LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.10.2022 - 11 BA 3083/20
Lässt sich nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, ob Saisonarbeitskräfte ihre Tätigkeit für
einen landwirtschaftlichen Betrieb berufsmäßig ausgeübt haben, geht dies zu Lasten des Rentenversicherungsträgers. Dieser
trägt die Feststellungslast für die Berufsmäßigkeit, die im Rahmen eines Streits um die Versicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV eine die Geringfügigkeit möglicherweise ausschließende und damit die angefochtenen Beitragsbescheide stützende Tatsache darstellt.
Eine Umkehr der Feststellungslast tritt nicht allein deshalb ein, weil die Saisonarbeitskräfte in einem Fragebogen angekreuzt
haben, Hausmann bzw Hausfrau zu sein und der Landwirt keine näheren Angaben dazu eingeholt hat, wovon die Saisonarbeitskräfte
in ihrem Heimatland ihren Lebensnunterhalt bestritten haben, wenn auch nach der Gestaltung des Fragebogens hierüber keine
Auskunft erteilt werden musste.
Vorinstanzen: SG Freiburg 19.08.2020 S 12 BA 262/18
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.08.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Der Streitwert für das Klage- und das Berufungsverfahren wird endgültig auf jeweils 87.121,23 € festgesetzt.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für rumänische Saisonarbeitskräfte.
Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 01.07.2006 (Seite 91/111 der Widerspruchsakte 1 der Beklagten) gegründete
Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Mit dem Zusammenschluss bezwecken die beiden Gesellschafter (Vater und Sohn) die gemeinsame
Führung und Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebs. In den Jahren 2012 bis 2015 beschäftigte die Klägerin zahlreiche
rumänische Saisonkräfte. Das monatliche Arbeitsentgelt dieser Beschäftigten betrug mehr als 400 € (bis zum 31.12.2012) bzw
450 € (in der Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2015). In allen Fällen war die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf
längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage (im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2014) bzw drei Monate oder 70 Arbeitstage
(im Jahr 2015) begrenzt. Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages füllten die Saisonarbeitnehmer in Rumänien den in deutscher
und rumänischer Sprache abgefassten "Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer
Staatsangehöriger" aus. Die Fragen "Stehen Sie in einem Beschäftigungsverhältnis?" (Frage 1), "Üben Sie in Rumänien eine selbständige
Tätigkeit aus?" (Frage 2), "Sind Sie in Rumänien arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet?" (Frage 3), "Besuchen Sie zur Zeit
eine Schule, Hochschule, Universität oder eine andere Bildungseinrichtung?" (Frage 4) und "Beziehen Sie eine Rente in Rumänien?"
(Frage 5) verneinten die Beschäftigten. Die unter Nr 6 aufgeführte Frage "Sind Sie Hausfrau/Hausmann?" bejahten die Saisonkräfte.
Unter Nr 7 des Fragebogens heißt es: "Wenn sämtliche vorstehenden Frage mit nein beantwortet wurden: Wovon bestreiten Sie
in Rumänien Ihren Lebensunterhalt?" Hierzu machten die Arbeitskräfte keine Angaben. Die Klägerin ging davon aus, dass es sich
in allen Fällen um kurzfristige, sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse handelte und entrichtete für die Saisonarbeitnehmer
lediglich Umlagen an die Minijob-Zentrale.
Gegen Ende des Jahres 2016 führte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (Beklagte) bei der Klägerin eine Betriebsprüfung
nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB IV) durch. Der Prüfzeitraum erstreckte sich auf die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2015. Mit einem an die Klägerin gerichteten
Bescheid vom 28.04.2017 stellte die Beklagte fest, dass die sich aus Prüfung ergebende Nachforderung insgesamt 89.605,10 €
beträgt. Sie forderte die Klägerin auf, die sich im Einzelnen aus der dem Bescheid beigefügten Anlage ergebenen Beträge an
die AOK Baden-Württemberg als zuständige Einzugsstelle zu entrichten. In der "Anlage Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs
1 SGB IV" werden die Saisonarbeitskräfte namentlich aufgeführt und ihnen werden für genau bezeichnete Zeiträume konkrete Entgelte
und die sich daraus ergebenden Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung, die soziale Pflegeversicherung, die gesetzliche
Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit sowie die Umlagen für Krankheitsaufwendungen (U1), Mutterschaftsaufwendungen
(U2) und für das Insolvenzgeld (UI) zugeordnet. Zur Begründung wurde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften im
Wesentlichen ausgeführt, die Versicherungspflicht der Saisonarbeitskräfte bestehe deshalb, weil diese ihre Tätigkeit berufsmäßig
ausgeübt hätten. Hausfrauen bzw Hausmänner, die nicht zum Personenkreis der potentiellen Arbeitnehmer bzw Arbeitsuchenden
gehörten, seien Personen, die im Rahmen einer in der privaten Sphäre liegenden Arbeitsteilung einen Haushalt für sich und
andere Haushaltsmitglieder führten, die anstehenden Haushaltsarbeiten verrichteten und im Gegenzug von einem oder mehreren
Haushaltsmitgliedern unterhalten würden, also im Prinzip zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht selbst auf die Aufnahme
einer Beschäftigung angewiesen seien. Diese persönliche Lebenssituation lasse sich allein durch das Ankreuzen des Feldes Hausfrau/Hausmann
in einem Vordruck nicht hinreichend belegen, wenn die allgemeine Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der bekannten Umstände
eher dagegen spreche (zB bei unverheirateten Arbeitskräften oder bei zeitgleich beschäftigten Ehepaaren). Es sei nach der
allgemeinen Lebenserfahrung lebensfremd, dass für ledige Personen die Beschäftigung von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung
sei.
Dagegen legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, am 22.05.2017 Widerspruch ein und machte geltend,
der Beklagten dürfte bekannt sein, dass die Arbeitskräfte vor Ort in Rumänien bei der zuständigen Arbeitsverwaltung vorsprächen,
ihr EU-Personaldokument vorlegten und die im Vordruck gestellten Fragen beantworteten. Eine Verifizierung oder Falsifizierung
durch die lokalen Behörden finde nicht statt. Dem vermeintlich Beitragspflichtigen werde durch den angefochtenen Bescheid
eine Recherche- und Nachprüfungspflicht angesonnen, der er in der konkreten Situation weder de facto noch de jure nachkommen
könne. Es sei mangels entsprechender gegenteiliger Anhaltspunkte und auch mangels jeglicher konkreten Begründung solcher vermeintlichen
Pflichten evident, dass die Klägerin jedenfalls in den hier beanstandeten Zeiträumen davon habe ausgehen dürfen (und müssen),
mit der Verwendung der von den Sozialversicherungsträgern vorgeschriebenen Fragebögen ihren Pflichten Genüge getan zu haben.
Zudem müsse bei Einhaltung der Geringfügigkeitsgrenzen in jedem Einzelfall festgestellt und begründet werden, warum auch in
diesen Fällen Berufsmäßigkeit vorgelegen habe. Dies erfolge in keinem einzigen Fall. Die Darlegungs- und Beweislast liege
in einem solchen Fall nicht beim Beschäftigungsbetrieb, sondern bei der Beklagten. Tatsächlich habe in keinem der geprüften
Fälle eine berufsmäßige Beschäftigung vorgelegen.
Mit Schreiben vom 24.05.2017 lehnte die Beklagte eine von der Klägerin beantragte Aussetzung der Vollziehung ihres Bescheides
vom 28.04.2017 ab. Sie vertrat ferner die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Umkehrung der Beweislast anzunehmen sei.
Im Rahmen der Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass zahlreiche kurzfristig Beschäftigte im Fragebogen angegeben hätten,
sie seien Hausfrau bzw Hausmann, obwohl in den Bestätigungen für den Nachweis der doppelten Haushaltsführung jeweils als Familienstand
"ledig" angegeben gewesen sei. In einigen Fällen seien auch Ehepaare beschäftigt gewesen, die beide angegeben hätten, Hausfrau
bzw Hausmann zu sein. Bei diesen Sachverhalten sei völlig unklar, wie der Lebensunterhalt der Arbeitnehmer im Herkunftsland
bestritten worden sei. Die Klägerin habe es zu Beginn der Beschäftigung unterlassen, durch Rückfrage bei den einzelnen Arbeitnehmern
zu klären, wie der Lebensunterhalt bestritten werde. Nur mit diesen Informationen hätte die Klägerin überhaupt eine Überprüfung,
ob die Voraussetzungen des § 8 SGB IV gegeben seien und damit Versicherungsfreiheit vorliege, vornehmen können. Ende Mai 2017 zahlte die Klägerin die geforderte
Summe, hielt aber ihren Widerspruch aufrecht.
Am 23.08.2017 nahm die Klägerin ihren Widerspruch hinsichtlich des Beschäftigten M(M) zurück (Bl 237 der Verwaltungsakte).
Auf den Hinweis der Beklagten, dass sie bei M für die Zeit vom 09.07. bis 14.08.2015 bereits deshalb Versicherungspflicht
bejaht habe, weil in diesem Zeitraum die zeitlichen Grenzen für eine geringfügige Beschäftigung nicht eingehalten worden seien,
präzisierte die Klägerin, dass sich die Rücknahme des Widerspruchs in Bezug auf die Feststellungen für M nur auf die Zeit
ab dem 09.07.2015 beziehe.
Mit Änderungsbescheid vom 27.10.2017 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise ab, so dass sich die Nachforderung
auf 87.795,10 € reduzierte. Die Nachforderung für einen Arbeitnehmer wurde ganz aufgehoben und bei mehreren anderen Beschäftigten
wurden die Beschäftigungszeiträume korrigiert. Die Beiträge für M wurden nach der teilweisen Rücknahme des Widerspruchs auf
verschiedene Zeiträume aufgeteilt; für die Zeit vom 09.07. bis zum 14.08.2015 ergab sich ein Betrag iHv 673,87 €, der in der
Gesamtsumme von 87.795,10 € enthalten ist.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2017 im Übrigen
als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid werden namentlich diejenigen Arbeitnehmer aufgeführt, die sich als ledig bezeichnet
und Hausfrau bzw Hausmann angegeben haben, sowie diejenigen, die verheiratet waren und die beide bei der Klägerin beschäftigt
waren und im Fragebogen "Hausfrau" oder "Hausmann" angekreuzt haben. Die Zeit der Beschäftigung von M vom 09.07. bis 14.08.2015
wird als nicht mehr streitig bezeichnet.
Am 16.01.2018 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft und insbesondere dargelegt, dass aus ihrer
Sicht eine Beweiserleichterung bzw Umkehr der Beweislast im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme. Ihr werde zu Unrecht
der Vorwurf gemacht, es zu Beginn der Beschäftigung unterlassen zu haben, durch Rückfragen bei den Arbeitnehmern zu klären,
wie diese ihren Lebensunterhalt im Herkunftsland bestritten. Werfe man einen Blick auf den Fragebogen, der unter Mitwirkung
und Mitverantwortung der Beklagten erstellt worden sei, so stelle man fest, dass darin genau jene Frage erst gar nicht gestellt
werde. Im Widerspruchsbescheid würden alle als "ledig" gekennzeichneten Arbeitnehmer als berufsmäßig betrachtet. Weder aus
den Angaben im Fragebogen noch aus den sonstigen, den Beteiligten zugänglichen Personalpapieren sei ersichtlich, ob ein Arbeitnehmer
verheiratet sei oder nicht. Ein entsprechender Vermerk finde sich lediglich im Formular "Doppelte Haushaltsführung." Es sei
willkürlich, wenn einerseits die Statusbezeichnung "Hausfrau/Hausmann" ignoriert werde, andererseits der Status "ledig" als
voraussetzungslos angenommen werde, wenn eine doppelte Haushaltsführung genannt werde.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Eine doppelte Haushaltsführung könne auch bei Alleinstehenden gegeben sein. Es
sei deshalb unklar, weshalb die Angaben im Formular "Doppelte Haushaltsführung" nicht zutreffend sein sollten.
Das SG hat zunächst den Beschluss vom 28.01.2020 erlassen, wonach nur solche Personen beigeladen werden, die dies bis zum 31.05.2020
beantragt haben. Da keine Anträge auf Beiladung eingegangen sind, ist eine Beiladung unterblieben.
Mit Urteil vom 19.08.2020 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2017 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 27.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.12.2017 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, unstreitig seien die 52 Saisonarbeitskräfte in den
im Widerspruchsbescheid genannten Zeiträumen gegen das dort genannte Entgelt im Sinne des § 7 Abs 1 SGB IV tätig gewesen und hätten daher grundsätzlich der Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung
unterlegen. Eine Ausnahme von der Versicherungspflicht begründe jedoch die zeitgeringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV. Eine geringfügige Beschäftigung liege danach vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2
Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflege oder im Voraus vertraglich begrenzt sei. In der Zeit
vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 hätten gemäß § 115 SGB IV abweichende Zeitgrenzen von 3 Monaten oder 70 Arbeitstagen gegolten. Die maßgeblichen Zeitgrenzen seien unstreitig bezüglich
aller Arbeitnehmer eingehalten worden. Auch hätten die betroffenen Saisonarbeitnehmer ihre Beschäftigung bei der Klägerin
nur gelegentlich und nicht regelmäßig ausgeübt. Diese Unterscheidung sei erforderlich, da bei einer regelmäßigen Beschäftigung
allein § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV einschlägig sei und die betroffenen Saisonarbeitnehmer wegen des Überschreitens der Entgeltgrenzen danach versicherungspflichtig
wären.
Schließlich stehe der Annahme einer zeitgeringfügigen Beschäftigung der Saisonarbeitskräfte entgegen der Auffassung der Beklagten
auch nicht eine Berufsmäßigkeit ihrer jeweiligen Beschäftigungsausübung entgegen. Bei der Beurteilung der Berufsmäßigkeit
seien die gesamten Lebensverhältnisse des Beschäftigten zu berücksichtigen, die nicht allein durch die Verhältnisse während
der Dauer dieser Beschäftigung geprägt würden (Hinweis auf BSG 30.11.1978, 12 RK 32/77, SozR 2200 § 168 Nr 3 und BSG 11.06.1980, 12 RK 30/79, SozR 2200 § 168 Nr 5). Es müsse auch das vorherige und spätere Erwerbsverhalten des Arbeitnehmers in die Beurteilung einbezogen werden. Berufsmäßig
sei eine kurzfristige Beschäftigung dann, wenn ihr eine versicherungspflichtige Beschäftigung unmittelbar vorangegangen sei
oder folge. Der kurzfristig Beschäftigte sei dann nicht wie die Personen beschäftigt, die, ohne zum Kreis der Erwerbstätigen
zu gehören, nur gelegentlich eine vorübergehende Beschäftigung ausübten (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Rheinland-Pfalz
26.04.2007, L 1 KR 36/05 Rn 28 - 29, juris). Berufsmäßigkeit liege nicht vor, wenn Personen nach ihrer Lebensstellung in der Regel keine versicherungspflichtige
Beschäftigung auszuüben pflegten, wie zB Schüler, Studenten während der Semesterferien, Rentner sowie Hausfrauen bzw Hausmänner.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Beschäftigung der 52 Saisonarbeitskräfte bei der Klägerin mangels Berufsmäßigkeit
als geringfügig im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV einzustufen. Dabei werde von der Kammer nicht verkannt, dass das Entgelt der Saisonarbeitnehmer - im Hinblick auf die anzunehmenden
anderen Lebensumstände und vor allem wegen des deutlich niedrigeren Lohnniveaus in Rumänien - wohl nicht von untergeordneter
Bedeutung gewesen sei. Darauf könne es aber nach Auffassung der Kammer für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit einer Beschäftigung
von Saisonarbeitskräften nicht ankommen, denn andernfalls wäre die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern, in deren
Heimatländern im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland ein erhebliches Lohngefälle bestehe, immer als berufsmäßig einzustufen.
Dies würde zu einer ungerechtfertigten Diskriminierung der ausländischen Arbeitnehmer im Vergleich zu inländischen Arbeitnehmern
führen. Dementsprechend hätten die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger anlässlich einer Besprechung vom 06. und
07.05.1998 klargestellt, dass für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit einer kurzfristigen Beschäftigung bei Beschäftigten
aus dem Ausland keine strengeren Voraussetzungen als für inländische Arbeitnehmer gelten dürften. Nach dem Ergebnis einer
weiteren Besprechung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 06.07.2005 solle dies erst recht gelten bei der
versicherungsrechtlichen Beurteilung von EU-Saisonarbeitskräften. Demnach sei die Höhe des in anderen Staaten als dem Herkunftsland
erzielten Arbeitsentgelts nicht maßgeblich. Die Berufsmäßigkeit müsse vielmehr unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen
im jeweiligen Heimatland des Beschäftigten beurteilt werden. Maßgebend zur Beurteilung der Berufsmäßigkeit sei hier, ob die
52 Saisonarbeitskräfte generell dem Kreis der Erwerbstätigen angehörten. Hierfür sei entscheidend, ob ihrer Beschäftigung
bei der Klägerin eine versicherungspflichtige Beschäftigung unmittelbar vorangegangen oder ihr gefolgt sei. Denn in diesem
Fall könne auf eine generelle Zugehörigkeit zum Kreis der abhängigen Erwerbstätigen geschlossen werden (Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz
25.06.2007, L 2 RI 340/04, Rn 29 - 32, juris; LSG Niedersachsen-Bremen 17.10.2012, L 1 KR 273/11, Rn 48, juris). Vorherige Tätigkeiten seien auf den Fragebögen verneint worden, ebenso verneint worden sei die Frage nach
der Arbeitslosmeldung und dem Rentenbezug.
Angegeben worden sei jeweils, dass die betroffenen Arbeitnehmer im Heimatland Hausfrau bzw Hausmann seien. Was unter dem Begriff
Hausfrau oder Hausmann zu verstehen sei, sei weder vom Gesetz noch in der Rechtsprechung des BSG definiert worden. Eine Auslegung des Begriffs müsse aber insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes erfolgen, dass
das BSG Hausfrauen bzw Hausmänner als Personen eingestuft habe, die generell nicht zum Kreis der Erwerbstätigen gehörten. Es müsse
sich daher um Personen handeln, die vorübergehend einer Beschäftigung nachgingen und im Übrigen von anderen Personen unterhalten
würden und dadurch nicht auf die Ausübung einer Beschäftigung zum Erhalt ihres Lebensunterhalts angewiesen seien. Ob die 52
Saisonarbeitnehmer alle Hausmänner und Hausfrauen in diesem Sinne seien, sei offen. Dafür sprächen ihre Angaben im Fragebogen,
für die sie einen Stempel ihrer Wohnortgemeinde eingeholt und deren Richtigkeit sie nach entsprechender Belehrung mit ihrer
Unterschrift versichert hätten. Allein der Umstand, dass jemand ledig sei, bedeute nicht, dass sie bzw er nicht Hausfrau bzw
Hausmann sein könne. Beispielweise sei denkbar, dass die Betroffenen den Haushalt von Verwandten führten und im Gegenzug von
diesen unterhalten würden. Die pauschale Annahme, dass bestimmte Personengruppen (insbesondere junge, ledige Männer) typischerweise
keine Hausmänner seien, stelle eine unzulässige Diskriminierung von Personen aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts dar
und könne daher kein Kriterium für die Feststellung von Berufsmäßigkeit einer Beschäftigung sein. Die Angaben seien auch nicht
derart unplausibel, dass daraus eine erweiterte Prüfpflicht des Betriebsinhabers abzuleiten wäre.
Die Voraussetzungen des Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung habe nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast derjenige
nachzuweisen, der sich auf den Ausnahmetatbestand berufe. Hinsichtlich des Grundtatbestandes der Nr 2 des § 8 Abs 1 SGB IV (Unterschreiten der darin genannten Zeitgrenzen) treffe daher die Klägerin die Beweislast, allerdings trage die Beklagte
die Feststellungslast für die Berufsmäßigkeit, die im Rahmen eines Streits um die Versicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV eine die Geringfügigkeit möglicherweise ausschließende und damit den angefochtenen Beitragsbescheid stützende Tatsache darstelle
(Hinweis auf BSG 11.05.1993, 12 RK 23/91). Insoweit sei das Vorliegen von Berufsmäßigkeit wiederum die Rückausnahme zu der Ausnahme von der grundsätzlich geltenden
Versicherungspflicht. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Beweislast bei der Klägerin liege. Eine Ausnahme
von dieser Beweislastverteilung könne beispielsweise geboten sein bei Verletzungen der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber
oder erst recht bei Manipulationen. Derartige Umstände könnten bei der Ermittlung des Sachverhalts im Rahmen der Beweiswürdigung
berücksichtigt werden und gegebenenfalls zu einer Umkehr der Feststellungslast führen (Hinweis auf LSG Niedersachsen-Bremen
14.09.2016, L 2 R 5/16, Rn 83, juris). Eine Umkehr der Feststellungslast aufgrund eines Verstoßes der Klägerin gegen ihre Mitwirkungspflichten als
Arbeitgeberin sei zur Überzeugung der Kammer nicht eingetreten. Die Klägerin habe sich vielmehr des bundeseinheitlichen Fragebogens
für Saisonarbeitskräfte aus dem (osteuropäischen) Ausland bedient, der seit dem Jahre 1998 den Arbeitgebern zur Verfügung
gestellt werde. Für die Kammer sei auch nicht klar ersichtlich, welche Pflichten die Beklagte der Klägerin habe auferlegen
wollen, also wie Arbeitgeber zukünftig vorgehen sollten, um sich nicht dem Vorwurf der Pflichtverletzung durch die Beklagten
konfrontiert zu sehen. Wenn die Beklagte nun die von ihr in Umlauf gebrachten Fragebögen nicht mehr akzeptieren möchte, bedürfe
es zur Überzeugung der Kammer einer vorherigen Information darüber, wie die Arbeitgeber ihre Mitwirkungspflichten künftig
ordnungsgemäß erfüllen könnten. Der Hinweis im Widerspruchsbescheid, dass die Klägerin durch Rückfragen bei den einzelnen
Arbeitnehmern zu klären gehabt hätte, wie der Lebensunterhalt bestritten werde, sei zu pauschal, um daraus konkrete Mitwirkungspflichten
abzuleiten. Hinzukomme, dass der Arbeitgeber weiterhin keine Möglichkeit habe, die Angaben der Beschäftigten zu verifizieren.
Insoweit gehe das Formular, welches immerhin über strafrechtliche Konsequenzen bei Falschangabe belehre, in seinem Beweiswert
deutlich weiter als die im Widerspruchsbescheid (wohl zusätzlich) geforderte Befragung bei Ankunft. Eine Pflichtverletzung,
welche zu der nicht unerheblichen Konsequenz der Beweislastumkehr führe, könne nur dann angenommen werden, wenn die Pflichten
erkennbar seien und deren Einhaltung für den jeweiligen Arbeitgeber auch möglich sei.
Gegen das Urteil des SG, das ihr am 04.09.2020 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 30.09.2020 Berufung beim LSG
Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Argumentation des SG könne nicht gefolgt werden, das SG habe in diesem speziellen Fall die besonderen Umstände nicht vollständig berücksichtigt und bewertet. Soweit es darauf abstelle,
dass die Angaben der Arbeitnehmer in den Fragebögen ihre Eigenschaft als Hausfrau/Hausmann bereits belegten, sei dem entgegenzuhalten,
dass zwar durch die Betroffenen ein entsprechendes Kreuz gesetzt worden sei, die Angaben an sich aber nicht ohne weiteres
nachvollziehbar seien und sie vor allen Dingen auch nur eine eigene erste Einschätzung der jeweiligen Personen beinhalteten
und damit nicht ohne weiteres einen Nachweis der Klägerin darstellten. Im Hinblick auf den Stempel der Wohnortgemeinde müsse
gesagt werden, dass auch dies kein Nachweis dafür sein könne, dass eine Person tatsächlich Hausfrau oder Hausmann sei. Es
stelle sich hierbei die Frage, woher die Gemeinde die sichere Kenntnis hierüber erlangt haben solle? Es sei wohl vielmehr
davon auszugehen, dass die Gemeinde mit Stempel und Unterschrift lediglich habe bestätigen wollen, dass die betreffende Person
selbst diese Erklärung abgegeben habe. Es sei für die Beklagte nicht ersichtlich (und gehe auch aus dem Stempel nicht hervor),
ob bzw dass und wie hier eine Überprüfung der Angabe auf inhaltlicher Ebene durchgeführt worden sei. Die Angabe eines alleinstehenden
(jungen) Mannes (im Übrigen auch einer alleinstehenden Frau), dass er Hausmann sei, sei aber zunächst einmal gerade nicht
für sich genommen einleuchtend oder verständlich, ebenso wenig seien dies per se die Angaben von Eheleuten, die in gemeinsamem
Hausstand lebten und beide sich als Hausfrau/Hausmann ausgäben. Plausibel seien die Angaben nur, wenn ein Hinterfragen stattfinde
und hierauf sodann mitgeteilt werde, in welchem Haushalt die "Hausfrau-/Hausmann-Tätigkeit" stattfinde, von welcher anderen
Person der Betreffende unterhalten, also wovon der Lebensunterhalt bestritten werde. Die Klägerin sei ihrer Aufzeichnungspflicht
als Arbeitgeber nicht nachgekommen und habe damit gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen. Grundsätzlich müsse, wer sich auf
den Ausnahmetatbestand der Versicherungsfreiheit einer Beschäftigung berufe, das Vorliegen der Voraussetzungen nachweisen.
Die entsprechenden Aufzeichnungspflichten ergäben sich aus § 8 Abs 2 Nr 1 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) in Verbindung mit § 8 Abs 1 Nr 9 BVV. Demnach gehörten zu den Entgeltunterlagen Unterlagen, aus denen die Angaben ersichtlich würden, die für die Versicherungsfreiheit
erforderlich seien. Bei Anwendung der Versicherungsfreiheit als kurzfristig Beschäftigter nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV umfasse dies auch den Nachweis, dass die mehr als geringfügig entlohnte Beschäftigung nicht berufsmäßig ausgeübt werde. Die
Angabe mittels entsprechendem Ankreuzen in dem bundeseinheitlichen Fragebogen (hier: Hausfrau- oder Hausmanneigenschaft) sei
kein Nachweis, sondern lediglich ein Anhaltspunkt dafür, als was sich die Saisonarbeitskraft selbst beurteile. Es sei daher
auch der Ansicht des SG entgegenzutreten, wenn es eine Aufzeichnungspflichtverletzung der Klägerin damit verneine, dass diese sich bundeseinheitlicher
Fragbögen für Saisonarbeitskräfte aus dem (osteuropäischen) Ausland bediene, die den Arbeitgebern seit 1998 zur Verfügung
gestellt würden, und damit der ihr obliegenden Verpflichtung Genüge getan habe. Gerade weil die Bögen bundeseinheitlich ausgelegt
seien und für eine Vielzahl von unterschiedlichen Fallkonstellationen gälten, könnten sie nicht ausnahmslos pauschal als alleiniger
Nachweis gelten, sondern nur einen ersten Hinweis abgeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.08.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.08.2020 zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Beklagte werfe ihr - der Klägerin - vor, sie sei ihrer Aufzeichnungspflicht als Arbeitgeberin nicht nachgekommen
und habe damit gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen. Wo diese Pflichten geregelt und wie sie konkret ausgestaltet seien,
also welche zusätzlichen Daten die Klägerin hätte aufzeichnen müssen, sage die Beklagte allenfalls pauschal, indem sie lediglich
auf § 8 SGB IV und § 8 BVV verweise. Welche Pflichten aber die Klägerin konkret verletzt haben solle, sage die Beklagte nicht. Das wäre nicht nur wünschenswert,
sondern zwingend erforderlich, enthalte doch § 8 BVV in zwei Absätzen insgesamt 38 verschiedene Entgeltunterlagen, die der Arbeitgeber über den Beschäftigten fertigen und in
seine Personalpapiere aufnehmen müsse. Seit die Beklagte erkennen müsse, dass auch mit vollständig ausgefüllten, gestempelten
und unterzeichneten Fragebögen nicht immer sichere Kenntnis und Erkenntnis verbunden sei, habe sie keine Skrupel, das von
ihr selbst als Einstellungs- und Beschäftigungsgrundlage geschaffene Instrument im Nachhinein abzuwerten. Nun solle es nämlich
nur noch einen "ersten Hinweis geben" oder eine "erste Einschätzung ermöglichen". Entscheidend seien die Ausführungen des
SG zur Frage der Beweislast. Der Versuch der Beklagten, Regel- und Ausnahmetatbestand gegeneinander auszutauschen, um nicht
zu sagen, gegeneinander auszuspielen, sei einigermaßen "tricky". Man könnte, abgesehen von den Entscheidungsgründen des SG, zusätzlich darauf verweisen, dass jede echte Beweislastumkehr eine normative Regelung voraussetze. Anders gewendet: Echte
Umkehr der Beweislast setze eine durch Rechtsfortbildung geschaffene Norm voraus. Daran fehle es.
Nachdem die Zuständigkeit für den Rechtsstreit durch Beschluss des Präsidiums des LSG vom 10. auf den 11. Senat übergangen
ist, hat der Senatsvorsitzende mit Verfügung vom 04.05.2022 darauf hingewiesen, dass die Berufung der Beklagten nach vorläufiger
Prüfung der Sach- und Rechtslage unbegründet sein dürfte.
Anschließend haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet über die Berufung der Beklagten gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) ohne mündliche Verhandlung. Die Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise eiverstanden erklärt.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß den §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG statthaft und wurde von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegt. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind die
Bescheide der Beklagten vom 28.04.2017 und 27.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2017 (§ 95 SGG), mit denen die Beklagte nach Durchführung einer Betriebsprüfung Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 87.121,23 € festgesetzt
hat. Der Bescheid vom 27.10.2017, mit dem die Beklagte die Forderung ermäßigte, im Übrigen aber auf die Feststellungen im
Bescheid vom 28.04.2017 verwies, ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden. Gegen diese Bescheide wendet sich die Klägerin zutreffend mit der Anfechtungsklage
(§ 54 Abs 1 und 2 SGG). Nicht Streitgegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens sind Beiträge iHv 673,87 €. Dieser Betrag setzt sich aus einem
Betrag für den Beschäftigten M von 427,72 € für die Zeit vom 09.07. bis 31.07.2015 und einem Betrag von 246,15 € für die Zeit
vom 01.08. bis 14.08.2015 zusammen. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2017 bestandskräftig geworden, da die
Klägerin ihren Widerspruch bezüglich der Festsetzungen für den Beschäftigten M für die Zeit ab dem 09.07.2015 zurückgenommen
hat. Im Widerspruchsbescheid wird die Zeit vom 09.07. bis 14.08.2015 als nicht mehr streitig bezeichnet; es wird also hierüber
keine (erneute) Entscheidung mehr getroffen. Den Betrag von 673,87 € hat die Klägerin also zu zahlen bzw kann sie - soweit
sie die gesamte Summe bereits an die Einzugsstelle entrichtet hat - nicht mehr zurückverlangen.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin
in ihren Rechten. Das SG hat deshalb der Klage zu Recht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben.
Der Senat stimmt mit dem SG darin überein, dass die (nach Erlass des Änderungsbescheides vom 27.10.2017 noch) 51 Saisonarbeitskräfte in den im Widerspruchsbescheid
genannten Zeiträumen gegen das dort genannte Entgelt im Sinne des § 7 Abs 1 SGB IV abhängig beschäftigt waren, so dass grundsätzlich Versicherungspflicht und Beitragspflicht in dem von der Beklagten festgestellten
Umfang vorgelegen hätte. Der Senat ist jedoch ebenso wie das SG der Auffassung, dass in allen Fällen Versicherungsfreiheit wegen zeitlich geringfügiger Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV bestand. Eine zeitlich geringfügige Beschäftigung setzt nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV (in den vom 11.08.2010 bis zum 31.12.2018 geltenden Fassungen) ua voraus, dass die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres
auf längstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt
ist. In der Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 galten gemäß § 115 SGB IV (in der durch Art 9 Nr 3 Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11.08.2014 <BGBl I 1348> bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung) abweichende Zeitgrenzen
von 3 Monaten oder 70 Arbeitstagen. Die maßgeblichen Zeitgrenzen wurden bezüglich aller Arbeitnehmer eingehalten; davon geht
auch die Beklagte aus.
Die Saisonkräfte übten, wie das SG zutreffend entschieden hat, ihre Tätigkeit nur gelegentlich und nicht regelmäßig aus. Der Umstand, dass sich die von den
Arbeitnehmern ausgeübten Beschäftigungen nach saisonalen Gegebenheiten richteten, spricht für eine nur gelegentlich ausgeübte
Beschäftigung (Latzel, NZS 2022, 281, 282). Da das den Saisonkräften von der Klägerin gezahlte Entgelt in allen Fällen mehr als 400 € (diese Grenze galt bis zum
31.12.2012) bzw mehr als 450 € (diese Grenze gilt vom 01.10.2013 bis zum 30.09.2022) betrug, hängt das Vorliegen einer zur
Versicherungsfreiheit führenden zeitlich geringfügigen Beschäftigung davon ab, ob die Saisonarbeitskräfte ihre Tätigkeit berufsmäßig
ausgeübt haben.
Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird dann berufsmäßig ausgeübt iS von § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV, wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt
überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf
dieser Beschäftigung beruht (st Rspr, vgl ua BSG 14.03.2018, B 12 KR 17/16 R, SozR 4-2600 § 163 Nr 2, Rn 12). Im vorliegenden Fall lässt sich nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, ob
die Saisonarbeitskräfte ihre Tätigkeit für die Klägerin berufsmäßig ausgeübt haben. Dies geht hier zu Lasten der Beklagten.
Diese trägt die Feststellungslast für die Berufsmäßigkeit, die im Rahmen eines Streits um die Versicherungspflicht nach §
8 Abs 1 Nr 2 SGB IV eine die Geringfügigkeit möglicherweise ausschließende und damit die angefochtenen Beitragsbescheide stützende Tatsache darstellt
(BSG 11.05.1993, 12 RK 23/91, SozR 3-2400 § 8 Nr 3; Knospe in: Hauck/Noftz SGB IV, §?8 Rn 55; Ziegelmeier, NZA 2021, 1534, 1536; vgl auch BSG 05.12.2017, B 12 R 10/15 R, SozR 4-2400 § 8 Nr 7, Rn 18).
Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Angabe des Status "Hausfrau oder -mann" in dem zweisprachigen "Fragebogen" nicht
per se dazu führt, dass diese Personengruppe versicherungs- und beitragsfrei in der jeweiligen zeitgeringfügigen Tätigkeit
ist. Der Status "Hausfrau" oder "Hausmann" setzt gerade voraus, dass diese (Saison-)Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt grundsätzlich
nicht zur Verfügung stehen (zB bei Pflege von Familienangehörigen) und auch nicht als "Arbeitslose" beurteilt werden können
(Ziegelmeier, NZA 2021, 1534, 1536). Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass die Klägerin zur Beurteilung der Versicherungspflicht
einen zweisprachigen Fragebogen verwendet hat, den die Beklagte bzw andere Sozialversicherungsträger dazu zur Verfügung gestellt
hatten. Der von der Klägerin verwendete Fragebogen enthält unter Nr 6 den Hinweis, dass die Frage, wovon die Saisonkraft in
ihrem Heimatland ihren Lebensunterhalt verdient, nur beantwortet werden muss, wenn sämtliche vorstehenden Fragen - darunter
die Frage: "Sind Sie Hausfrau/Hausmann?" - mit nein beantwortet wurden. Wurde die Frage nach einer Tätigkeit als Hausfrau/Hausmann
dagegen - wie in allen hier zu beurteilenden Fällen - bejaht, mussten die Saisonkräfte die Frage, wovon sie in Rumänien ihren
Lebensunterhalt bestreiten, nicht beantworten. Zwischenzeitlich wurde der Fragebogen so geändert, dass die Frage nach dem
Bestreiten des Lebensunterhalts auch dann beantwortet werden muss, wenn angegeben wird, Hausfrau oder Hausmann zu sein und
die Fragen nach einer Beschäftigung bzw selbständigen Tätigkeit und einer Arbeitslosigkeit verneint wurden (vgl der jetzt
zum Download bereitgestellte Fragebogen unter https://www.minijob-zentrale.de/SharedDocs/Downloads/DE/Formulare/gewerblich/fragebogen_saisonarbeitnehmer_rumaenien.html;
hierzu ausführlich Latzel, NZS 2022, 281, 286).
Die Beklagte macht nun geltend, dass die Angaben der Saisonkräfte nur plausibel wären, wenn ein "Hinterfragen" stattgefunden
hätte und hierauf sodann mitgeteilt worden wäre, in welchem Haushalt die "Hausfrau-/Hausmann-Tätigkeit" stattfinde, von welcher
anderen Person der Betreffende unterhalten, also wovon der Lebensunterhalt bestritten werde. Da dies versäumt worden sei,
sei die Klägerin ihrer Aufzeichnungspflicht als Arbeitgeberin nicht nachgekommen und habe damit gegen ihre Mitwirkungspflicht
verstoßen. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Beklagte unternimmt mit dieser Argumentation den Versuch, eigene
Versäumnisse bei der Aufklärung des Sachverhalts im Nachhinein der Klägerin anzulasten. Der von den Saisonarbeitskräften angegebene
Status als Hausfrau bzw Hausmann wird von der Beklagten bestritten bzw in Zweifel gezogen, weil die Angabe nicht plausibel
sei. Die Angabe kann aber gerade deshalb nicht auf Schlüssigkeit geprüft werden, weil die Gestaltung des Fragebogens auf nähere
Angaben, von wem und wovon der Lebensunterhalt bestritten wird, verzichtet. Die Argumentation der Beklagten verstößt gegen
den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog). Das Bestreiten der Beklagten stellt in diesem Fall eine Form der unzulässigen Rechtsausübung nach Verletzung eigener
Sorgfaltspflichten dar. Damit kann eine Verletzung der Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten der Klägerin (und eine damit
einhergehende Umkehr der Feststellungslast) nicht begründet werden. Sonstige Indizien, die für eine Berufsmäßigkeit sprechen
könnten (ua vorangegangene oder anschließend beabsichtigte Tätigkeit), liegen nicht vor. Dies hat das SG ausführlich begründet; hierauf wird verwiesen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm §§ 1 Abs 2 Nr 3, 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich
nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag
des Klägers - wie vorliegend - eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe
maßgebend (§ 52 Abs 3 Satz 1 GKG). Im Berufungsverfahren bestimmt sich der Wert durch die Anträge des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 2 Satz 1 GKG). Die Wertfestsetzung kann von Amts wegen von dem Rechtsmittelgericht geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache
in der Rechtsmittelinstanz schwebt (§ 63 Abs 3 Satz 1 Nr 2 GKG). Da wie bereits dargelegt schon bei Erhebung der Klage nur noch eine Beitragsfestsetzung über 87.121,23 € streitig war,
ist der Streitwert sowohl für das Klage- als auch für das Berufungsverfahren auf diesen Betrag festzusetzen.
Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.
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