BVerwG, Urteil vom 23.01.1992 - 5 C 41.89
»Eine Erwerbstätigkeit ist »unwesentlich« im Sinne des §
18 b Abs.
2 BAföG (F. 1986), wenn ihre Dauer kürzer als die Hälfte der durchschnittlichen, also der allgemein üblichen Arbeitszeit ist."
Fundstellen: BVerwGE 89, 339, DRsp V(545)117b, DÖV 1992, 670, FamRZ 1992, 1232, NJW 1993, 549, NJW 1993, 549 (Ls)
b. »Die Kl. hatte für die Zeit von November 1986 bis Oktober l988 keinen Anspruch auf Teilerlaß des ihr gewährten Ausbildungsförderungsdarlehens.
Denn sie erfüllte in dieser Zeit nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des ... §
18 b Abs.
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BAföG in der hier anzuwendenden Fassung des 10. BAföGÄndG v. 16.6.1986 (BGBl. I S. 897) bzw. - seit dem 1.7.1988 - des 11. BAföGÄndG vom 21.6.1988 (BGBl. I S. 829). Die Annahme des BerGer., die Kl. sei in dem betreffenden Zeitraum wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung von 20 Stunden wöchentlich
nicht »nur unwesentlich erwerbstätig« im Sinne dieser Vorschrift gewesen, steht mit dem Bundesrecht in Einklang. Denn bei
der gebotenen Auslegung des Gesetzes anhand der anerkannten Kriterien der juristischen Methodenlehre kann eine Beschäftigung
nur dann als »unwesentlich« i. S. des §
18 b Abs.
2
BAföG angesehen werden, wenn ihre Dauer kürzer als die Hälfte der durchschnittlichen, also der allgemein üblichen Arbeitszeit ist.
Entgegen den mit der Revision geäußerten Zweifeln bedarf es einer einheitlichen, von den betroffenen Darlehensnehmern wie
von der Verwaltung gleichermaßen eindeutig voraussehbaren und nachvollziehbaren Abgrenzung der »nur unwesentlichen Erwerbstätigkeit«
als Voraussetzung für die finanzielle Begünstigung des Darlehensteilerlasses. Denn mit dem Zweck des Bundesausbildungsförderungsgesetzes,
einer Massenverwaltung den notwendigen rechtlichen Rahmen zu vermitteln, wäre es unvereinbar, wenn bei jedem Antrag auf einen
solchen Teilerlaß im einzelnen geprüft werden müßte, ob der Darlehensnehmer trotz einer Erwerbstätigkeit ausreichend Zeit
zur Pflege und Erziehung seines Kindes hatte. Vielmehr kann die Abgrenzung allein nach dem zeitlichen Umfang der Erwerbstätigkeit
vorgenommen werden, wobei eine typisierende Betrachtungsweise zulässig und geboten ist. Da das Gesetz mit dem Begriff »unwesentlich«
einen relativen Maßstab einsetzt, kommt insoweit nur die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit vollbeschäftigter Arbeitnehmer
als Bezugsgröße in Betracht. Eine Differenzierung dieses Maßstabs nach dem Alter des Kindes oder nach anderen den Betreuungsaufwand
beeinflussenden Umständen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. ...
Der Begriff »unwesentlich« dient ... zur Bezeichnung einer bestimmten zeitlichen Relation zwischen Erwerbstätigkeit und Kindererziehung:
Er soll sicherstellen, daß die gewährte Entlastung nur solchen Personen zugute kommt, die - verglichen mit der durchschnittlichen
regelmäßigen Arbeitszeit eines voll Erwerbstätigen - der Kindererziehung tatsächlich Vorrang vor der Erwerbstätigkeit einräumen.
In bezug auf die Kindererziehung unwesentlich ist hiernach bei der für den Verwaltungsvollzug unerläßlichen typisierenden
Betrachtung jede Erwerbstätigkeit, die es dem betreffenden Elternteil ermöglicht, sich über die vollbeschäftigten Arbeitnehmern
regelmäßig zur Verfügung stehende arbeitsfreie Zeit hinaus auch innerhalb der bei solchen Erwerbstätigen üblicherweise mit
Erwerbsarbeit ausgefüllten Zeit überwiegend der Kindererziehung zu widmen. Dies aber ist immer dann und nur dann der Fall,
wenn die Dauer der Erwerbstätigkeit kürzer als die Hälfte der durchschnittlichen Arbeitszeit ist. ...
Mit dieser Auslegung verstößt die Norm ... weder gegen Art.
3 Abs.
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GG noch gegen das ... Sozialstaatsprinzip. ... Ziel der gesetzl. Regelung ist es ... , Darlehensnehmer mit geringem Einkommen,
die sich der Kindererziehung widmen und deswegen im wesentlichen auf eine Erwerbstätigkeit verzichten, über den Rückzahlungsaufschub
nach §
18 a
BAföG hinaus noch stärker von den Darlehensschulden zu entlasten und ihnen damit ihren Verzicht zu erleichtern. Gemessen an diesem
mit der besonderen Wertentscheidung des Art.
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GG und dem Sozialstaatsprinzip in Einklang stehenden Ziel ist es sachlich vertretbar, Personen mit einer die Hälfte der normalen
Arbeitszeit erreichenden und damit nicht nur unwesentlichen Erwerbstätigkeit in allen Fällen von jener Vergünstigung auszuschließen.«