Ausbildungsförderungsrecht - Anspruch von Vertriebenen trotz berufsqualifizierenden Abschlusses im Herkunftsland
Gründe:
I.
Der 1968 in Polen geborene Kläger erwarb dort 1987 nach vierjährigem Besuch eines "Berufslyzeums" das Reifezeugnis. Es bestätigt
den Besitz der Facharbeiterausbildung und die höhere allgemeine Bildung; es weist aus, daß der Kläger den Unterricht im Fachlyzeum
im Fach Kraftfahrzeugmechanik mit vierjähriger Unterrichtsdauer beendet, die Prüfung im Berufsunterricht abgelegt und den
Facharbeitertitel in diesem Fach erworben hat und daß er die Reifeprüfung vor dem Staatlichen Prüfungsausschuß abgelegt hat
und zur Bewerbung um die Aufnahme eines Hochschulstudiums berechtigt ist. Nach dem Besuch einer "Pädagogischen Technischen
Schule" von 1987 bis 1989 erhielt er die Qualifikation eines "Lehrers der praktischen Berufslehre" sowie den Titel "Mechanotechniker
in der Fachrichtung Kraftfahrzeugreparatur und -betrieb". Im Juli 1989 ist der Kläger als Aussiedler aus Polen in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist. Er ist Inhaber eines Vertriebenenausweises.
Zum Wintersemester 1992/93 nahm der Kläger an der Universität H. das Studium der Betriebswirtschaftslehre auf. Seinen Antrag
auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für dieses Studium lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11. Januar 1993 ab, weil
für eine zweite weitere (= dritte) Ausbildung kein Förderungsanspruch bestehe. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglos
durchgeführtem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1993) erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers
hat das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben und dies im wesentlichen folgendermaßen begründet:
Eine Förderung des Studiums an der Universität H. komme nur auf der Grundlage von §
7 Abs.
2 BAföG in Betracht; denn mit dem Abschluß des "Berufslyzeums" habe der Kläger bereits eine schulische berufsqualifizierende Ausbildung
im Sinne des §
7 Abs.
1 BAföG erhalten.
Der Kläger habe nach §
7 Abs.
2 Satz 1 Nr.
5 BAföG Anspruch auf Förderung einer zweiten schulischen beruflichen Ausbildung. Dem stehe nicht entgegen, daß er in Polen bereits
eine weitere zweijährige Ausbildung an einer "Pädagogischen Technischen Schule" durchgeführt und die zusätzlichen Berufsqualifikationen
eines "Mechanotechnikers" sowie eines "Lehrers der praktischen Berufslehre" erlangt habe. Diese Ausbildung sei einer Ausbildung
im Bundesgebiet nicht gleichwertig und nicht anerkennungsfähig, so daß dem Kläger eine Tätigkeit auf dieser Qualifikationsebene
nicht möglich wäre. Für ihn sei es, wenn nicht ausgeschlossen, so doch jedenfalls nicht zuzumuten gewesen zu versuchen, durch
eine nach einem Beschluß der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 1978 hierfür erforderliche vierjährige berufspraktische
Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker eine Gleichstellung seiner polnischen Ausbildung mit der eines "Staatlich geprüften
Technikers" im Bundesgebiet zu erreichen. Seine Ausbildung zum "Mechanotechniker" und "Lehrer für berufspraktischen Unterricht"
befähige den Kläger auch nicht im Sinne des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG zur Berufsausübung in Polen, weil es ihm als Vertriebenem im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes nicht zugemutet werden
könne, sich dort aufzuhalten, und die Regelung des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG ihrer Zielsetzung nach für die Ausbildung von Vertriebenen nicht gelte. Diese Vorschrift betreffe nach der Vorstellung des
Gesetzgebers nur Auszubildende, die sich nach dem Erwerb eines Ausbildungsabschlusses im Ausland freiwillig (wieder) in das
Bundesgebiet begäben, nicht hingegen solche, denen aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden könne, den erlernten Beruf
im Ausland auszuüben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er rügt Verletzung von §
7 Abs.
1 Satz 2 und Abs.
2 Satz 1 Nr.
5 BAföG.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang, so daß die Revision zurückzuweisen ist
(§
144 Abs.
2 VwGO).
Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger in Übereinstimmung mit Bundesrecht einen Anspruch auf Förderung seines Studiums
der Betriebswirtschaftslehre an der Universität H. auf der Grundlage von §
7 Abs.
2 Satz 1 Nr.
5 BAföG in der hier maßgeblichen Fassung des 15.
BAföG-Änderungsgesetzes vom 19. Juni 1992 (BGBl I S. 1062) zugesprochen. Insbesondere hat es zu Recht das Klagebegehren nicht an §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG scheitern lassen.
§
7 Abs.
1 Satz 1
BAföG bestimmt, daß Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre
berufsbildender Ausbildung bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluß geleistet wird. Nach Satz 2 der
Vorschrift ist ein Ausbildungsabschluß berufsqualifizierend auch dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung
befähigt. §
7 Abs.
2 BAföG regelt sodann, unter welchen Voraussetzungen Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierendem
Abschluß geleistet wird.
Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zu folgen, daß die Bestimmung des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG auch innerhalb des - in der Problematik des "berufsqualifizierenden Abschlusses" dem §
7 Abs.
1 Satz 1
BAföG gleichgelagerten - Anwendungsbereiches des §
7 Abs.
2 BAföG gilt und deshalb eine weitere Ausbildung nicht gefördert werden kann, wenn eine solche bereits im Ausland abgeschlossen wurde
und dieser Ausbildungsabschluß dort zur Berufsausübung befähigt. Mit Recht hat das Berufungsgericht diese Regelung im vorliegenden
Fall aber für unanwendbar gehalten.
Die Rechtsansicht der Vorinstanz kann sich auf Sinn und Zweck des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG stützen, wie sie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entnehmen lassen. Ausgehend vom Ziel des Bundesausbildungsförderungsgesetzes,
berufsbildende Ausbildungen zu fördern, die zu einer Berufsausübung in Deutschland befähigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.
Oktober 1992 - BVerwG 11 C 5.92 - (Buchholz 436.36 §
7 BAföG Nr. 105 S. 144/146 f. = NJW 1993, 950 = FamRZ 1993, 863) m.w.N.), kommt einem Ausbildungsabschluß grundsätzlich - soweit nichts anderes geregelt ist - nur dann die Eignung als berufsqualifizierend
im Sinne des §
7 BAföG zu, wenn er zu einer Berufsausübung in Deutschland qualifiziert. Mit der Einfügung des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG wollte der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit BVerwGE 62, 174) begegnen, wonach im Ausland erworbene Abschlüsse bei einer Entscheidung nach §
7 BAföG nur dann berücksichtigt werden durften, wenn der erworbene Abschluß einem entsprechenden inländischen Abschluß gleichwertig
war und die Aufnahme einer entsprechenden Berufstätigkeit im Bundesgebiet ermöglichte (BTDrucks 12/2108 S. 18). Mit der Änderung
sollte "eine Ungleichbehandlung zu vergleichbaren Inlandsfällen vermieden werden", die der Gesetzgeber darin sah, daß sonst
"Auszubildende, die sich zunächst für eine im Ausland angebotene Ausbildung entschieden haben, unter Berufung auf eine fehlende
oder nicht gleichwertige Anerkennung im Inland bzw. eine fehlende Verwertbarkeit der Berufsqualifikation die Förderung einer
weiteren Ausbildung verlangen können, ohne an die einschränkenden Voraussetzungen des §
7 Abs.
2 BAföG gebunden zu sein" (BTDrucks 12/2108 S. 18). Die Regelung des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG betrifft also nur die Auszubildenden, die sich bei offener Möglichkeit einer Ausbildung im Inland für eine berufsbildende
Ausbildung im Ausland "entschieden haben"; sie sollen nicht günstiger als im Falle der Ausbildung im Inland in den Genuß von
Ausbildungsförderung für eine (weitere) Ausbildung kommen. Hingegen war es nicht die Absicht des Gesetzgebers, Auszubildende
von der Ausbildungsförderung auszuschließen, wenn eine solche freiwillige Entscheidung für eine Ausbildung im Ausland nicht
vorliegt. Diese nur begrenzte Intention des Gesetzgebers, der mit der Einfügung des §
7 Abs.
1 Satz 2
BAföG auf eine spezielle Förderungsproblematik reagierte, gebietet es, die genannte Bestimmung entsprechend ihrem Maßnahmezweck
eingeschränkt auszulegen. Sie gilt nicht für Ausbildungsabschlüsse, die Vertriebene vor ihrer Aussiedlung im Herkunftsland
erworben haben. Denn es ist davon auszugehen, daß es Vertriebenen bis zu ihrer Aussiedlung nicht möglich war, eine Ausbildung
in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, und sie sich deshalb in der Zeit vor ihrer Ausreise nicht freiwillig dahin
entschieden, ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in ihrem Herkunftsland durchzuführen.
Bei diesem Verständnis der gesetzlichen Voraussetzungen der Förderung einer weiteren Ausbildung nach §
7 Abs.
2 BAföG kommt es auf die Frage nicht an, ob und inwieweit es dem Kläger hätte zugemutet werden können, auf der Grundlage seiner Ausbildung
zum Kraftfahrzeugmechaniker durch eine im Bundesgebiet aufzunehmende berufspraktische Tätigkeit die Voraussetzungen für eine
Anerkennung und Gleichstellung jener Ausbildung mit der eines "staatlich geprüften Technikers" in der Bundesrepublik Deutschland
zu schaffen.