Gründe:
I. Die 1966 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 1986/87 die Jahrgangsstufe 12 eines Gymnasiums in K. Sie begehrt hierfür
die Leistung von Ausbildungsförderung unter Anerkennung des Bedarfs für auswärtige Unterbringung.
1980 wurde die Ehe der Eltern der Klägerin geschieden. Die Klägerin lebte seitdem gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester bei
ihrer Mutter, der die elterliche Sorge übertragen worden war, zuletzt im Hause ihrer Großeltern in K. Ihr Vater, der 1982
wieder geheiratet hatte, lebte mit seiner neuen Ehefrau und drei minderjährigen Kindern in einer dieser Ehefrau gehörenden,
ca. 80 qm großen Wohnung ebenfalls in K.
Zum 1. Oktober 1986 zog die Mutter der Klägerin gemeinsam mit deren Schwester nach W., wo sie in einem Krankenhaus arbeitete.
Die Klägerin, die seit September 1985 die Oberstufe des Gymnasiums in K. besuchte und am 16. September 1986 mit dem Unterricht
in der Jahrgangsstufe 12 begonnen hatte, blieb im Haus der Großeltern in K. wohnen, da von der neuen Wohnung der Mutter aus
ihre Schule mit zumutbarem Zeitaufwand nicht erreichbar war.
Im August 1986 beantragte die Klägerin Ausbildungsförderung für den Besuch der Jahrgangsstufe 12 des Gymnasiums. Der Beklagte
lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 18. September 1986 ab, weil die Klägerin bei ihrem Vater wohnen könne. Daraufhin hat
die Klägerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die vorläufige Bewilligung der begehrten Ausbildungsförderung erstritten.
In diesem Verfahren erklärte die Ehefrau des Vaters an Eides Statt, daß sie nicht bereit sei, die Klägerin für die Dauer des
Schulbesuchs in ihre Wohnung aufzunehmen.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Verpflichtungsklage hatte in beiden Rechtszügen Erfolg - ausweislich der
Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts allerdings erst ab Oktober 1986. Die Zurückweisung der Berufung des Beklagten
hat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen wie folgt begründet: Der Förderungsanspruch der Klägerin ergebe sich aus §
68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG. Von einer »Wohnung der Eltern« im Sinne dieses Gesetzes könne dann nicht mehr gesprochen werden, wenn das Wohnen des Auszubildenden
bei seinen Eltern an rechtlichen Hindernissen scheitere. In diesem Falle sei es nämlich nicht zulässig, den Auszubildenden
auf die Wohnung seiner Eltern zu verweisen. In der streitgegenständlichen Zeit sei die Klägerin rechtlich gehindert gewesen,
in der Wohnung ihres Vaters zu wohnen, ohne daß dieser Hinderungsgrund von ihr zu vertreten gewesen sei. Denn die Stiefmutter
habe ihr aufgrund ihres sachenrechtlichen Bestimmungsrechts die Aufnahme in die ihr gehörende Wohnung verweigert, und Gründe,
die die Stiefmutter zur Duldung des Wohnens der Klägerin in ihrer Wohnung verpflichtet hätten, seien nicht ersichtlich. der
Vater der Klägerin könne auch gegen den Willen seines neuen Ehegatten ein Wohnen seines volljährigen Kindes in der Ehewohnung
nicht durchsetzen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er rügt Verletzung des §
12 Abs.
2 Satz 2 und des § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und meint ergänzend, ihr Förderungsanspruch ergebe sich auch aus Tz. 12.2.6
BAföGVwV unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und des Gleichsbehandlungsgrundsatzes.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht tritt der Rechtsauffassung des Beklagten bei.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II. Die Revision des Beklagten, über die der Senat nach § 141 Satz 1 in Verbindung mit §
125 Abs.
1 Satz 1 und §
101 Abs.
2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet, so daß sie zurückzuweisen ist (§
144 Abs.
2 VwGO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin könne für den Besuch des Gymnasiums in K. im Schuljahr 1986/87 ab Oktober
1986 nach § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG in der hier anzuwendenden Fassung des 10.
BAföG-Änderungsgesetzes vom 16. Juni 1986 (BGBl. I S. 897) Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe beanspruchen, verletzt Bundesrecht nicht.
Nach § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG wurde Ausbildungsförderung aufgrund dieses Gesetzes für Schüler von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen ab Klasse
10 u.a. dann geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnte und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende
zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar war. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß diese Voraussetzungen
im Falle der Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum erfüllt waren.
Das die Klägerin während dieses Zeitraums Schülerin einer Ausbildungsstätte der genannten Art war und während der Schulzeit
nicht bei ihren Eltern wohnte, ist unstreitig. Auch die weitere Voraussetzung, daß von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende
zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar war, hat das Berufungsgericht im Ergebnis ohne Verstoß gegen Bundesrecht bejaht.
Unter dem Begriff »Wohnung der Eltern« im Ausbildungsförderungsrecht sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich
die Räumlichkeiten zu verstehen, in denen die Eltern des Auszubildenden ihre nicht nur vorübergehende, sondern auf eine gewisse
Dauer abzielende Unterkunft nehmen, unabhängig davon, ob sie willens sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, den
Auszubildenden bei sich aufzunehmen, oder ob zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern noch ein Eltern-Kind-Verhältnis
besteht (BVerwGE 74, 260 ff., Urteil des Senats vom 15. November 1979 - BVerwG 5 C 65.77 - [Buchholz 436.36 §
12 BAföG Nr. 9]). Sind die Eltern geschieden, gilt dies für jeden Elternteil entsprechend, wenn es - wie hier - auf die Möglichkeit
der Unterkunftsgewährung für volljährige Kinder ankommt (Urteile des Senats vom 5. Mai 1983 - BVerwG 5 C 13.81 - [Buchholz 436.36 § 68
BAföG Nr. 1] und vom 2. Juli 1987 - BVerwG 5 C 44.84 - [Buchholz 436.36 §
12 BAföG Nr. 15]). In diesem Falle ist die Gewährung von Ausbildungsförderung also grundsätzlich schon dann zu versagen, wenn von
der Wohnung eines Elternteils aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar ist, sobald der Auszubildende
volljährig ist.
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung war zwar die Wohnung der Mutter in W. als »Wohnung der Eltern« der Klägerin im Sinne
des § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG anzusehen. Von dieser Wohnung aus war jedoch - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - eine entsprechende zumutbare
Ausbildungsstätte nicht erreichbar. Denn ein Wechsel auf eine in W. gelegene Schule war der Klägerin wegen der damit verbundenen
wesentlichen Beeinträchtigung ihrer Ausbildung in den beiden letzten Schuljahren vor der Reifeprüfung nicht zuzumuten (vgl.
BVerwGE 57, 198 ff.), und durch den Zeitaufwand für den Schulweg von W. nach K. wäre sie ebenfalls unzumutbar belastet worden (vgl. BVerwGE
57, 204 ff.).
Die Wohnung des Vaters der Klägerin und seiner neuen Ehefrau stellte dagegen keine »Wohnung der Eltern« der Klägerin im Sinne
des § 68 Abs. 2 Nr. 1 und der insoweit wortgleichen Bedarfsnorm des §
12 Abs.
2 Satz 2
BAföG dar. Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich offengelassen, ob dieser Begriff auch dann zu bejahen
wäre, wenn die Eltern aus zwingenden persönlichen Gründen nicht mehr die Möglichkeit haben, über ihre Wohnverhältnisse frei
zu bestimmen, wie beim Aufenthalt in einem Pflegeheim oder in einer vergleichbaren Lage (Urteil vom 15. November 1979 - BVerwG
5 C 65.77 - [Buchholz 436. 36 §
12 BAföG Nr. 9]), und wenn das Wohnen des Auszubildenden bei seinen Eltern an solchen oder anderen rechtlichen Hindernissen, wie sie
in Tz. 12.2.6 BAföGVwV seit ihrer Fassung vom 31. Juli 1980 (GMBl. S. 358) angeführt sind, scheitert (BVerwGE 74, 260 [266]). Ein derartiger Fall liegt hier vor. Denn die Stiefmutter der Klägerin hat deren Aufnahme in ihre Wohnung in Anbetracht
der durch die Größe der neuen Familie ohnehin beengten Wohnverhältnisse berechtigt abgelehnt, und der Vater der Klägerin hatte
infolge der mit der neuen Ehe verbundenen Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr die Möglichkeit, über
seine Wohnverhältnisse frei zu bestimmen. Das ist als zwingender persönlicher Grund im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung
anzuerkennen.
Nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung kann die gemeinsame Wohnung eines geschiedenen, aber wiederverheirateten Elternteils
und seines neuen Ehepartners jedenfalls dann nicht mehr als »Wohnung der Eltern« eines volljährigen Auszubildenden angesehen
werden, wenn der neue Ehepartner die Aufnahme des Auszubildenden in diese Wohnung berechtigt ablehnt. Denn in derartigen Fällen
kann der Gesetzgeber nach der von ihm selbst geschaffenen Rechtsordnung gerade nicht davon ausgehen, daß der Auszubildende
bei dem betreffenden Elternteil wohnen kann und ihm dort Unterhalt in Naturalleistung gewährt wird. Eben dies aber ist der
tragende Grund für die in Rede stehende Einschränkung der Schülerförderung. Die Erwägung, der wiederverheiratete Elternteil
habe das rechtliche Hindernis für die Aufnahme des Auszubildenden durch seine neue Eheschließung selbst herbeigeführt und
dürfe für dieses seinem freien Willen unterliegende Verhalten nicht durch staatliche Ausbildungsförderung für sein Kind honoriert
werden, wäre mit der aus Art.
6 Abs.
1 GG folgenden staatlichen Pflicht zum besonderen Schutz der Ehe und der daraus folgenden Eheschließungsfreiheit nicht vereinbar.
Denn damit würde dem geschiedenen Elternteil im Ergebnis angesonnen, bis zum Abschluß der Schulausbildung seiner Kinder aus
erster Ehe im fiskalischen Interesse auf eine neue Eheschließung zu verzichten und sich ggf. mit der Führung einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft zu begnügen, obwohl keineswegs stets von vornherein absehbar ist, ob eine Unterbringung der Kinder bei
diesem Elternteil zum Zwecke ihrer Schulausbildung später überhaupt in Betracht kommt. Das zeigt besonders deutlich der vorliegende
Fall, in dem der Vater der Klägerin die neue Ehe bereits 1982 geschlossen hat, der Mutter der Klägerin bis zu deren Volljährigkeit
im Jahre 1984 das Sorgerecht zustand und die Unterbringungsproblematik erst im Herbst 1986 entstand. Die Gefahr von Mißbräuchen
- neue Eheschließung gerade zu dem Zweck, Ausbildungsförderung für Kinder aus erster Ehe herbeizuführen - liegt im Hinblick
auf die zeitliche und finanzielle Begrenztheit der Förderung nach § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG im Vergleich zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Eheschließung demgegenüber so fern, daß sie keine andere
Auslegung rechtfertigt.
Der vom Beklagten in den Mittelpunkt seiner Revisionsbegründung gestellte Hinweis darauf, daß die Klägerin nicht aus ausbildungsbezogenen
Gründen außerhalb der Wohnung ihres Vaters untergebracht worden sei, trifft zwar in der Sache zu. Rechtserheblichkeit wäre
ihm - will man einen Zirkelschluß vermeiden - jedoch nur dann beizumessen, wenn die Vorfrage positiv zu beantworten wäre,
ob die Wohnung des Vaters der Klägerin und seiner neuen Ehefrau »Wohnung der Eltern« im Sinne des § 68 Abs. 2 Nr. 1
BAföG war. Dies ist - wie dargelegt - jedoch nicht der Fall.
Abgesehen davon geht die Bundesregierung in Tz. 12.2.6 Buchst. b Sätze 2 und 3 BAföGVwV in der nunmehr geltenden Fassung der
Bekanntmachung vom 15. Oktober 1991 (GMBl. S. 770) sogar davon aus, daß bei Kindern geschiedener Eltern auch nach Eintritt
der Volljährigkeit unabhängig von einer Wiederverheiratung stets allein die Wohnung des vorher sorgeberechtigten Elternteils
maßgeblich ist. Nach dieser Auffassung hätte der Klägerin erst recht Ausbildungsförderung für ihren Schulbesuch zugestanden.