Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Sperrzeitfeststellung.
Die am xxxxx 1980 geborene Klägerin hat zwischen 2007 und 2011 ein Sprachenstudium in E. absolviert (Deutsch, Englisch, Französisch)
und durchlief an der Universität W. von März 2015 bis Mai 2017 eine Ausbildung am Zentrum für Translationswissenschaften.
In der Zeit vom 5. September 2017 bis 31. März 2019 war sie als „Members Relations Agent“ (Bodenstewardess) bei der „C. GmbH“
bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 2.600 Euro beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis endete durch betriebsbedingte
Kündigung ihrer Arbeitgeberin. Mit Änderungsbescheid vom 13. Mai 2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld
(Alg) für den Zeitraum vom 1. April bis 30. November 2019 (240 Tage) in Höhe von täglich 36,92 Euro. Mit Bescheid vom 5. Juli
2019 wies die Beklagte die Klägerin einer Maßnahme zur beruflichen Eingliederung bei der Fa. „M. GmbH“, H. zu. Die auf arbeitslose
oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Akademiker zugeschnittene Maßnahme „zur Unterstützung der Vermittlung mit ganzheitlichem
Ansatz“ sollte am 15. Juli 2019 beginnen, auf die Rechtsfolgen einer Ablehnung der Maßnahme ohne wichtigen Grund wurde hingewiesen.
Die Klägerin trat die Maßnahme nicht an und sandte an die Beklagte am 15. Juli 2019 eine Email, in der sie als Grund für die
Abwesenheit auf ein Attest Bezug nahm, wonach sie am 15. Juli 2019 von 10.00 Uhr bis 11.00 Uhr in der psychiatrischen Praxis
des Psychiaters A.D. zur Behandlung gewesen sei. Außerdem fügte sie eine Praktikumsbescheinigung der S. GmbH bei, bei der
der Klägerin vom 1. August bis zum 30. November 2019 ein Langzeitpraktikum angeboten worden war. Die Klägerin bat die Beklagte,
sich dieser Maßnahme anzunehmen, da sie „von diesem Praktikum hinsichtlich ihrer Fähigkeiten profitieren werde“.
Mit Bescheiden vom 5. und 11. September 2019 stellte die Beklagte für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 5. August 2019 (drei
Wochen) eine Sperrzeit fest und forderte das für die Zeit vom 16. bis 31. Juli 2019 gezahlte Alg in Höhe von 555,80 Euro von
der Klägerin zurück, da die Klägerin trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an der ab dem 15. Juli 2019 zugewiesenen Maßnahme
nicht teilgenommen habe.
Die Klägerin legte gegen die Bescheide am 20./24. September 2019 Widerspruch ein. Sie habe die Eingliederungsmaßnahme aus
gutem Grund abgelehnt. Wie man Bewerbungen schreibe, wisse sie. Zu anderen für sie relevanteren Maßnahmen sei sie bereit,
sie habe sich selbst um ein sechswöchiges Praktikum bemüht. Die vorgeschlagene Maßnahme habe sie unter Beifügung eines ärztlichen
Attests rechtzeitig abgesagt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für die Verhängung
einer Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme gemäß §
159 Abs.
1 Satz 2 Nr.
4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) hätten vorgelegen. Ein wichtiger Grund für die Weigerung der Klägerin sei nach objektiven Kriterien nicht erkennbar. Die
Klägerin habe die Förderung vorher schriftlich zugesagt und erfahrungsgemäß werde die Wiedereingliederung nach derartigen
Maßnahmen, bei denen es auch nicht nur um Bewerbungen gehe, verbessert. Durch die Sperrzeit mindere sich die Anspruchsdauer
um 21 Tage.
Die Klägerin hat gegen diesen am 30. September 2019 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid am 15. Oktober 2019 Klage vor
dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Ihr habe ein wichtiger Grund zur Seite gestanden, die Maßnahme nicht anzutreten. Sie habe
zeitlich mit einem Arzttermin kollidiert, wobei jeder wisse, wie schwierig es sei, Termine bei Psychotherapeuten zu bekommen.
Außerdem habe sie sich selbst um eine geeignetere Maßnahme gekümmert.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ein objektiv wichtiger Grund, die Maßnahme nicht anzutreten, habe für die Klägerin
nicht bestanden. Trotz eines Arbeitnehmermarktes sei sie seit April 2019 beschäftigungslos gewesen. Eine Teilnahme an der
Maßnahme hätte eine Vermittlung in Arbeit verbessern können. Die Klägerin könne nicht nach Belieben Alternativen für sich
in Anspruch nehmen. Aus dem einstündigen Termin bei einem Psychologen folge kein wichtiger Grund, die Klägerin sei an einer
Teilnahme an der Maßnahme deshalb nicht gehindert gewesen. Eine zeitweise Abwesenheit hätte mit dem Träger der Maßnahme abgestimmt
werden können. Das sei der Klägerin vorher auch mitgeteilt worden.
Mit Urteil vom 17. März 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Wahrnehmung der Arzttermine hätte mit dem Träger
abgestimmt werden können und das selbst gesuchte Praktikum habe erst ab 19. August 2019 stattfinden sollen. Die Sinnhaftigkeit
von Maßnahmen und die Zulassung von Maßnahmeträgern unterliege dem Beurteilungsspielraum der Beklagten.
Gegen diese, ihrer Prozessbevollmächtigten am 23. März 2021 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 30. März 2021 Berufung
eingelegt. Sie trägt vor, ein wichtiger Grund für ihre Weigerung, an der Maßnahme teilzunehmen, habe vorgelegen. Wie ihrem
Lebenslauf zu entnehmen sei, habe sie bis März 2019 in 14 verschiedenen Arbeitsverhältnissen gestanden. In allen Fällen habe
sie die Stellenangebote selbst ermittelt und die Bewerbungen selbst geschrieben. Seit dem 18. März 2020 arbeite sie an einem
Lehrstuhl der Universität H.. Ihre selbst formulierte und ohne fremde Hilfe verfasste Bewerbung sei damit erfolgreich gewesen.
Sie habe die Maßnahme abgelehnt, da sie für sie keinen Sinn gemacht habe. Auch habe sie einen Praktikumsplatz in Aussicht
gehabt, der eine viel sinnvollere Maßnahme der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dargestellt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. März 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 5.September 2019 und 11. September
2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und weist darauf hin, dass die von der Klägerin abgelehnte Maßnahme sich
nicht darin erschöpft hätte, das Anfertigen von Bewerbungen zu üben, sondern der umfassenden Verbesserung der Bewerberchancen
der Klägerin gedient hätte. So sollte z.B. durch zweimal wöchentlich stattfindende Ansprache der Teilnehmer auf deren persönliche
Bedürfnisse und Bemühungsansätze eingegangen werden. Sie sollten bei ihren Integrationsbemühungen unterstützt, begleitet und
motiviert werden und es sollten alternative Wege und Ansätze aufgezeigt werden. An die Geeignetheit einer Maßnahme zur Aktivierung
und beruflichen Eingliederung seien auch keine überzogenen Forderungen zu stellen.
Der Senat hat über die Berufung am 15. Dezember 2021 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug
genommen wie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Leistungsbeschreibung der Maßnahme T. vom 14. November
2017 (Bl. 92 – 108 der Prozessakte).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist gemäß §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne Zulassung statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 Euro übersteigt. Nach dem Widerspruchsbescheid vom 27.
September 2019 mindert sich die Anspruchsdauer der Klägerin durch die Sperrzeit um 21 Tage, sodass bei Alg in Höhe von 36,92
Euro täglich der Beschwerdewert 775,32 Euro beträgt. Die auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte
(§
151 SGG) Berufung erweist sich jedoch als unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige (isolierte) Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in
ihren Rechten. Gegenstand des Klageverfahrens sind die Bescheide vom 5. und 11. September 2019, über die auch insgesamt mit
dem Widerspruchsbescheid vom 27. September 2019 entschieden worden ist.
Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Alg-Bewilligung für den streitigen Zeitraum richtet sich nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit §
330 Abs.
3 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit die Betroffene
wusste oder nicht wusste, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem
Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist
jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der Leistung auswirkt (vgl. nur BSG, Urteil vom 21. März 1996 –11 RAr 101/94, BSGE 78, 109). Die Beklagte ist von einer Änderung aufgrund eines Ruhens des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts von Sperrzeiten nach
Ablehnung einer Maßnahme zur Aktivierung und Eingliederung ausgegangen. Nach §
159 Abs.
1 Satz 1
SGB III ruht der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne
dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt nach dem hier allein in Betracht kommenden §
159 Abs.
1 Satz 2 Nr.
4 SGB III vor, wenn die Arbeitslose sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen
Eingliederung im Sinne des §
45 SGB III teilzunehmen.
Eine Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme setzt zunächst ein hinreichend benanntes, zumutbares
Maßnahmeangebot voraus, versehen mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung. Diese Anforderung erfüllt das Maßnahmeangebot
der Beklagten vom 5. Juli 2019, auch die Rechtsfolgenbelehrung ist konkret, richtig und vollständig und erläutert in verständlicher
Form zutreffend, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich im Fall einer Weigerung ohne wichtigen Grund ergeben
(vgl. zu den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung im Einzelnen BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 – B 11 AL 14/18 R, juris).
Der Klägerin stand ein wichtiger Grund, an der zugewiesenen Maßnahme nicht teilzunehmen, nicht zur Seite. Ein solcher ist
nur dann anzunehmen, wenn der Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung ihrer
Interessen mit denjenigen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (vgl etwa BSG, Urteil vom 12. September 2017 – B 11 AL 25/16 R, SozR 4-4300 § 159 Nr. 3). Die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen muss die Klägerin als sich
versicherungswidrig verhaltende Person darlegen und nachweisen, soweit diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich
liegen (vgl. §
159 Abs.
1 Satz 3
SGB III).
Dass die Klägerin sich in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen erfolgreich mit selbst verfassten Bewerbungsschrieben
auf angebotene Arbeitsstellen beworben hat, rechtfertigt es nicht, eine Teilnahme an der angebotenen Maßnahme zu verweigern.
Dass die Klägerin früher möglicherweise problemlos auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich war, sagt über ihre konkreten Fähigkeiten,
in künftigen Bewerbungsverfahren zu bestehen, noch nichts aus. Immerhin waren die bisherigen Bemühungen der Klägerin, die
bereits seit Februar 2019 arbeitsuchend war, seit fast fünf Monaten erfolglos geblieben. Die angebotene Maßnahme sollte einen
„ganzheitlichen“ Ansatz verfolgen, also den Kursteilnehmern ein Bewerbungstraining in allen Facetten bieten. Die Einübung
zeitgerechter und professionell erstellter Bewerbungsschreiben stellt dabei nur einen kleinen Teil der zu vermittelnden Fähigkeiten
dar. Hinzu kommen Trainingseinheiten zum Auftreten, Verhalten z.B. gegenüber Vorgesetzten und Kollegen, Verbesserung des Ausdrucksvermögens
und vieles mehr. Eine Teilnahme an einem solchen Training ist auch jemandem, der bereits seit längerem in Beschäftigungsverhältnissen
gestanden hat, zumutbar, zumal die Maßnahme entsprechend dem gesetzlichen Auftrag der Beklagten gerade der Unterstützung im
Bewerbungsprozess dienen sollte und speziell für Akademiker zugeschnitten war.
Ein wichtiger Grund für die Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem ihr in Aussicht gestellten Praktikum bei einem Immobilienunternehmen.
Da das Praktikum erst am 1. August 2019 beginnen sollte, hätte die Klägerin zunächst an der Maßnahme teilnehmen und die Reaktion
der Beklagten abwarten können, statt der Maßnahme einfach fernzubleiben.
Auf die ursprünglich geltend gemachte weitere Begründung für ihr Fernbleiben, den Arztbesuch am 15. Juli 2019, hat die Klägerin
im Berufungsverfahren nicht mehr abgestellt. Auch dieser einstündige Termin hätte keinen wichtigen Grund dargestellt, die
Teilnahme an der Maßnahme generell zu verweigern. Die Beklagte hat im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass die zeitweise
Abwesenheit mit dem Träger der Maßnahme hätte abgestimmt werden können. Nach Ziff. B 1.3 der Leistungsbeschreibung des Maßnahmeträgers
bestand eine Präsenzpflicht für die Teilnehmer an nur zwei Tagen pro Woche, Arzttermine hätten somit unproblematisch vereinbart
werden können. Unter Ziff. B1.6 (Präsenztage) ist geregelt, dass Teilnehmer, die einen Termin nicht wahrnehmen können, die
Gelegenheit bekommen, diesen Termin innerhalb von fünf Werktagen nachzuholen.
Die Beklagte war auch berechtigt und verpflichtet, die Alg-Bewilligung nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X in Verbindung mit §
330 Abs.
3 SGB III für den Streitzeitraum vom 16. Juli 2019 bis 5. August 2019 aufzuheben, sodass sich die Alg-Anspruchsdauer um 21 Tage mindert
(§
148 Abs.
1 Nr.
3 SGB III). Der Klägerin ist nach dem insoweit anzuwendenden subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab und der dabei zu berücksichtigenden
Urteils- und Kritikfähigkeit, wie sie sich auch aus ihrem beruflichen Werdegang und ihren Einlassungen im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren
ergibt, zumindest grob fahrlässige Unkenntnis von der eingetretenen Rechtswidrigkeit anzulasten. Die Hinweise in der Rechtsfolgenbelehrung
auf die Rechtslage und den Eintritt einer Sperrzeit von zumindest drei Wochen bei Nichtantritt der Maßnahme waren für eine
verständige Versicherte wie die Klägerin unmissverständlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.