Krankenversicherung der Rentner; Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten beim Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie
bei der Vorversicherungszeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zugehörigkeit der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V).
Die am 27.04.1946 geborene Klägerin ist schwedische Staatsangehörige. Am 01.01.1970 nahm sie erstmals (in Schweden) eine Erwerbstätigkeit
auf. Seit 1977 hält sich die Klägerin in Deutschland auf. Sie war zunächst Stipendiatin und Assistentin an der Universität
T., dann beim M.-P.-I. für Medizinische Forschung in H. und später bei einem Institut für Pharmazie beschäftigt. Ab 1980 war
sie bei der AOK und ab 1983 bei der Beklagten pflichtversichert.
Vom 01.06.1985 bis zum 31.07.1994 übte die Klägerin eine Beschäftigung als Chemikerin beim Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie
(EMBL) in H. aus. Das EMBL wurde durch eine Vereinbarung (Übereinkommen) vom 10.05.1973 mehrerer europäischer Staaten, darunter
auch Schweden und Deutschland, sowie Israel als zwischenstaatliche Einrichtung errichtet. Sitz des EMBL ist H.. Das EMBL besitzt
Rechtspersönlichkeit. Es schließt mit dem Staat, in dem das Laboratorium liegt, eine Sitzstaatvereinbarung über die Rechtsstellung
des Laboratoriums. Aufgrund dieser Sitzstaatvereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem EMBL
war die Klägerin von der gesetzlichen Sozialversicherung Deutschland gemäß Artikel 22 der Sitzstaatvereinbarung befreit und
in einem "organisationsinternen Sozialversicherungssystem des EMBL gegen Krankheit pflichtversichert". Die Klägerin unterfiel
daher während des Zeitraums zur Beschäftigung beim EMBL nicht dem deutschen Sozialversicherungssystem. Ab dem 01.09.1994 war
die Klägerin aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Am 20.10.2010 beantragte die Klägerin bei der beigeladenen deutschen Rentenversicherung Bund eine Regelaltersrente. Mit dem
Antrag reichte sie eine Meldung zur KVdR ein, welche die Beigeladene an die Beklagte weiterleitete. Mit Bescheid vom 12.05.2011
gewährte ihr die Beigeladene eine Regelaltersrente in Höhe eines Zahlbetrages von 926,03 Euro ab dem 01.05.2011.
Die Beklagte lehnte die Aufnahme der Klägerin in die KVdR mit Bescheid vom 09.12.2010, ab da die Klägerin die Vorversicherungszeiten
nicht erfüllt habe. Die maßgebliche Rahmenfrist laufe vom 01.01.1970 bis zum 20.10.2010, in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist
vom 26.05.1990 bis zum 20.10.2010 (20 Jahre, 4 Monate und 25 Tage) müssten 18 Jahre, 4 Monate und 11 Tage Zugehörigkeitszeiten
zur gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Insgesamt seien für die Klägerin Zeiten im Umfang von 16 Jahren, 1 Monat und
20 Tagen der Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung festzustellen. Die Aufnahme in die Krankenversicherung der
Rentner könne nicht erfolgen.
Die Klägerin erhob hiergegen am 08.02.2011 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass sie während ihrer Beschäftigung
beim EMBL im organisationsinternen Sozialversicherungssystem pflichtversichert auch gegen Krankheit gewesen sei. Dieses interne
Sozialversicherungssystem erfülle die Voraussetzungen für eine Befreiung des versicherten Personenkreises von der gesetzlichen
Sozialversicherung gemäß Artikel 22 der Sitzstaatvereinbarung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2011 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin
die erforderliche Vorversicherungszeit gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V von 9/10 der zweiten Hälfte der Rahmenfrist (18 Jahre, 4 Monate und 12 Tage) nicht erfüllt habe, da lediglich für 16 Jahre,
einen Monat und 20 Tage eine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Die Zeit der Beschäftigung
beim EMBL mit einer Krankenversicherung in einem organisationsinternen Sozialversicherungssystem könne nicht als Vorversicherungszeit
berücksichtigt werden. Bereits nach dem Wortlaut sei ausdrücklich auf die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung
abzustellen, was sich daraus ergebe, dass der Kreis der Pflichtversicherten stärker auf die Personen begrenzt werden solle,
die eine gewisse Anbindung an die gesetzliche Krankenversicherung nachweisen könnten. Eine Berücksichtigung der Zeit der Zugehörigkeit
zum organisationsinternen Sozialversicherungssystem EMBL analog ausländischer Versicherungszeiten sei nur möglich, wenn durch
überstaatliches Recht oder durch ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen eine Gleichstellung vorgesehen wäre.
Davon sei nicht auszugehen, da die Mitgliedschaft in dem organisationsinternen Sozialversicherungssystem gerade die Befreiung
von der gesetzlichen Sozialversicherung ermögliche.
Die Klägerin hat hiergegen am 19.05.2011 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 04.10.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass bei der Prüfung, ob die erforderliche
Vorversicherungszeit zurückgelegt worden sei, grundsätzlich nur Mitgliedschafts- bzw Versicherungszeiten in der bundesdeutschen
gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden könnten. Ausnahmsweise könnten jedoch auch Zeiten bei einem ausländischen
Versicherungsträger berücksichtigt werden, wenn diese nach über- oder zwischenstaatlichen Recht gleichgestellt seien. Im Hinblick
auf den sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalt nach §
31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) könne dies jedoch nur bei einer ausdrücklichen gesetzlichen oder völkerrechtlichen Regelung angenommen werden. Die Versicherungszeiten
beim organisationsinternen Krankenversicherungssystem des EMBL könnten nicht gleichgestellt und bei der Vorversicherung berücksichtigt
werden. Allein die Tatsache, dass die Angestellten des EMBL nach Artikel 22 der Sitzstaatsvereinbarung (Bundesgesetzblatt
II 1975, S 933 ff) von der deutschen Sozialversicherungspflicht befreit sind und dass das Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung am 02.07.1986 ausdrücklich bestätigt habe, dass die Leistungen der organisationsinternen Krankenversicherung
des EMBL für "ausreichend" angesehen würden, rechtfertige eine Einbeziehung der entsprechenden Beschäftigungszeiten in die
für die Krankenversicherung der Rentner maßgebliche Vorversicherung nicht. Denn der Sitzstaatsvereinbarung könne insoweit
nicht mit der gebotenen Klarheit entnommen werden, dass sich die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich wirksam verpflichtet
habe, die entsprechenden Krankenversicherungszeiten beim EMBL in jeder denkbaren Hinsicht den Krankenversicherungszeiten bei
der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gleichzustellen. Vielmehr bezweckten die Sitzstaatsvereinbarung bzw der besondere
völkerrechtliche Status, den das EMBL als internationale Organisation besitze und die hierauf beruhenden Privilegien im Bereich
der Steuern, Zölle und Abgaben sowie die Erleichterung beim Reiseverkehr der betreffenden Mitarbeiter in erster Linie "unter
allen Umständen die ungehinderte Tätigkeit des Laboratoriums und die vollständige Unabhängigkeit der dort forschenden Personen"
sicherzustellen. Diese Zielsetzung erfordere es nicht, den ehemals beim EMBL beschäftigten Forschern einen erleichternden
Zugang zur bundesdeutschen Krankenversicherung der Rentner zu ermöglichen. Es sei grundsätzlich geboten, die beitragsrechtlichen
Vorteile der Krankenversicherung der Rentner nur solchen Versicherten zugutekommen zu lassen, die auch in jüngeren Jahren
ihren solidarischen Beitrag zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet hätten. Durch die Zugehörigkeit
zum organisationsinternen Krankenversicherungssystem des EMBL, habe die Klägerin seinerzeit gerade keinen Beitrag zur Finanzierung
der bundesdeutschen gesetzlichen Krankenversicherung geleistet. Es folge auch nichts anderes daraus, dass die Klägerin in
diesem Zusammenhang gar kein Wahlrecht gehabt und kraft völkerrechtlich bindender Vereinbarung danach keinen Zugang zur deutschen
gesetzlichen Krankenversicherung gehabt habe, denn die dargestellte Rechtslage knüpfe allein an die rein faktisch zu beurteilende
besondere Nähe zu deutschen gesetzlichen Krankenversicherung in der zweiten Hälfte des Berufslebens an.
Gegen das am 10.10.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.11.2011 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt,
dass die bereits erwähnte Sitzstaatvereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem EMBL als völkerrechtlicher
Vertrag in Verbindung mit der Anerkennung des EMBL internen Sozialversicherungssystem durch die Bundesregierung eine hinreichende,
aber auch notwendige Grundlage darstelle, welche die Berücksichtigung der beim EMBL verbrachten Dienstzeiten als Pflichtversicherungszeiten
zwingend erforderlich mache. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung habe im Schreiben vom 02.07.1986 klargestellt,
dass das organisationsinterne pflichtige Krankenversicherungssystem des EMBL dem gesetzlichen Pflichtversicherungssystem der
gesetzlichen Krankenkasse und der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt werde. Andernfalls wäre gerade keine Befreiung
von der bundesdeutschen Sozialversicherungspflicht gewährt worden. Somit sei die Rechtslage einer zwischenstaatlichen oder
überstaatlichen Vereinbarung vergleichbar, nach der üblicherweise Zeiten bei einem ausländisch pflichtigen Versicherungsträger
zu berücksichtigen seien. Dabei sei unbeachtlich, dass die Sitzstaatvereinbarung nicht mit einem anderen Staat, sondern mit
einer internationalen Organisation des Völkerrechts geschlossen worden sei. Die Argumentation des SG, dass die Klägerin durch die Mitgliedschaft im EMBL auch erhebliche Vorteile erlangt habe, verfange insoweit nicht, da es
nicht um einen erleichternden Zugang in das deutsche Sozialversicherungssystem, sondern lediglich um eine angemessene Berücksichtigung
von Dienstzeiten unter Gleichstellung mit anderen europäisch mobilen Arbeitnehmern gehe. Auch habe die Bundesrepublik Deutschland
als EMBL-Mitgliedsstaat durch ihre Beiträge zum EMBL-Budget auch das EMBL-Sozialversicherungssystem mitfinanziert, so dass
es keinen Unterschied machen könne, ob ein Pflichtversicherter durch seine Beiträge in das nationale System oder aber das
System der Organisation einzahle, deren Mitglied der Staat sei. Das Zulassen einer solchen Einschränkung würde ein erhebliches
Diskriminierungspotenzial zulasten mobiler Arbeitnehmer mit sich bringen, welches insbesondere vor dem Hintergrund der "European
Charter for Researchers" und den darin niedergelegten Grundsätzen unvereinbar sei. Zudem habe der Klägerin kein Wahlrecht
dahingehend zugestanden, ob sie Mitglied der Pflichtversicherung des EMBL oder Mitglied einer deutschen gesetzlichen Krankenversicherung
werde. Auch habe die Klägerin beim EMBL tatsächlich nur in Teilzeit zu 50 % gearbeitet, so dass ihr Einkommen zu keinem Zeitpunkt
die Beitragsbemessungsgrenze der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung überschritten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04.10.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.04.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner
der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Klageerwiderung auf ihr Vorbringen in erster Instanz sowie die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils verwiesen und des Weiteren angeführt, dass Versicherungszeiten im sogenannten Sondersystem von EU-Institutionen als
Vorversicherungszeiten in der KVdR anerkannt werden könnten. Voraussetzung hierfür sei, dass die betreffende Person unmittelbar
vor Eintritt in dieses Sondersystem in Deutschland oder einem EU-Staat gesetzlich krankenversichert gewesen sei. Das EMBL
sei jedoch nicht eine EU-Institution sondern eine internationale Einrichtung. Von solchen Einrichtungen seien die Vorversicherungszeiten
nicht berücksichtigungsfähig. Die Beklagte legte einen Leitfaden des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung
"Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland" zur Krankenversicherung der Rentner im Rahmen der EG/EWG-Verordnung
und nach Abkommensrecht sowie ein Rundschreiben Nr 63 aus 2007 der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland
zum Ausschluss der Familienversicherung nach §
10 Abs
3 SGB V und Gleichstellung des Krankenversicherungsschutzes im Sondersystem von EU-Institutionen vor. Bezüglich der weiteren Einzelheiten
wird auf Blatt 27-34 der Berufungsakte verwiesen
Der Senat hat die deutsche Rentenversicherung Bund mit Beschluss vom 16.09.2013 zum Verfahren beigeladen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach §§
153 Abs
1 und
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erklärt.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß §§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch
nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.04.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung
der Versicherungspflicht in der KVdR gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §
54 Abs
1 Satz 1,
55 Abs
1 Nr
1 SGG zulässig, da die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Feststellung der Erfüllung der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit
zur KVdR begehrt wird.
Gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V idF vom 23.07.2009 sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert
waren.
Anrechenbar sind alle Zeiten der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin hat jedoch nach den
insoweit unstreitigen Berechnungen der Beklagten die erforderliche 9/10-Belegung mit Zeiten in der deutschen gesetzlichen
Krankenversicherung nicht erfüllt. Die Gesamtrahmenfrist belief sich vom 01.07.1970 bis zum 20.10.2010 (Tag der Rentenantragstellung).
Die zweite Hälfte der Rahmenfrist beginnt am 26.05.1990 und reicht bis zur Rentenantragstellung; sie umfasst 20 Jahre, 4 Monate
und 25 Tage. Hiervon müssten 9/10, also 18 Jahre, 4 Monate und 11 Tage mit Pflichtversicherungszeiten belegt sein. In diesem
Zeitraum hat die Klägerin aber nur Versicherungszeiten von 16 Jahren, 1 Monat und 20 Tagen im Zeitraum vom 01.09.1994 bis
zum 20.10.2010 in Deutschland zurückgelegt. Damit ist das Erfordernis der 9/10-Belegung nicht erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Zeitraum vom 01.06.1985 bis zum 31.07.1994, in dem die Klägerin im organisationsinternen
Krankenversicherungssystem "Intermedex" des EMBL versichert war, nicht als Vorversicherungszeit gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V anerkannt werden.
Die Klägerin war gemäß Artikel 22 der Sitzstaatvereinbarung vom 10.12.1974 (Gesetz vom 03.07.1975, BGBl 1975 Teil II Nr 41
Seite 942/943) von der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung befreit. Artikel 22 lautet: Das Laboratorium,
der Generaldirektor und die Mitglieder des Personals sind von sämtlichen Pflichtbeiträgen an deutsche Sozialversicherungsträger
befreit, sofern das Laboratorium ein eigenes Sozialversicherungssystem einrichtet oder sich dem Sozialversicherungssystem
einer anderen internationalen Organisation anschließt und sofern die sozialen Leistungen des betreffenden Systems nach Konsultation
mit dem Laboratorium von der Bundesrepublik Deutschland für angemessen erachtet werden. Das EMBL hat ein eigenes Krankenversicherungssystem
"Intermedex" eingerichtet, welches vom Bundeministerium für Arbeit und Soziales als ausreichend erachtet wurde (vgl Schreiben
BMAS vom 02.07.1986 Bl 14 der SG - Akte).
Als eigene Mitgliedszeiten für die 9/10-Belegung könnten diese Zeiten der Krankenversicherung bei Intermedex aber nur dann
berücksichtigt werden, wenn sie in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten nach über- oder zwischenstaatlichem Recht
gleichgestellt wären. Das ist für die Mitgliedsstaaten der EU nach der VO (EG) Nr 883/2004 (früher EWG-VO 1408/71) vorgesehen,
ferner existieren entsprechende Sozialversicherungsabkommen mit anderen Staaten. Das EMBL ist jedoch kein Staat, sondern eine
am 10.05.1973 durch multilateralen Vertrag errichtete internationale Organisation (siehe Gründungsvertrag unter www.embl.de),
die von neun europäischen Staaten und Israel gegründet wurde (vgl zur Definition der internationalen Organisation, Schlüter,
Die innerstaatliche Rechtsstellung der internationalen Organisationen, I. Kapitel Seite 6 bis 11). Mittlerweile sind 20 Staaten
sowie Australien als assoziierter Staat Mitglied der Organisation (vgl Ausdruck aus wikipedia Bl 32 bis 34 der Senatsakte
sowie Internetseite des EMBL unter www.embl.de). Dass auch nicht EU - Mitglieder Mitgliedsstaaten des EMBL sind zeigt, dass
es sich nicht um eine Europäische Institution handelt. Folgerichtig ist das EMBL auch nicht in der abschließenden Aufzählung
der EU - Institutionen und Agenturen auf www.europa.eu aufgeführt. Das von der Beklagten vorgelegte Rundschreiben Nr 63/2007
ist somit auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Auch die Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 16.02.2006 (C -137/04
"Rockler"; vgl auch Urteil vom 16.12.2004, C-293/03 "My"), wonach Art 48 EGV bei der Anwendung einer nationalen Regelung über die Gewährung von Elterngeld dahingehend auszulegen ist, dass die Zeit berücksichtigt
werden muss, während deren ein Arbeitnehmer dem Gemeinsamen Krankenfürsorgesystem der Europäischen Gemeinschaften angeschlossen
war, kommt nicht zum Tragen. Eine Gleichstellung der im Sondersystem zurückgelegten Zeiten der Krankenversicherung durch über-
oder zwischenstaatlichem Recht wurde nicht vereinbart. Der Gründungsvertrag vom 10.05.1973 sieht hierzu nichts vor. Auch die
Sitzstaatvereinbarung vom 10.12.1974 enthält keine diesbezügliche Bestimmung. Art 22 erlaubt vielmehr eine Befreiung von der
deutschen Sozialversicherungspflicht, sofern das organisationsinterne System von der Bundesrepublik als angemessen erachtet
wird. Diese Vorschrift statuiert somit die Möglichkeit der Schaffung eines Sondersystems, sofern dieses nach seiner Ausgestaltung
den deutschen sozialversicherungsrechtlichen Anforderungen genügt und somit ein ausreichender Krankenversicherungsschutz für
die Beschäftigten des EMBL sichergestellt ist. Art 22 trifft jedoch keine Aussage darüber, ob Zeiten, die in diesem Sondersystem
zurückgelegt werden, als gleichgestellten Zeiten bei der 9/10 - Belegung nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V berücksichtigt werden können. Für eine Gleichstellung bedarf es jedoch - wie das SG bereits ausgeführt hat - gemäß §
31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) einer gesetzlichen Grundlage. Auch die Europäische Charta für Forscher (siehe Text unter www.ec.europa.eu/euraxess/index.cfm./rights/
index) ist als Rechtsgrundlage nicht geeignet. Die Charta beruht auf einer Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
vom 11.03.2005 und ist nach ihrem Rechtscharakter nicht verbindlich und nicht gerichtlich anfechtbar (vgl Oppermann/Classen/Nettesheim,
Europarecht, 5. Auflage 2011, § 9 Rdnr 124f sowie § 13 Rdnr 44).
Eine Berücksichtigung ist auch nach der gesetzgeberischen Intention der Regelung des §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V nicht geboten. Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die mit der Versicherung in der KVdR einhergehenden beitragsrechtlichen Vorteile
nur solchen Rentnern zukommen sollen, die in jungen Jahren in besonders enger Weise der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden
waren. Die Klägerin wird hierdurch nicht in verfassungswidriger Weise belastet. Hinsichtlich des Erfordernisses der sog. Halbbelegung
hat das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (vgl hierzu BVerfG, 25.03.1986,
1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 87 sowie 16.07.1985, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 81). Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass für die verfassungsrechtliche Bewertung
von Gewicht sei, dass Personengruppen wie die Klägerin beim Ausschluss von der KVdR nicht ohne Krankenversicherungsschutz
seien, sondern den Versicherungsschutz im Rahmen des freiwilligen Beitrittsrechts fortführen könnten. Zwar werde eine Gruppe
von Mitgliedern der Krankenversicherung der Rentner gegenüber der anderen benachteiligt, welche die Halbbelegung durch Beitragszeiten
erfüllt habe. Dafür gebe es jedoch rechtfertigende Gründe. Das Ziel des Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetzes, mit
welchem die Halbbelegung als Voraussetzung für die beitragsfreie Krankenversicherung der Rentner eingeführt worden ist, bestehe
vor allem darin, den ständig steigenden Ausgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen (vgl. BTDrucks.
8/166, S. 22). Im Rahmen dieser Zielsetzung liege auch die Einschränkung der vordem für alle Rentner beitragsfreien Krankenversicherung.
Sie gehe von dem Grundsatz aus, dass nur Personen, die eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert
und damit am Solidarausgleich für die Krankenversicherung der Rentner ausreichend beteiligt waren, in dieser versichert werden
sollten (vgl. dazu BTDrucks. 8/166, S. 24, zu Art. 1 § 1 Nr. 1). Diese Zielsetzung sei grundsätzlich als verfassungsgemäß
zu billigen.
Die Nichterfüllung der Zugangsvoraussetzungen für die KVdR führt auch nicht zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes insgesamt.
Die Klägerin hat die Möglichkeit der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung, welche eine gleichwertige Absicherung
im Krankheitsfall beinhaltet. Hinzu kommt, dass bezüglich der beitragsrechtlichen Vorteile der KVdR in den letzten Jahren
eine zunehmende Angleichung an die freiwillige Krankenversicherung erfolgte (vgl LSG Berlin - Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, [...] unter Verweis auf BSG, 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 sowie 10.05.2006, B 12 KR 7/05 R, [...]).
Auf die Frage, ob die Klägerin im Zeitraum vom 01.01.1970 bis zum 30.06.1976 während ihrer Tätigkeit als Assistentin am Institut
für organische Chemie der Universität G. in Schweden Rentenversicherungsbeiträge an die schwedische Rentenversicherung abgeführt
hat, kommt es vorliegend nicht an. Die Beklagte hat in ihrer Berechnung die Rahmenfrist ab dem 01.01.1970 bis zum 20.10.2010
angesetzt. Maßgeblich für die 9/10 - Belegung ist die zweite Hälfte der Rahmenfrist und daher der Zeitraum vom 26.05.1990
bis zum 20.10.2010. Eventuelle Versicherungszeiten in der schwedischen gesetzlichen Krankenversicherung im Zeitraum vor dem
01.01.1970 sind nicht ersichtlich und können daher nicht als gleichgestellte Zeiten nach der VO (EG) Nr 883/2004 (gültig ab
dem 01.05.2010, vormals VO EWG Nr 1408/71) zur Verschiebung der Rahmenfrist und einer eventuellen Erfüllung der 9/10 - Belegung
führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG liegen nicht vor.