Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen
Richter
Gründe:
I
Die Klägerin betrieb die onkologische Fachklinik B. GmbH (im Folgenden: "Fachklinik") in O.. Die Fachklinik war als Privatkrankenanstalt
zugelassen, ein Versorgungsvertrag oder eine sonstige Zulassung zur Behandlung von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung
bestanden nicht. Der Versuch der Klägerin, den Abschluss eines Versorgungsvertrages durch Klage zu erreichen, ist im Ergebnis
erfolglos geblieben (vgl Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts [BSG] vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R). Eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fachklinik wurde mangels Masse abgelehnt, die Auflösung der
GmbH am 16.6.2003 in das Handelsregister eingetragen. Die GmbH befindet sich seitdem im Stadium der Liquidation.
In der Fachklinik wurde die bei der beklagten Krankenkasse versicherte W. L. (im Folgenden: Versicherte) vom 28.4. bis zu
ihrem Tod am 10.5.2000 behandelt. Die Fachklinik stellte der Beklagten dafür 1.779,30 Euro in Rechnung; die Beklagte lehnte
die Zahlung wegen fehlender rechtlicher Anspruchsgrundlage ab. Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben
(Urteil des Sozialgerichts vom 14.3.2007, Beschluss des Landessozialgerichts [LSG] vom 20.5.2009). Zur Begründung hat das
LSG im Wesentlichen ausgeführt, entgegen der Ansicht der Klägerin habe es sich nicht um eine Notfallbehandlung gehandelt,
sodass kein Anspruch gemäß §
76 Abs
1 Satz 2
SGB V gegeben sei.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG und beruft sich dabei
in erster Linie auf Verfahrensfehler.
II
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 20.5.2009 ist zulässig, soweit
sie die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden LSG-Senats rügt. Die Klägerin hat sie fristgerecht erhoben und den
Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art
101 Abs
1 Satz 2
GG hinreichend bezeichnet (§
160a Abs 2 Satz 3 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler - ein absoluter Revisionsgrund - liegt vor. Das LSG war
bei der Beschlussfassung am 20.5.2009 nicht vorschriftsmäßig besetzt (§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 SGG). An diesem Beschluss hat eine Richterin mitgewirkt, die die Klägerin zwar zuvor erfolglos abgelehnt hatte, deren Mitwirkung
aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Zurückweisung des diese Richterin betreffenden Ablehnungsgesuchs
hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt (vgl hierzu zB Bundesverfassungsgericht [BVerfG] NVwZ 2005, 1304, 1307 f; BVerfGE 82, 286, 298; BVerfG, Beschluss vom 26.5.2009 - 1 BvR 1057-1062/09 - mwN).
a) Zwar ist das Revisionsgericht im Hinblick auf §
557 Abs
2 ZPO (iVm §
202 SGG) an Entscheidungen gebunden, die einer Endentscheidung des LSG vorausgegangen sind, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt
grundsätzlich auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts
zurückgewiesen haben (§§
60,
177 SGG; vgl hierzu BVerfGE 31, 151, 164; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Das Revisionsgericht ist nur in engen Ausnahmen wegen eines fortwirkenden Verstoßes gegen das Gebot des
gesetzlichen Richters iS des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG an die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen, die dem Endurteil oder dem abschließenden Beschluss nach §
153 Abs
4 SGG des LSG vorausgegangen sind, nicht gebunden, wenn zuvor erfolglos - aber rechtsfehlerhaft - abgelehnte Richter/-innen an
der Endentscheidung des LSG mitgewirkt haben. Die Bindung des Revisionsgerichts fehlt nämlich, wenn die Zurückweisung des
Ablehnungsgesuchs - was hier ausscheidet - auf willkürlichen manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit
des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 mwN), oder wenn die Zurückweisung
des Ablehnungsgesuchs jedenfalls darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt hat (vgl BSG SozR 4-1100 Art
101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Letzteres liegt hier vor.
b) Ein fortwirkender Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters und zugleich eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters
durch ein Gericht ist hier dem LSG im angefochtenen Beschluss unterlaufen. Die abgelehnte Richterin D. hat nämlich vor der
Instanz abschließenden Beschlussfassung vom 20.5.2009 an dem Beschluss vom 19.5.2009 - L 1 SF 123/09 - mitgewirkt, der das ua gegen sie gerichtete Befangenheitsgesuch vom 9.4.2009 als unzulässig verworfen hat, weil das Befangenheitsgesuch
"nicht substantiiert begründet" worden sei. Die Ausführungen des LSG in diesem Beschluss beruhen auf fehlerhaften Erwägungen
und deuten darauf hin, dass das LSG die Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG verkannt hat. Art
101 Abs
1 Satz 2
GG lässt nämlich lediglich in dem Fall eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung
des abgelehnten Richters über das Gesuch zu.
Art
101 Abs
1 Satz 2
GG hat nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert,
dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität
und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl BVerfGE 10, 200, 213 f; 21, 139, 145 f; 30, 149, 153; 40, 268, 271; 82, 286, 298; 89, 28, 36). Die verfassungsrechtlich gebotene (vgl BVerfG
NJW 2005, 3410 ff) Unparteilichkeit des Gerichts wird ua durch das Recht der Beteiligten gesichert, Gerichtspersonen wegen Besorgnis der
Befangenheit ablehnen zu können (§
60 Abs
1 SGG iVm §§
42 ff
ZPO). Ein Ablehnungsantrag hat grundsätzlich zur Folge, dass die abgelehnten Richter nur unaufschiebbare Prozesshandlungen vor
Erledigung des Ablehnungsgesuchs vornehmen dürfen (§
60 Abs
1 SGG, §
47 ZPO). Bei dem kollegial besetzten LSG ist über den Ablehnungsantrag grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter von dem zuständigen
Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn lediglich über
die Zulässigkeit des Ablehnungsantrags zu befinden ist (vgl BSG, Beschluss vom 16.2.2001 - B 11 AL 19/01 B -, juris RdNr 6).
Diese Vorschriften dienen dem durch Art
101 Abs
1 Satz 2
GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Die Zuständigkeitsregelung
trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines
Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste.
Doch wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten
Grundsatz ein Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche
in bestimmten Fallgruppen entscheidet.
Hierzu hat das BVerfG entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des Vorliegens eines gänzlich untauglichen
oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und
deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl BVerfGK 5, 269, 281 f = NJW 2005, 3410, 3412). Ein solchermaßen vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll aber nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen
offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern. Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs in diesem
Sinne ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich
ist. Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung
als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Selbstentscheidung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus
darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum "Richter
in eigener Sache" machen. Diese Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden
Befangenheitsantrag sind verfassungsrechtlich durch Art
101 Abs
1 Satz 2
GG vorgegeben (vgl BVerfG, Beschluss vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 -, juris RdNr 20 ff mwN = NJW 2007, 3771 ff). Dies hat das LSG verkannt.
Die abgelehnte Richterin hat über das gegen sie gerichtete Befangenheitsgesuch als Vorsitzende mit zwei anderen Richterinnen
entschieden, weil sie es lediglich nicht für "substantiiert begründet" gehalten haben. Damit wird das Selbstentscheidungsrecht
unzulässig auf Fälle der mangelnden Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs ausgedehnt. Um einen sonst vorliegenden Verstoß
gegen Art
101 Abs
1 Satz 2
GG zu vermeiden, dürfte ein derart vereinfachtes Ablehnungsverfahren nicht einmal auf Situationen "offensichtlicher Unbegründetheit"
des Ablehnungsgesuchs erstreckt werden (vgl BVerfGK 5, 269 = NJW 2005, 3410, juris RdNr 55 mwN).
3. Der hier vorliegende absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 SGG) führt in einem Revisionsverfahren - nach entsprechender Rüge - zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil unwiderlegbar feststeht,
dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruht. §
170 Abs
1 Satz 2
SGG ist dagegen grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein absoluter Revisionsgrund vorliegt. Deshalb dürfte der Senat die zuzulassende
Revision selbst dann nicht zurückweisen, wenn sich die LSG-Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellen sollte
(vgl näher BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 1 RdNr 13 mwN). Auf die weiteren mit der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen kommt
es mithin nicht mehr an.
4. Nach §
160a Abs
5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des §
160a Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Verweisung an einen
anderen Senat des LSG gemäß §
563 ZPO iVm §
202 SGG ist zur Vermeidung eines - möglichen - Anscheins der Voreingenommenheit und zur Gewährleistung einer unbefangenen Rechtsfindung
nicht geboten.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten. Die Entscheidung
zur Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.