Bestimmung einer Schiedsperson für die hausarztzentrierte Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung; Anfechtbarkeit
der Einstellung des Schiedsverfahrens durch die Krankenkasse; Zulässigkeit einer bundesweiten Bestellung einer Schiedsperson;
Voraussetzungen eines vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes
Gründe:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2010 ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig aber unbegründet. Das Sozialgericht hat es rechtsfehlerfrei abgelehnt, die mit dem Hauptantrag begehrte aufschiebende
Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2010 anzuordnen, mit dem die Antragsgegnerin
Herrn Dr. A. N. als Schiedsperson in den Verhandlungen zwischen dem Beigeladenen und der Antragstellerin für den Bezirk der
Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) bestimmt hatte; ebenso hat es zu Recht das mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Begehren
abgelehnt anzuordnen, dass die durch die Schiedsperson festgesetzten Vertragsinhalte nicht vor rechtskräftiger Entscheidung
über die Klage in Kraft treten können.
1.) Die aufschiebende Wirkung der Klage hätte im vorliegenden Fall, in dem die Bestimmung der Schiedsperson kraft Gesetzes
gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 73b Abs. 4a Satz 4 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB IV) sofort vollziehbar ist, gemäß §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG nur dann angeordnet werden dürfen, wenn das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der schnellen
Durchführung des Schiedsverfahrens überwogen hätte. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn sich die Bestimmung der Schiedsperson
als rechtswidrig erwiesen hätte. Das ist jedoch nicht der Fall; vielmehr spricht alles dafür, dass die mit der Klage angefochtene
Bestimmung des Dr. A. N. als Schiedsperson rechtmäßig war.
a) Nach §
73b Abs.
1 SGB V haben die Krankenkassen ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten.
Zur flächendeckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 haben Krankenkassen allein oder in Kooperation mit anderen
Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an
der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten. Können
sich die Vertragsparteien nicht einigen, kann die Gemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach Absatz 4a beantragen
(§73b Abs. 4 Satz 1
SGB V). Beantragt eine Gemeinschaft gemäß Absatz 4 Satz 2 die Einleitung eines Schiedsverfahrens, haben sich die Parteien auf eine
unabhängige Schiedsperson zu verständigen, die den Inhalt des Vertrages nach Absatz 4 Satz 1 festlegt. Einigen sich die Parteien
nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der für die Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt (§
73b Abs.
4a Sätze 1 und 2
SGB V).
b) Die danach erforderlichen Voraussetzungen zur Bestellung einer Schiedsperson durch die Antragsgegnerin, die die für die
Antragstellerin gemäß §
90 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (
SGB IV) zuständige Aufsichtbehörde ist, sind erfüllt: Ein Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung zwischen der Antragstellerin
und dem Beigeladenen ist bis zu der im Gesetz bestimmten Frist nicht zustande gekommen, der Beigeladene hat mit Schreiben
vom 22. Juni 2009 und vom 29. Juni 2009 die Einleitung eines Schiedsverfahrens beantragt und die Parteien haben sich auf eine
unabhängige Schiedsperson nicht verständigen können.
Die Antragsgegnerin traf deshalb die Verpflichtung, eine unabhängige Schiedsperson zu bestimmen, wenn der Beigeladene mindestens
die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung
Berlin vertritt. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen
Beschlusses gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG Bezug, zumal sich diese hinsichtlich der rechtlichen Einwände der Antragstellerin mit der diesbezüglichen Begründung der
Beschlüsse der Landessozialgerichte Niedersachsen-Bremen vom 22. September 2010, - L 3 KA 68/10 B ER - (nicht veröffentlicht) und Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 2010, -L 11 KA 61/10 B ER - (zitiert nach juris) decken, die sich mit nahezu identischem Vorbringen der Antragstellerin auseinanderzusetzen hatten.
Denn die Antragstellerin bringt mit ihrer Beschwerde im Wesentlichen keine neuen Gesichtpunkte vor. Soweit sie darin darüber
hinaus geltend macht, dass nunmehr äußerst zweifelhaft sei, dass der Beigeladene das gesetzliche Quorum erfülle, weil sich
die Zahl der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin
erhöht habe, kommt es darauf rechtlich nicht an: Maßgeblich für die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Bestimmung
einer Schiedsperson sind nämlich die Verhältnisse im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung, die keinen Dauerverwaltungsakt
darstellt und hinsichtlich der Auswahlentscheidung über die Schiedsperson eine Ermessensentscheidung beinhaltet. Dies bedeutet
nicht, dass die Antragstellerin zu einem Vertragsschluss mit oder zur Duldung eines Schiedsspruchs hinsichtlich einer nach
§
73b Abs.
4 Satz 1
SGB V nicht mehr legitimierten Ärztegemeinschaft im Schiedsverfahren verpflichtet wäre. Verlöre der Beigeladene nachträglich seine
Vertragsabschlusskompetenz, könnte die Antragstellerin mit entsprechendem substantiierten Vortrag die Einstellung des Schiedsverfahrens
beim Antragsgegner oder dem Schiedsmann selbst verlangen oder einen Schiedsspruch erfolgreich mit einer entsprechenden Begründung
anfechten. Hingegen wäre es weder mit der Verpflichtung der Antragstellerin nach §
73b Abs.
1 SGB V, ihren Versicherten eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten noch mit dem durch die Aufnahme einer Abschlussfrist in
§
73b Abs.
4 Satz 1
SGB V normierten Beschleunigungspflicht der Vertragspartner zu vereinbaren, dem Antragsgegner die Pflicht aufzuerlegen, bei einem
möglicherweise nur kurzfristigen Entfallen der Vertragsabschlusskompetenz einer Ärztegemeinschaft die Bestimmung einer Schiedsperson
aufzuheben, um sie ggf. kurze Zeit später erneut wieder vornehmen zu müssen.
c) Die Antragsgegnerin hat die Bestimmung des Dr. A. N. zur Schiedsperson entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin auch
ermessensfehlerfrei vorgenommen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ist die Antragsgegnerin zur Bestellung einer
Schiedsperson verpflichtet; nur hinsichtlich der Auswahl der Schiedsperson besitzt sie ein Ermessen. Dieses hat sie in einer
dem Zweck ihrer Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten
(vgl. §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG).
Zweifel an der persönlichen und fachlichen Eignung des Dr. A. N. bestehen auch nach Auffassung der Antragstellerin ebenso
wenig wie an seiner Unparteilichkeit. Weiter ist geklärt, dass bundesweit nur wenige Personen zur Verfügung stehen, die über
die erforderliche Sachkunde verfügen, eine Funktion als Schiedsmann für Verträge der hausarztzentrierten Versorgung wahrnehmen
zu können. Es ist entspricht dem Zweck des §
73b SGB V, den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung schnell eine besondere hausärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen,
die Bestimmung der erforderlichen Schiedspersonen auf diese Personen zu konzentrieren. Es ist deshalb nicht zu beanstanden,
dass die Antragsgegnerin Dr.A.N. für mehrere KV-Bezirke als Schiedsperson bestellt hat. Verträge der hausarztzentrierten Versorgung
sind nach §
73b Abs.
4 SGB V im Bereich der Bezirke der Kassenärztlichen Vereinigungen zu schließen; in ihnen ist das Angebot nach §
73b Abs.
1 SGB V flächendeckend zur Verfügung zu stellen (§
73b Abs.
4 Satz 4
SGB V). Von einer bundesweiten Bestellung einer Schiedsperson für die Antragstellerin durfte die Antragsgegnerin deshalb absehen,
weil der Gesetzgeber den KV-Bezirk und nicht den Wirkungsbereich der Krankenkassen, im vorliegenden Verfahren einer bundesweit
tätigen Krankenkasse, zum Bezugspunkt für die Verträge der hausarztzentrierten Versorgung gemacht hat. Eine Grenze muss die
Bestellung einer Schiedsperson für mehrere KV-Bezirke finden, wenn es der Schiedsperson nicht mehr möglich wäre, die Schiedsverfahren,
für die sie bestellt ist, in angemessener Zeit zu beenden; dass hier eine solche Situation gegeben wäre, wird von keinem der
Beteiligten substantiiert behauptet. Neben der Sache liegt der Einwand der Antragstellerin, durch die Bestimmung einer Schiedsperson
für einen bzw. mehrere KV-Bezirke und damit möglicherweise für eine Vielzahl von Krankenkassen sei der Abschluss kassenspezifischer
hausarztzentrierter Verträge nicht mehr gewähr-leistet, es werde vielmehr in der Sache zu neuen Kollektivverträgen kommen.
Es ist Sache der Antragstellerin, durch entsprechenden Vortrag und entsprechende Anträge im Schiedsverfahren dafür zu sorgen,
dass ihren Versicherten ein kassenspezifisches Angebot für eine hausarztzentrierte Versorgung am Ende des Schiedsverfahrens
zur Verfügung steht. Dass Dr.A.N. einem solchen Vertragsschluss nicht aufgeschlossen zur Verfügung stünde, folgt nicht daraus,
dass er erwogen hat, einen einheitlichen Schiedstermin für alle Betriebskrankenkassen durchzuführen. Die Verhandlung mehrerer
Verfahren mit einem gleichen oder ähnlichen Verfahrensgegenstand in einem einheitlichen Termin oder in engem zeitlichen Zusammenhang
erleichtert vielmehr nach richterlicher Erfahrung das Erkennen der Unterschiede der Vertragsgegenstände. Deshalb spricht für
die Bestimmung einer Schiedsperson für eine Vielzahl von Schiedsverfahren innerhalb eines KV-Bezirks bzw. für mehrere KV-Bezirke
letztlich der Gedanke, über Synergieeffekte und die Bildung von Erfahrung durch eine Vielzahl von Fällen zu differenzierten
kassenspezifischen Verträgen zu kommen.
2.) Der Hilfsantrag, gemäß §86b Abs. 2
SGG im Wege einstweiliger Anordnung anzuordnen, dass die durch die Schiedsperson festgesetzten Vertragsinhalte nicht vor rechtskräftiger
Entscheidung über die Klage gegen die Bestellung der Schiedsperson in Kraft treten könnten, ist unzulässig. Der Sache nach
handelt es sich bei diesem Antrag um ein Begehren nach vorläufigem vorbeugenden Rechtsschutz, weil derzeit unklar ist, ob
es vor der Entscheidung über die genannte Klage überhaupt zu einem für die Klägerin belastenden Schiedsspruch kommen wird.
a) Anträge auf Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes setzen wegen des auch für das
SGG geltenden Prinzips, dass grundsätzlich nachgehender Rechtsschutz zu gewähren ist, im Sinne eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses
voraus, dass nachgehender Rechtsschutz zur Wahrung der Rechte eines Antragstellers ungeeignet wäre, weil er auf Grund der
besonderen Umstände des konkreten Falles zu spät käme. Nur in diesem Fall gebietet Art.
19 Abs.
4 GG die vom Regelfall abweichende Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes. Für eine solche Situation gibt es im vorliegenden Fall
überhaupt keine Anhaltspunkte. Es ist der Antragstellerin zuzumuten, zunächst einmal abzuwarten, ob und mit welchem Inhalt
Dr.A.N. in ihrem Schiedsverfahren entscheiden wird und im Falle einer Verletzung ihrer Rechte gegen den Schiedsspruch Klage
zu erheben sowie in diesem Zusammenhang ggf. um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen. Ein solches vorläufiges Rechtsschutzverfahren
würde in jedem Fall eine gerichtliche Entscheidung erlauben, um die Umsetzung eines rechtswidrigen Schiedsspruches rechtzeitig
verhindern zu können.
b) Soweit der Hilfsantrag hingegen darauf gerichtet sein sollte, nicht nur die Bestellung der Schiedsperson, sondern auch
die Durchführung des Schiedsverfahrens und das Zustandekommen hausarztzentrierter Verträge zu verhindern, fehlt es ganz offensichtlich
an einem schutzwürdigen rechtlichen Interesse am vorliegenden Verfahren. Der Gesetzgeber hat in §
73b SGB V den Krankenkassen vorgeschrieben, eine besondere hausärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen; am Zustandekommen der
dazu erforderlichen Verträge müssen die Kassen mitwirken. Für den Fall, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen,
hat der Gesetzgeber ein Verfahren vorgesehen, das auch gegen den Willen der Kassen zu dem gesetzgeberisch vorgesehenen Leistungsangebot
führen soll. Dieses Verfahren darf auch durch gerichtlichen Rechtsschutz nicht unterlaufen werden.
Die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Streitwertes beruhen auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung bzw. §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).