Verpflichtung zur Weiterleitung eines Antrags auf existenzsichernde Sozialleistungen
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Grenzen einer Gehörsrüge
Gründe
I
Im Streit ist noch die Verpflichtung des Beklagten zur Weiterleitung eines Antrags auf existenzsichernde Sozialleistungen
an das Jobcenter der Stadt K.
Der 1987 geborene Kläger hatte am 10.6.2015 einen Antrag auf Leistungen der Sozialhilfe beim Sozialamt des Beklagten gestellt,
den dieser unter Verweis auf die Leistungsberechtigung des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zwar abgelehnt (Bescheid vom 15.6.2015; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2015), mit Schreiben vom 15.7.2015 zugleich aber auch an das Jobcenter der Stadt K weitergeleitet hat. Leistungen sind dem Kläger
nicht erbracht worden.
Den Antrag auf Überprüfung der ablehnenden Bescheide (vom 2.11.2017) lehnte der Beklagte unter Verweis auf die Regelung des § 116a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab (Bescheid vom 1.2.2018; Widerspruchsbescheid vom 8.10.2018). Die Klage ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Karlsruhe vom 27.12.2018). Die dagegen mit Schreiben vom 30.12.2018 eingelegte und mit Schreiben vom 5.2.2019 begründete Berufung hat das Landessozialgericht
(LSG) BadenWürttemberg mit der Begründung abgewiesen, die Berufung sei mit der im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärten
"Rücknahme der Erklärung vom 5.2.2019" unzulässig geworden und die im Termin geänderte Klage, gerichtet nur noch auf die Verpflichtung
des Beklagten zur Weiterleitung des Antrags vom 10.6.2015 an das Jobcenter, unzulässig (Urteil vom 21.3.2019).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel geltend. Das
Gericht habe gegen seine Hinweispflicht (nach §
139 Zivilprozessordnung <ZPO>) verstoßen und ihm deshalb kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt (§
62 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das SG hätte Leistungen ab 1.1.2016 nicht versagen dürfen, weil noch ungeklärt gewesen sei, ob er erwerbsfähig und daher tatsächlich
dem Rechtskreis des SGB II zuzuordnen gewesen sei. Es hätte daher auf eine sachgerechte Antragstellung hinweisen müssen, die auf die Einleitung eines
Überprüfungsverfahrens nach § 45 SGB XII und die Bewilligung vorläufiger Leistungen ab 1.1.2016 gerichtet gewesen wäre. Er habe im Berufungsverfahren sein Klageziel
zwar zunächst weiter verfolgt; im Termin zur mündlichen Verhandlung habe er aber - nachdem zwischenzeitlich der Rentenversicherungsträger
festgestellt habe, dass er erwerbsfähig sei - seinen Klageantrag umgestellt, damit ihm Leistungen nach dem SGB II gewährt werden könnten. Das LSG habe ihn weder darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Zurückziehung seines Antrags vom
5.2.2019 von einer Rücknahme der Berufung ausgehe noch ihn auf eine sachdienliche Antragstellung hingewiesen. Er habe erkennbar
die Berufung nicht in vollem Umfang zurücknehmen, sondern nur sein Leistungsbegehren "ändern" wollen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der gebotenen Weise bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB Bundessozialgericht <BSG> vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 und vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 160a Nr 36). Darüber hinaus ist bei einer Gehörsrüge die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der
Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 §
160a Nr 36), denn eine Gehörsverletzung stellt gemäß §
202 SGG iVm §
547 ZPO keinen absoluten Revisionsgrund dar. An entsprechenden Darlegungen fehlt es hier.
Gemäß §
62 Halbsatz 1
SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Die richterliche Hinweispflicht (§
106 Abs
1 SGG) konkretisiert den Anspruch auf ein faires Verfahren, dient der Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Mushoff in jurisPK-
SGG, § 106 RdNr 6 mwN) und zielt damit insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4- 1500 § 114 Nr 2, RdNr 34). Soweit sich der Kläger zur Begründung der von ihm gerügten Verletzung richterlicher Hinweispflichten auf das prozessuale
Verhalten des SG stützt, fehlt es bereits an Darlegungen dazu, ob und inwieweit ein dort ggf entstandener Verfahrensmangel im Berufungsverfahren
fortgewirkt und damit zugleich auch einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG gebildet hat (BSG vom 25.4.2001 - B 9 V 70/00 B - SozR 3-1500 § 73 Nr 10). Da sich die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG richtet (§
160 SGG), kommen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nämlich nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG in Betracht (BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 24/19 B - juris RdNr 7).
Soweit er dem LSG vorwirft, nicht auf eine sachdienliche Antragstellung hingewirkt und deshalb unter Verstoß gegen seine Hinweispflicht
das rechtliche Gehör verletzt zu haben, ist sein Vortrag nicht schlüssig und schon deshalb nicht geeignet, die Zulassung der
Revision zu rechtfertigen. Denn der Kläger führt dazu aus, das LSG hätte ua auf eine Antragstellung hinwirken müssen, die
auf die Weiterleitung des Antrags vom 10.6.2015 an das Jobcenter gerichtet gewesen wäre. Diesen Antrag hat der Kläger aber
tatsächlich vor dem LSG gestellt, sodass schon nicht nachvollziehbar ist, inwieweit ein - weiteres - Hinwirken des LSG auf
diese Antragstellung (noch) geboten gewesen wäre.
Auch sein Vortrag, das LSG hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass es seine Prozesserklärung als Rücknahme der Berufung und
die geänderte Klage als unzulässig ansieht, verfängt nicht. Gleichgültig, ob der Kläger mit diesem Vorbringen zugleich (auch)
den Erlass einer Überraschungsentscheidung durch das LSG bzw eines Prozess- statt eines Sachurteils rügt, fehlt es an weiterem
Vortrag dazu, warum - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - die geänderte Klage zulässig sein soll, also die Entscheidung
des LSG auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht. Dass die Klage zulässig sei, behauptet der Kläger nur. Er setzt sich
aber beispielsweise weder mit der Frage der statthaften Klageart oder dem Umstand auseinander, dass der SGB-II-Leistungsträger am Verfahren nicht beteiligt war und er, der Kläger, auch nach seinem eigenen Vortrag gegenüber dem beklagten
Sozialhilfeträger einen Leistungsanspruch nicht weiter verfolgen wollte. Er legt auch nicht dar, weshalb - bezogen auf den
Weiterleitungsantrag - ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist, wenn der Antrag nach seiner eigenen Sachverhaltsschilderung
bereits 2015 weitergeleitet worden war und hierüber noch gar keine Entscheidung getroffen wurde. Er verkennt zudem, dass es
keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz gibt, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf
die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe hinzuweisen (vgl nur BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 RdNr 10).
Nicht schlüssig ist auch das hilfsweise Vorbringen, wonach die Feststellung des Rentenversicherungsträgers vom 28.2.2019,
dass er, der Kläger, nicht erwerbsunfähig sei, als "erledigendes Ereignis" angesehen werden könne und deshalb ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse
bestünde. Aus dem Vorbringen wird weder deutlich, welchen Verfahrensmangel der Kläger rügt, noch, welche Bescheide (nur darauf kommt es an, vgl § 39 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <SGB X>) die betreffende Feststellung "erledigt" hat, woraus sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergeben könnte und inwieweit
die Entscheidung des LSG auf einem insoweit unterstellten Verfahrensmangel beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.