Witwenrente; Versorgungsehe; besondere Umstände; länger feststehender Hochzeitstermin; Gesamtabwägung; Verzicht auf Zeugenvernehmung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Witwenrente. Umstritten ist dabei allein, ob zwischen der Klägerin und dem
Versicherten eine sogenannte Versorgungsehe im Sinne des §
46 Abs.
2a Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (
SGB VI) bestanden hat.
Die 1951 geborene Klägerin ist Witwe des 1949 geborenen und 2013 verstorbenen Versicherten C. A. Nachdem sie bereits vom 18.
August 1980 bis 23. Mai 2000 miteinander verheiratet waren und eine gemeinsame Tochter (D. D., geb. 1981) haben, zog der Versicherte
am 4. Januar 2011 wieder zu der Klägerin.
Die Klägerin ist seit 1995 schwer erkrankt; die Pflegestufe 2 ist festgestellt. Mit Änderungsbescheid vom 29. November 2011
stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B
und H fest (Herzerkrankung, Lungenfunktionsminderung: Einzel-GdB von 70). Nach ihren Angaben führt sie seit 2005 eine Sauerstoff-Langzeittherapie
täglich 16 Stunden mit 2 l in/min durch.
Der Versicherte war in Vollzeit berufstätig bei der Firma F. GmbH in A-Stadt. Am 17. Oktober 2012 erkrankte er arbeitsunfähig,
nachdem er ausweislich des Entlassungsberichts des Elisabeth Krankenhauses Kassel vom 22. Oktober 2012 seit zwei Wochen an
Oberbauch- und Rückenschmerzen, intermittierend Übelkeit gelitten hatte. Am 18. Oktober 2012 erlitt der Versicherte nach ambulantem
Röntgen des Thorax (mit unauffälligem Befund) noch in der radiologischen Praxis einen präkollaptischen Zustand und wurde von
dort mit dem Notarztwagen in das Elisabeth Krankenhaus gebracht. Dort ergab eine Sonografie des Bauches am 22. Oktober 2012
eine große zystische Raumforderung in der rechten Nierengegend. Eine Computertomografie ebenfalls am 22. Oktober 2012 führte
zu der Diagnose: Verdacht auf abszedierende Nephritis und Perinephritis mit Abzessbildungen in der Leber sowie entlang des
rechten Harnleiters; Differenzialdiagnostisch: Nieren-Carzinom mit ausgedehnter Nekrose und Metastasen in der Leber sowie
entlang des rechten Harnleiters. Massive Stauung der rechten Niere.
Am nächsten Tag wurde der Versicherte in die urologische Abteilung des Klinikums Kassel verlegt, wo er vom 23. Oktober bis
7. Dezember 2012 zur weiteren Aufklärung und Behandlung war. Noch am Verlegungstag, am 23. Oktober 2012, wurde abends eine
Computertomografie des Bauches mit Kontrastmittel durchgeführt. Darin zeigten sich unter anderem eine Raumforderung von ca.
6 x 4 cm im mittleren Harnleiterdrittel, mehrere maximal 3 cm große Lebermetastasen sowie Lymphknoten bis 2,2 cm im Sinne
von Metastasen. Beurteilt wurde dies mit: Hydrocele renalis rechts und Hydronephrose, Retroperitoneales Hämatom mit p.m. im
Perirenalraum rechts. 6 x 4 cm große Raumforderung im mittleren Ureterdrittel rechts mit konsekutiver Kompression des Ureters,
DD Uretertumor (Urothel-Ca) oder Filia unklarer Ätiologie. Pathologische retrokrurale, retroperitoneale, parailiakale in der
externa Gruppe rechts Lymphknoten bis 2,2 cm i.S. von Metastasen.
Am 25. Oktober 2012 folgte eine Nierenpunktion (Stanzbiopsie) und Spülzytologie, die keinen Nachweis von Tumorgewebe ergab;
das Gewebe wurde als Anteil einer Hämatomkapsel oder einer Tumorkapsel beurteilt.
Nach Anmeldung am 26. Oktober 2012 schlossen die Klägerin und der Versicherte am 31. Oktober 2012 im Klinikum Kassel erneut
die Ehe vor der Standesbeamtin G.
Bei dem Versicherten wurde am 1. November 2012 eine Leberbiopsie durchgeführt. Nach einer Computertomografie des Thorax und
Abdomens am 9. November 2012 folgte am 20. November 2012 eine Operation mit dem Ziel, die rechte Niere und nach Möglichkeit
auch den Unterbauchtumor rechts zu entfernen. Bei dieser Operation wurde das ganze Ausmaß der Tumorerkrankung erkannt, aus
Niere, Harnleiter und Darm wurden Gewebeproben entnommen und letztlich eine palliative Chemotherapie bei fortgeschrittenem
Ureterkarzinom rechts im Januar 2013 begonnen.
Auf seinen Antrag vom 10. Dezember 2012 stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales mit Bescheid vom 12. Dezember
2012 bei dem Versicherten einen GdB von 100 fest. Ebenfalls am 12. Dezember 2012 beantragte er bei der Beklagten eine Altersrente
für schwerbehinderte Menschen. Ausweislich des Pflegegutachtens vom 27. Dezember 2012 wurde für den Versicherten die Pflegestufe
I ab Dezember 2012 festgestellt; Pflegepersonen waren laut Gutachten seine Tochter sowie Frau H.
Am 30. Januar 2013 begann der Versicherte mit einer palliativen Chemotherapie im Klinikum Kassel, Klinik für Urologie, die
sechs Zyklen umfasste und bis zum 18. Mai 2013 monatlich durchgeführt wurden.
Am 10. Juni 2013 wurde der Versicherte erneut in das Klinikum Kassel aufgenommen für eine geplante Erhaltungstherapie mit
Vinflunine. Aufgrund der rapiden Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Gewichtsverlustes infolge einer ausgeprägten
Inappetenz bei hoch palliativer Tumorerkrankung und infauster Prognose wurde die Fortführung der Chemotherapie abgebrochen.
Am xx. xxx 2013 verstarb der Versicherte im Klinikum.
Am 26. Juni 2013 beantragte die Klägerin eine Witwenrente bei der Beklagten und erklärte, die Heirat sei zur Sicherstellung
der Pflege eingegangen worden und der Tod des Versicherten sei bei Eheschließung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten gewesen.
Weiter führte sie an besonderen Gründen auf, bereits von 1980 bis 1999 mit dem Versicherten verheiratet gewesen zu sein. Sie
sei seit dem Jahr 1995 pflegebedürftig.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Hinterbliebenenrente ab, da die Ehe nicht mindestens ein
Jahr gedauert habe, so dass die gesetzliche Vermutung einer sogenannten "Versorgungsehe" greife, die durch die Klägerin nicht
widerlegt worden sei.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, dass sie auch nach der Scheidung in Kontakt geblieben
seien und sich weiterhin gut verstanden hätten. Man habe sich erneut verliebt und im Jahr 2010 beschlossen, wieder zu heiraten.
Der Versicherte habe die Eheschließung am 33. Jahrestag des Kennenlernens vornehmen wollen. Dies sei der 31. Oktober 2012
gewesen. Die Verlobung habe sodann am 31. Oktober 2010 stattgefunden. Bis zur Eheschließung sei nicht ersichtlich gewesen,
dass der Versicherte lebensbedrohlich erkrankt gewesen sei. Auch sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Erkrankung einen
so schnellen Verlauf nehmen würde. Als im Oktober 2012 Beschwerden aufgetreten seien, habe man einen Wirbelsäulenschaden vermutet,
da der Versicherte jahrelang als Lkw-Fahrer im Baustellenverkehr tätig gewesen sei. Die erste Person aus der Familie, die
von der Krebserkrankung gewusst habe, sei die Tochter gewesen. Dies allerdings auch erst nach der Eheschließung. Sie selber
sei aufgrund ihrer Erkrankung zunächst nicht informiert worden, da man Angst um ihren Gesundheitszustand gehabt habe. Erst
die Leberbiopsie am 1. November 2012 habe eine "Manifestation eines solide gebauten Karzinoms" ergeben. Dies sei das erste
Mal, dass ein Tumorverdacht bestanden habe. Die endgültige Diagnose einer Tumorerkrankung sei erst nach Eheschließung gestellt
worden. Zu diesem Zeitpunkt sei auch noch nicht ersichtlich gewesen, dass die Erkrankung einen solch schnellen Verlauf nehmen
würde.
Zur Stütze ihres Vortrags legte die Klägerin ein Attest des behandelnden Hausarztes vom 18. Juli 2013 vor, der bestätigte,
dass am 31. Oktober 2010 eine Verlobung erfolgt sei mit dem Ziel einer Heirat am 33. Kennenlerntag, am 31. Oktober 2012.
Nach Auskunft der Stadt Kassel, Standesamt, war die Eheschließung am 26. Oktober 2012 angemeldet worden. Die Trauung sei am
31. Oktober 2012 im Klinikum Kassel vollzogen worden. Soweit aktenkundig hätten die erforderlichen Unterlagen bei der Trauung
vorgelegen, so dass nicht von einer Nottrauung ausgegangen werden könne.
Im Rahmen der von der Beklagten eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 13. Januar 2014 gab die Fachärztin für Allgemeinmedizin
J. an, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung die beschriebene lebensbedrohliche Erkrankung bereits vorgelegen habe. Es habe
sich um eine fortgeschrittene Tumorerkrankung mit Absiedelung in die Leber und andere Gewebe aus dem Urogenitaltrakt gehandelt.
Im Klinikum Kassel sei seit dem 23. Oktober 2012 eine aufklärende Diagnostik mit mehrfachen Gewebeentnahmen und diagnostischer
Bildgebung erfolgt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei zumindest deutlich gewesen, dass es sich um eine ernsthafte Erkrankung
handelte. Inwiefern der Versicherte zu diesem Zeitpunkt darüber aufgeklärt gewesen sei, dass eine Tumorerkrankung vorliegen
könnte, sei aus den Unterlagen so nicht ersichtlich. Dass eine ernsthafte Erkrankung vorgelegen habe, habe auch zur Eheschließung
und Heirat am 31. Oktober 2012 bereits erkannt worden sein müssen. Erst nach der Operation am 20. November 2011 habe das ganze
Ausmaß der Tumorerkrankung erkannt werden können. Es sei eine palliative Chemotherapie bei fortgeschrittenem Ureterkarzinom
rechts eingeleitet worden. Bei metastasierender Tumorerkrankung mit palliativer Chemotherapie könne von einer schlechten Prognose
ausgegangen werden, der Zeitraum der Lebenserwartung sei immer individuell verschieden, könne jedoch meist mit 6 bis 12 Monaten
erwartet werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwischen der Anmeldung
der Trauung am 26. Oktober 2012 und der Trauung am 31. Oktober 2012 lägen nur fünf Tage. Die Klägerin habe keine weiteren
Angaben zu den näheren Begleitumständen gemacht. Zwar sei zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einem Ableben des Versicherten
in einem unmittelbar voraussehbaren Zeitraum nicht zu rechnen gewesen. Darüber, dass die gesundheitliche Situation des Versicherten
als ernst anzusehen gewesen sei, hätten sich die Eheleute aber im Klaren sein müssen. Es stelle sich die Frage, warum die
Eheschließung nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt angemeldet worden sei, wenn laut Angaben der Klägerin der Hochzeitstermin
seit zwei Jahren festgestanden habe. Auch Vorbereitungen im Vorfeld einer Hochzeitsfeier seien nicht ersichtlich. Erst zu
einem Zeitpunkt, als bereits abzusehen gewesen sei, dass eine ernst zu nehmende Erkrankung vorliege, sei die Eheschließung
angemeldet und die Trauung kurze Zeit später im Krankenhaus vollzogen worden. Der Umstand, dass zwischen dem Versicherten
und der Klägerin bereits früher eine Ehe bestanden habe und aus dieser Ehe eine Tochter hervorgegangen sei, sei nicht geeignet,
die Annahme des Vorliegens einer Versorgungsehe zu widerlegen. Zwar könne das Vorhandensein eines gemeinsamen Kindes durchaus
von Relevanz sein, insbesondere, wenn dieses noch minderjährig sei. In Bezug auf die zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung
31 Jahre alte gemeinsame Tochter sei jedoch nicht ersichtlich, dass hier ein Motiv für die erneute Eingehung der Ehe bestanden
haben könnte.
Am 14. April 2014 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung trug sie vor, dass auch die
beratende Ärztin der Beklagten darauf hingewiesen habe, dass erst am 20. November 2012 das Ausmaß der Erkrankung erkannt worden
sei. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe keine Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung bzw. der Schwere der Erkrankung
bestanden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Eheschließungstermin bereits seit längerem festgestanden habe.
Das Sozialgericht holte Auskünfte der behandelnden Ärzte sowie der Klinik für Urologie ein. Diese gab an, dass der Versicherte
am 23. Oktober 2012 als Verlegung aus der Belegabteilung für Urologie am Elisabeth Krankenhaus Kassel gekommen sei, wo er
mit Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit und Krankheitsgefühl aufgenommen worden sei. Dort sei eine Computertomografie
des Abdomens ohne Kontrastmittel durchgeführt worden, die eine Raumforderung von 10 x 20 cm Durchmesser zeigte, ohne dass
zwischen einem bösartigen Tumor und einem Abszess habe unterschieden werden können. Die Verlegung am 23. Oktober 2012 sei
zur weiteren Aufklärung erfolgt. Am gleichen Tag sei um 18.04 Uhr eine Computertomografie mit Kontrastmittel durchgeführt
worden mit der Anamnese und Fragestellung: Unklare große Raumforderung im rechten Nierenlager etwa 20 x 10 cm im Sono. In
auswärtiger Bildgebung Abszess nicht von Raumforderung aufgrund mangelnder Bildqualität differenzierbar. Zusatzangaben anfordernder
Arzt: Bitten um Nierenstudie zur Beurteilung Abszess DD: Tumor. Im Falle eines Abszesses wäre heute noch eine weitere Therapie
notwendig.
Zusammengefasst ergaben sich bei der Computertomografie: mehrere Lebermetastasen, Lymphknotenmetastasen im Retroperitoneum
und im kleinen Becken, eine Harnstauungsniere rechts mit retroperitonealem Hämatom und einem 6 x 4 cm großen Tumor im Bereich
des Harnleiters. Laborchemisch zeigte sich ein stark erhöhter Tumormarker.
Am 25. Oktober 2012 sei unter der Verdachtsdiagnose eines fortgeschrittenen Tumors des oberen Harntrakts eine Punktion und
Stanzbiopsie durchgeführt worden: "Indikation zum Eingriff und zum Röntgen ist eine große, teils zystische retroperitoneale
Raumforderung, die die Niere komplett aufbraucht. Es besteht der hochgradige Verdacht auf Lymphknoten und Lebermetastasen.
Klinisch ist ein fortgeschrittenes Urothelkarzinom der Niere am wahrscheinlichsten. Eine retrogene Abklärung des oberen Harntrakts
und eine eventuelle perkutane Drainage der zystischen Raumforderung innerhalb des Tumors ist vorgesehen." Zusammengefasst
habe diese Operation den Nachweis eines vollständigen Harnleiterverschlusses erbracht. Die Punktion der gestauten Niere habe
einen Abszess ausschließen können. Es sei außerdem eine Stanzbiopsie des Tumors im Harnleiter durchgeführt worden. Wider Erwarten
habe der histopathologische Befund dieser Biopsie aber keinen eindeutigen Nachweis eines bösartigen Tumors erbracht. Damit
habe zu diesem Zeitpunkt weiterhin ein dringender Tumorverdacht bestanden, aber kein histologischer Beweis vorgelegen.
Nach Vorstellung des Falles in der Tumorkonferenz am 29. Oktober 2012 sei beschlossen worden, eine Gewebeprobe der Lebermetastasen
zu entnehmen. Diese Gewebeentnahme sei am 1. November 2012 durchgeführt worden. Histologisch sei der Nachweis eines Karzinoms,
also eines malignen Tumors, am 2. November 2012 erfolgt. Bis zum histologischen Beweis eines in die Leber metastasierten Tumors
am 2. November 2012 habe zwar der klinisch dringende Verdacht auf Vorliegen einer fortgeschrittenen bösartigen Erkrankung
bestanden, diese sei aber nicht gesichert gewesen. Der Patient sei mit den jeweiligen Aufklärungen über den Befund und die
Zielsetzung aufgeklärt worden (also am 24. Oktober für urologische Operation, am 31. Oktober für die Leberbiopsie).
Die Klägerin hielt daran fest, dass die Malignität des Tumors erst durch die histologische Untersuchung, die nach der Eheschließung
stattgefunden habe, bestätigt worden sei. Ferner habe der Hausarzt bestätigt, dass das Datum der Eheschließung schon lange
im Voraus geplant gewesen sei und zu einem Zeitpunkt festgelegt worden sei, zu dem noch keinerlei Erkrankung des Ehemannes
der Klägerin bekannt gewesen sei. Die gesetzliche Vermutung sei daher widerlegt.
Die Klägerin trug weiter vor, sich telefonisch mit dem Standesamt in Verbindung gesetzt zu haben, um das "Angebot" zu klären.
Ihr sei mitgeteilt worden, dass dies heute nicht mehr nötig sei. Man könne das Standesamt aufsuchen und sei eine Stunde später
verheiratet. Am 26. Oktober 2012 habe sie selber die Hochzeit beim Standesbeamten angemeldet. Dort sei ihr mitgeteilt worden,
dass der Ort der Eheschließung nicht relevant sei und man auch in der Klinik heiraten könne. Die Standesbeamtin G. habe sich
in die Klinik begeben und die Trauung vorgenommen. Da das Datum der Eheschließung bereits zwei Jahre vorher festgestanden
habe, also zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keinerlei Verdacht hinsichtlich der Erkrankung bestanden habe, sei die Vermutung
der Versorgungsehe widerlegt.
Sie selber hätte den Termin eher verschoben und habe ihrem Ehemann gesagt, dass man doch warten könne, bis er wieder aus dem
Krankenhaus "raus" sei. Dies habe er aber abgelehnt, weil er immer gesagt habe, am 33. Kennenlerntag heiraten zu wollen und
deswegen solle das dann jetzt sein, auch im Krankenhaus.
Die Beklagte wies darauf hin, dass ab der Aufnahme im Klinikum Kassel am 23. Oktober 2012 der dringende Verdacht auf das Vorliegen
einer fortgeschrittenen bösartigen Erkrankung bestanden habe und der Versicherte darüber im Rahmen der durchgeführten Diagnostik
aufgeklärt worden sei. Am 23. Oktober seien die Aufnahme in die Klinik und am 25. Oktober die Operation erfolgt sowie am 26.
Oktober die Eheschließung angemeldet worden, welche am 31. Oktober 2012 durchgeführt worden sei. Zum Zeitpunkt der Eheschließung
sei der Versicherte noch nicht vollumfänglich über die fortgeschrittene Tumorerkrankung und deren Folgen informiert gewesen,
wohl aber über den klinisch dringenden Verdacht auf das Vorliegen einer fortgeschrittenen bösartigen Erkrankung. Die Vermutung
einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt.
Das Sozialgericht hat mit K., L. und M. M. drei der vier Kinder der Klägerin aus einer früheren Beziehung sowie D., E. D.
und N. M. als Zeugen gehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 22. Dezember 2016
Bezug genommen.
Mit Urteil vom 22. Dezember 2016 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen. Zwar gehe das Gericht durchaus davon aus,
dass es der erklärte Wunsch der Klägerin und des Verstorbenen gewesen sei, erneut ein Paar zu werden und zu heiraten. Allerdings
reiche dieses allgemeine Motiv für die Widerlegung der Versorgungsehe nicht aus. Die Kammer sei nicht mit letzter Sicherheit
davon überzeugt, dass hier derart besondere Umstände im Vollbeweis vorlägen, die die Annahme einer Versorgungsehe widerlegen
könnten. Der Kammer blieben Zweifel, ob der Hochzeittermin schon lange festgestanden habe. Es sei nicht mit Sicherheit festzustellen,
dass tatsächlich der Entschluss zur Hochzeit mit konkreten Einladungen und Planungen losgelöst von der Erkrankung des Versicherten
festgestanden habe. Auffällig sei, dass die Zeugen dieses genaue Datum hätten benennen können, sonstige konkrete Details aber
nicht. Nach Auskunft der Ärzte sei die Kammer auch davon überzeugt, dass der Versicherte vollumfänglich über den dringenden
Verdacht einer weit fortgeschrittenen Krebserkrankung mit diversen Metastasen spätestens mit der Einlieferung ins Klinikum
am 23. Oktober 2012 und im Rahmen der Aufklärung vor der Operation am 25. Oktober 2012 informiert gewesen sei.
Gegen das am 20. Januar 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Februar 2017 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
eingelegt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass das Gericht deutlich gemacht habe, dass aus seiner Sicht zumindest für sie die Versorgungsabsicht
keine Rolle bei der Eheschließung gespielt habe, da sie im Unklaren über die negativen Heilungsaussichten gewesen sei. Bereits
aufgrund dieser Überlegung wäre der Klage stattzugeben gewesen, da zumindest bei ihr keine Versorgungsabsicht bestanden habe.
Das Gericht habe der Bewertung der Zeugenaussagen viel Raum eingeräumt. Es habe es letztlich als nicht bewiesen angesehen,
dass das Hochzeitsdatum bereits seit längerer Zeit festgestanden habe. Dies habe das Gericht im Wesentlichen damit begründet,
dass zwar alle Zeugen vom 31. Oktober als Datum für die Hochzeit berichtet hätten, dass aber niemand genau habe darlegen können,
weshalb es zu genau diesem Datum gekommen sei. Das Gericht habe hingegen nicht gefragt, wie es möglicherweise dazu gekommen
sei, dass der Grund für die Wahl des Hochzeitsdatums nicht im Verwandtenkreis dargelegt worden sei.
Der im Rahmen der mündlichen Verhandlung angesprochene Urlaub im Bayerischen Wald habe vom 13. August bis 23. August 2012
stattgefunden. Während dieses Urlaubs habe der Enkel der Schwester der Klägerin berichtet, dass die Großeltern bald heiraten
würden. Hierzu benenne sie die Zeugin O. O. und P. O. In diesem Urlaub sei für das Folgejahr der nächste Urlaub für die Zeit
vom 4. Juli bis 14. Juli 2013 gebucht worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. Dezember 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente aus der Versicherung
ihres verstorbenen Ehemannes C. A. für die Zeit ab 1. Juli 2013 in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise die benannten Zeugen zu vernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts Kassel für zutreffend.
Der Senat hat eine schriftliche Zeugenaussage der Standesbeamtin G. vom 29. Oktober 2017 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug
genommen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze
sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte des Versicherten. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Gründe
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. Dezember 2016 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es die Klage abgewiesen,
da die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente hat. Der dies ablehnende Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2013 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2014 (§
95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des §
54 Abs.
2 SGG.
Nach §
46 Abs.
2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt
hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie
1. ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2. das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3. erwerbsgemindert sind.
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin erfüllt, da sie die Witwe des 2013 verstorbenen Versicherten ist, der die allgemeine
Wartezeit von fünf Jahren (§§
50 Abs.
1 Satz 1,
51 Abs.
1 SGB VI) erfüllt hatte. Bei Antragstellung war die Klägerin bereits 62 Jahre alt und hat nicht wieder geheiratet.
Gemäß §
46 Abs.
2a SGB VI, der durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung des kapitalgedeckten
Altersversorgungsvermögens vom 21. März 2001 (Altersvermögensergänzungsgesetz - AVmEG, BGBl. I, Seite 403) mit Wirkung vom
1. Januar 2002 in das
SGB VI eingefügt wurde, besteht ein Anspruch auf Witwenrente jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat,
es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder
überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Ähnliche Regelungen gibt es in der Unfallversicherung (vgl. § 595
Reichsversicherungsordnung <RVO> bzw. § 65 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch <SGB VII>), in der Kriegsopferversorgung (vgl. § 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz <BVG>) und in der Beamtenversorgung (vgl. §
19 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 Beamtenversorgungsgesetz <BeamtVG>). Die Regelung geht von der Annahme aus, der überlebende Ehegatte habe bei einer Ehedauer von weniger als einem
Jahr in den meisten Fällen von seinen eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen vor der Eheschließung noch keinen so großen Abstand
genommen, dass er diese nicht nach dem Tod des anderen Ehegatten fortsetzen bzw. wieder aufnehmen oder sich eine selbständige
Lebensführung neu erarbeiten könnte (vgl. Steiner, Die Versorgungsehe in der gesetzlichen Rentenversicherung, SGb 2015, 589-598).
Der Ausschluss von Hinterbliebenenversorgung bei einer sog. Versorgungsehe ist dabei auch in Ansehung des durch Art.
6 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) garantierten besonderen Schutzes der Ehe verfassungsgemäß, was bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 23. September 1997, 2 BU 176/97, juris, zu § 594
RVO). Darüber hinaus verstößt die Vorschrift des §
46 Abs.
2a SGB VI im Übrigen auch nicht gegen den allgemeinen oder einen speziellen Gleichheitssatz des Art.
3 GG (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 53/08 R, juris, Rdnr. 23 f.).
Die Vorschrift des §
46 Abs.
2a SGB VI begründet für alle seit dem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen (vgl. §
242a Abs.
3 SGB VI) die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer
Versorgungsehe Ziel der Eheschließung war.
Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat vom 31. Oktober 2012 bis zum 11. Juni 2013 und damit weniger als ein
Jahr gedauert, so dass grundsätzlich die gesetzliche Vermutung des §
46 Abs.
2a SGB VI eingreift.
Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wie sich aus der in §
46 Abs.
2a SGB VI verwendeten Formulierung "es sei denn" ergibt. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände (insbesondere Unfalltod des Versicherten,
vgl. BT-Drucks. 14/4595, Seite 44) vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass
es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung
der Vermutung erfordert nach §
202 Satz 1
SGG i. V. m. §
292 Zivilprozessordnung (
ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis verlangt dabei zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit.
Die nur denkbare Möglichkeit reicht hingegen nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach
vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle
richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch
noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2000, B 9 VG 3/99 R = SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Dies ändert zwar nichts an der sich aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 20 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) ergebenden Amtsermittlungspflicht der Beklagten, führt im Ergebnis jedoch dazu, dass die Folgen eines nicht ausreichenden
Beweises nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz der sog. objektiven Beweislast von den Anspruchstellern
zu tragen sind.
Die gesetzliche Vermutung, "dass es der alleinige und überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung
zu begründen", verfolgt den Zweck, die Träger der Rentenversicherung und die Sozialgerichte von der Ausforschung im Bereich
der privaten Lebensführung zu entbinden (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08 R, juris, Rdnr. 22 m.w.N.). Aus diesem Grund ist vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten der
Frage nachzugehen, ob entgegen der Vermutung es doch nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe
bzw. dem Witwer eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 1986, 9a RV 8/84 = BSGE 60, 204). Die Vermutung der Versorgungsabsicht ist nur dann widerlegt, wenn sich bei der Gesamtabwägung aller zur Eheschließung führenden
Motive beider Ehegatten ergibt, dass insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, dem Hinterbliebenen
eine Versorgung zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 1973, 5 RKnU 11/71 = BSGE 35, 272). Dabei sprechen folgende besondere Umstände grundsätzlich gegen eine Versorgungsehe:
- plötzlicher unvorhersehbarer Tod (z.B. Arbeits-/Verkehrsunfall, Verbrechen, Infektionskrankheit);
- die tödlichen Folgen einer Krankheit waren bei Eheschließung nicht vorhersehbar;
- Nachholung einer gültigen deutschen Trauung durch hier in ungültiger - nach ausländischem Recht gültiger - Ehe lebende Ausländer;
- Vorhandensein gemeinsamer leiblicher Kinder bzw. Schwangerschaft;
- Erziehung eines minderjährigen Kindes des Verstorbenen durch den Hinterbliebenen;
- Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung oder Pflege des anderen Ehegatten.
Die vorgenannten Umstände sind jedoch keine pauschalisierten Widerlegungsgründe, die eine Versorgungsehe grundsätzlich ausschließen.
Maßgebend sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalles (vgl. Dopheide, "Die Versorgungsehe" nach §
46 Abs.
2a SGB VI, Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung Bayern 06/2006, Seite 2 ff.), die in einer Gesamtbetrachtung
miteinander abzuwägen sind.
Als besondere Umstände im Sinne des §
46 Abs.
2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen
Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Dabei kommt es auf die (ggf. auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive,
Zielsetzung) beider Ehegatten an (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08 R, juris, Rdnr. 20 m.w.N.). Allgemeine Gesichtspunkte, wie sie in mehr oder weniger starker Ausprägung nahezu bei jeder Eheschließung
als Motiv eine Rolle spielen können, rechtfertigen für sich genommen noch nicht die Annahme von "besonderen Umständen" im
Sinne des §
46 Abs.
2a SGB VI (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 17. November 2006, L 5 R 19/06, juris, Rdnr. 37; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11. Mai 2009, L 8 R 162/07, juris, Rdnr. 29). Um die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer Versorgungsehe zu widerlegen, reicht es deshalb nicht
aus, wenn allein der Wunsch, nicht mehr allein sein zu wollen, die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen,
das Bedürfnis, sich zum Ehepartner zu bekennen oder vergleichbare Beweggründe ausschlaggebend für die Eheschließung gewesen
sind (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 25. Januar 1972, L 8/V 202/71, juris). Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, dass
die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe derart im Vordergrund standen und für den Heiratsentschluss ausschlaggebend
waren, dass in Ansehung der konkreten Situation im Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr von einem überwiegenden Versorgungszweck
der Eheschließung ausgegangen werden kann. Dabei sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung
auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei
der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08 R, juris, Rdnr. 21 m.w.N.). Dabei ist jedoch zu beachten, dass im Allgemeinen jeder der Eheschließenden nicht nur ein Motiv,
sondern mehrere Beweggründe haben wird. Die Gewichtverteilung der Motive beider Ehegatten kann so vielfältig sein, dass sich
nicht generell sagen lässt, in welchen Fällen das auf die Versorgung gerichtete Motiv des einen Ehegatten bedeutungslos ist
(vgl. BSG, Urteil vom 28. März 1973, 5 RKnU 11/71, juris, Rdnr. 15 = SozR Nr. 2 zu § 594
RVO).
Die abschließende Typisierung oder Pauschalisierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe ist angesichts
der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalles.
Die von dem hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich isoliert zu
betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine
Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falles zu bewerten (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 13 R 134/08 R, juris, Rdnr. 17 m.w.N.). Nur anhand einer solchen Gesamtbewertung lässt sich feststellen, ob die Ehe nicht mit dem Ziel
der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist.
Eine besonders gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- und Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt
der Eheschließung zu (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 11. Dezember 2009, L 5 R 84/09, juris, Rdnr. 30 m.w.N. ständige Rechtsprechung). Bei der Heirat eines bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden
Versicherten ist in der Regel die Vermutung des §
46 Abs.
2a SGB VI nicht widerlegt. Insgesamt gilt, dass bei der abschließenden Gesamtbewertung insbesondere die (inneren und äußeren) Umstände,
die gegen eine Versorgungsehe sprechen, um so gewichtiger sein müssen, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit
eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit
einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen
Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer
Versorgungsehe bei dem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist vorliegend die gesetzlich unterstellte Versorgungsabsicht zur Überzeugung des Senats
nicht durch den Nachweis "besonderer Umstände" widerlegt. Denn der Senat kann nach Gesamtabwägung der für den Eheschluss im
vorliegenden Fall maßgebenden, ermittelbaren Beweggründe nicht mit der für den Vollbeweis notwendigen Gewissheit feststellen,
dass die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht allein oder nicht überwiegend der Begründung eines
Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gedient hat, mithin neben dem vom Gesetzgeber vermuteten Versorgungscharakter der
Ehe zumindest gleichwertige andere besondere Motive vorgelegen haben.
Allein der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte "aus Liebe" geheiratet haben, ist kein besonderes Motiv, sondern
ein Umstand, der im allgemeinen Grund für eine Eheschließung ist.
Die Klägerin hat im Wesentlichen als besonderen Umstand geltend gemacht, dass die Absicht, am 31. Oktober 2012 zu heiraten,
bereits seit dem 31. Oktober 2010 bestanden habe. Das Sozialgericht hat dazu eine äußerst umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt
und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, warum es davon letztlich nicht voll überzeugt war.
Gegen einen bereits seit dem 31. Oktober 2010 feststehenden Hochzeitstermin am 31. Oktober 2012 könnte nach Auffassung des
Senats im Übrigen auch sprechen, dass die Klägerin bei der vorgetragenen Verlobung selbst bereits 60 Jahre alt und langjährig
schwerst krank war. Im Hinblick darauf erschließt sich nicht so recht, warum bei einer konkreten Heiratsabsicht noch zwei
Jahre gewartet wird oder warum der Hochzeitstermin, wenn diesem ein solcher Stellenwert zukommt, nicht frühzeitig beim Standesamt
angemeldet wird. Die Zeugin G. hat insoweit bestätigt, dass eine Anmeldung zur Eheschließung 180 Tage vor dem Termin möglich
war. Trotz dieser Überlegungen musste der Senat dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag,
"die benannten Zeugen zu vernehmen", nicht nachgehen. Dabei kann offen bleiben, ob dieser Beweisantrag überhaupt prozessual
ordnungsgemäß gestellt worden ist, weil nach §
153 Abs.
1 i. V. m. §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
373 ZPO der Zeugenbeweis angetreten wird durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung
der Zeugen stattfinden soll. Denn selbst wenn der Enkel der Schwester der Klägerin tatsächlich gleich zu Beginn des Sommerurlaubs
2012 im Bayerischen Wald von einer baldigen Heirat erzählt habe und bereits in diesem Urlaub für das Folgejahr der nächste
Urlaub vom 4. bis 14. Juli 2013 gebucht worden sein sollte, mithin diese von der Klägerin behaupteten Tatsachen als wahr unterstellt
würden, würde eine Abwägung aller Umstände dieses konkreten Einzelfalles ergeben, dass dennoch ein zumindest gleichwertiges
Vorliegen besonderer, von der Versorgungsabsicht verschiedener Umstände nicht festgestellt werden kann.
Zu Gunsten der Klägerin unterstellt der Senat dabei, dass die Klägerin tatsächlich im Hinblick auf ihre eigenen Erkrankungen
durch den Versicherten erst nach der Eheschließung über die Art der Erkrankung informiert wurde. Dies führt aber nicht dazu,
dass die Vermutung der Versorgungsehe widerlegt wäre. Dass die Vermutung der Versorgungsabsicht widerlegt sei, wenn nachweislich
für einen der Ehegatten die Versorgungsabsicht nicht maßgebend war, gilt nicht ausnahmslos. Die Gewichtverteilung der Motive
beider Ehegatten kann so vielfältig sein, dass sich nicht generell sagen lässt, in welchen Fällen das auf die Versorgung gerichtete
Motiv des einen Ehegatten bedeutungslos geworden ist (BSG, Urteil vom 28. März 1973, 5 RKnU 11/71, juris, Rdnr. 15 = SozR Nr. 2 zu § 594
RVO). Denn aufgrund der gesamten Umstände kommt im konkreten Fall den Beweggründen des Versicherten ein besonderes Gewicht zu,
da die Eheschließung am 31. Oktober 2012 maßgeblich auf dem Wunsch des Versicherten beruhte, an diesem Tag zu heiraten. Der
Versicherte hatte es auf die konkrete Nachfrage der Klägerin abgelehnt, die Eheschließung auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt
zu verschieben, obwohl dies der Klägerin lieber gewesen wäre und das Datum damit für die Klägerin offenkundig keinen so hohen
Stellenwert hatte.
Bei dem Versicherten kann der Senat aber nicht mit Sicherheit ausschließen, dass maßgebliches Motiv die Versorgungsabsicht
in Kenntnis der tödlichen Erkrankung war. Bei verständiger Würdigung des medizinischen Berichtswesens kann zur Überzeugung
des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass die tödlichen Folgen der bei dem Versicherten vorliegenden Krebserkrankung
zum Zeitpunkt der Eheschließung dem Versicherten nicht bekannt waren.
Bereits die Verlegung in das Klinikum Kassel erfolgte, weil aufgrund der im Elisabeth Krankenhaus möglichen Untersuchungen
nicht geklärt werden konnte, ob lediglich ein Abszess oder eine Tumorerkrankung vorlag. Im Klinikum Kassel wurde noch am Verlegungstag
die Diagnostik fortgesetzt, da bei Vorliegen eines Abszesses sofort die notwendige Therapie hätte eingeleitet werden müssen.
Die Computertomografie am 23. Oktober ergab bereits die Diagnosen: mehrere Lebermetastasen, Lymphknotenmetastasen im Retroperitoneum
und im kleinen Becken, sowie eines 6 x 4 cm großen Tumors im Bereich des Harnleiters. Laborchemisch zeigten sich stark erhöhte
Tumormarker. Damit wusste der Versicherte am 23. Oktober 2012 um seine Krebserkrankung. Die Schwere der Erkrankung war auch
einem medizinischen Laien aufgrund von Lebermetastasen und Lymphkontenmetastasen ohne weiteres erkennbar. Aufgrund dessen
bestand die Verdachtsdiagnose eines fortgeschrittenen Tumors, es fehlte lediglich der histologische Nachweis. Noch am Tag
der Eheschließung wurde der Versicherte über die für den Folgetag anstehende Leberbiopsie aufgeklärt. Im Grunde wurde der
Versicherte vom 23. Oktober 2010 bis 31. Oktober 2010 fast täglich mit der Verdachtsdiagnose eines fortgeschritten Tumors
konfrontiert, der aus medizinischer Sicht nur deshalb als "Verdachtsdiagnose" aufgeführt wurde, weil noch kein histologischer
Nachweis vorlag.
Auch wenn der histologische Nachweis des Tumors letztlich erst am 1. November 2012 gelang, wusste der Versicherte aufgrund
der Aufklärung vor den jeweiligen Untersuchungen, worum es bei den Untersuchungen ging, so dass er auch Kenntnis von der Diagnose
einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung hatte.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Lebenserwartung des Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung exakt - nach Monaten
- bestimmbar war. Entscheidend ist, ob das Ableben des Versicherten vorhersehbar ist und nicht unerwartet auftritt (vgl. Urteil
des Senats vom 20. September 2016, L 5 R 67/14). Das muss vorliegend mit Blick auf die Schwere der Krebserkrankung, die sich z.B. in den Lebermetastasen, den Lymphknotenmetastasen
und dem Harnleitertumor zeigte, zweifellos bejaht werden. Selbst für einen medizinischen Laien ist bei diesen Diagnosen klar
erkennbar, dass mit einem tödlichen Verlauf in relativ kurzer Zeit zu rechnen ist.
Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Versicherte auch nach der Krankenhausbehandlung im Jahr 2012 noch Zukunftspläne in
Form von Reiseplanungen für das Jahr 2016 hegte, vermag dies den Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Versicherte keine
Kenntnis von der nur noch relativ kurzen Überlebenszeit hatte. Der Versicherte war ausweislich des Pflegegutachtens kaum noch
in der Lage, sich selbständig fortzubewegen. Das Gangbild war bei der Begutachtung verlangsamt, kleinschrittig, tippelnd,
ataktisch, schlürfend. Das Anheben der Beine war schwächebedingt nur kurzzeitig mühsam bis ca. 15 cm über Bodenniveau möglich.
Das Erheben aus dem Sitzen oder Liegen erfolgte tagsüber weitestgehend selbständig durch Abstützen, mehrmaliges Schwungholen
und Hochziehen am Mobiliar gelang jedoch häufig erst beim zweiten oder dritten Versuch mühevoll. Der Versicherte war antriebslos,
depressiv. Aufgrund von Schwäche waren häufige Ruhepausen notwendig. Dass der Versicherte bei diesem Gesundheitszustand ernsthaft
davon ausgegangen sein soll, in absehbarer Zeit reisefähig zu sein, überzeugt den Senat nicht.
Aufgrund der Kenntnis des Versicherten hat der Senat erhebliche Zweifel, dass das Hauptmotiv des Versicherten für die Eheschließung
am 31. Oktober 2012 der Wunsch war, am 33. Kennenlerntag zu heiraten. Vielmehr spricht einiges dafür, dass dieser unterstellte
- Wunsch überlagert wurde von dem Wunsch des Versicherten, in Kenntnis seiner tödlich verlaufenden Erkrankung eine Versorgung
der Klägerin sicher zu stellen.
Dafür spricht, dass es der Versicherte auf die konkrete Nachfrage der Klägerin abgelehnt hat, die Eheschließung auf die Zeit
nach dem Krankenhausaufenthalt zu verschieben, obwohl dies der Klägerin lieber gewesen wäre und das Datum für die Klägerin
keinen so hohen Stellenwert hatte. Dass der Versicherte derart "rücksichtslos" war, nur wegen des Datums im Klinikum zu heiraten,
obwohl der Klägerin dies nicht so recht war und der Wunsch nach einer "schönen" Hochzeit bzw. einer Eheschließung in angemessenem
Rahmen gerade vor dem Hintergrund der langen Wartezeit auf diesen Termin verständlich und berechtigt erscheint, erschließt
sich nach Aktenlage und Schilderung der Klägerin von ihrem Ehemann nicht. Gerade das Gegenteil ist der Fall. So hat die Klägerin
vorgetragen, dass sich ihr Ehemann trotz der jahrelangen Trennung immer um sie gekümmert und ihr zur Seite gestanden habe.
Beharrt er dann aber auf einer Eheschließung im Krankenhaus, spricht dies dafür, dass nunmehr sein Bestreben nach einer Versorgung
der Klägerin derart in den Vordergrund getreten ist bzw. er eine Eheschließung noch vor seinem Tod sicherstellen wollte, unabhängig
vom Ort der Trauung. Dafür spricht auch der letzte Vortrag der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass der Versicherte
entweder im Krankenhaus oder überhaupt nicht heiraten wollte.
Es ergibt sich auch keine Zwangsläufigkeit, dass bei schon länger bestehenden Hochzeitsplänen von der Widerlegung der Vermutung
einer Versorgungsehe auszugehen ist. Auch in diesem Fall hat eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände zu erfolgen.
Bei einer solchen Gesamtwürdigung verbleiben dem Senat Zweifel, dass dieser Umstand für den Versicherten letztlich ausschlaggebend
war, am 31. Oktober 2012 zu heiraten und ob nicht die Kenntnis von der tödlichen verlaufenden Krebserkrankung derart in den
Vordergrund gerückt war, dass diese und ein möglicher Wunsch, die Klägerin versorgt zu wissen, überwogen.
Allein der Umstand, dass die Klägerin mit dem Versicherten bereits seit Januar 2011 wieder in häuslicher Gemeinschaft zusammen
gelebt hat, beide bereits einmal langjährig miteinander verheiratet gewesen waren bis zur Scheidung im Jahr 2000 und sich
auch danach immer gut verstanden hatten, widerlegt nicht das Vorliegen einer Versorgungsehe. Dieser Aspekt kann genauso gut
ein Indiz dafür sein, dass aufgrund der jahrzehntelangen Verbundenheit ein besonders großes Interesse des Versicherten daran
bestand, die Klägerin versorgt zu wissen.
Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer sog. Pflegeehe (vgl. dazu BSG, Urteil vom 3. September 1986, 9a RV 8/84, juris = SozR 3100 § 38 Nr. 5) können im vorliegenden Fall nicht bejaht werden,
auch wenn die Klägerin dies bei Beantragung der Witwenrente angegeben hat. Die Klägerin hat die Pflege des Versicherten nicht
übernommen, weil sie selber langjährig pflegebedürftig ist. Vielmehr wurde der Versicherte ausweislich des Pflegegutachtens
vom 27. Dezember 2012 von seiner Tochter und Frau H. gepflegt.
Auch der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte eine gemeinsame Tochter haben, begründet keinen besonderen Umstand.
Ein solcher besonderer Umstand kann bejaht werden, wenn die Eheschließung im Zusammenhang mit der Erziehung gemeinsamer Kinder
erfolgt. Der Wunsch nach Legitimierung der Verhältnisse im Rahmen eines familienhaften Zusammenlebens kann dabei ebenso wie
auch die Sicherung der Betreuung von minderjährigen Kindern durch den Hinterbliebenen im Falle des Todes eines der Lebenspartner
ein nachvollziehbares und anerkennenswertes Motiv für eine Eheschließung sein, welches den Versorgungscharakter der Ehe in
den Hintergrund treten lässt. Eine derartige Fallkonstellation kann vorliegend indes nicht bejaht werden. Die gemeinsame Tochter
der Klägerin und des Versicherten war bei Eheschließung bereits 31 Jahre alt, so dass es ganz offenkundig nicht mehr um eine
Sicherstellung der Betreuung gehen konnte.
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.