Anspruch auf Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung; Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit
nach Nr 1103 und Nr 4109 der Anlage zur BKV
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Sie ist die Witwe des am 8.8.2000 an einem Bronchialkarzinom des rechten Lungenlappens verstorbenen Versicherten. Dieser war
von August 1958 bis 31.12.1994 als Schweißer bei einem Werftunternehmer, der Mitglied der Beklagten ist, in Hamburg beschäftigt.
Zur Arbeitsausrüstung gehörte ein Kniekissen, in das Asbesttuch eingenäht war. Er schweißte mit hochlegiertem Chrom-/Nickel-Stahl,
unlegiertem Stahl und Aluminium. Als Schweißverfahren kamen mit jeweils zu einem Drittel das Wolfram-Inert-Gas-Schweißen,
das Lichtbogenhandschweißen mittels Stabelektrode und das Metall-Aktiv-Gas-Schweißen mit Fülldraht-Elektrode zur Anwendung,
eingesetzt wurden thoriumhaltige Zündelektroden und "Thermanit-X-Elektroden".
Der Versicherte teilte der Beklagten unter dem 23.12.1999 mit, bei ihm sei im Oktober 1999 ein Lungentumor festgestellt worden.
Er habe zeitlebens nicht geraucht und bringe die Erkrankung mit seiner Arbeit als Schweißer in Verbindung. Die Beklagte forderte
noch im Juli 2000 von dem behandelnden Hausarzt des Versicherten Dr. K. eine Benachrichtigung für den Fall der Verschlechterung
des Gesundheitszustands des Versicherten an. Am 8.8.2000 ist der Versicherte an dem Lungentumor verstorben. Am 31.8.2000 erhielt
die Beklagte die Nachricht, der Versicherte sei ohne vorherige Sektion eingeäschert worden. Die Beklagte lehnte die "Gewährung
von Witwenrente" im Hinblick auf die Berufskrankheiten (BKen) 1103, 4104 und 4109 an die Klägerin ab (Bescheid vom 23.1.2001,
Widerspruchsbescheid vom 1.6.2001).
Die Klägerin hat bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage erhoben (S 1 U 71/01). Während des Verfahrens hat die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auch im Blick auf eine
inzwischen geprüfte BK 2402 abgelehnt (Bescheid vom 7.12.2001, Widerspruchsbescheid vom 15.3.2002). Die auch hiergegen erhobene
Klage (S 1 U 32/02) hat das SG mit dem schon anhängigen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen
(Urteil vom 24.2.2003).
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Ablehnungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der
Lungenkrebserkrankung des Versicherten als BK 1103, BK 4109 und BK 2402 ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente zu zahlen. Hingegen
hat es die Berufung zurückgewiesen, soweit die Verurteilung zur Zahlung von Hinterbliebenenrente aufgrund einer BK 4104 begehrt
wurde (Urteil vom 13.9.2007). Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da der Tod infolge eines Versicherungsfalls
eingetreten sei. Zwar liege keine der genannten Listen-BKen monokausal vor, es sei aber anzunehmen, dass die Einwirkungen
von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest im Sinne einer Synkanzerogenese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
das Bronchialkarzinom beim Versicherten verursacht hätten und er infolge der anerkannten BKen verstorben sei.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von §
9 Abs
1 und
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Die schädigenden Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid, ionisierende Strahlen sowie Asbest stellten keine BK dar. Lediglich
für das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung
festgelegt. Zwar gebe es Hinweise in der medizinischen Wissenschaft, dass auch das Zusammenwirken anderer Stoffe karzinogene
Wirkung habe. Welche Stoffe im Einzelnen mit welcher Dosis eingewirkt haben müssten, damit sie im Zusammenwirken einen Lungenkrebs
hervorrufen könnten, sei wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 27.6.2006
(B 2 U 9/05 R) die Einwirkungen der BKen 2108 und 2110 zusammengefasst habe, könne dies nicht auf den Fall des Zusammenwirkens von vier
Arbeitsstoffen übertragen werden. Im Übrigen habe das LSG die Berufung hinsichtlich der BK 4104 zurückgewiesen, aber die Einwirkungen
durch Asbest in die Berechnung des Risikos des Versicherten einbezogen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. September 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin
gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2003 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung an dieses Gericht
begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht, soweit es das Urteil des SG und die ablehnenden Entscheidungen in den Bescheiden der Beklagten vom 23.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 1.6.2001 sowie vom 7.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.3.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt
hat, der Klägerin ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente aufgrund einer Gesamtbetrachtung der BKen 1103, 4109 und 2402 zu zahlen.
Ob die Klägerin aufgrund einer der BKen 1103, 4109 oder 2402 oder mehrerer von diesen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente
hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da das LSG hierzu die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.
1. Nach §
63 Abs
1 SGB VII haben Hinterbliebene ua Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist.
Nach §
7 Abs
1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur BKen vorgelegen haben.
Bei BKen ist nach §
9 SGB VII zwischen "Listen-BKen" und "Wie-BKen" zu unterscheiden. Eine Listen-BK nach §
9 Abs
1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als BK in einem Tatbestand der
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-BK nach §
9 Abs
2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der
BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die
Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als BK in der Anlage zur
BKV durch den Verordnungsgeber gemäß §
9 Abs
1 Satz 2
SGB VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die BK also zwei Arten von Versicherungsfällen (BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R -
BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1 - juris RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr
15). Jeder dieser Versicherungsfälle kann iS des §
63 Abs
1 Satz 2
SGB VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen eines Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls
einer BK 4104, weil dieser nicht vorgelegen hat (a). Es hat auch nicht der Versicherungsfall einer Art "Gesamt-BK" aufgrund
einer Gesamtbetrachtung oder Kombination von mehreren Listen-BKen (b) oder der Versicherungsfall einer Wie-BK vorgelegen (c).
Ob der Versicherte an den Folgen des Versicherungsfalls einer Listen-BK 1103 oder 4109 oder 2402 (§
9 Abs
1 SGB VII iVm der Anlage 1 zur
BKV) verstorben ist (d), kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache
zurückzuverweisen ist.
a) Aus §
9 Abs
1 SGB VII lassen sich für eine Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich
- versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt
haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität;
vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14).
Von den in der Anlage zur
BKV bezeichneten Listen-BKen kommt im Falle des Versicherten, der als Schweißer gearbeitet hat, berufsbedingt den Stoffen Chromat,
Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest ausgesetzt war und an einem Lungentumor verstorben ist, ein Versicherungsfall
nach folgenden BK-Tatbeständen in Betracht:
Nr 1103: Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen
Nr 2402: Erkrankungen durch ionisierende Strahlen
Nr 4104: Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder
- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren
Nr 4109: Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen
Die BK Nr 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten weder das Bild einer Asbestose noch einer durch Asbeststaub
verursachten Erkrankung der Pleura noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (zu den anderen Listen-BKen
unten d).
b) Entgegen der Auffassung des LSG ist der Versicherte nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art "Gesamt-BK" aufgrund
einer Gesamtbetrachtung oder Kombination der Listen-BKen 1103, 4109 und 2402 verstorben.
Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass das LSG nicht nur die BKen 1103 und 4109, sondern - ausweislich des Tenors - auch
die BK 2402 bejaht hat. Die Beklagte hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie das LSG die Verursachungswahrscheinlichkeit
gemeinsam für die BKen 1103, 2402 und 4109 errechnet hat, zu beanstanden ist.
Es widerspricht dem Bundesrecht, wenn die Verwaltung oder die Gerichte Tatbestände mehrerer Listen-BKen zu einer neuen Gesamt-BK
verbinden. Zur Bezeichnung einer neuen (Listen-)BK ist nur die Bundesregierung als Verordnungsgeberin - mit Zustimmung des
Bundesrates - ermächtigt (§
9 Abs
1 SGB VII) und neben diesem Listenprinzip gibt es nur die sog Öffnungsklausel unter den eingeschränkten Voraussetzungen des §
9 Abs
2 SGB VII.
Indem der Verordnungsgeber mit Wirkung zum 1.7.2009 durch Art 1 Nr 3 Buchst d der 2. Verordnung zur Änderung der
BKV vom 11.6.2009 (BGBl I, 1273) einen BK-Tatbestand geschaffen hat, der nun eine Erkrankung nach schädigenden Einwirkungen zweier
synkanzerogen wirkender Stoffe als Versicherungsfall bezeichnet (BK 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub
und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die eine Verursachungswahrscheinlichkeit
von mindestens 50 vH nach Anlage 2 der
BKV begründet), wird deutlich, dass er durchaus auch die berufsbedingte Verursachung einer Erkrankung durch das Zusammenwirken
verschiedener gefährdender Stoffe als BK bezeichnen kann.
In dem Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8) zum Verhältnis der BKen 2108 und 2110 hat der Senat "nicht eine aus den Tatbeständen der Nr 2108
und 2110 zusammengesetzte neue BK gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung
die Tatbestandsvoraussetzungen beider BKen (nebeneinander) vorliegen" (RdNr 18). Soweit Mell in seiner Anmerkung zu dem Urteil
(SGb 2007, 562 f) von einer "Verklammerung" des BK-Geschehens schreibt, ändert dies nichts an der getrennten Betrachtung beider BKen durch
den Senat. Klarzustellen ist jedoch, dass bei einem Versicherten, der an einer Krankheit leidet, die Gegenstand mehrerer BKen
ist, wenn er zudem Einwirkungen ausgesetzt war, die von jeder dieser BKen erfasst werden, schon nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung zu prüfen ist, ob die Einwirkungen die in der BK bezeichnete Erkrankung verursacht haben. Diese Einwirkungen können
nicht isoliert gesehen werden, sondern sind sich wechselseitig beeinflussende konkurrierende Ursachen (vgl nur BSG vom 9.5.2006
- B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 16). Ob der Tod des Versicherten in diesem Sinne wesentlich durch die Einwirkungen
nach einer der möglichen BKen Nr 1103, 2402, 4109 verursacht wurde, hat das LSG jedoch nicht geprüft (siehe nachfolgend d).
c) Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK (§
9 Abs
2 SGB VII) verstorben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Senat nicht gehindert, über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente
wegen einer Wie-BK zu entscheiden (aa). Zum maßgeblichen Zeitpunkt (bb) hat beim Versicherten der Versicherungsfall einer
Wie-BK nicht vorgelegen (cc), denn die Voraussetzungen für die Bezeichnung der Erkrankung Lungenkrebs infolge der gemeinsamen
Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbeststaub in der Anlage zur
BKV als BK waren nicht gegeben.
aa) Der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand umfasst das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer
Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen
in ihren Bescheiden verneint.
Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die Rechtslage, die gilt, wenn ein Versicherter selbst die Feststellung eines Versicherungsfalls
einer BK durch die Verwaltung begehrt oder Versicherungsansprüche gegen sie erhebt. Dabei bilden jede Listen- und jede Wie-BK
jeweils einen eigenständigen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den der zuständige Träger einen feststellenden Verwaltungsakt
(positiver oder negativer Art) zu erlassen hat. Die Feststellung des Versicherungsträgers, eine BK liege vor oder nicht vor,
kann sich wegen der völlig verschiedenen Voraussetzungen der Listen-BKen in der Anlage zur
BKV untereinander und den dazu und untereinander ebenfalls völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der eventuell zu prüfenden
Wie-BKen nach §
9 Abs
2 SGB VII immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen. Daher kann der Versicherte eine Anfechtungsklage nur gegen einen Verwaltungsakt
erheben, mit dem der Versicherungsträger die Feststellung einer bestimmten BK oder Wie-BK (oder mehrerer solcher Versicherungsfälle)
abgelehnt hat (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13 RdNr 12; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U
R - juris RdNr 15 f).
Anders ist die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend machen.
Nach §
63 Abs
1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts (§§
64 bis
71 SGB VII), dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage,
ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens,
über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen
Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall,
zB eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts.
Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall,
Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das
vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels
einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte
einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine
isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht
im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen
voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Auch hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Blick auf verschiedene
Sachverhalte, aber jeweils nur einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.
bb) Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen,
zu dem der Versicherte verstorben ist.
Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen
sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche
aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - juris RdNr 17).
Dies ist aber auf die Rechte der Hinterbliebenen eines Versicherten nicht übertragbar, weil sie aus dessen letzter Rechtsstellung
abgeleitet sind. Gemäß §
63 Abs
1 Satz 2
SGB VII muss der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten" sein. Der Todestag des Versicherten ist der
späteste Zeitpunkt, an dem er einen Versicherungsfall erlitten haben kann.
cc) Der Versicherte ist am 8.8.2000 nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK verstorben.
Nach §
9 Abs
2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der
BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall
anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen
für eine Bezeichnung nach §
9 Abs
1 Satz 2
SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des §
9 Abs
2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der
BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der
BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte
Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986
- 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27). Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme
der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl §
9 Abs
1 Satz 2
SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f).
Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund
der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen
für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen
erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-BK lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt
eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des §
9 Abs
2 SGB VII gegeben sind (vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2
RVO: BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 12 RdNr 23). Im vorliegenden Fall kommt es also entscheidend darauf
an, ob es spätestes am 8.8.2000 wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch
die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, Asbest und ionisierender Strahlung gemeinsam verursacht worden ist, in die Liste
der BKen aufzunehmen war. Dies ist indes nach den Feststellungen des LSG, das eine Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen
Berufsgenossenschaften eingeholt hat, nicht der Fall (vgl im Übrigen: Schneider, ASUMed 2008, 326; Ergebnisse des Fachgesprächs
"Synkanzerogenese" in der BG Akademie Hennef am 25./26.11.2005, BGFA-Info 01-06, S 17; Thomas Brüning, SYNERGIE - ein Beitrag
zur Klärung der Synkanzerogenese - fordert vor der BGFA der DGUV am 27.1.2009 die Einrichtung epidemiologischer Datenbanken
zur Beurteilung der synkanzerogenen Wirkung von Stoffen wie Asbest, PAK, Chrom und Nickel; http: www.igfbbg.de/schlema6/tag2/Brüning_BGFA.pdf;
Pesch, Weiss, Westphal, Brüning, Berufliche Chrom[VI]- Exposition und Lungenkrebsrisiko, BGFA, August 2008, S 23).
d) Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach §
9 Abs
1 SGB VII iVm Nr
1103, 2402 oder 4109 der Anlage zur
BKV, der durch das Miteinwirken des Listenstoffes als wesentliche Teilursache für die Erkrankung des Versicherten verursacht
wurde, eingetreten ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
Nach den Feststellungen des LSG ist der Versicherte berufsbedingt schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Allerdings
hat das LSG für jeden der in den angeführten Listen-BKen bezeichneten Arbeitsstoffe monokausal die haftungsbegründende Kausalität
verneint. Keiner der Stoffe hat allein die in der jeweiligen Listen-BK bezeichnete Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
verursacht. Für die BK 1103 ist eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich, einer solchen Dosis
ist der Versicherte bei weitem nicht ausgesetzt gewesen. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen (BK 2402) wird anhand
der Einwirkungsdosen (Bql, mSv) die Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent ermittelt, die beim Versicherten maximal 23
vH erreicht hat. Bei der BK 4109 ist eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich, die ebenfalls
nicht - auch nicht iS des Halbwerts - erreicht worden ist.
Eine dieser Listen-BKen liegt aber nicht nur dann vor, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten
Stoff auf die Gesundheit schon monokausal die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Denn selbst wenn diese Einwirkungen
bei isolierter Betrachtung nicht die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise erfüllen,
können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als BK anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung
sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer Listen-BK: BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach
der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non).
Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische
Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das
Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten
Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich
sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg
zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des
praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9.5.2006 -
B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - juris RdNr 12).
Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffs nicht die im BK-Tatbestand genannten Einwirkungsvoraussetzungen -
so wie hier der Asbest die 25 Faserjahre nach der BK 4104 Alternative 3 (siehe oben a) -, können sie zwar die anerkannte Krankheit
mitverursacht haben, eine Anerkennung dieser BK scheidet aber aus, weil die Mindestanforderungen des jeweiligen BK-Tatbestandes
nicht gegeben sind.
Für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden BKen 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist in
einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das
Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden,
ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie
der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen Kausalbeitrag gesetzt hat, nicht
abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte
Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur
BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv
für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs
wesentliche Bedeutung für den Erfolg iS eines BK-Tatbestands zukommt (vgl BSG vom 12.6.1990 - 2 RU 14/90 - juris RdNr 21; Becker in MedSach 2005, 115).
3. Auf die Revision der Beklagten ist die Entscheidung des LSG, die §
9 SGB VII verletzt, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, damit geklärt werden kann, ob die Einwirkungen durch
Chromat, Nickeloxid oder ionisierende Strahlung unter Einbeziehung der Einwirkungen von Asbest zusammen oder - wenn nicht
alle - ob möglicherweise mehrere dieser Listenstoffe gemeinsam den Lungenkrebs des Versicherten im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinne verursacht haben. Ist dies anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Einwirkungen nach den genannten BKen Nr 1103, 2402,
4109 - jede für sich und nicht alle zusammen als Gesamt-BK betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt
der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach BK 1103 oder BK 2402 oder BK
4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-BKen nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl BSG aaO). Schließlich
ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten
ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sodass der Senat nicht abschließend entscheiden
konnte.
Dagegen steht für die abschließende Entscheidung des LSG bindend fest, dass bei dem Versicherten keine BK 4104, keine Gesamt-BK
aus einer Kombination der BKen 1103, 2402, 4109 und keine entsprechende Wie-BK vorgelegen hat.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.