Tatbestand:
Streitig sind die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2110 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen
im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
der Krankheit ursächlich waren oder sein können - sowie die Anerkennung einer Halswirbelsäulenerkrankung wie eine BK.
Der 1949 geborene Kläger durchlief vom 01. September 1967 bis zum 31. Juli 1969 eine Bootsmannslehre, wobei nach eigenen Angaben
bis zum 31. Dezember 1968 ausschließlich die Berufsschule besucht wurde. Vom 01. August 1969 bis zum 30. März 1970 war er
als Bootsmann beschäftigt. Anschließend absolvierte er bis zum 30. März 1973 seinen Grundwehrdienst bei der NVA. Danach war
er nach eigenen Angaben bzw. ausweislich der Sozialversicherungsausweise (SVA) wie folgt beschäftigt:
09.04.1973 - 22.04.1974 Disponent beim VEB D B
03.05.1974 - 19.08.1974 Omnibusfahrer beim VEB Kombinat B V
20.08.1974 - 31.12.1974 Kraftfahrer (Pkw) beim Rat des Kreises K
14.01.1975 - 16.05.1975 Kraftfahrer im Rechenzentrum Berlin
20.05.1975 - 11.02.1976 Kraftfahrer (Cheffahrer) beim VEB V B
16.02.1976 - 16.05.1977 KOM-Fahrer (Omnibusfahrer) beim VEB K
L
18.05.1977 - 15.04.1978 Pkw-Fahrer bei der K-Genossenschaft B
20.04.1978 - 31.12.1979 Bootsmann beim VEB Kombinat B V
01.01.1980 - 31.12.1984 Omnibusfahrer beim VEB Kombinat BV
01.01.1985 - 31.12.1986 Rangierfahrer beim VEB Kombinat B V
01.01.1987 - 31.12.1987 Anlagenpfleger beim VEB Kombinat B V
01.01.1988 - 28.02.1988 Meister beim VEB Kombinat B V
01.03.1988 - 31.03.1989 Tankwagenfahrer beim VEB Kombinat M
01.04.1989 - 28.02.1992 Objektleiter beim VEB M bzw. der TGmbH
01.03.1992 - 31.07.1992 arbeitslos
01.08.1992 - 30.04.1997 Omnibusfahrer bei den B V
01.05.1997 - 10/1997 selbstständig in der Vermietung von Wohnungsimmobilien
10/1997 - 28.02.1998 arbeitslos
01.03.1998 - 30.06.1998 Reisebusfahrer bei der Firma M
01.07.1998 - 30.04.2001 Reisebusfahrer bei der Firma P
01.05.2001 - 31.12.2003 Linienbusfahrer bei der Firma B-Transport.
Vom 02. Juli 2002 bis zum 02. August 2002 war er wegen Kreuzschmerz arbeitsunfähig. Ab dem 03. August 2002 bestand Arbeitsunfähigkeit
wegen Osteochondrose und Bandscheibenprolaps Halswirbelkörper 5/6. Am 09. Oktober 2002 fand eine Exzision der Bandscheibe
mit Wurzeldekompression und Spondylodese statt (Operationsbericht des Ukrankenhauses B vom 09. Oktober 2002). Seit dem 01.
Juni 2006 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Mit Schreiben vom 07. November 2002 meldete die Krankenkasse des Klägers - die AOK Berlin - bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch
im Hinblick auf einen Verdacht auf eine BK 2110 an. In dem anliegenden Fragebogen hatte der Kläger am 21. Oktober 2002 angegeben,
seit Januar 2002 Rückenbeschwerden zu haben. In einem vom Kläger am 08. März 2003 ausgefüllten weiteren Fragebogen gab er
an, seit 1998/1999 an Beschwerden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule zu leiden. Von März 1988 bis Februar 1992 sei
er als Tankwagenfahrer bei der Erdgastrasse in der ehemaligen UdSSR eingesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 25. September 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2110 ab. Sie sei auch nicht wie eine BK gemäß
§
9 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) anzuerkennen. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, für die Tätigkeit eines Lkw- oder
Busfahrers werde die nach dem Merkblatt zur BK 2110 erforderliche Schwingungsstärke deutlich unterschritten. Selbst wenn beim
Führen eines Tankwagens von März 1988 bis Februar 1992 die Schwingungsstärken erreicht worden wären, hätte es sich um keine
langjährige, d. h. mindestens zehn Berufsjahre lang ausgeübte, Tätigkeit gehandelt. Neue Erkenntnisse, die darauf hinwiesen,
dass Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch andere als in den BKen 2108 und 2110 geregelte Bedingungen verursacht werden könnten,
lägen nicht vor. Es gebe auch keine Erkenntnisse, dass Erkrankungen der Halswirbelsäule durch die berufliche Einwirkung von
Ganzkörperschwingungen hervorgerufen werden könnten. Daher seien die Voraussetzungen für die Anerkennung der klägerischen
Erkrankung wie eine BK nicht erfüllt.
Mit Bescheid vom selben Tag lehnte die Beklagte außerdem die Anerkennung einer BK 2108 - bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung - sowie die Anerkennung wie eine BK ab.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2007 lehnte die Beklagte auch die Anerkennung einer BK 2109 - bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter - sowie die Anerkennung wie eine BK ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens machte der Kläger geltend, er sei in den Jahren 1987 bis 1992 in der damaligen UdSSR
als Tankwagenfahrer auf verschiedenen Baustellen der Erdgastrasse aus dem Ural eingesetzt gewesen. Die Baustellen hätten fernab
von Städten und Dörfern ohne befestigte Straßen gelegen. Er habe von Montag bis Sonnabend jeweils 12 Stunden täglich gearbeitet.
Hiervon sei er in der Regel 10 Stunden jeweils mit einem Tankwagen des Typs URAL in schwierigem unbefestigtem Gelände unterwegs
gewesen, um die einzelnen Bauabschnitte mit Dieselkraftstoff zu versorgen. In den Jahren 1990 bis 1992 sei er in die Ukraine
versetzt worden, um dort die gleichen Aufgaben zu erfüllen. Auch dort hätten die Straßen und Wege aus unbefestigten Pisten
bestanden mit höchstens ein paar Betonplatten zur Befestigung jeweils auf den Baustellen. Inzwischen seien auch Deformierungen
der Lendenwirbelsäule entdeckt worden, hierzu übersende er Röntgenbilder vom 18. Dezember 2003.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes. In der Stellungnahme vom 28. Januar 2004 gelangte der
Dipl.-Ing. G zu der Beurteilung, im Zeitraum Januar 1980 bis Dezember 1985 seien bei den O V die Busse Ikarus 160 und 180
zum Einsatz gekommen. Für den Bustyp Ikarus 180 lägen am Fahrersitz gemessene Messwerte vor, aus denen sich eine bewertete
Schwingstärke von Kr = 11,2 ergebe, womit der Richtwert von 16,2 unterschritten werde. Auch für andere Typen des Herstellers
lägen Messwerte vor, aus denen sich unterhalb des Richtwertes liegende Schwingstärken ergäben. Es werde daher davon ausgegangen,
dass der Richtwert von 16,2 auch beim Ikarus 160 unterschritten worden sei. Im Jahr 1999 sei in einer Untersuchung des Berufsgenossenschaftlichen
Instituts für Arbeitssicherheit (BIA) die Schwingungseinwirkung an Fahrersitzen in Kraftomnibussen untersucht worden. Von
den 22 Bustypen, die in der Zeit von 1992 bis 1997 bei den B V im Einsatz gewesen seien, seien 10 Typen bei dieser Untersuchung
bearbeitet worden. Bei keinem dieser Fahrzeuge sei der Wert von 16,2 erreicht worden. Daher werde festgestellt, dass der Kläger
während seiner Tätigkeit als Busfahrer bei den BV weder in der Zeit von 1980 bis 1985 noch in der Zeit von 1992 bis 1997 eine
gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 2110 ausgeübt habe. Das gleiche gelte für die Beschäftigung bei der B-Transport GmbH.
Anschließend wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03. Mai 2004 zurückgewiesen. Es wurde unter anderem ausgeführt,
eine Anerkennung einer BK 2110 scheitere bereits daran, dass für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
kein Anhalt bestehe und bezüglich der vorliegenden Erkrankung der Halswirbelsäule es an den für eine Entschädigung als Wie-BK
erforderlichen neuen Erkenntnissen fehle.
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat der Kläger die Anerkennung und Entschädigung einer BK der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule begehrt, insbesondere
in Form einer Verletztenrente. Er sei beruflich hinreichend wirbelsäulenbelastend tätig gewesen. Dies gelte insbesondere für
seine Tätigkeiten als Bus- und Tankwagenfahrer. Gegebenenfalls seien die Veränderungen der Halswirbelsäule nach neueren Erkenntnissen
als BK zu werten. Der vorzeitige Verschleiß der Halswirbelsäule könne auch daraus resultieren, dass als Busfahrer ständige
Seitwärtsbewegungen des Kopfes erforderlich würden. Er hat einen lumbospinalen MRT-Befund vom 08. Juni 2004 vorgelegt (geringe
Spondylosis deformans bei L 5/S1, flache Bandscheibenvorwölbung L4/5, Zustand nach spontan zurückgebildetem Bandscheibenvorfall
L5/S1).
Das SG hat zunächst die Akten zu dem Rechtsstreit S 31 RJ 247/04 beigezogen und hieraus einen Reha-Entlassungsbericht des Rehabilitationsklinik L vom 01. Juli 2003, einen Arztbrief des Neurologen
und Psychiaters Dr. M vom 04. Juli 2003, ein allgemeinmedizinisches Gutachten des Dr. M vom 15. September 2003, den Befund
eines zervikospinalen MRTs vom 22. Oktober 2003 sowie ein chirurgisches Gutachten des Dipl.-Med. Pfeifer vom 09. Dezember
2003 in den Rechtsstreit eingeführt. Des Weiteren hat das SG ein Vorerkrankungsverzeichnis von der AOK Berlin eingeholt und den Orthopäden Dr. E mit der Untersuchung des Klägers und
Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 27. März 2005 ist dieser nach einer Untersuchung des Klägers
am 03. Februar 2005 zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestünden folgende Gesundheitsstörungen:
1. cervikal bedingte Cephalgien
2. Halswirbelsäulen-Syndrom mit Nacken-Schulterschmerzen und Brachialgien rechts als pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei
Zustand nach Spondylodese C5/6
3. beginnende Sehnenansatzentzündung im Bereich des rechten Schultergelenks
4. Arthralgien rechte Hand
5. Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Lumbalgien und Lumboischialgien im Sinne eines pseudoradikulären Schmerzsyndroms auf dem
Boden nachgewiesener Bandscheibenvorwölbungen bei geringen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen
6. initialer Verschleißzustand an beiden Kniegelenken
7. Fußfehlform.
Bei dem Kläger liege zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor, diese sei jedoch nicht durch langjährige
Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen verursacht worden, wobei hypothetisch zugrunde gelegt worden sei, dass die
arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Für die Anerkennung einer berufsbedingten Mehrbelastung sei ein dem Alter
vorauseilender Verschleißzustand zu fordern, der entsprechend von kopfwärts nach fußwärts zunehme. Ein solches Schädigungsbild
liege hier nicht vor, insbesondere seinen keine belastungsadaptiven Reaktionen nachgewiesen. Die bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule habe auch nicht zur Unterlassung aller Tätigkeiten i. S. d. BK 2110 gezwungen, denn die Tätigkeit als
Busfahrer sei wegen des Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule aufgegeben worden.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 20. Oktober 2005 abgewiesen. Das Begehren des Klägers sei unter Berücksichtigung seines schriftlichen
Klageantrags und des Verfügungssatzes des angefochtenen Bescheides auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der
Folgen der BK 2110 oder wegen der Folgen einer Erkrankung, die wie eine BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII anzuerkennen sei, gerichtet. Die Klage sei unbegründet. Der Kläger sei nicht an einer BK 2110 erkrankt, denn es sei nicht
hinreichend wahrscheinlich, dass die von dem Sachverständigen Dr. E nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen verursacht worden sei. Insbesondere liege bei
dem Kläger kein deutlich dem Alter vorauseilender Verschleiß der Wirbelsäule vor. Auch fehle es an einem plausiblen zeitlichen
Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und beruflichen Belastungen der LWS.
So dürfte der Kläger jedenfalls ab 1992 nicht mehr gefährdend im Sinne der BK 2110 tätig gewesen sein. Die Diskektomie im
Unfallkrankenhaus Berlin am 09. Oktober 2002 sei wegen Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule erfolgt. Im Wege einer nachträglichen
objektiven Betrachtung könne zudem nicht festgestellt werden, dass im Zeitpunkt der Beendigung einer möglicherweise gefährdenden
Tätigkeit ein Zwang zur Unterlassung der Beschäftigung medizinisch geboten gewesen sei, denn der Kläger sei am 03. August
2002 wegen der Osteochondrose und des Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule arbeitsunfähig geworden. Die Gesundheitsstörungen
im Bereich der Wirbelsäule könnten auch nicht wie eine BK als Versicherungsfall anerkannt werden. Die Voraussetzungen für
die Anerkennung einer Erkrankung "wie eine BK" habe die Beklagte im angefochtenen Bescheid erläutert und mit zutreffenden
Gründen verneint. Das Gericht sehe insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er legt ärztliche Befundberichte
seines behandelnden Orthopäden Dr. H vom 20. November 2006, der Neurologin Dr. M vom 02. Oktober 2006 sowie einen Arztbrief
des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. B vom 02. Dezember 2006 (radikuläres L3-Syndrom) sowie Kopien seiner SVA vor.
Er trägt außerdem vor, er habe während seiner Tätigkeit als Bootsmann in den Jahren 1968 bis 1970 Schwerstarbeit verrichten
müssen, denn er habe Schüttgut mit Handschaufeln (Fassungsvermögen 20-30 kg) in Krangreifer schaufeln müssen. Zudem seien
beim VEB Kombinat B V längere Lenkzeiten als acht Stunden täglich üblich gewesen. Ikarusbusse hätten zudem nicht mit direktem
Kontakt zur Rückenlehne gefahren werden können.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 03. Mai 2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule i. S. d. BK Nr. 2110 der Anlage zur
BKV sowie eine wie eine BK anzuerkennende Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad I und Bandscheibenvorwölbung im Segment
C5/6 vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unbegründet. Es seien weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen
für eine BK 2110 erfüllt. Sie legt Stellungnahmen des Dipl.-Ing. G von ihrem Präventionsdienst vom 16. Mai 2007, 16. Juli
2008 und 05. September 2008 vor.
In der Stellungnahme vom 16. Mai 2007 gelangt Dipl.-Ing. G zu dem Ergebnis, der Kläger sei lediglich in der Zeit von Februar
1976 bis Mai 1977 als Busfahrer in Luckenwalde sowie in der Zeit von März 1988 bis Februar 1992 gefährdenden Einflüssen i.
S. d. BK 2110 ausgesetzt gewesen. Die Gesamtschwingungsdosis DV liege mit 2048 (m/s2)2 über dem im BK-Report 2/2003 "Wirbelsäulenerkrankungen"
genannten Richtwert von DVRI = 1450 (m/s2)2. Jedoch sei die Mindesteinwirkungszeit von in der Regel 10 Jahren mit 5,25 Jahren
nicht erreicht worden. Die arbeitstechnischen Kriterien der BK 2108 seien nicht erfüllt. Für die Zeiträume von Januar 1975
bis August 1975, Juni 1977 bis April 1978, Januar 1989 bis Februar 1992 sowie März 1998 bis April 2001 sei eine Gesamtbelastungsdosis
nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) in Höhe von lediglich DH 13,24 Nh x 106 zu ermitteln.
In der Stellungnahme vom 16. Juli 2008 wird die Gesamtdosis nach dem MDD für denselben Zeitraum mit 6,21 Nh x 106 errechnet.
In der weiteren Stellungnahme vom 05. September 2008 wird bekräftigt, dass der Kläger während seiner Beschäftigung als Busfahrer
im Liniendienst bei den Berliner Verkehrsbetrieben und der Berlin-Transport GmbH keine gefährdende Beschäftigung i. S. d.
BKen 2108 bzw. 2110 ausgeübt habe. Bei der Ermittlung wurde ein Orientierungswert von 0,63 m/s2 für die Beurteilungsbeschleunigung
zugrunde gelegt. Bei den Linienbussen seien es nur der DO 56 mit aW = 0,7 m/s2, den der Kläger 14 Tage lang gefahren habe,
sowie der Ikarus 66 mit aW = 1,25 m/s2, den der Kläger in L gefahren habe, die den Orientierungswert erreichten bzw. überschritten.
Hinsichtlich des Beschäftigungsabschnittes beim Bau der Pipeline sei von einer kombinierten Belastung gemäß Abs. 3.4 des BK-Reports
2/03 auszugehen. Daraus werde deutlich, dass dieser Beschäftigungsabschnitt im Hinblick auf die berufliche Gesamtbelastung
im Vordergrund stehe. Der Gesamtbelastungsgrad sei hier mit 1 zu ermitteln, so dass von einer Gefährdung auszugehen sei. Kombinierte
Belastungen hätten auch für die Tätigkeiten bei den Firmen P und M vorgelegen, bei denen er zusätzlich zum Fahren auch habe
Koffer heben und tragen müssen. Hier sei jedoch jeweils nur ein Tagesbelastungsgrad von unter 1 zu errechnen.
Die Beklagte legt außerdem eine Stellungnahme des Präventionsdienstes des für den VEB KL zuständigen Unfallversicherungsträgers
BG für Fahrzeughaltungen vom 03. März 2008 vor, wonach im Arbeitszeitraum von Februar 1976 bis Mai 1977 eine Gesamtbelastungsdosis
infolge von Ganzkörperbeschleunigungen, die im Sitzen auf die Lendenwirbelsäule einwirkten, in Höhe von 704 m/s2 erreicht
worden ist. Die Kraftomnibusse seien innerhalb der Lenkzeit geeignet gewesen, Werte der Beurteilungsbeschleunigung awz(8)
≥ 0,63 m/s² zu ergeben.
Weiterhin reicht sie ein Exemplar des BIA-Reports 3/99 "Schwingungseinwirkung an Fahrerarbeitsplätzen von Kraftomnibussen"
zu den Akten.
Schließlich überreicht die Beklagte ein im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zum Überprüfungsantrag hinsichtlich der BK 2108
erstelltes orthopädisches Gutachten der Frau Dr. C vom 17. November 2008 sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 24. Juli
2009 zur Kenntnisnahme.
Der Senat hat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angefragt, ob derzeit neue Erkenntnisse der medizinischen
Wissenschaft vorlägen, wonach bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch besondere Einwirkungen verursacht
würden, denen Bus- bzw. (Tank)Lastwagenfahrer durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung
ausgesetzt seien. Das BMAS hat mit Auskünften vom 21. April 2006 und 09. Juni 2008 das Vorliegen derartiger neuer Erkenntnisse
verneint. Der Senat hat außerdem einen Befundbericht von Dr. B vom 07. Januar 2007 eingeholt und einen Kurzröntgenbefund der
Hals- und Lendenwirbelsäule vom 02. Juli 2002 beigezogen.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat der Senat Prof. Dr. B-A mit der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens und Dr. R mit der Erstellung eines
radiologischen Zusatzgutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 05. März 2007 ist Prof. Dr. B-A nach einer Untersuchung des
Klägers am 17. Oktober 2006 und unter Auswertung des radiologischen Gutachtens des Dr. R vom 20. November 2006 zu folgenden
Diagnosen gelangt:
1. Chrondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad I im Segment L4/5 sowie Grad II im Segment L5/S1 (Erstdiagnose am 18. Dezember
2003)
2. Bandscheibenvorfall L4/5 mit Spinalkanalstenose und rechtsseitiger Recessusstenose (Erstdiagnose 06. Juni 2005)
3. Ventrale Spondylose Grad II im Segment L4/5 und Grad III/IV im Segment L5/S1 (Erstdiagnose am 18. Dezember 2003)
4. Mäßige Spondylarthrose L4/5 beidseits (Erstdiagnose am 08. Juni 2004)
5. Multisegmentale, ventrale und laterale Spondylose der Brustwirbelsäule Grad II (nicht altersuntypisch)
6. Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad I sowie Bandscheibenvorwölbung im Segment C5/6 mit Verdacht auf Foramenstenose
links (Erstdiagnose am 02. August 2002) sowie Zustand nach Bandscheibenoperation 10/2002 mit Diskektomie, Abtragung einer
osteochondrotischen Randleiste sowie Spondylodese C5/6.
Erstmals im Röntgenbild der Lendenwirbelsäule vom 18. Dezember 2003 habe sich ein altersuntypischer Bandscheibenschaden in
Form einer Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad II sowie eine Spondylose Grad II/IV im Segment L5/S1 nachweisen lassen.
Bei dem Kläger liege damit nach den auch hier anzuwendenden "Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung
des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe - Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten
der Lendenwirbelsäule (I), Trauma und Berufskrankheit, Springer Medizin Verlag, Heft 3/2005 S. 211ff" (in Zukunft nur noch:
Konsensempfehlungen) die Fallkonstellation B3 vor, die wie folgt gekennzeichnet sei:
1. Vorliegen der beruflichen Voraussetzungen zur Entwicklung einer BK 2108 oder 2110
2. Bandscheibenbedingte Erkrankung in Form einer Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall im Segment L5/S1 und/oder L4/5
3. Keine wesentlichen außerberuflich bedingten konkurrierenden Ursachenfaktoren
4. Keine Begleitspondylose.
Bei dieser Fallkonstellation habe innerhalb der Konsensusarbeitsgruppe kein Konsens in Bezug auf die Empfehlung einer Anerkennung
oder Ablehnung erreicht werden können. Der Forderung einiger Sachverständiger, dass eine BK 2108 und 2110 nur anerkannt werden
könne, wenn eine Begleitspondylose vorliege, könne er nicht zustimmen. Diese so genannten belastungsadaptiven Veränderungen
seien in der Fachliteratur umstritten, eine einheitliche Rechtsprechung existiere nicht. Insgesamt empfehle er daher die Anerkennung
einer BK 2108 und 2110, sofern die beruflichen Voraussetzungen erfüllt seien, denn es liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule vor, außerberuflich bedingte konkurrierende Faktoren wie etwa eine relevante Skoliose fehlten und das
Ausmaß der Degenration im Bereich der Lendenwirbelsäule sei stärker ausgeprägt als das Ausmaß der Degeneration im Bereich
der Halswirbelsäule. Die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit im August 2002 sei aus arbeitsmedizinischer Sicht notwendig gewesen.
Zwar sei die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit wegen der Bandscheibenerkrankung der Halswirbelsäule erfolgt, während die
bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule erst am 18. Dezember 2003 diagnostiziert worden sei. Sofern die gefährdende
Tätigkeit nicht bereits vorher wegen der Halswirbelsäule unterlassen worden wäre, hätte jedoch die bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule im Dezember 2003 zur Unterlassung der Tätigkeit gezwungen. Zuletzt gefährdend sei das geltend gemachte
Ein- und Ausladen von 49 Koffern à 20 kg täglich gewesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) setze er mit 20 vom Hundert
(v. H.) an.
Mit Beschluss vom 30. Januar 2008 hat der Senat die BG Handel und Warendistribution als zuständigen Unfallversicherungsträger
für den VEB M bzw. die T GmbH zu dem Verfahren beigeladen.
Die Beigeladene hält die Berufung für unbegründet. Dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B-A sei nicht zu folgen. Denn
dieser empfehle die Anerkennung einer BK, obwohl er selber ausführe, dass die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen vorliege,
bei der kein Konsens erzielt worden sei. Auf das Erfordernis einer Begleitspondylose könne jedoch nicht verzichtet werden.
Darüber hinaus seien weder die Ausführungen zum Unterlassungszwang noch zum Ausprägungsgrad der Lendenwirbelsäulenschadens
im Vergleich zum Halswirbelsäulenschaden überzeugend. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule müsse zum
Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe bereits bestanden haben. Dies sei hier nicht der Fall. Das MRT der Halswirbelsäule vom 02.
August 2002 sei nach Aussagen des radiologischen Gutachters Dr. R aufgrund seiner geringen Größe nur unter Einschränkungen
zu quantifizieren gewesen. Im Übrigen legt sie eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes (Dipl.-Ing. S) vom 11. Dezember
2009 (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. Januar 2010 per Fax übersandt) vor, in welcher unter Berücksichtigung
der geänderten Orientierungswerte nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 2007 für den Zeitraum
vom März 1998 bis April 2001 eine Gesamtdosis nach dem MDD i. H. v. 2,5 x 106 Nh errechnet wurde. Davon abweichende Berechnungen
der Beklagten seien fehlerhaft. Auf der Grundlage des Merkblattes zur BK 2110 wird weiterhin darauf hingewiesen, dass bezüglich
der Vibrationsexposition des Klägers als Fahrer von Omnibussen mit schwingungsgedämpften Fahrersitzen von keiner gefährdenden
Tätigkeit i. S. d. BK 2110 auszugehen sei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25. Juni 2008 ist der Sachverständige bei seiner Beurteilung geblieben. Eine über
die Konsensempfehlungen hinausgehende herrschende Lehrmeinung der medizinischen Beurteilungskriterien für die BKen 2108 und
2110 existiere nicht. Aufgrund der MRT-Aufnahmen der Halswirbelsäule vom 02. August 2002 ergebe sich, dass damals kein altersuntypischer
Verschleiß der Halswirbelsäule vorgelegen habe. Auch ein Zeitraum von 2,5 Jahren zwischen der Aufgabe der Tätigkeit als Reisebusfahrer
im April 2001 und dem erstmaligen Nachweis des altersuntypischen Bandscheibenschadens der Lendenwirbelsäule im Dezember 2003
spreche nicht gegen einen ursächlichen Zusammenhang, denn eine solche altersuntypische fortgeschrittene Chondrose entwickele
sich in der Regel über Monate und Jahre. Es lägen im weiteren keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor, wonach bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Halswirbelsäule durch besondere Einwirkungen verursacht würden, denen Bus- bzw. (Tank)Lastwagenfahrer in
erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Mai 2004 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten. Der Kläger hat - wie das Sozialgericht schon zutreffend festgestellt hat - keinen Anspruch auf Feststellung einer
BK Nr. 2110, da eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung
von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, bei ihm nicht vorliegt. Darüber hinaus
ist auch die Erkrankung der Halswirbelsäule nicht wie eine BK anzuerkennen.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG zulässig. Streitgegenstand ist allein die Anerkennung einer BK 2110 bzw. einer Wie-BK, denn in dem angefochtenen Bescheid
vom 25. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Mai 2004 ist die Anerkennung einer BK Nr. 2110 abgelehnt,
ein Anspruch auf Verletztenrente ist im Einzelnen jedoch nicht geprüft worden. Auch wenn der Antrag auf Gewährung von Verletztenrente
bereits vor dem SG gestellt worden ist, kann der Senat über ein solches Begehren zulässigerweise nicht entscheiden, denn die Ablehnung einer
Verletztenrente ist mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr lediglich unbestimmte Entschädigungsleistungen
abgelehnt.
Streitig ist auch nicht die Anerkennung einer BK 2108 - bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges
Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung -. Der diesbezüglich gesondert
ergangene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003 ist bestandskräftig geworden. Über den Überprüfungsantrag
des Klägers nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hat die Beklagte noch nicht entschieden. Auch wenn der Kläger sowohl eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit durch langjähriges
Heben oder Tragen als auch durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen geltend macht, hat
keine Verurteilung zu einer BK nach den beiden Nummern 2108 und 2110 zu erfolgen. Vielmehr ist jeder einzelne BK-Tatbestand
getrennt zu prüfen und die MdE-Bemessung dann einheitlich vorzunehmen (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 9/05 R -, in SozR 4-2700 § 9 Nr. 8).
Als Versicherungsfall gilt nach §
7 Abs.
1 SGB VII auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§
9 Abs.
1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen
der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche
beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen
Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang)
muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und
die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte
Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006 -
B 2 U 20/04 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher
Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG aaO.).
Von Nr. 2110 der Anlage zur
BKV werden "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen
im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
ursächlich waren oder sein können", erfasst.
Nach dem Tatbestand der BK 2110 muss also der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig vorwiegend vertikalen
Einwirkungen von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen ausgesetzt gewesen sein. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit
zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule entstanden sein und
noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und
zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss
darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe
der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2110 nicht vor (vglBSG,
Urteile vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R- inSozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 sowie vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R - und - B 2 U 14/08 R - jeweils zitiert nach Juris) und ist nicht anzuerkennen.
Von der Erfüllung der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen ist hier auszugehen.
Für die BK 2110 hat das Merkblatt bis zum 31. Mai 2005 den medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand so zusammengefasst,
dass die gesundheitliche Gefährdung von der gesamten beruflichen Schwingungsbelastung abhängt. Diese setzt sich aus der Gesamtzahl
der Expositionen mit Beurteilungsschwingungsstärken von wenigstens Kr 16,2 nach VDI 2057 (Tagesdosis), bei ungünstigen Verhältnissen
auch von wenigstens Kr 12,5 zusammen. Die so ermittelten Tagesdosiswerte waren zu einem Gesamtdosiswert zu addieren. Als Orientierungswert
wurde ein Wert von 580 x 10³ herangezogen, ab dem die Erfüllung der beruflichen Voraussetzungen der BK 2110 angenommen wurde.
Im neuen Merkblatt zur BK 2110 (Bekanntmachung des BGMS vom 01. Mai 2005, BArbBl 7/2005, S. 43) hat sich zum Einen mit einer
Änderung der VDI-Richtlinie 2057 die Messgröße für die Beschreibung der Schwingungsbelastung geändert (frequenzbewertete Beschleunigung
statt Schwingstärke Kr, vgl. Abschnitt 3.3 des BK-Reports 2/03 "Wirbelsäulenerkrankung") und zum Anderen wurde entsprechend
der Ergebnisse einer vom HVBG geförderten Studie (s. S. 112 bzw. 117 BK-Report 2/03) ein niedrigerer Schwellenwert von aw(8) = 0,63 m/s2 für die generelle
Annahme einer Gefährdung aufgenommen (zuvor Kr = 12,5 nur für stoßhaltige Schwingungsbelastungen oder ungünstige Körperhaltung).
Voraussetzung für die Annahme eines arbeitsbezogenen Kausalzusammenhangs ist danach eine langjährige, d. h. fünf- bis zehnjährige
oder längere, wiederholte Einwirkung von vorwiegend vertikalen Ganzkörperschwingungen in Sitzhaltung mit einer Tagesdosis
in Form der Beurteilungsbeschleunigung aw(8) von im Regelfall 0,63 m/s2 in der vertikalen z-Achse. Darüber hinaus geht das
neue Merkblatt davon aus, dass auch bei noch geringeren Beurteilungsbeschleunigungen in Ausnahmefällen schon Gesundheitsrisiken
auftreten können und verweist auf die neu eingefügte Tabelle 2. Danach ist bei einer Gesamtbelastungsdosis von 1450 (m/s²)²
weiterhin von einer gefährdenden Tätigkeit auszugehen.
Langjährigen, vorwiegend vertikalen Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen sind laut dem Merkblatt insbesondere
Fahrer von
- Baustellen-LKW
- Land- und forstwirtschaftliche Schlepper
- Forstmaschinen im Gelände
- Bagger bei intensiver Schwingungsbelastung, z.B. bei Abbrucharbeiten
- Grader (Straßenhobel, Bodenhobel, Erdhobel), nur bei intensiver Schwingungsbelastung, z.B. Überwiegen von Grobplanierung
(Grobplanung)
- Scraper (Schürfwagen)
- Dumper und Muldenkipper
- Rad- und Kettenlader
- Raddozer
- Gabelstapler auf unebenen Fahrbahnen (Hofflächen, Pflaster usw.)
- Militärfahrzeuge im Gelände
- Wasserfahrzeuge in Gleitfahrt bei Seegang
ausgesetzt. Dagegen sind z. B. bei Fahrern von Taxis, Gabelstaplern auf ebenen Fahrbahnen, Baggern im stationärem Einsatz
sowie bei Fahrern von LKW und Omnibussen mit schwingungsgedämpften Fahrersitzen keine hinreichend gesicherten gesundheitsschädigenden
Auswirkungen durch Schwingungen beobachtet worden.
Ausgehend vom geltenden Merkblatt zur BK 2110 der Anlage zur
BKV ist jedoch, sobald Belastungen im Sinne der BK 2108 (langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten
in extremer Rumpfbeugehaltung) wie auch 2110 vorliegen, von einem synergetischen Zusammenwirken beider Belastungen auszugehen,
d. h. die Einwirkung von Hebe- und Tragevorgängen bzw. Arbeiten in extremen Rumpfbeugehaltungen können bei der Beurteilung
der die Lendenwirbelsäule treffenden Belastungen nicht von den Schwingungsbelastungen der BK 2110 getrennt werden.
Für die BK 2108 allein ergibt sich die berufliche Belastung nach dem MDD aus einem gestuften Ermittlungs- und Beurteilungsverfahren.
In einer ersten Stufe werden Hebe- und Tragetätigkeiten herausgefiltert, die eine Druckkraft am Übergang der LWS zum Kreuzbein
von 3,2 kN (Kilo-Newton) für Männer und 2,5 kN für Frauen erzeugen, für Rumpfbeugehaltung wird eine Druckbelastung von 1,7
kN zu Grunde gelegt (Schwellenwert). Tätigkeiten, die diese Voraussetzungen erfüllen oder überschreiten, werden nach ihrer
Häufigkeit in einer Arbeitsschicht erfasst und die Druckkräfte addiert. Als Beurteilungsdosisrichtwert, bei dessen Erreichen
oder Überschreiten mit einer Gefährdung für das Entstehen bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zu rechnen
ist, gilt für Männer 5,5 kNh (Kilo-Newton pro Stunde), für Frauen 3,5 kNh. Nur wenn diese Tagesdosisrichtwerte erreicht oder
überschritten sind, werden die Tagesdosen zu einer Gesamtdosis addiert. Als Richtwert, bei dessen Erreichen die arbeitstechnischen
Voraussetzungen zum Entstehen einer BK 2108 als gegeben angesehen werden, wurden 25 x 106 Nh für Männer vorgeschlagen (Schäfer
et al., SGb 2002, S. 202), die vom BSG als Orientierungswert anerkannt sind und ein geeignetes Modell darstellen, um die kritische Belastungsdosis
eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeitsschicht und für das Berufsleben zu
ermitteln und in Beziehung zu einem Erkrankungsrisiko zu setzen (vgl. Urteil des BSG vom 18. März 2003 - B 2 U 13/02 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 1).
Das BSG hat jedoch in seinen Entscheidungen vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R - (jeweils zitiert nach Juris) Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde
liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nurmehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf
eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen,
die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft
mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand
ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb
auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes
für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 106 Nh, also auf 12,5 x 106 Nh, herabzusetzen.
Als potentiell gefährdend i. S. d. BK 2110 werden vom Kläger folgende Beschäftigungsabschnitte geltend gemacht (vgl. S. 1-4
des Gutachtens Prof. Dr. B-A):
03.05.1974 - 19.08.1974 Omnibusfahrer beim VEB Kombinat B V
16.02.1976 - 16.05.1977 KOM-Fahrer (Omnibusfahrer) beim VEB K
L
01.01.1980 - 31.12.1984 Omnibusfahrer beim VEB Kombinat BV
01.01.1985 - 31.12.1986 Rangierfahrer beim VEB Kombinat B V
01.01.1987 - 31.12.1987 Anlagenpfleger beim VEB Kombinat B V
01.01.1988 - 28.02.1988 Meister beim VEB Kombinat B V
01.03.1988 - 31.12.1988 Tankwagenfahrer beim VEB Kombinat M
01.01.1989 - 31.03.1989 Tankwagenfahrer beim Bau einer Erdgastrasse bzw. ab
01.04.1989 - 28.02.1992 Objektleiter beim VEB M bzw. der TGmbH beim Bau einer Erdgastrasse
01.08.1992 - 30.04.1997 Omnibusfahrer bei den B V
01.03.1998 - 30.06.1998 Reisebusfahrer bei der Firma M
01.07.1998 - 30.04.2001 Reisebusfahrer bei der Firma P
01.05.2001 - 31.12.2003 Linienbusfahrer bei der Firma B-Transport.
Angaben zu den Lenkzeiten sowie den gefahrenen Fahrzeugen finden sich ebenfalls im Gutachten des Prof. Dr. B-A auf S. 5 und
6 (Bl. 229f der Gerichtsakte) sowie in dessen ergänzender Stellungnahme auf S. 5 (Bl. 397 der Gerichtsakte). Die Beklagte
hat sich unter Verwendung der Angaben des Klägers in den Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 16. Mai 2007 und 05.
September 2008 mit der Frage der Gefährdung befasst, die BGF und die Beigeladene haben sich in Stellungnahmen ihrer Präventionsdienste
vom 03. März 2008 und vom 11. Dezember 2009 ebenfalls geäußert. Danach war der Kläger allein in den Zeiträumen vom 16. Februar
1976 bis zum 16. Mai 1977 und vom 01. März 1988 bis zum 28. Februar 1992 relevanten Gefährdungen i. S. d. BK 2110 ausgesetzt.
Soweit die Beklagte sowie die Beigeladene für die weiteren Zeiträume bei den O V (B), der B, den Unternehmen P und M sowie
der B-T GmbH jeweils eine Gefährdung verneint hat, stößt dies auf keine Bedenken. Zum einen ergibt sich schon aus dem Merkblatt,
dass Omnibusfahrer mit schwingungsgedämpften Sitzen i. d. R. keinen entsprechenden Einwirkungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus
ergibt sich maßgeblich aus den Erhebungen des BGIA-Reports 10/2006 "Schwingungseinwirkung an Fahrerarbeitsplätzen von Kraftomnibussen"
sowie des BIA-Reports 3/99 "Schwingungseinwirkung an Fahrerarbeitsplätzen von Kraftomnibussen", dass die meisten der vom Kläger
gefahrenen Typen - und insbesondere die nach 1992 gelenkten Omnibusse - nicht den Orientierungswert von 0,63 m/s2 erreichen.
Andere risikoerhöhende Faktoren wie in Tabelle 2 des Merkblattes genannt, sind nicht erkennbar. Soweit der Kläger insbesondere
bei den B längere Lenkzeiten geltend macht, ist darauf zu verweisen, dass die Beklagte keine Arbeitsausfalltage berücksichtigt
hat (laut SVA waren das z. B. in den Jahren 1980 27, 1981 40 und 1982 74 Tage). Darüber hinaus ist die geltend gemachte Belastung
alleine deswegen nicht plausibel, weil der Kläger auch als Rangierfahrer, Anlagenpfleger und Meister beschäftigt war. Mit
diesen Tätigkeiten dürften keine erhöhten Lenkzeiten einhergegangen sein. Für die spätere Beschäftigungszeit bei der B, den
Firmen P und M sowie der B-T GmbH scheitert bei bekannten Arbeitsbedingungen und relativ modernen Bussen und Sitzen eine relevante
Gefährdung an den zu niedrigen Schwingungswerten.
Der Gefährdungszeitraum ist mit 15 Monaten + 48 Monaten = 63 Monaten = 5,25 Jahren relativ kurz. Laut Tabelle 2 des Merkblattes
zur BK 2110 ist ein Gesundheitsrisiko für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei einem derartig kurzen
Gefährdungszeitraum wenig wahrscheinlich.
Der Kläger macht allerdings auch eine Belastung durch schweres Heben oder Tragen geltend. Dies bezieht er laut dem Gutachten
des Prof. Dr. B-A auf S. 5 und 6 auf die Zeiträume
01.01.1969 - 30.03.1970 Bootsmann beim VEB D B
14.01.1975 - 16.05.1975 Kraftfahrer im Rechenzentrum Berlin
18.05.1977 - 15.04.1978 Pkw-Fahrer bei der K-Genossenschaft B
01.01.1989 - 31.03.1989 Tankwagenfahrer beim Bau einer Erdgastrasse bzw. ab
01.04.1989 - 28.02.1992 Objektleiter beim VEB M bzw. der TGmbH beim Bau einer Erdgastrasse
01.03.1998 - 30.06.1998 Reisebusfahrer bei der Firma M
01.07.1998 - 30.04.2001 Reisebusfahrer bei der Firma P.
Angesichts der Maßgaben in den o. g. Urteilen des BSG vom 18. November 2008 fließt hier jeder Hebe- und Tragevorgang, bei
dem eine Druckkraft von mindestens 2.700 N auf die Wirbelsäule einwirkt, in die Berechnung nach dem modifizierten MDD ein.
Je nach Art der Lastenmanipulation kann dies schon Lasten ab 10 kg betreffen (einhändiges Heben oder einhändiges Umsetzen,
vgl. Jäger u. a., "Retrospektive Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder", in ASU 1999, 101ff; BK-Report
"Wirbelsäulenerkrankungen 2/03", hrgg. vom HVBG). Die Beklagte hat mit der Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 16. Juli 2008 für die Zeiträume Januar 1975 bis August
1975 (Tragen von Bändern und Ausdrucken), Juni 1977 bis April 1978 (Tragen von Fleischkisten), Januar 1989 bis Februar 1992
(Tragen von Fässern und Tankschlauch) sowie März 1998 bis April 2001 (Tragen von Koffern) eine Gesamtbelastungsdosis von 6,21
x 106 Nh ermittelt. Hierbei sind zum einen fälschlicherweise für den Zeitraum März 1998 bis April 2001 lediglich 1,1 Jahre
anstatt 3,16 Jahre berücksichtigt worden (vgl. die Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beigeladenen vom 11. Dezember
2009). Außerdem sind der Zeitraum vom 01. Januar 1969 bis zum 30. März 1970 unberücksichtigt geblieben und ab Januar 1989
ohne Begründung lediglich 240 statt 270 Arbeitstage der Berechnung zugrunde gelegt worden. Geht man nun von einer Gesamtbelastungsdosis
von mindestens 7,94 x 106 Nh aus und bedenkt, dass noch ein Zeitraum von 1,25 Jahren hinzukommt, die angesetzten Arbeitstage
ab 1989 zu niedrig sind und der Gesamtgefährdungszeitraum für das Heben und Tragen schwerer Lasten sich auf 62 Monate - d.
h. rund fünf Jahre - beläuft, muss in der Zusammenschau mit der Gefährdung durch Ganzkörperschwingungen von der Erfüllung
der arbeitstechnischen Voraussetzungen i. S. des Erreichens eines kumulierten Gesamtbelastungsgrades von 1 nach dem Modell
von Schäfer und Hartung (1999) - ebenfalls unter Berücksichtigung des herabgesetzten Orientierungswertes nach dem MDD von
12,5 x 106 Nh - ausgegangen werden.
Dies kann jedoch letztlich dahin gestellt bleiben, denn es fehlt jedenfalls an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für
eine BK 2110.
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren
Lendenwirbelsäule in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie.
Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen
Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann
allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen
Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2110 der Anlage zur
BKV, BArbBl. 7-2005, S. 43 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei den BKen 2108
und 2110 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau
für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu
bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf
Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen
sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff). Auch der vom Kläger benannte Sachverständige
Prof. Dr. B-A, der bei der Erarbeitung dieser Konsensempfehlungen mitgearbeitet hat, hat auf Nachfrage des Senats in seiner
Stellungnahme vom 25. Juni 2008 keinen neueren, von den Konsensempfehlungen abweichenden, Stand der wissenschaftlichen Diskussion
zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule aufgezeigt. Es ist daher davon auszugehen, dass diese nach
wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen
durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - in SozR 4-2700 §
9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des
SGB VII begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2110 nicht gegeben.
Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ist
nicht nachgewiesen. Der Senat stützt sich hierbei auf das umfangreiche, gründliche und an dem neuesten Stand der medizinischen
Wissenschaft und Forschung ausgerichtete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B-A vom 05. März 2007.
Zwar stellen die beim Kläger durch Prof. Dr. B-A und Dr. R festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BKen 2108/2110 dar. Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung
der LWS zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch
welche die BK 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Druck 773/92 S.8), eingehende Ausführungen gemacht.
Danach sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment,
Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen
an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose)
mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild,
das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen
führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches
Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2110 sowie die Konsensempfehlungen
Punkt 1.3).
Heranzuziehen sind richtigerweise die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder (vgl.
auch Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen). Demgemäß stellen sich im Falle des Klägers nach übereinstimmender Auffassung aller
in dem Verfahren involvierten medizinischer Sachverständiger (Dr. Ehrlich vom 27. März 2005, Prof. Dr. B-A vom 05. März 2007
und 25. Juni 2008, Dr. R vom 20. November 2006) nach der Aufgabe sämtlicher wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten am 30. April
2001 erstmals im Röntgenbild vom 18. Dezember 2003 morphologisch Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule dar, nämlich eine
Chondrose Grad I und Spondylose Grad II bei L4/5 sowie eine Chondrose Grad II L5/S1 und Spondylose Grad III/IV bei L5/S1.
Die Chondrose Grad II und die Spondylose Grad III/IV bei L5/S1 sind bezogen auf das Jahr 2003 und das Lebensalter 54 auch
altersuntypisch (vgl. das Gutachten des Dr. R sowie Punkt 1.2 A der Konsensempfehlungen).
Für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sind neben dem morphologischen Bild ein mit diesem korrelierendes
chronisches klinisches Beschwerdebild und Funktionseinschränkungen erforderlich. Dabei kann es sich nach dem derzeit geltenden
Merkblatt zur BK 2110 um folgende Krankheitsbilder handeln: ein lokales Lumbalsyndrom (chronisch rezidivierende Beschwerden
in der Kreuz-Lendengegend mit möglicher pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur), mono- und polyradikuläre
Wurzelreizsyndrome (ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnervs folgende Schmerzen,
meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms) oder ein Kaudasyndrom (Sonderform der polyradikulären lumbalen
Wurzelreizsyndrome).
Prof. Dr. B-A hat bei seiner Untersuchung am 17. Oktober 2006 einen Klopf-, Stauchungs- oder Druckschmerz im Bereich der Lendenwirbelsäule,
einen vermehrten Muskeltonus im Bereich der paravertebralen Muskulatur, eine eingeschränkte Entfaltung der Lendenwirbelsäule
(Schober lediglich 10/13 cm) sowie eine verminderte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule in der Rotation, ein beidseits positives
Zeichen nach Lasègue bei etwa 30°, ein beidseits positives Zeichen nach Bragard, eine Abschwächung der Kraft des Musculus
quadriceps femoris beidseits sowie eine Hypästhesie im Bereich der linken Oberschenkelvorderseite festgestellt, so dass anhand
der im aktuellen Merkblatt zur BK 2110 vorgegebenen Kennzeichen der Krankheitsbilder im Oktober 2006 ein Wurzelreizsyndrom
und damit schließlich auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bejaht werden kann.
Unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) handelt es sich im Falle des Klägers bei einer unterstellten ausreichenden
beruflichen Belastung (Exposition) nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B-A in seinem Gutachten vom 05. März
2007 um die Konstellation B3 d. h.
- es liegt eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende
Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums
zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z. B. eine relevante Skoliose) liegen nicht vor,
- eine Begleitspondylose liegt nicht vor.
Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 definiert eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder
Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor
dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive
Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der
Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Bei dem Kläger sind nach der Beurteilung des Dr.
R in seinem Gutachten vom 20. November 2006 keine Begleitspondylosen in den über L4/5 gelegenen Segmenten der Lenden- und
Brustwirbeläule nachgewiesen.
Für diese Fallkonstellation hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe keinen Konsens erzielt. Soweit Prof. Dr. B-A wie schon
im Rahmen seiner Beteiligung an den Konsensempfehlungen in seinem Gutachten vom 05. März 2007 und in seiner Stellungnahme
vom 25. Juni 2008 die Auffassung vertritt, Begleitspondylosen seien nicht erforderlich, handelt es sich um eine - seine -
Meinung. Die Frage ist ganz offensichtlich umstritten (vgl. J. Schürmann in Ludolph, Lehmann, Schürmann, Kursbuch der ärztlichen
Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13; Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur
BKV, Lfg. 2/07, M 2108 6.2.4; Konsensempfehlungen, Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen, Anhänge
1 und 2).
Hinweise für das Vorliegen der Fallkonstellation B2 bestehen nicht. Diese Fallkonstellation ist (die ausreichende Exposition
abermals unterstellt) wie folgt definiert:
- gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende
Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums
zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren,
- keine Begleitspondylose sowie
- zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien,
-- Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben oder "black disc" im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten,
-- besonders intensive Belastung,
-- besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen.
Eine altersuntypische Höhenminderung (Chondrose) fand sich zeitnah zur Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit am 30.
April 2001 lediglich am Segment L5/S1. Laut dem Gutachten des Dr. R ergeben sich aus den MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule
vom 08. Juni 2004, 06. Juni 2005 und 17. Oktober 2006 Signalminderungen in den Bandscheiben L4/5 und L5/S1, die jeweils als
"black disc" zu bewerten sind. Dabei handelt es sich jedoch um die schon von der bandscheibenbedingten Erkrankung betroffenen
Segmente und nicht um daran angrenzende Segmente. Eine besonders intensive Belastung oder ein besonderes Gefährdungspotential
durch hohe Belastungsspitzen ist nicht erkennbar.
Der allgemeine beweisrechtliche Grundsatz, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (vgl. BSG in SozR 3850 § 51 Nr. 9; BSG in SozR 1500 § 128 Nr. 31; BSG in
SozR 3-3850 § 52 Nr. 1; Rauschelbach, MedSach 2001, 97; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
7. Aufl. 2003, Kapitel 2.3.4.3) erfordert nach dem BSG, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische
Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht
auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen
Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann daher in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt
vertretenen Auffassung gefolgt werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006, - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 m. w. N.).
Hiernach überzeugt die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. B-A, es bedürfe auch bei Fehlen der Zusatzkriterien der Fallkonstellation
B2 der Konsensempfehlungen keiner Begleitspondylosen für die die Anerkennung einer BK 2110 den Senat nicht. Die Konstellation
B3 entspricht der häufigsten Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen innerer Ursache an der LWS (vgl. V.
Grosser und F. Schröter im Anhang 1 der Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen der Konsensempfehlungen).
Betroffen sind bei dieser Konstellation lediglich die Segmente L4/5 und/oder L5/S1. Bandscheibenschäden in den übrigen LWS-Segmenten
liegen bei dieser Konstellation definitionsgemäß nicht vor. Selbst geringgradige Bandscheibendegenerationen im Sinne einer
nur magnetresonanztomograpisch nachweisbaren so genannten "black disc" sind bei dieser Konstellation in keinem der oberhalb
L4/5 gelegenen Segmente nachweisbar. Auch eine Begleitspondylose als positives Indiz für eine Auswirkung der beruflichen Belastungen
liegt nicht vor. Biomechanische Besonderheiten der beruflichen Einwirkung, welche das Fehlen von Spuren der beruflichen Belastung
in den Segmenten der mittleren und oberen LWS plausibel machen könnten, sind bei der Konstellation B3 nicht gegeben. Da sich
die biologisch-anatomische Schadensentwicklung zwingend durch dokumentierbare (radiologische) Belege nachweisen lassen muss,
fehlt es hier überhaupt am belastungstypischen Schadensbild, da ein altersuntypischer Befund nicht vorliegt (vgl. J. Schürmann
in Ludolph, Lehmann, Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13). Epidemiologische
Arbeiten, welche nachweisen, dass bei Schadensbildern, die der Konstellation B3 entsprechen, bei beruflich Exponierten im
Vergleich zur Normalbevölkerung statistisch eine relevante Risikoerhöhung besteht, existieren nicht (vgl. V. Grosser und F.
Schröter aaO.). Ein derartiger Nachweis wird gemäß den Ausführungen von V. Grosser und F. Schröter auch durch die Fallkontrollstudie
von Seidler et al. nicht geführt. Sie räumten ein, dass in ihrer Studie Patienten mit Chondrose und Spondylose ein höheres
berufliches Erkrankungsrisiko aufwiesen als Patienten mit Chondrose ohne zusätzliche Spondylose. Sie machten aber geltend,
dass ihre Studie dennoch eine relevante Risikoerhöhung auch für Schadensbilder, welche der Konstellation B3 entsprechen, nachweise.
Dies hält einer kritischen methodischen Überprüfung jedoch nicht Stand. Die beruflichen Belastungen wurden in der Studie lediglich
durch eine Befragung der Probanden ermittelt. Die in der Studie verwendeten medizinischen Einschlusskriterien erlauben keineDifferenzierung,
ob die errechneten Erkrankungsrisiken tatsächlich durch eine berufsbedingte Häufung von Bandscheibenschäden verursacht sind
oder ob sie lediglich eine höhere Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung aufgrund einer berufsbedingten Beschwerdeauslösung
bei berufsunabhängigentstandenen Bandscheibenschäden widerspiegeln. Im Ergebnis führt dies zu einer erheblichen Überschätzung
des Risikos, berufsbedingt Bandscheibenschäden zu entwickeln. In der Studie wird bei Erreichen der Richtdosis nach dem MDD
(berechnet ohne Schwellenwert auf der Basis der Befragung der Probanden) eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos auf etwa das
10fache errechnet, wenn man die belastete Gruppe insgesamt betrachtet. Nach den methodisch aussagekräftigsten epidemiologischen
Arbeiten ist das relative Risiko, berufsbedingt Bandscheibenschäden zu entwickeln, bei vergleichbaren bzw. eher höheren Belastungen
jedoch nur auf etwa das 2fache erhöht.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die interdisziplinäre Arbeitsgruppe hinsichtlich der Grundvoraussetzung "ausreichende
berufliche Belastung" (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen) von den Maßgaben des - nicht modifizierten - MDD ausgegangen
ist. Schon unter Zugrundelegung eines Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis von 25 x 106 Nh und einer Mindestdruckkraft
von 3.200 N ist in der interdisziplinären Arbeitsgruppe kein Konsens erzielt worden. Bei nunmehr weiter herunter geschraubten
Anforderungen, die eine Verschiebung der Lastgewichte weg von "schweren" Gewichten hin in die Region alltäglicher Gewichte
zur Folge hat (vgl. hierzu z. B. das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2009 - L 10 U 5965/06 -, in ASR 2009, 177ff), kann erst recht nicht von einem gesicherten aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens zur
vorliegenden Konstellation ausgegangen werden. Auf die Begleitspondylose als Abgrenzungskriterium zu nicht beruflich bedingten
bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS kann nicht verzichtet werden.
Darüber hinaus fehlt es an einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang zwischen der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit und dem
Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule, weshalb ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen
der Einwirkung und der Erkrankung nicht wahrscheinlich zu machen ist (haftungsbegründende Kausalität). Der Kläger hat nach
dem 30. April 2001 (Ende der Tätigkeit als Reisebusfahrer bei der Firma P) keine gefährdenden Tätigkeiten i. S. d. BK 2110
oder 2108 mehr ausgeübt, denn weder wurden nach seinen eigenen Angaben schwere Lasten gehoben oder getragen noch war er beim
Führen der modernen Busse der Firma Neoplan Typ Eindecker EN 416 bzw. der Firma MAN in relevantem Ausmaß Ganzkörperschwingungen
ausgesetzt (vgl. die Stellungnahmen der Präventionsdienste der Beklagten vom 05. September 2008 sowie der Beigeladenen vom
11. Dezember 2009). Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule ist laut dem Gutachten des Prof. Dr. B-A jedoch
erst am 18. Dezember 2003, also rund 2,5 Jahre später, erstmals nachgewiesen worden. Zur Feststellung einer bandscheibenbedingten
Erkrankung sind ein bestimmtes radiologisches (morphologisches) Bild sowie damit korrelierende chronisch-rezidivierende Beschwerden
und Funktionsausfälle erforderlich (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2110 sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3). Hier
ist bereits zweifelhaft, ob zum 30. April 2001 vom Vorliegen eines relevanten morphologischen Bildes ausgegangen werden kann.
Zwar hat Prof. Dr. B-A Recht, wenn er feststellt, dass sich eine Chondrose Grad II und eine Spondylose Grad III/IV über einen
längeren Zeitraum entwickeln. Allerdings schließt dies nicht aus, dass im April/Mai 2001 erst eine noch alterstypische Chondrose
Grad I bzw. eine alterstypische Spondylose Grad II vorlagen. Immerhin ist es auch nach 2002 zu weiteren Verschlimmerungen
im Röntgenbild gekommen (vgl. das Gutachten des Prof. Dr. B-A vom 05. März 2007: Bandscheibenprolaps L4/5 mit Spinalkanalstenose
und rechtsseitiger Recessusstenose am 06. Juni 2005 sowie das Gutachten der Frau Dr. C vom 17. November 2008: Chondrose Grad
III bei Th12/L1 und L4/5 am 11. November 2008).
Selbst wenn man davon ausgeht, dass zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe am 30. April 2001 altersuntypische morphologische
Veränderungen im Segment L5/S1 bereits bestanden haben, so ist für diesen Zeitpunkt kein korrelierendes chronisches klinisches
Beschwerdebild nachgewiesen.
Das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK weist Krankschreibungen wegen Bronchitis, Gastritis und Lumbago vom 10. Februar 1999
bis zum 13. April 1999 sowie wegen Kreuzschmerz (M54.5: laut ICD-10 definiert als Lendenschmerz, Lumbago o. n. A., Überlastung
in der Kreuzbeingegend, nicht: Flankenschmerz-Hämaturie-Syndrom (N39.81), Lumbago durch Bandscheibenverlagerung (M51.2) oder
Lumboischialgie (M54.4)) vom 02. Juli 2002 bis zum 02. August 2002 aus.
Aus dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Lautergrund vom 01. Juli 2003 ergeben sich damals vom Kläger angegebene
lumbagoförmige Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Die Lendenwirbelsäule war altersgerecht frei beweglich (Schober 10/14, Rotation
25/0/30, kein Druckschmerz, Lasègue negativ, keine Sensibilitätsstörungen der unteren Gliedmaßen, regelrechte Reflexe).
In dem für den Rentenversicherungsträger erstellten allgemeinmedizinischen Gutachten des Dr. M vom 15. September 2003 werden
chronisch wiederkehrende Lendenwirbelsäulenbeschwerden sei zwei Jahren (d. h. seit 2001) angegeben. Der Kläger berichtete
von unter Belastung gelegentlich auftretenden Taubheitsgefühlen in beiden Oberschenkeln bei gelegentlichem Schmerz im Lendenwirbelsäulenbereich
ohne dezidierte radikuläre Symptomatik. Die Lendenwirbelsäule war frei beweglich, das Zeichen nach Lasègue war beidseits negativ,
Paresen oder Sensibilitätsstörungen an den unteren Extremitäten bestanden nicht.
In dem ebenfalls für den Rentenversicherungsträger erstellten chirurgischen Gutachten des Dipl.-Med. P vom 09. Dezember 2003
wird von in den letzten Wochen unter Belastung zunehmenden lumbalen Wirbelsäulenbeschwerden mit ständiger Sensibilitätseinschränkung
an den Beinen mit Betonung an der Vorderseite berichtet. Es bestand eine Klopfempfindlichkeit über dem rechten Ileosacralgelenk
sowie ein Funktionsschmerz des rechten Ileosacralgelenks bei Bewegung nach rechts. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule
war uneingeschränkt, Lasègue und Bragard waren beidseits negativ, die Muskeleigenreflexe waren erhalten. Es fand sich eine
eingeschränkte Spitz-/Stumpfdiskrimination an der Oberschenkelaußenseite links in etwa im Dermatom S1.
Anlässlich der Untersuchung durch Dr. E am 03. Februar 2005 gab der Kläger Dauerschmerzen in der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung
in beide Beine bis zu den Unterschenkeln an. Seit 1989 kehrten bewegungs- und belastungsabhängig Kreuzschmerzen wieder. Im
Juli 2004 war eine periradikuläre Therapie L4 bis L5 rechts durchgeführt, wegen einer Thrombose jedoch abgebrochen worden.
Dr. E stellte eine erhebliche Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie ein positives Zeichen nach Lasègue
rechts bei 45° und links bei 60° fest. Sensibilitätsstörungen oder Lähmungen fanden sich nicht.
Damit ist jedenfalls bis Dezember 2003 kein chronisch rezidivierendes lokales Lumbalsyndrom oder chronisches mono- oder polyradikuläres
Wurzelreizsyndrom nachgewiesen. Es bestanden lediglich gelegentlich, vorwiegend unter Belastung, auftretende Beschwerden bei
freier Beweglichkeit, die nicht zu häufigen wiederkehrenden Krankschreibungen geführt haben und nicht typisch für eine bandscheibenbedingte
Erkrankung sind. Dies korreliert mit der eigenen Beschwerdeaufstellung des Klägers zu dem Gutachten des Dr. E, in der ein
chronisches Halswirbelsäulensyndrom bis Dezember 2003 eindeutig im Vordergrund steht sowie mit dem Umstand, dass das BK-Verfahren
bei der Beklagten auch vom Kläger ursprünglich lediglich mit Blick auf die Bandscheibenerkrankung der Halswirbelsäule aufgenommen
wurde.
Darüber hinaus hat die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Der bei
der hier umstrittenen BK 2110 geforderte Unterlassungszwang setzt laut dem BSG in der Regel voraus, dass die Tätigkeiten,
die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte
die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (ständige
Rspr. vgl. Urteil des BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 27/02 R -, zitiert nach Juris; BSG in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht
(BSG aaO.; BSG in SozR 5670 Anl. 1 Nr. 4301 Nr. 2).
Der Kläger hat hier sämtliche gefährdende Tätigkeiten dauerhaft mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma
P am 30. April 2001 aufgegeben. Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B-Abestand kein Unterlassungszwang
aufgrund der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule, denn eine solche Erkrankung (d.h. morphologische Veränderungen
und ein korrelierendes chronisches klinisches Bild) ist für diesen Zeitpunkt - wie eben bereits dargelegt - nicht im Vollbeweis
nachgewiesen. Das Vorliegen einer gesicherten bandscheibenbedingten Erkrankung i. S. d. BK 2110 zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe
ist im Rahmen der Prüfung des Unterlassungszwangs jedoch ein Mindesterfordernis. Liegt eine solche Erkrankung gesichert vor,
kommt es auf die Motivation zur Tätigkeitsaufgabe tatsächlich nicht an. Liegt eine solche Erkrankung zum Zeitpunkt der Aufgabe
aller gefährdenden Tätigkeiten aber tatsächlich nicht vor, ist es nicht von Relevanz, ob eine später auftretende bandscheibenbedingte
Erkrankung der Lendenwirbelsäule früher oder später eventuell aus arbeitsmedizinischer Sicht ebenfalls zur Tätigkeitsaufgabe
hätte führen müssen.
Soweit die Chefärztin der Klinik für operative und konservative Orthopädie sowie Wirbelsäulenchirurgie des Bezirksklinikums
O, Frau Dr. C, in dem von der Beklagten eingereichten - im Rahmen des bei der Beklagten anhängigen Überprüfungsverfahrens
zur BK 2108 erstellten - Gutachten vom 17. November 2008 sowie in ihrer Stellungnahme vom 24. Juli 2009 die Auffassung vertritt,
hier liege aus medizinischer Sicht die Konstellation B1 der Konsensempfehlungen und damit eine BK vor, ist dem nicht zu folgen.
Denn das Gutachten weist gravierende Mängel auf und ist daher nicht verwertbar. Beispielsweise berücksichtigt es entgegen
den Konsensempfehlungen nicht den anhand der der Tätigkeitsaufgabe am nächsten liegenden bildgebenden Befunde nachgewiesenen
morphologischen Befund. Darüber hinaus enthält es keine transparenten Berechnungen oder Ausführungen zur Feststellung der
Chondrose-/Spondylosegrade. Es wird ohne Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Prof. Dr. B-A und auf der Grundlage neuer
Röntgenbilder eine Begleitspondylose bejaht. Auch findet keinerlei Diskussion zum plausiblen zeitlichen Zusammenhang oder
zum Unterlassungszwang statt.
Der Kläger hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Anerkennung der Gesundheitsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule
wie eine BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII, denn es liegen ausweislich der Auskünfte des BMAS vom 21. April 2006 und 09. Juni 2008 sowie der Stellungnahme des Prof.
Dr. B-A vom 25. Juni 2008 keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Verursachung von bandscheibenbedingten
Erkrankungen der Halswirbelsäule durch besondere Einwirkungen, denen Omnibus- oder Lkw-/Tankwagen-Fahrer im Rahmen ihrer Tätigkeit
im Vergleich zur restlichen Bevölkerung ausgesetzt sind (z. B. häufiges Drehen des Kopfes), vor.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.