Beendigung einer Familienversicherung
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Formgerechte Darlegung einer Divergenz
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wehren sich die Klägerinnen gegen die Beendigung ihrer
Familienversicherung mit Ablauf des 30.11.2012 und begehren die Feststellung, dass sie über ihre Mutter (auch) in der Zeit
vom 1.12.2012 bis 23.6.2014 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) familienversichert waren.
Die Klägerinnen waren über ihre Mutter in der GKV bei der beklagten Krankenkasse ab 1.10.2001 familienversichert. Ihr mit
der Mutter bis 23.6.2014 verheirateter Vater war als Rechtsanwalt sowie als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH tätig
und privat krankenversichert. Im Rahmen einer Überprüfung der Familienversicherung legte die Mutter der Klägerinnen am 18.7.2014
der Beklagten einen an sie und ihren Ehemann gerichteten Steuerbescheid für 2011 vom 19.11.2012 vor. Im März 2015 übersandte
der Vater der Klägerinnen einen Steuerbescheid für 2012 vom 17.2.2015. Ausgehend von den im Steuerbescheid vom 19.11.2012
festgestellten Einkünften stellte die Beklagte das Ende der Familienversicherung zum 30.11.2012 fest (Bescheid vom 16.6.2015; Widerspruchsbescheid vom 14.12.2015). Ab Rechtskraft der Ehescheidung am 24.6.2014 führte die Beklagte erneut eine Familienversicherung der Klägerinnen durch.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1.9.2017), das LSG die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Das Einkommen des Vaters der Klägerinnen habe die maßgebende Grenze
des §
10 Abs
3 SGB V überstiegen (Urteil vom 8.5.2019). Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 8.5.2019
ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 Satz 2 und
3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerinnen haben in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. Die Klägerinnen berufen sich in der Beschwerdebegründung vom 23.10.2019 auf alle drei Zulassungsgründe.
a) Die Klägerinnen legen den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar. Er setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des
LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen
Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon
dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Die Klägerinnen behaupten eine Abweichung zum Urteil des BSG vom 2.4.2014 (B 3 KS 4/13 R - SozR 4-5425 § 3 Nr 3). Sie entnehmen dem Urteil die Aussage, dass maßgebend die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung seien. Auch könnten
Grundlage der Prognose nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids
erkennbare Umstände sein. Demgegenüber habe das LSG "allgemeingültig" festgestellt, die "Frage, zu welchen Zeiten eine Familienversicherung
begründet war, muss auch bei rückwirkender Entscheidung für den jeweiligen Zeitraum ausgehend von seinem Beginn beantwortet
werden. Im anderen Falle würde die Beantwortung der statusrechtlichen Frage der Familienversicherung davon abhängen, ob sie
im Einzelfall prospektiv oder retrospektiv entschieden wird". Es müssten "Umstände sein, die den Prognosezeitraum tragen können
und sie können nur zukunftsbezogen berücksichtigt werden".
Die Klägerinnen arbeiten weder dem angefochtenen noch dem in Bezug genommenen Urteil des BSG abstrakte Rechtssätze heraus. Sie beschränken sich darauf, einzelne - verkürzte - Aussagen bzgl des jeweiligen Sachverhalts
zum Nachweis eines vermeintlichen Widerspruchs gegenüberzustellen. Worin ein Widerspruch im Grundsätzlichen liegen soll, begründen
die Klägerinnen nicht. Zu einer vertieften Begründung hätte aber auch deshalb Anlass bestanden, weil das LSG das in Bezug
genommene Urteil des BSG ausdrücklich auf Seite 16 f der Urteilsgründe zur Stützung seiner Argumentation benennt. Soweit hierzu die Klägerinnen vortragen,
die Bezugnahme ändere an der (behaupteten) Abweichung nichts, wird hierdurch keine Divergenz dargelegt: In grundlegender Hinsicht
differenzieren die Klägerinnen nicht hinreichend zwischen den maßgeblichen Zeitpunkten der Wirkung von Änderungen (vorliegend
ab Steuerbescheid), den Grundlagen der Beurteilung der Einkommensentwicklung ab Wirkung von Änderungen (vorliegend die in
den Steuerbescheiden festgesetzten Einkünften), möglichen Änderungen und - von zentraler Bedeutung - Nachweismöglichkeiten
absehbarer Änderungen.
b) Auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) legen die Klägerinnen nicht hinreichend dar. Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft
stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im
allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit)
ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre
nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage
im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48).
Die Klägerinnen werfen auf Seite 6 der Beschwerdebegründung die Frage auf,
"ob dann, wenn im Zeitpunkt der Vornahme einer notwendigen Prognose gemäß §
10 III
SGB V bzw. § 3 I KSVG für den bereits in der Vergangenheit liegenden zu beurteilenden Zeitraum bereits Ist-Werte vorliegen, diese heranzuziehen
sind".
Die Klägerinnen meinen zusammenfassend, eine (rückwirkende) Änderung der Beurteilung der Einkommensentwicklung auf der Basis
eines Steuerbescheids mit Wirkung ab dem Monatsersten nach Erlass des Steuerbescheids sei nicht zulässig, wenn im Zeitpunkt
der Vornahme der Änderung bereits feststehe, dass sich die Einkünfte nicht auf Basis des früheren Steuerbescheids entwickeln
würden, was vorliegend durch den Steuerbescheid für 2012 vom 17.2.2015 explizit nachgewiesen sei.
Hierdurch legen die Klägerinnen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dar. Es ist bereits fraglich, ob sie eine
konkrete Rechtsfrage formuliert haben. Jedenfalls legen sie die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar, indem sie sich
nicht wie erforderlich mit der Rechtslage befassen. Auch insoweit differenzieren die Klägerinnen nicht zwischen den maßgeblichen
Zeitpunkten der Wirkung von Änderungen (vorliegend ab Steuerbescheid), den Grundlagen der Beurteilung der Einkommensentwicklung
ab Wirkung von Änderungen (vorliegend die in den Steuerbescheiden festgesetzten Einkünfte), möglichen Änderungen und - von
zentraler Bedeutung - Nachweismöglichkeiten absehbarer Änderungen. Schließlich legen die Klägerinnen auch die Klärungsfähigkeit
der sinngemäß in den Raum gestellten Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Sie berücksichtigen nicht, dass das LSG den Nachweis
niedriger Einkünfte gerade nicht für ausgeschlossen gehalten hat. Es hat lediglich die im Steuerbescheid vom 17.2.2015 festgesetzten
Einkünfte nicht herangezogen, weil dieser Steuerbescheid erst ab 1.3.2015 zu Änderungen hätte führen können. Sie kamen vorliegend
jedoch nicht zum Tragen, da die Klägerinnen bereits in Folge der Ehescheidung der Eltern ab 24.6.2014 wieder familienversichert
waren. Im Übrigen hat das LSG seine Entscheidung darauf gestützt, dass die im Verfahren vorgelegten Unterlagen keine hinreichende
Aussagekraft in Bezug auf die Einkommenssituation des Vaters der Klägerinnen hatten. Soweit die Klägerinnen insoweit anderer
Meinung sind, wenden sie sich nur gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Behauptung, das Berufungsurteil
sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
c) Auch einen Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG bezeichnen die Klägerinnen nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7.
Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer
diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser
Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel
beruht.
aa) Die Klägerinnen behaupten, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) sei dadurch verletzt, dass auf ihren Vortrag zum mangelhaften Anhörungsverfahren und zur unterlassenen Prognose nicht eingegangen
worden sei. Einen Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens bezeichnen die Klägerinnen dadurch jedoch nicht. Sie würdigen nicht,
dass das LSG den angefochtenen Bescheid als formell rechtmäßig beurteilt hat und sich im Übrigen umfangreich mit der Beurteilung
der Einkommensentwicklung des Vaters der Klägerinnen befasst hat. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet jedoch "nur", dass
die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet sie aber
nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 -, NZS 2014, 539 Rd Nr 13 mwN).
bb) Die Klägerinnen rügen sinngemäß einen Verstoß gegen §
103 SGG, indem das LSG vermeintliche Beweisanträge zu niedrigeren Einkünften übergangen habe. Auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann ein Verfahrensmangel gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG jedoch nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Mit der Beschwerdebegründung wurde schon nicht aufgezeigt, im Verfahren vor dem LSG prozessordnungsgemäße Beweisanträge
gestellt zu haben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10 mwN). Hinzu kommt, dass die Klägerinnen nicht darlegen, dass die Beweisanträge ihres anwaltlichen Vertreters in der mündlichen
Verhandlung aufrechterhalten worden sind. Soweit die Klägerinnen insoweit vortragen, sie halten dieses Erfordernis nicht für
nötig, legen sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dar (vgl zur Pflicht des Aufrechterhaltens von Beweisanträgen ausführlich Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18c mwN auf die stRspr des BSG).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG ).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.