Anspruch auf Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung; Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen einer Quarzstaublungenerkrankung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen einer von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit
(BK) nach Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung [Silikose] - im folgenden BK 4101) der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) streitig.
Der 1962 geborene Kläger ist seit 1978 mit Unterbrechungen (Bundeswehr vom 1. Januar bis 31. August 1983; Gleisbau 1985 bis
1987) als Steinmetz tätig (Bl. 8 V-Akte).
Am 18. November 2005 wurde der Kläger wegen einer beidseitigen Pneumonie mit Pleuraerguss links in der Klinik L. aufgenommen
und stationär bis zum 23. November 2005 behandelt. Dabei wurde die Verdachtsdiagnose einer Silikose gestellt und der Beklagten
am 28. November 2005 angezeigt (Bl. 2 V-Akte).
Die Beklagte holte zunächst eine Auskunft bei dem aktuellen Arbeitgeber des Klägers, der Steinsanierung und Denkmalpflege
C., wo der Kläger seit 25. November 1985 als Werkstattleiter tätig ist, ein. Diese teilte mit Schreiben vom 15. Dezember 2005
mit, der Kläger sei mit Steinmetz- und Steinbildhauerarbeiten beschäftigt gewesen, habe alle G-20-Untersuchungen regelmäßig
eingehalten, zuletzt am 6. Februar 2004, und sei Raucher (Bl. 13 f. V-Akte).
Der Präventionsdienst der Beklagten (PD) ermittelte auf der Basis der von den Firmen Sch. und H. sowie Steinsanierung und
Denkmalpflege C. mitgeteilten Arbeiten mit quarzhaltigen Materialien wie den klägerischen Angaben, dass der Kläger nach seiner
Lehre von 1981 bis 1985 bei der Firma Sch. und H. zu 90% seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien und seit 1987 bei der
Firma Steinsanierung und Denkmalpflege C. zu 100% seiner Arbeitszeit quarzhaltige Materialien verarbeitet habe und dabei der
Arbeitsplatzgrenzwert (zur Zeit 0,15 mg/m3) überschritten worden sei. Der Kläger sei von 1981 bis 2005 Raucher gewesen und
habe 20 Zigaretten pro Tag konsumiert (Bl. 18 ff. V-Akte).
Ferner zog die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der AOK (Bl. 26 ff. V-Akte) sowie den Entlassungsbericht
der Klinik L. vom 25. November 2005 (kleinfleckige Infiltrationen des subpleuralen Lungenparenchyms) bei.
Schließlich veranlasste die Beklagte eine lungenärztliche Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung. Dr. B. beschrieb
eine leichtgradige zentral- und leicht bis mittelgradige peripher-bronchiale Obstruktion sowie eine bronchiale Hyperreagibilität
von annähernd asthmatypischem Grade. Er diagnostizierte eine Silikose I (bis II), COPD (Schweregrad II nach GOLD), bronchiale
Hyperreagibilität/Asthmaneigung, langjährigen Nikotinkonsum, Zustand nach Pneumonie beidseits 11/2005 mit Pleuraerguss, diffuse
Hepatopathie (z.B. äthyltoxisch) sowie Hyperurikämie. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der BK 4101 seien
gegeben, wobei es sich um eine gering gestreute Silikose handele. Auch der geschilderte Nikotinkonsum von 20 bis 30 Zigaretten
seit dem 16. Lebensjahr könne zu der obstruktiven Atemwegserkrankung mit Emphysembildung führen. Im speziellen Fall sei die
BK auf die leichtere Gasaustauschstörung unter Belastung/Tendenz zur Belastungshypoxämie zurückzuführen. Die anderen Erkrankungen
seien nicht beruflich verursacht. Die MdE werde auf 10 vom Hundert (v. H.) seit eindeutiger Diagnosestellung 11/2005 eingeschätzt.
Dabei sei berücksichtigt, dass die obstruktive Atemwegserkrankung bislang unbehandelt und einer medikamentösen Behandlung/therapeutischen
Maßnahmen zugänglich sei (Bl. 63 ff. V-Akte).
Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dres. R. und St., Klinik für Berufskrankheiten Bad R.,
ein. Diese führten aus, die geringgradige Silikose erfülle die Voraussetzung der BK 4101, wobei der beobachtete Abfall des
Sauerstoffpartialdruckes unter körperlicher Belastung Folge der emphysematösen Lungenveränderung sei. Die Silikose sei auch
nicht ursächlich für die bronchiale Hyperreagibilität, zumal die Quarzstaub-Exposition über Tage stattgefunden habe. Eine
BK-bedingte Lungenfunktionsbeeinträchtigung liege nicht vor und eine MdE aufgrund der BK 4101 bestehe derzeit nicht (Bl. 92
ff. V-Akte).
Gestützt hierauf anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2006 eine Silikose als Folge der BK 4101 an und lehnte
einen Anspruch auf Verletztenrente ab, da die geringgradige Silikose keine Einschränkung der Lungenfunktion bedinge. Nicht
als Folgen der Berufskrankheit wurden die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, die bronchiale Hyperreagibilität, der Zustand
nach Pneumonie, der Nikotinkonsum, die diffuse Hepatopathie und die Hyperurikämie anerkannt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger erstmalig vom 7. Februar bis 7. März 2007 eine stationäre Heilbehandlung in der Klinik für
Berufskrankheiten Bad R.. Unter Therapie zeigte sich ein regelrechter Atemwegswiderstand, die Lungenüberblähung bildete sich
bis auf eine mäßige Ausprägung zurück, Husten und Auswurf bestanden am Ende des Heilverfahrens nicht mehr. Unter Nikotinersatztherapie
sowie psychologischer Unterstützung konnte der Kläger das inhalative Zigarettenrauchen vollständig einstellen (Bl. 117 f.
V-Akte).
Danach gewährte die Beklagte dem Kläger erneut ein stationäres Heilverfahren vom 12. Januar bis 9. Februar 2010 in der Klinik
für Berufskrankheiten Bad R.. Hierbei zeigte sich eine mäßige, gut reversible zentrale und schwere periphere obstruktive Ventilationsstörung.
Der Atemwegswiderstand konnte unter Therapie im Normbereich gemessen werden. Die Lungenüberblähung war auf eine mäßige Ausprägung
zurückzubilden. Die respiratorische Insuffizienz in Ruhe und unter Belastung war am Ende der Behandlung nicht mehr zu zeigen.
Unter Nikotinersatztherapie und verhaltenstherapeutischer Betreuung konnte der Kläger das Tabakrauchen deutlich reduzieren,
so dass auch der Hustenreiz gelindert war. Insgesamt wurden die Anwendungen gut vertragen und es kam zu einer guten Allgemeinerholung
(Bl. 139 f. V-Akte).
In ihrem im Rahmen des letzten Heilverfahrens erstellten Gutachten kamen Dres. R. und St. zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung
der neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin
und Umweltmedizin (AWMS-Leitlinie) die vorliegende obstruktive Ventilationsstörung als rechtlich wesentlich durch die bestehende
Silikose verursacht anzusehen sei. Die hierdurch verursachte BK-bedingte MdE sei mit 20 v. H. ab 5. Juli 2006 zu berücksichtigen,
da diese anlässlich der gutachtlichen Untersuchung beschrieben worden sei. Hingegen sei die mitgeteilte Lungenfunktionsanalyse
vom 25. November 2005 angesichts der beiderseitigen Pneumonie nicht aussagefähig.
Gestützt hierauf nahm die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 5. August 2010 den Bescheid vom 24. August 2006 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und bewilligte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. ab 6. Juli 2006. Hierbei berücksichtigte
sie eine radiologisch nachgewiesene Quarzstaublungenerkrankung mit mäßiger zentraler und deutlicher peripherer obstruktiver
Ventilationsstörung (Bl. 170 ff. V-Akte).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, die Beklagte habe eine zwischenzeitlich festgestellte Asbestose
ebenso wenig wie ein Karpaltunnelsyndrom berücksichtigt, so dass die MdE mindestens 50 v. H. betragen müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei der Einschätzung
der berufskrankheitsbedingten MdE könnten nur die Folgen der BK, nicht jedoch davon unabhängige Erkrankungen berücksichtigt
werden. Das Gutachten Dres. R. und St. habe bestätigt, dass die durch die BK begründete MdE lediglich 20 v. H. betrage.
Hiergegen hat der Kläger am 1. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2010 hat die Beklagte eine BK 4103 - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub
verursachte Erkrankung der Pleura - anerkannt, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente indessen abgelehnt, da dadurch keine
MdE begründet werde. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011) wie
das angestrengte Klageverfahren beim SG (S 5 U 729/11), nachdem der Kläger im Erörterungstermin vom 14. März 2012 die Klage zurückgenommen hat.
In dem parallel geführten Rechtsstreit um Anerkennung einer Drucklähmung der Nerven als BK 2106 hat sich die Beklagte im Erörterungstermin
vom 14. März 2012 verpflichtet, den bestandskräftigen Bescheid vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31. Juli 2008 nach § 44 SGB X zu überprüfen (S 5 U 1772/11).
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG ein weiteres lungenärztliches Gutachten bei Dr. G., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Innere Medizin, Allergologie
und Umweltmedizin, eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der
Befund seit November 2005 kaum verändert habe. Lediglich die 2006 initial vorhandene Lungenentzündung habe sich vollständig
zurückgebildet. Eine Zunahme der Obstruktion sei nicht zu registrieren. Eine wesentliche Störung des pulmonalen Gaswechsels
liege nicht vor, auch keine Zeichen einer vermehrten Rechtsherzbelastung. Der Kläger leide nach Aufgabe des Rauchens nur noch
an einer ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung, wobei sich bei der klinischen Untersuchung
kein obstruktionstypisches Atemgeräusch habe provozieren lassen. Die Obstruktion sei nicht reversibel, d.h. durch Medikamente
nicht rückführbar. Unter Zugrundelegung der sogenannten Bochumer Empfehlung, wonach nicht der radiologisch nachweisbare Befund,
sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion) maßgebend
für die Beurteilung der Leistungseinschränkungen seien, entspreche die bestehende Leistungsminderung einer MdE von 20 v. H.
Lediglich bei der Erstdiagnose sei die Lungenfunktionsuntersuchung noch etwas schlechter ausgefallen als die aktuelle, was
jedoch auf die gleichzeitige Lungenentzündung zurückzuführen sei. Die leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung habe sich
seit 2006 nicht wesentlich geändert. Eine restriktive Ventilationsstörung bestehe dagegen nicht.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 14. März 2012 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten Dres. R. und St. wie auch Dr. G. mit Urteil vom 26. März 2012 zurückgewiesen. Unter
Zugrundelegung der anamnestischen Angaben des Klägers, der klinischen Befunde, der Ergebnisse der Lungenfunktionsprüfungen,
der Blutgasanalysen, der Spiroergometrie und der Therapie sei die übereinstimmende Bewertung der MdE mit 20 v. H. plausibel.
Es seien weder Gründe ersichtlich noch vorgetragen, die ein Abweichen von dem übereinstimmenden Vorschlag der erfahrenen Sachverständigen
rechtfertigen würden.
Gegen das am 17. April 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Mai 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, unter
Anwendung der "Bochumer Empfehlung" und der dort abgebildeten Tabelle mit Richtwerten zur MdE-Einschätzung ergebe sich eine
MdE von 30 v. H. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die anerkannte Asbestose mit einer MdE von 20 v. H. bewertet werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. März 2012 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2010 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen
der Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung eine Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass das Sachverständigengutachten von Dr. G. die bisherige Beurteilung bestätigt habe, wonach die anerkannte
Silikose nicht zu einer Störung des pulmonalen Gaswechsels geführt habe, die so signifikant sei, dass sie eine MdE von mehr
als 20 v. H. rechtfertigen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie das Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten S 5 U 4446/10, S 5 U 729/11 und S 5 U 1772/11 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143 und
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und nach §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab 6. Juli 2006.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger erstrebte Leistung ist §
56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (§
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens
die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§
56 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind dabei nach §
56 Abs.
1 Satz 3
SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem
Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern
vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche
Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche
Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem
soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen
beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher
und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens
und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt
werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung
im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen
der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
In Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigen die von der Beklagten anerkannte BK 4101 und die dadurch verursachten Funktionsbeeinträchtigungen
auch zur Überzeugung des Senats keine MdE von mehr als 20 v. H. Dabei kommt es auf die dadurch begründeten Beeinträchtigungen
des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Feststellung der MdE, nicht hingegen die Leistungseinschränkungen
durch die BK 4103 oder BK 2106 an, denn diese sind, was die Beklagte zu Recht mit ihrer Berufungserwiderung vorgetragen hat,
nicht streitbefangen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang klarstellend darauf hin, dass der Kläger die Klage wegen der
BK 4103 zurückgenommen hat, so dass somit bestandskräftig feststeht, dass die anerkannte Asbestose keine MdE begründet. Hinsichtlich
der BK 2106 ist sogar deren Anerkennung streitig.
Der Kläger leidet danach an einer nur leichtgradigen Silikose, die zu einer leichten obstruktiven Ventilationsstörung führt
und der deswegen mit einer MdE von 20 v. H. ausreichend Rechnung getragen wird. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten von
Dr. G.. Seine Einschätzung beruht auf der Auswertung der Voruntersuchungsbefunde von Dres. R. und St.. Alle drei Ärzte gehen
davon aus, dass die Silikose allenfalls als leichtgradig zu bewerten ist. Dafür spricht, dass der Kläger nur noch an einer
ganzjährigen milden Husten-Auswurf-Symptomatik mit Kurzatmigkeit bei Belastung leidet, wobei sich bei der klinischen Untersuchung
kein obstruktionstypisches Atemgeräusch hat provozieren lassen. Nach der sogenannten Bochumer Empfehlung ist nicht der radiologisch
nachweisbare Befund, sondern die mit diesen Veränderungen verbundenen Funktionsstörungen (insbesondere Einschränkung der Lungenfunktion)
maßgebend und begründet eine gesicherte Silikose mit geringgradiger Belastungsdysnope mit normalem oder vermindertem Sauerstoffpartialdruck
bei sehr hoher Belastung (100% des Sollwerts) eine MdE von 20 v. H. (Mertens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung, M 4101 S. 21; Sch.berger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, 17.2.9. Nr. S. 1017).
Nach den Untersuchungsbefunden des Sachverständigen Dr. G. ist dies beim Kläger der Fall, der bei der Anamnese keine Ruhedyspnoe
oder Zyanose zeigte. Auch die Spiroergometrie/Bodyplethysmographie ergab eine maximal erzielte Sauerstoffaufnahme von 1621
ml/min (65% des Zielwertes) bei hoher Atemreserve (50%) und mäßiger Herzfrequenzreserve zu Belastungsende, so dass die anerobe
Schwelle auf der 90-Wattstufe erreicht wurde und damit im Normbereich liegt. Somit ist der Sachverständige zu Recht zu dem
Ergebnis gelangt, dass im Bereich mittlerer körperlicher Anstrengung eine ventilatorische Leistungslimitation nicht erkennbar
ist, so dass ein Funktionsdefizit bis im mittleren Bereich nicht nachweisbar ist. Eine Rechtsherzbelastung bestand ebenfalls
nicht. Das wurde auch durch die Analyse der Volumenzeitkurven, Flussvolumenkurven und Flussdruckkurven wie den Bronchospasmolysetest
bestätigt, die jeweils nur eine leichtgradig fixierte bronchiale Obstruktion und Verschiebung der Atemmittellage (Überblähung)
ergaben. Der pulmonale Gaswechsel schließlich war bis auf eine grenzwertige Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid nicht eingeschränkt.
Eine Hypoxämie in Ruhe und unter Belastung bestand nicht, so dass insgesamt die gutachterliche Schlussfolgerung, dass eine
klinisch signifikante Störung des pulmonalen Gaswechsels nicht vorliegt, auch für den Senat gut begründet und nachvollziehbar
ist.
Dass bei der Erstdiagnose 2005 die Lungenfunktionsuntersuchung schlechter ausgefallen ist, ist nach den überzeugenden Darlegungen
des Sachverständigen allein darauf zurückzuführen, dass der Kläger damals noch an einer akuten Lungenentzündung litt. Das
wird aus Sicht des Senats dadurch bestätigt, dass bereits die erste gutachterliche Untersuchung von Dr. B. vom 5. Juli 2006,
mithin mit ausreichendem Abstand zur durchgemachten Lungenentzündung, eine nur leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung
zeigte, die sich seitdem nicht wesentlich geändert hat.
Insoweit ist eine Quantifizierung des zigarettenrauchbedingten Anteils der Funktionsminderung nicht möglich, der Sachverständige
geht deswegen zu Recht davon aus, dass der Einwirkung des silikogenen Staubs ein rechtlich wesentlicher Anteil für die Entstehung
des Krankheitsbildes und die Lungenfunktionsminderung zukommt.
Anhaltspunkte dafür, warum die MdE in Anbetracht der Funktionsprüfungen im Falle des Klägers nicht ausreichend bemessen sein
soll, wurden nicht konkret vorgetragen und sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
Der Berufung war daher mit der Kostenfolge des §
193 SGG zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.