Kostenerstattung zwischen Verfahrensbeteiligten
Ermessenentscheidung
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Klägerin für die ab dem 01.03.2010 als Angestellte der A. AG (A.) ausgeübte
Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien war.
Die Klägerin, zugelassene Rechtsanwältin und Mitglied der Rechtsanwaltskammer sowie Pflichtmitglied der bayerischen Versorgungskammer,
war mit Bescheid der Beklagten vom 10.04.2003 für eine Tätigkeit als Justiziarin bei der B. AG nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden. Zum 01.03.2010 wechselte die Klägerin
zur A. und beantragte auch für diese Tätigkeit eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Es handelt sich um eine
gleich gelagerte Tätigkeit bei einer Konzerntochter. Aus der eingereichten Stellen- und Tätigkeitsbeschreibung ergebe sich,
dass die Tätigkeit weiterhin dem rechtsanwaltlichen Berufsbild zuzuordnen sei.
Mit streitigem Bescheid vom 10.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2011 lehnte die Beklagte eine Befreiung
ab. Die Tätigkeit der Klägerin setze entsprechend der Stellen- und Funktionsbeschreibung objektiv nicht zwingend eine Qualifikation
als Volljuristen voraus, allein die Stellenbezeichnung als "Justiziar" lasse einen entsprechenden Rückschluss nicht zu. Die
Tätigkeit der Klägerin müsse vielmehr vier Kriterien (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung sowie Rechtsvermittlung)
erfüllen, um zu einer Befreiung führen zu können. Zwar sei die Klägerin als zugelassene Rechtsanwältin Pflichtmitglied der
Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks, aus der Stellen- und Funktionsbeschreibung lasse sich jedoch eine unabhängige
Entscheidungsbefugnis wie auch eine wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen in den vier genannten
Bereichen nicht entnehmen.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht München statt. Mit Urteil vom 12.10.2012 hob es die angegriffenen Bescheide
auf und verpflichtete die Beklagte, die Klägerin für ihre Tätigkeit bei der A. ab 01.03.2010 von der Rentenversicherungspflicht
zu befreien. Die Klägerin sei als Rechtsanwältin zugelassen, Mitglied der Rechtsanwaltskammer und des berufsbezogenen Versorgungswerks.
Die Ermittlungen, insbesondere die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Zeugeneinvernahme des unmittelbaren Vorgesetzten
der Klägerin, hätten ergeben, dass die Tätigkeit der Klägerin die vier genannten Kriterien erfülle. Auf die nach internationalen
Kriterien verfasste Stellenbeschreibung könne insofern nicht abgestellt werden.
Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte am 06.12.2012 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Im Hinblick auf mehrere
zur streitgegenständlichen Frage anhängige Revisionen wurde das Verfahren ruhend gestellt. Nachdem der 5. Senat des Bundessozialgerichts
(BSG) mit Urteilen jeweils vom 03.04.2014 festgestellt hatte, dass es auf die Prüfung der genannten vier Kriterien nicht ankomme,
da eine Befreiung in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich ausscheide, schuf der Gesetzgeber u.a. durch Einfügung des
§
231 Abs.
4b SGB VI zum 01.01.2016 die Möglichkeit der Zulassung als Syndikusanwalt und einer darauf gestützten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht.
Daraufhin wurde das Verfahren fortgesetzt. Nachdem die Klägerin ihre Zulassung als Syndikusanwältin erhalten hatte, gab die
Beklagte dem von der Klägerin in der Folge nach der neuen Rechtslage gestellten Antrag statt und befreite die Klägerin mit
Bescheiden vom 15.11.2017 und 08.01.2018 für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum von der Rentenversicherungspflicht.
Daraufhin erklärten die Beteiligten - nach Hinweis des Gerichts, dass damit das Rechtsschutzbedürfnis für das nach der alten
Rechtslage anhängige Verfahren entfallen sei - den Rechtstreit übereinstimmend für erledigt und stellten Antrag auf Kostenentscheidung
nach §
193 SGG.
II.
Nach §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Nach
Satz 3 entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wurde. Ein solcher Fall liegt
hier vor, da das Verfahren in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärung endete, die Klägerin zu den nach
§
183 SGG kostenprivilegierten Personen zählt und die Beteiligten Antrag auf gerichtliche Kostenentscheidung gestellt haben. Die Entscheidung
ergeht aufgrund der unstreitigen Erledigung der Hauptsache gem. §
155 Abs.
2 Nr.
5 SGG durch den Vorsitzenden als Berichterstatter.
Die Entscheidung ist nach billigem Ermessen zu treffen und hat den bisherigen Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Dabei
sind zum einen die Erfolgsaussichten der Klage, zum anderen die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu betrachten.
Das voraussichtliche Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens ist hierbei jedoch nicht das allein wesentliche Entscheidungskriterium,
es sind auch alle weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. So kann eine Rolle spielen, worauf der Anlass zur
Klageerhebung beruht hat, insbesondere ob er durch eine falsche Begründung eines Verwaltungsaktes oder durch eine sonstige
falsche Sachbehandlung gesetzt wurde, auch wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/
Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, Rn. 13ff. zu § 193; BSG, Urteil vom 20.06.1962, Az.: 1 RA 66/59; Urteil vom 30.08.2001, Az.: B 4 RA 87/00 R; Urteil vom 18.07.1989, Az.: 10 RKg 22/88).
Unter Zugrundelegung dieser Prämissen ist zunächst festzustellen, dass die Berufung der Beklagten ohne die zum 01.01.2016
vorgenommene Änderung der Rechtslage (Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015, BGBl. I 2015, 2517) voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Die während des Berufungsverfahrens ergangenen Entscheidungen des BSG (Urteile vom 03.04.2014, Az.: B 5 RE 3/14 R u.a.), welche der von der Beklagten vorgenommenen sog. "4-Kriterien-Prüfung"
eine Absage erteilten und eine Befreiungsmöglichkeit für eine anwaltliche Tätigkeit bei nicht anwaltlichen Arbeitgebern generell
ausgeschlossen haben, hätten es notwendig gemacht, das Urteil des SG aufzuheben und der Berufung der Beklagten stattzugeben. Zutreffend hat die Beklagte insoweit darauf hingewiesen, dass die
nach der ab dem 01.01.2016 geltenden Rechtslage erteilten Befreiungen nicht Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens geworden
sind. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 22.03.2018, AZ: B 5 RE 12/17 B) sind insoweit die Voraussetzungen
§
96 SGG nicht gegeben.
Andererseits ist zur Überzeugung des Senats jedoch zu berücksichtigen, dass bis zum Vorliegen der Entscheidungen des BSG die Prüfung der von der Beklagten zugrunde gelegten vier Kriterien als zumindest ergebnisoffen anzusehen war und das SG der Klage stattgegeben hatte. Zudem spricht für eine zumindest anteilige Kostenerstattungspflicht der Beklagten der Umstand,
dass sie durch eine unzutreffende Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes mitursächlich Veranlassung zur Klageerhebung
gegeben hat. Mit der Annahme, ein Befreiungsrecht für eine bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber ausgeübte Tätigkeit würde
von der Frage abhängen, ob die Beschäftigung die Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und
Rechtsvermittlung kumulativ abdeckt, hat die Beklagte ihrer Entscheidung einen rechtlich nicht begründbaren Beurteilungsspielraum
zugrunde gelegt. Denn nach den Urteilen des BSG vom 03.04.2014 (a.a.O.) ist ein Befreiungsrecht nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI im Rahmen einer Beschäftigung bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber per se ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommen
würde, ob die in Frage stehende Beschäftigung inhaltlich Elemente der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist. Das BSG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die von der Beklagten herangezogene 4-Kriterien-Theorie an einer Rechtsgrundlage
fehlt. Die falsche Begründung der Beklagten war damit - unbeschadet der Tatsache, dass auch bei zutreffender Begründung eine
Befreiung hätte abgelehnt werden müssen - jedenfalls mitursächlich dafür, dass die Klägerin den Rechtsweg mit der zum damaligen
Zeitpunkt nachvollziehbaren Argumentation beschritten hat, die Beklagte habe den vermeintlich bestehenden Beurteilungsspielraum
falsch ausgeschöpft und dadurch die ihrer Prüfung zugrunde gelegten Kriterien unzutreffend verneint. Das Gericht hält dementsprechend
in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens unter Abwägung sowohl des bisherigen Sach- und Streitstandes wie auch des Veranlassungsprinzips
eine Quotelung der außergerichtlichen Kosten für angezeigt. An der noch mit Beschluss vom 28.12.2017 (L 6 R 724/16) in einem vergleichbaren Fall ausgesprochenen hälftigen Kostenteilung hält das Gericht im Hinblick auf die Klarstellung des
BSG zum Streitgegenstand (Beschluss vom 22.03.2018, a.a.O.) hingegen nicht mehr fest.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.