Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten war die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (insbesondere im Faktor Bemessungsentgelt) des
1955 geborenen Klägers streitig. Dieser hatte am 20.10.2003 (Bescheid vom 12.11.2003, Änderungsbescheid vom Januar 2004, Widerspruchsbescheid
vom 03.05.2004) einen Anspruch über 180 Tage erworben, der nach Wiederbewilligung vom 27.05.2004 von der Beklagten restlos
erfüllt worden ist.
Das Sozialgericht (SG) hat die am 03.06.2004 erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.05.2008 abgewiesen. Das Bayer. Landessozialgericht (LSG)
hat die Berufung gemäß §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) mit Beschluss vom 19.12.2008 dem Berichterstatter (VRiLSG) übertragen. Nach mündlicher Verhandlung wurde die Berufung gegen
den Gerichtsbescheid durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter zurückgewiesen (Urteil vom 03.03.2009) und
einem Vertagungsantrag nicht stattgegeben.
Auf die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG auf
und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück. In seinem Beschluss vom 25.02.2010 (B 11 AL 113/09 B) führte das BSG aus, dass das LSG zur Terminsverlegung bzw. zur Vertagung verpflichtet gewesen wäre.
Am 07.12.2010 hat der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt nunmehr:
1. Es wird festgestellt, dass das Verfahren des Sozialgerichts München zum Az.: S 35 AL 855/04 und der Gerichtsbescheid vom 28.05.2008 die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 6 Abs. 1 EMRK, Artikel
2 in Verbindung mit Art
20 Abs.
3 Grundgesetz, Artikel
19 Abs.
4 Grundgesetz und Artikel
103 Abs.
1 Grundgesetz verletzt hat; der Gerichtsbescheid wird aufgehoben.
2. Der Freistaat Bayern hat dem Kläger eine gerechte Entschädigung für die Verletzung seiner Rechte aus der EMRK zu zahlen.
3. Die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers werden dem Freistaat auferlegt.
Hilfsweise wird beantragt, die Beklagte habe dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Mit Schreiben vom 15.12.2010 hat die Beklagte der Klageänderung widersprochen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Senat war ordnungsgemäß besetzt. Gemäß der seit 01.04.2008 geltenden Vorschrift des §
153 Abs.
5 SGG kann der Senat in den Fällen des §
105 Abs.
2 S. 1
SGG durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen. Dies ist hier mit Beschluss vom 19.12.2008, bereits nach neu
geltendem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 28.03.2008 geschehen. An dessen
Anwendbarkeit auf Altfälle bestehen keine Zweifel (vgl. Art. 5 des oben genannten Gesetzes bzw. Grundsätze des intertemporalen
Prozessrechts).
Gegenstand der Berufung ist nach dem zuletzt ausdrücklichen gestellten Antrag des Klägers im Hauptantrag sein Verlangen auf
Feststellung der Verletzung seiner Verfahrensrechte und Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 20.05.2008.
Der bisherige Streitgegenstand ist für erledigt erklärt worden und damit gemäß der Dispositionsmaxime nicht mehr Gegenstand
des Verfahrens (vgl. §§
102,
123 SGG).
Durch die Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 07.12.2010 hat er anstelle des bisherigen prozessualen Anspruchs
einen anderen Anspruch geltend gemacht. Die damit geltend gemachte Klageänderung ist unzulässig. Es handelt sich um eine echte
Klageänderung. Keiner der in §
99 Absatz
3 SGG angesprochenen Tatbestände liegt vor. Weder erfolgte eine bloße Ergänzung oder Berichtigung des ursprünglichen Begehrens
auf höheres Arbeitslosengeld (§
99 Abs.
3 Nr.
1 SGG) noch ein weiterer gegen die Bundesagentur gerichteter Klageantrag, der in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen
erweitert oder beschränkt wurde (§
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG), wenn nunmehr von einem völlig anderen Beteiligten, dem Freistaat Bayern, Schadensersatz verlangt wird. Schließlich wird
damit auch nicht (§
99 Abs.
3 Nr.
1 SGG) statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt (§
99 Abs.
3 Nr.
3 SGG).
Darunter fällt zwar gelegentlich (vgl. §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG) der Übergang von der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zur Feststellungsklage, aber nur bei Veränderungen im selben
Rechtsverhältnis, bei den gleichen Beteiligten. Hier ist ein Beteiligten- oder Parteiwechsel, dh ein Wechsel in der Person
des Beklagten bewirkt und damit eindeutig eine Klageänderung durch die Klageerweiterung auf einen weitere Beklagten. Dies
ist zwar auch noch in der zweiten Instanz zulässig, auch die Zustimmung des neuen Beklagten ist nicht erforderlich. Dennoch
müssen die Voraussetzungen einer Klageänderung erfüllt sein.
Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen (im Folgenden unter 1) oder das Gericht
die Änderung für sachdienlich (im Folgenden unter 2) hält.
1. An einer Zustimmung der Beklagten fehlt es. Die Bundesagentur für Arbeit widerspricht in ihrem Schriftsatz vom 15.12.2010
ausdrücklich einer Klageänderung. Unabhängig vom Beteiligtenwechsel, der unter Umständen keiner Zustimmung bedarf, stimmt
die Beklagte damit insbesondere nicht dem geänderten Streitgegenstand zu, schon gar nicht dem Hilfsantrag, zu den Kosten verurteilt
zu werden.
2. Die beantragte Klageänderung ist auch nicht sachdienlich.
Eine Klageänderung ist sachdienlich, wenn sie dazu führt, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt
und endgültig bereinigt werden kann, so dass ein neuer Prozess vermieden wird (BGH NJW 58, 184; BGHZ 143, 189; BGH 27.09.2006, VIII ZR 19/04, NJW 07, 2414). Das Gericht soll die Interessen der Beteiligten und der Prozessökonomie berücksichtigen. Nicht sachdienlich
ist aber eine Klageänderung, wenn sie dazu führt, dass der Rechtsstreit auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird (BVerwG
NJW 70, 1564 sowie BGH aaO. Rn. 10 aE; Greger in Zöller § 263 Rn. 13). Dies ist dann der Fall wenn der Prozess entscheidungsreif
ist. Insoweit hat der Kläger auch die Konsequenzen gezogen und die Hauptsache für erledigt erklärt.
Für die geänderte Klage fehlt es an notwendigen Prozessvoraussetzungen. Das vom Kläger involvierten Verfahren gehört nicht
zum derzeitigen Aufgabenbereich der Sozialgerichtsbarkeit. Dazu zählen nur Erkenntnisverfahren im nach §
51 SGG zugewiesenen Rechtsweg, der einstweilige Rechtsschutz und Beweissicherungsverfahren. Die vom Kläger in Bezug genommene Änderung
des Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) mit dem zukünftigen Aufgabenbereich eines Rechtsschutzes bei überlanger Verfahrensdauer ist kein geltendes Recht.
Die Exklusivität der normierten Rechtsbehelfe bzw. der Grundsatz der Rechtsklarheit verbieten die Anwendung von im Gesetz
nicht vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten (vgl. insoweit zur Untätigkeitsbeschwerde den Beschluss des BVerfG vom 20.09.2007,
Az.: 1 BvR 775/07). Danach genügt beispielsweise die gesetzlich bislang nicht geregelte Untätigkeitsbeschwerde dem in BVerfGE 107, 395 besonders hervorgehobenen Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht (vgl. weiter BVerfG, 2003-04-30, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 ; vgl. auch EGMR, 2006-06-08, 75529/01, NJW 2006, 2389).
Aus der Judikatur geht angesichts der geforderten Rechtsklarheit auch nicht hervor, dass schon vorbeugend die Grundsätze der
beabsichtigten Neuregelung zur Anwendung gelangen sollten. Soweit sich der Kläger dazu auf das Urteil der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 08.06.2006 - 75529/01 (Sürmeli/Deutschland) stützen will, unterliegt er einer Fehlinterpretation. Der EGMR hat in diesem Urteil lediglich betont, dass - bei einer vorzunehmenden gesetzlichen Neuregelung - einem präventiv wirkenden
Rechtsbehelf vor rein kompensatorischen Vorschriften der Vorzug zu geben sei, dass aber auch eine Kombination beider Ansätze
wirkungsvoll sein könnte (Rn. 100). Die vom Kläger angeführte Entscheidung (o.g. Urteil des EMRK vom 8. 6. 2006, NJW 2006, 2389) räumt zwar ein, dass mit der Verfassungsbeschwerde eine verfassungswidrige Verfahrensverzögerung gerügt werden kann. Dies
genüge aber den Anforderungen von Art. 13 EMRK nicht, weil das BVerfG im Wesentlichen nur feststellen könne, dass eine Verfahrensverzögerung verfassungswidrig sei. Es könne
dem zuständigen Gericht keine Frist setzen oder andere konkrete Beschleunigungsmaßnahmen anordnen und auch keine Wiedergutmachung
gewähren. Auch eine Klage auf Schadensersatz nach §
839 BGB, Art.
34 GG genügt den Anforderungen von Art. 13 EMRK nicht. Wenn ein Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung durch übermäßige Verfahrensdauer auch vereinzelt anerkannt
werde, könne doch kein Ersatz für Nichtvermögensschaden verlangt werden, den der Gerichtshof nach Art. 41 EMRK gerade in Fällen überlanger Verfahrensdauer gewährt.
Nichts anderes besagt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.09.2009, 1 BvR 1304/09 (NZS 2010, 381). Auch in diesem Verfahren wurde lediglich eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art.
19 Abs. IV
GG festgestellt. Weiter ist dann ausgeführt, dass das Sozialgericht nunmehr gehalten sei, unter Berücksichtigung der obigen
Ausführungen unverzüglich sämtliche geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung (in der
Sache selbst) führten. Aber auch schon in früheren Verfahren (vgl. BVerfG, 1 BvR 165/01 vom 04.07.2001) hat eine Verzögerung nur zur Verurteilung in die Kosten der Verfassungsbeschwerde geführt.
Damit kann der Kläger ein solches Verhalten auch nicht vom erkennenden Senat verlangen.
Damit entspricht letztlich das Begehren des Klägers nicht der geltenden Rechtsordnung. Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verlangt zwar einen innerstaatlichen Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer. Einen solchen gibt es aber bislang
in Deutschland nicht (vgl. BSG 21. 5. 07, B 1 KR 4/07 S, SozR 4-1500 § 160a Nr. 17; vgl. Rn. 3h vor § 143; zur Verfahrensweise des EGMR in diesen Fällen vgl. EMGH 29.03.2006, NJW 07, 1259 - Scordino./.Italien). Solange diese Voraussetzungen nicht vorliegen kann der Beschwerdeführer lediglich geltend machen,
Opfer der Konventionsverletzung zu sein. Dieser Gerichtshof entscheidet dann in der Sache und spricht Entschädigung nach Art.
EMRK Artikel 41 EMRK zu (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 29.03.2006 - 36813/97 - Scordino/Italien, Nr. 1).
Zwar hat das Bundeskabinett am 18.08.2010 einen Gesetzentwurf über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren beschlossen,
dieser befindet sich aber noch im Gesetzgebungsverfahren und sieht keine Übergangsvorschrift im Sinne der Rückwirkung vor.
Gemäß Artikel 22 des Regierungsentwurfs gilt das Gesetz für Verfahren, die nach seinem Inkrafttreten eingeleitet werden. Am
05.10.2010 hat erst der Bundesrat Empfehlungen der Ausschüsse abgegeben (Bundesrat Drucksache 540/1/10). Darin hat er insbesondere
betont, dass die Möglichkeit einer Entschädigungsklage während des laufenden Verfahrens die Gefahr von (weiteren) Verzögerungen
birgt, und zwar auch für den Fall, dass durch das Entschädigungsgericht lediglich die Akten zur Entscheidung über eine Aussetzung
des Entschädigungsverfahrens (§
201 Abs.
3 GVG-E) angefordert werden. Die Erhebung einer Entschädigungsklage sollte daher erst nach Abschluss des zugrunde liegenden Verfahrens
möglich sein. Deswegen schlägt der Bundesrat nachfolgende Änderung des §
198 Abs.
5 Satz 1
GVG vor: die Wörter "frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge" sind durch die Wörter "erst nach Eintritt der
Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens" zu ersetzen.
Selbst nach dem geplanten Gesetzentwurf fehlt es damit an wesentlichen Voraussetzungen einer Schadensersatzklage, so der zuvor
erhobenen Verzögerungsrüge (kein "Dulde und Liquidiere") und der Durchführung eines eigenen Klageverfahrens. Schließlich ist
aber Schuldner dieses Anspruchs nur das jeweilige Land und nicht - wie hier - die Bundesagentur.
Eine Klageänderung ist aus den genannten Gründen somit nicht sachdienlich. Eine Beiladung ist nicht erforderlich. Die Berufung
hat demnach keinen Erfolg.
Außergerichtliche Kosten sind von der Beklagten (entgegen dem gestellten Hilfsantrag zu nicht zu erstatten (§
193 SGG). Es ist nicht ersichtlich, warum der Beklagten die Kosten auferlegt werden sollen. Schließlich richtet sich die Kostenentscheidung
auch nach dem endgültigen Erfolg, ungeachtet eines Teilerfolgs im Revisionsverfahren. Die Entscheidung über Kostenerstattung
ergeht nach Ermessen ohne Rücksicht auf die Anträge der Beteiligten. Das
SGG bindet die Kostenentscheidung zwar nicht an den Ausgang des Verfahrens. Der Senat muss aber neben möglichen anderen Gesichtspunkten
auch das Ergebnis des Rechtsstreits und den Sach- und Streitstand bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen. Danach
ist es in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt (vgl. u.a. BSGE 17, 124, 128; SozR 3-1500 § 193 Nr. 2, Legde SGb 96, 468, 469).
Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Gründe hierfür ersichtlich sind (§
160 Abs.
2 SGG).