Überprüfungsverfahren für eine Sozialversicherungsbeitragspflicht
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens
darüber, ob der Kläger bei der Beigeladenen zu 1. sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Hintergrund ist ein
Streit des Klägers mit der Beigeladenen zu 1. um die Höhe einer Betriebsrente. Die Beklagte lehnte es ab (Bescheide vom 15.12.2010, 8.4. und 2.11.2011, Widerspruchsbescheid vom 8.2.2012), den Bescheid vom 18.9.2008 über die Statusfeststellung, dass der Kläger selbständig tätig gewesen sei, zurückzunehmen. Das
SG hat die Beklagte auf den Hilfsantrag des Klägers verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheids vom
18.9.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 3.2.2015). Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1. hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beigeladene zu 1. habe ein prozessual berechtigtes Interesse, Vorfragen bezüglich
der Betriebsrente klären zu lassen. Die Beklagte habe die Überprüfung des Bescheids vom 18.9.2008 unter Hinweis auf dessen
Bestandskraft und das Fehlen neuer Tatsachen zurückweisen dürfen. Unabhängig davon seien die Voraussetzungen für eine Rücknahme
auch nicht erfüllt, weil der Bescheid vom 18.9.2008 nicht rechtwidrig gewesen sei. Davon abgesehen wäre im Rahmen des Ermessens
keine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit auszusprechen (Urteil vom 9.7.2019). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Der Kläger hat entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen
Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon
dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Eine solche Abweichung hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Er behauptet eine Divergenz zu der Entscheidung des BSG vom 5.9.2006 (B 2 U 24/05 R - BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18), wonach im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X Verwaltung und Gerichte auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers zu prüfen hätten, ob bei Erlass des bindend gewordenen
Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden sei. Es wird jedoch nicht dargelegt, mit welchem eigenen Rechtssatz das
LSG davon abgewichen ist. Der Kläger erklärt dazu lediglich, dass sich das LSG ausschließlich auf Rechtssätze im Urteil des
BSG vom 3.4.2001 (B 4 RA 22/00 R - BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20) bezogen habe. Im Folgenden zitiert er aus dieser Entscheidung des BSG ua, dass die Behörde nur bei nachträglicher Änderung der Sach- und Rechtslage, beim Vorliegen neuer günstiger Beweismittel
oder bei Wiederaufnahmegründen die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsakts in der Sache prüfen müsse. Das LSG habe somit
nicht beachtet, dass nur die zweite Alternative des § 44 SGB X, wonach von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe, die Darlegung neuer Tatsachen
erfordere. Mit diesen Ausführungen hat der Kläger jedoch nicht - wie erforderlich - aufgezeigt, dass das LSG die Rechtsprechung
des BSG durch einen eigenen divergierenden Rechtssatz in Frage gestellt hat. Denn dies ist nicht der Fall, wenn es einen höchstrichterlichen
Rechtssatz lediglich missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).
Im Übrigen führt der Kläger selbst aus, dass sich das LSG auch mit der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 18.9.2008 auseinandergesetzt
habe. Wenn er dem LSG insoweit vorwirft, es unterliege einer "fehlerhaften Annahme der Rechtslage", wird keine zulässige Divergenzrüge
erhoben, sondern wiederum nur eine Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall geltend gemacht. Mit der Behauptung, das Urteil
des LSG sei rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision nicht erreichen. Dies gilt ebenso für den Vortrag, das
LSG habe bei Zugrundelegung der zweiten Alternative des § 44 SGB X verkannt, dass "neue" Tatsachen vorgetragen worden seien. Auf die Unrichtigkeit der Entscheidung zielen auch die Ausführungen
des Klägers, wonach das LSG den Inhalt der Ermessensregelung verkannt habe.
2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über
den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung
ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich
ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"unter welchen Voraussetzungen Verwaltung und Gerichte im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X verpflichtet sind, auch ohne ein neues Vorbringen des jeweiligen Antragstellers zu prüfen, ob bei Erlass eines bindend gewordenen
Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt wurde."
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder
zur Vereinbarkeit einer Norm mit höherrangigem Recht formuliert hat. Jedenfalls hat er die Klärungsbedürftigkeit der Frage
nicht aufgezeigt. Er prüft - anders als erforderlich - nicht, ob sich aus der von ihm zuvor zitierten Entscheidung des BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 24/05 R (aaO) bereits hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage ergeben (vgl Beschluss vom 28.11.2018 - B 12 R 34/18 B - juris RdNr 6). Allein die Behauptung, die Abgrenzung der Tatbestandsalternativen im § 44 (Abs 2 <?>) SGB X sei noch nicht abschließend entschieden, entbindet nicht von der Verpflichtung, sich mit dem Wortlaut der Norm und den bereits
in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen substantiiert auseinanderzusetzen. Davon abgesehen
mangelt es an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Der Kläger stellt nicht dar, wieso es für das Ergebnis
des Rechtsstreits auf eine Abgrenzung (ggf welcher Art) entscheidungserheblich ankommt. Die Äußerung, dass das LSG bei Klärung
der Rechtsfrage über die Abgrenzung hätte entscheiden müssen, reicht hierfür nicht aus.
3. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Die Begründung des Klägers erfüllt diese Darlegungsanforderungen
nicht.
Er rügt, dass das Berufungsgericht mangels Beschwer der Beigeladenen zu 1. die Berufung als unzulässig hätte verwerfen müssen,
statt ein Sachurteil zu erlassen.
Für die Rechtsmittelbefugnis kommt es darauf an, ob die ergangene Entscheidung des SG in eine eigene Rechtsposition des Beigeladenen eingreifen bzw zu einer Beeinträchtigung subjektiven Rechts des Beigeladenen
führen kann (vgl BSG Urteil vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 11). Kann ein Beigeladener die Möglichkeit einer solchen Verletzung eigener Rechte nicht schlüssig behaupten, ist das Rechtsmittel
unzulässig (vgl BSG Urteil vom 11.5.1999 - B 11 AL 69/18 R - SozR 3-1500 § 75 Nr 31 S 40). Liegt eine geltend gemachte Beschwer nicht vor, ist das Rechtsmittel dagegen nicht unzulässig, sondern unbegründet (vgl BSG vom 6.2.1992 - 7 RAr 78/90 - SozR 3-1500 § 54 Nr 9 S 27).
Der Kläger hat die zur Darlegung eines Verfahrensmangels entscheidungserheblichen Tatsachen nicht dargelegt; es fehlen Angaben
dazu, welche Beeinträchtigung die Beigeladene zu 1. geltend gemacht hat. Außerdem mangelt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung
mit den ggf behaupteten sozialversicherungs- bzw arbeitsrechtlichen Auswirkungen der erstinstanzlichen Entscheidung auf die
Beigeladene zu 1. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass allenfalls die ungekürzte Zahlung der Betriebsrente zu befürchten
sei, fehlen substantiierte Angaben zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen dieses Anspruchs.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.