziehbarkeit) und auch ein praktisches Bedürfnis für
diese nicht von der Hand zu weisen ist, steht dieser die gesetzliche Vorgabe entgegen, dass die Rahmengebühr "im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung
der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen" zu bestimmen
ist. Hiermit ist es nicht zu vereinbaren, auf Schematisierung zu setzen. Wegen der vom Gesetzgeber vorgegebenen Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls können fixe Stufungen des Gebührenrahmens, wie das LSG sie vorgenommen und angewendet hat,
oder andere mathematische Operationalisierungen dem gesetzlichen Regelungskonzept nicht entsprechen. Entscheidend sind letztlich
immer die Wertungen und die Gesamtabwägung im Einzelfall (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 63 RdNr 90, 92 ff, Stand Mai 2017; Groth in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap
XII RdNr 104a).
6. Die Voraussetzungen der neben der Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr geltend gemachten Erhöhungsgebühr nach Nr
1008 VV RVG liegen nicht vor (vgl zur Anwendbarkeit der Erhöhungsgebühr auf die Schwellengebühr BSG vom 21.12.2009 - B 14 AS 83/08 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 11). Nach Nr 1008 VV RVG erhöht sich für die Geschäftsgebühr, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen sind, der Mindest- und
Höchstbetrag des Betragsrahmens für jede weitere Person um 30 %.
In "derselben Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne (§ 7 Abs 1, § 15 Abs 2, § 16 RVG; vgl dazu BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 27/13 R - SozR 4-1935 § 15 Nr 1 RdNr 15 ff; BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 21) liegt hier keine Mehrheit von Auftraggebern vor. Gebührenrechtliche Angelegenheit ist
vorliegend der nur die Klägerin betreffende und nur von ihr mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid vom 27.9.2013 für Januar
2013. Dieser Bescheid ist nach Abschluss der beiden Widerspruchsverfahren betreffend die Höhe der Leistungen für die Klägerin
und ihre Kinder im Bewilligungszeitraum von November 2012 bis April 2013 ergangen, in denen der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin die Bedarfsgemeinschaft vertreten hatte. Zwar weist die spätere teilweise Aufhebung von der Klägerin für Januar 2013
bewilligten Leistungen einen Zusammenhang mit dem früheren Streit um die Höhe der für die Bedarfsgemeinschaft (auch) für Januar
2013 zu bewilligenden Leistungen auf, die die Klägerin für diese beantragt und entgegen genommen hatte (§ 38 SGB II). Doch stellt der Bescheid vom 27.9.2013 nur gegenüber der Klägerin nicht eine bloße Fortsetzung dieser Angelegenheit dar.
Beide stehen nicht in einem so engen inneren Zusammenhang und stimmen sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung nicht
so weitgehend überein, dass eine einheitliche Angelegenheit und ein einheitlicher Auftrag anzunehmen sind und gebührenrechtlich
ein einheitlicher Lebensvorgang vorliegt, der mit nur einer Gebühr abgegolten sein soll (vgl zu diesem Gesichtspunkt Mayer
in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl 2019, § 15 RVG RdNr 5). Vielmehr begründet der Bescheid vom 27.9.2013 mit der auf § 48 SGB X gestützten Aufhebung, der Erstattungsforderung nach § 50 SGB X und insbesondere der Aufrechnung nach § 43 SGB II eine eigene, neue Angelegenheit, für die es eines neuen Auftrags für ein anwaltliches Tätigwerden bedurfte. Dementsprechend
haben die Vorinstanzen zutreffend festgestellt, dass Auftraggeberin allein die Klägerin war, nicht aber ihre fünf Kinder als
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.
Allein der Umstand, dass eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gegenüber einem Bedarfsgemeinschaftsmitglied die Verhältnisse
der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder zu berühren vermag, erfüllt entgegen der Rechtsauffassung der Revision nicht die
Voraussetzungen der Nr 1008 VV RVG (vgl dazu auch BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 34). Maßgeblich ist auch nicht, ob der Auftrag durch ein Mitglied einer aus mehreren Personen
bestehenden Bedarfsgemeinschaft erteilt worden ist, sondern ist die Angelegenheit, auf die sich der Auftrag bezieht, hier
also der Widerspruch gegen die Aufhebung, Erstattungsforderung und Aufrechnungserklärung gegenüber der Klägerin. In dieser
Angelegenheit war ein anwaltliches Tätigwerden für weitere Personen als der Klägerin nicht erforderlich (vgl zur Abgrenzung
BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 155/10 R - SozR 4-1935 § 7 Nr 1 RdNr 20 ff).
7. Zur Geschäftsgebühr von 300 Euro hinzu kommen die zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitigen Auslagentatbestände
nach Nr 7002 VV RVG - Auslagenpauschale in Höhe von 20 Euro - und nach Nr 7008 VV RVG - Umsatzsteuer auf die Vergütung in Höhe von 60,80 Euro - und es beträgt die Höhe der vom Beklagten zu erstattenden Kosten
insgesamt 380,80 Euro. Abzüglich der vom Beklagten zuvor festgesetzten und erstatteten Kosten von 229,08 Euro besteht ein
Anspruch der Klägerin auf Erstattung weiterer 151,72 Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.