Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Neuversorgung mit einem Behindertendreirad streitig.
Die Klägerin, geboren im Jahr 1965, ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr besteht u.a. eine links- und beinbetonte
Tetraspastik. Ein Grad der Behinderung von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "B, G und aG" sind anerkannt.
Die Klägerin ist halbtags berufstätig.
Am 27.02.2007 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für die Ersatzbeschaffung eines vorhandenen
Behindertendreirades ein. Dazu legte sie einen Kostenvoranschlag in Höhe von Euro 2.300 vor sowie einen Arztbrief von Dr.
BC. (behandelnder Orthopäde) vom 05.05.2006 und zwei Arztbriefe des Universitätsklinikums KM (UKM) vom 12.09.2005 und vom
07.11.2003 vor. Dazu führte die Klägerin aus, seit ihrem 16. Lebensjahr nutze sie zur Ergänzung der Krankengymnastik auf neurophysiologischer
Basis ein Behindertendreirad. Auf Anraten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) sei 1995 eine
Neuversorgung mit einem individuell angepassten Rad erfolgt. Dieses Rad nutze sie bis zum heutigen Tag. Aufgrund der intensiven
Nutzung - sie nutze das Rad fast täglich - sei nunmehr eine Ersatzbeschaffung erforderlich. Ihre seit Geburt bestehende Behinderung
verursache eine abnehmende Beweglichkeit und damit verbunden, zunehmende Probleme den Muskeltonus zu regulieren sowie Schmerzen
aufgrund von Verschleißerscheinungen und Fehlbelastungen. Ihre Gehfähigkeit habe sie sich aufgrund der Krankengymnastik und
dem täglichen Training mit dem Dreirad erhalten können. Unter Bezug auf die vorgelegten ärztlichen Unterlagen trug die Klägerin
vor, auch von ihren Ärzten sei sie darauf hingewiesen worden, dass nur dieses intensive Training den raschen und vollständigen
Verlust ihrer Gehfähigkeit aufhalten könne. Zwar ersetze das Dreirad den Rollstuhl nicht vollständig, aber wo immer möglich
nutze sie das Dreirad.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme durch den MDK vom 27.02.2007. Danach stelle das Radfahren kein Grundbedürfnis
dar, für das die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) leistungspflichtig sei. Auch sei die Klägerin zur Sicherung ihrer Mobilität
mit einem Rollstuhl versorgt. Eine Versorgungslücke bestehe nicht. Die Übernahme der Kosten des beantragten Behindertendreirades
könne nicht empfohlen werden.
Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2007 die beantragte Kostenübernahme ab.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und vertrat die Auffassung, die Nutzung eines Behindertendreirades sei in ihrem Fall
für den Erhalt ihrer Gehfähigkeit notwendig. Das Ziel sei, die Folgeerscheinungen ihrer Behinderung weiterhin möglichst gering
zu halten und ihre Selbständigkeit zu sichern. Das Dreirad sei eine unverzichtbare Ergänzung zu 2mal wöchentlich stattfindender
Krankengymnastik und sie nutze das Rad für Wegstrecken, die andere üblicher Weise zu Fuß zurücklegten und den vorhandenen
Aktivrollstuhl bzw. Elektrorollstuhl nur, wenn die Tagesplanung, ihre Tagesform, die Örtlichkeit oder organisatorische Dinge
die Nutzung des Dreirades nicht zuließen. In ihrem Tagesablauf seien die vorhandenen Hilfsmittel in Kombination im Gebrauch.
Sie äußerte die Vermutung, dass sie in den Rollstuhl "verbannt" werde, wenn ihr ein Dreirad nicht mehr zur Verfügung stehe.
Allein durch die Krankengymnastik sei ein Erhalt ihrer Gehfähigkeit nicht möglich.
Die Beklagte veranlasste eine erneute Stellungnahme durch den MDK, die Dr. DE. (Arzt für Orthopädie-Rheumatologie, Physikalische
und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Sportmedizin, Physikalische Medizin) und Herr FG. (Orthopädie-Mechaniker-Meister,
Betriebswirt des Handwerks) am 14.06.2007 nach Aktenlage erstellten. Diese kamen zu dem Ergebnis, zur Mobilisierung der Klägerin
über kürzere Wegstrecken (im Haus bzw. außerhalb des Hauses) stehe ein Aktivrollstuhl und für weitere Wegstrecken ein Elektrorollstuhl
zur Verfügung. Damit sei die Klägerin hinreichend mit Hilfsmitteln für den Bereich Mobilität versorgt. Zwar sei grundsätzlich
nachvollziehbar, dass das aktive bzw. das passive Durchbewegen der Beine Spastiken reduzieren könne. Für dieses Therapieziel
stünden jedoch Behandlungsmethoden zur Verfügung, die gezielter, vielseitiger und wirtschaftlicher seien. Die GKV habe nicht
das Radfahren eines Erwachsenen als Grundbedürfnis sicherzustellen. Auch das schnellere Fortbewegen bei eingeschränkter Mobilität
gehöre ebenfalls nicht zur Leistungspflicht der GKV.
Darauf erwiderte die Klägerin, der Elektrorollstuhl ersetze nicht das Dreirad, sondern sei der topographischen Lage ihres
Wohnortes geschuldet. Auch sei anhand der vorgelegten ärztlichen Unterlagen nachgewiesen, dass eine Behandlungsalternative
zum Dreirad nicht bestehe.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2007 als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 13.11.2007 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben und ausgeführt, die Ersatzbeschaffung eines
Dreirades diene dazu, den Erfolg ihrer Krankenbehandlung zu sichern und einer weiteren Verschlechterung ihrer Behinderung
vorzubeugen. Der Ausgleich ihrer Behinderung sei lediglich ein Nebeneffekt der Versorgung mit einem Behindertendreirad. Ergänzend
hat die Klägerin einen Arztbrief des UKM vom 21.04.2008 vorgelegt. Des Weiteren hat die Klägerin eine Rechnung vom 09.11.2007
über den Kauf eines Dreirades in Höhe von Euro 2.300 vorgelegt.
Dem hat die Beklagte entgegnet, bei einem Fahrrad handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, für den
keine Leistungspflicht der GKV bestehe.
Das Sozialgericht hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.11.2008 angehört und mit Urteil vom 11.11.2008
die Beklagte verurteilt, die Kosten für ein Behindertendreirad in Höhe von Euro 2.300,00 zu übernehmen. Zur Begründung hat
das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten
für den Erwerb des streitigen Dreirades nach §
13 Abs.
3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Die Beklagte habe der Klägerin die von ihr beantragte und rechtlich zustehende Leistung, mithin die Erfüllung des Primäranspruchs
mit den angefochtenen Bescheiden objektiv rechtswidrig verweigert. Hierdurch sei die Klägerin gezwungen gewesen, sich die
notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Gemäß §
73 Abs.
2 Satz 1 Nr.
7 SGB V umfasse die vertragsärztliche Versorgung auch die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel. Nach §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V habe der Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln,
die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen
oder eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
anzusehen oder nach §
34 SGB V ausgeschlossen sei. Der Hilfsmittelbegriff sei im Wesentlichen geprägt von dem Zweck, der dem Hilfsmittel Inne sei. §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V beschreibe im Einzelnen die Ziele, die mit ihrem Einsatz verfolgt werden, nämlich die Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung
einerseits und andererseits den Ausgleich von Behinderungen. Somit unterfielen unter den Begriff der Hilfsmittel Gegenstände,
die unmittelbar der Krankenbehandlung dienten, in dem von ihnen ein therapeutischer Erfolg erhofft werde. Herunter fielen
vor allem Stütz- und Haltevorrichtungen, die während eines notwendigen Heilungsprozesses Körperteile oder Körperfunktionen
entlasten oder vorübergehend ersetzen. Demgegenüber sei bei Hilfsmitteln, die dem Behindertenausgleich dienten oder einer
drohenden Behinderung vorbeugten, die Ausgangssituation dergestalt, dass die gesundheitliche Regelwidrigkeit selbst nicht
behoben werden könne oder solle. Es gehe nicht um die medizinische Bekämpfung einer Erkrankung im engeren Sinne. Ein therapeutischer
Erfolg in dem Sinne, dass die Erkrankung geheilt und somit eine kausale Therapie stattfinde, sei nicht erforderlich, zumal
wenn eine kausale Therapie nicht zur Verfügung stehe (Hinweis auf Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.02.2008, Az.:
L 8 KR 69/07). Die Grunderkrankung der Klägerin stelle eine infantile Cerebralparese dar, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung
liege. Dies habe zur Folge, dass die Funktionen etlicher Anteile des motorischen Hirnrindengebietes beeinträchtigt seien.
Eine cerebrale Bewegungsstörung werde meist durch eine hohe Muskelspannung (Muskelhypertonie) sichtbar. Die Zusammenarbeit
verschiedener Muskeln sei gestört sowie die Kontrolle und Steuerung der Muskeln. Es bestehe bei der Klägerin eine schwere
Erkrankungsform einer infantilen Cerebralparese, die sich in ihrer Symptomatik als eine spastische Parese mit einer spastischen
Gangstörung darstelle. Der Muskeltonus, die Muskelstärke, die Muskelkoordinierung und dadurch die Bewegungsabläufe seien betroffen.
Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.07.2002, Az.: B 3 KR 3/02 R) sei nach Überzeugung der Kammer ein behindertengerechtes Fahrrad als Hilfsmittel von der Leistungspflicht der GKV weder
generell ausgeschlossen noch generell erfasst. Ob im Einzelfall eine Leistungspflicht der GKV bestehe, sei nach den Vorgaben
der §§
33,
34 SGB V zu prüfen. Die Ermöglichung des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen
könne, falle nicht in die Leistungspflicht der GKV. Der GKV obliege allein die medizinische Rehabilitation (Reha) und damit
die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges.
Ziel sei es, ein möglichst selbständiges Leben führen und die Anforderungen des täglichen Lebens meistern zu können. Eine
darüber hinausgehende berufliche oder soziale Reha, die auch die Versorgung mit Hilfsmitteln umfassen könne, sei Aufgabe anderer
Sozialleistungssysteme. Die Einführung des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (
SGB IX) "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" habe daran nichts geändert. Daraus folge, dass die Förderung der Selbständigkeit
behinderter Menschen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln
nur dann in die Leistungspflicht der GKV falle, wenn sie die Auswirkung der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich
(Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitige oder mindere und damit ein "Grundbedürfnis
des täglichen Lebens" betreffe (Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 06.08.1998, Az.: B 3 KR 3/97 R u.a.). Zu diesen Grundbedürfnissen gehörten die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen,
Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines
gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie
das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen (Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
in SozR 3-2500 § 33 Nr. 29 m.w.N.). Die elementare "Bewegungsfreiheit" sei als Grundbedürfnis anzusehen (Hinweis auf Bundessozialgericht
in SozR 3-2500 § 33 Nr. 7). Dieses Grundbedürfnis werde bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens etc.
sichergestellt. Sei diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richte sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels
in erster Linie danach, ob der Bewegungsradius des Versicherten in dem Umfang erweitert werde, den ein Gesunder üblicherweise
noch zu Fuß erreiche. Ein behindertengerechtes Fahrzeug sei nicht notwendig i.S. von §
33 Abs.
1 SGB V, wenn es dem Behinderten einen größeren Bewegungsradius als den eines gesunden Fußgängers ermögliche. Nur wenn durch das
Fahrzeug ein weitergehendes Grundbedürfnis gedeckt werde, könne es ein Hilfsmittel der GKV sein. Die Klägerin habe den geltend
gemachten Anspruch vor dem Hintergrund des Behindertenausgleiches in Form eines Ersatzes des allgemeinen Grundbedürfnisses
auf Fortbewegung i.S. von §
33 Abs.
1 Satz 1 3. Variante
SGB V. Insoweit sei die Klägerin mit einem handbetriebenen Rollstuhl und einem Elektro-Rollstuhl versorgt. Der Anspruch der Klägerin
beruhe auf §
33 Abs.
1 Satz 1 2. Variante
SGB V. Im vorliegenden Fall sei das Therapierad notwendig, um einer drohenden Behinderung der Klägerin, nämlich dem Verlust der
Gehfähigkeit, vorzubeugen. Dies ergebe sich nach Überzeugung des Sozialgerichts aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte
Dr. BC. und des UKM. Es sei unzweifelhaft dargelegt, dass bei der Klägerin das Training mit dem Dreirad therapeutische Effekte
erziele, die nicht durch Krankengymnastik in geringer Frequenz erreicht werden könnten. Prof. Dr. HI. (UKM) habe darüber hinaus
ausgeführt, dass Krankengymnastik allein - unabhängig von der Häufigkeit - nicht die gleichen Effekte wie die Benutzung des
Dreirades habe. Es gäbe somit für den Erhalt der Gehfähigkeit der Klägerin keine Alternative zum streitigen Dreirad. Auch
habe die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung dem Sozialgericht die gesundheitlichen Vorteile der täglichen Nutzung
des Dreirads dargelegt. Auch könne die Beklagte dem Anspruch der Klägerin nicht mit ihrem Vortrag, bei dem streitigen Dreirad
handele es sich um einen Gegenstand des täglichen Bedarfs, entgegentreten. Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens sei ein Gegenstand, der für alle oder wenigsten für die Mehrheit der Menschen unabhängig von Krankheit und Behinderung
unentbehrlich sei. Sei jedoch die Hauptfunktion des Gegenstandes medizinisch geprägt und deute lediglich eine Nebenfunktion
auf einen Gebrauchsgegenstand hin, so könne ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand nicht angenommen werden. Geräte mit einer
großen Verbreitung seien kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand, wenn sie für spezielle Bedürfnisse von Kranken oder Behinderten
hergestellt und von diesen genutzt würden. Nach diesen Grundsätzen handele es sich bei dem vorliegend streitigen Gegenstand
nicht um einen Bedarfsgegenstand des täglichen Lebens. Das Dreirad werde speziell für die Bedürfnisse Behinderter hergestellt
und auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Dabei werde Körpergröße, Gewicht und Art der Behinderung bei der Fahrzeugplanung berücksichtigt.
Dies seien entscheidende Faktoren für die Sicherheit des Benutzers und für den erfolgreichen Therapieverlauf. Selbst wenn
von einer Doppelfunktion auszugehen sei, entbinde dies die Beklagte nicht von ihrer Leistungspflicht. Denn der auf die Hilfsmitteleigenschaft
entfallende Teil der Herstellungskosten läge deutlich über den Kosten eines handelsüblichen Damenfahrrads. Auch setze der
Anspruch der Klägerin nicht voraus, dass in Zukunft die Verordnung anderen Hilfsmitteln erspart werde. Dies könne der Regelung
des §
33 SGB V nicht entnommen werden. Das Sozialgericht folge der Einschätzung von Prof. Dr. HI., dass eine Alternative zum Dreirad nicht
bestehe, selbst im Falle einer hochfrequenten Krankengymnastik. Auch sei der Vortrag der Beklagten, die Verordnung solcher
Heilmittel sei möglich, die eine Verbesserung der Mobilität der Klägerin und das Training komplexmotorischer Bewegungsmuster
in gleicher Weise und kostengünstiger bewirkten, zu allgemein gehalten, um dem Anspruch der Klägerin entgegen gehalten werden
zu können.
Gegen das am 25.11.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.12.2008 Berufung eingelegt.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten auf dem Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin von Dr. C. vom 04.05.2009
nach körperlicher Untersuchung der Klägerin und praktischer Funktionsprüfung mit ihrem Therapierad eingeholt. Danach leidet
die Klägerin an
- einer links- und beinbetonten Tetraspastik und Kraftminderung (Parese) infolge einer infantilen Cerebralparese,
- wiederkehrenden schmerzhaften Funktionsstörungen der Rumpfwirbelsäule, lumbal betont mit Reizerscheinungen der wirbelsäulenhaltenden-
und führenden Strukturen bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule,
- Funktionseinschränkung im Nacken und Schultergürtel durch wiederkehrende Muskel-Sehnen-Schmerzen, z. T. mit Funktionseinschränkung
der linken Schulter bei degenerativen Veränderungen der unteren Halswirbelsäule,
- wiederkehrender Lungenfunktionsstörung (Verengung der Bronchien) bei allergischer Komponente.
Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin seien unmittelbar aus den Defiziten in Bezug auf Kraft, Ausdauer, Koordination
und dynamischer Kraftentwicklung (Spastik) abzuleiten. Die Gesundheitsstörungen wirkten sich funktional einschränkend auf
die Mobilität der Klägerin aus. In erster Linie bestehe eine ausgeprägte Störung des Gangbildes mit einer vorzeitigen Ermüdbarkeit
der betroffenen Muskelgruppen und zunehmendem Koordinationsverlust unter Belastung. Hierdurch werde die Gehfähigkeit erheblich
eingeschränkt. Die Versorgung mit einem Behindertendreirad sei notwendig, um i.S. des Trainings auf neurophysiologischer Basis
die koordinative Steuerung, insbesondere der unteren Extremitäten, zu verbessern, die Spastik zu mindern und die Defizite
von Kraft, Ausdauer und Flexibilität der Muskulatur, insbesondere der unteren Extremitäten, besser auszugleichen. Das Hauptziel
der Therapie "Verbesserung und Sicherung der Mobilität" werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreicht. Das Therapierad
sei geeignet, das Therapieziel im wesentlichen Maße zu erreichen. Die Versorgung der Klägerin mit dem Therapierad sei ausreichend,
zweckmäßig und notwendig. Auch sei die Versorgung wirtschaftlich, da die Kosten - gemessen an dem mehrjährigen Einsatz - vergleichsweise
gering seien. Das Training mit dem Therapierad übernehme im Wesentlichen die notwendige Übung zur Kräftigung und zur Koordinationsschulung
und steigere damit im erheblichen Maße die Effizienz der erforderlichen krankengymnastischen Behandlung.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, sie sei zur Übernahme der Kosten des streitigen Dreirades nicht verpflichtet. Das Grundbedürfnis
der Klägerin auf Mobilität sei durch den vorhandenen Aktivrollstuhl bzw. durch den Elektrorollstuhl im vollen Umfang sichergestellt.
Ihre Auffassung werde nicht nur durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 16.09.1999, Az.: B 3 KR 8/98 R und B 3 KR 9/98 R) sondern auch durch das bayerische Landessozialgericht (Urteil vom 22.06.2006, Az.: L 4 KR 215/04) bestätigt. Der Nutzung eines Therapierades fehle es an der medizinischen Erforderlichkeit, zumal die Nutzung eines Heimtrainers
möglich sei. Das vom Dr. C. beschriebene positive Erlebnis bei der Nutzung des Therapierades sei nachvollziehbar, jedoch von
der Leistungspflicht der GKV nicht umfasst. Im Übrigen sei die Klägerin im Hinblick auf den Behinderungsausgleich durch die
vorhandenen Hilfsmittel ausreichend versorgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11.11.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden. Ergänzend führt die Klägerin aus, nachdem das alte
Behindertenfahrrad endgültig irreparabel geworden sei, habe sie mehrere Wochen nicht mit einem Behindertenrad trainieren können.
Dadurch habe ihr Bewegungsvermögen abgenommen und die Sturzhäufigkeit habe zugenommen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass
die hirnorganisch bedingte Behinderung ein Koordinationstraining erfordere, welches auf einem Heimtrainer nicht geleistet
werden könne.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte
verwiesen, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Bereits im Urteil des Sozialgerichts ist ausgeführt, aus welchen Gründen die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung vorliegend
keine andere Entscheidung begründen kann.
Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten bei Dr. C. vom 04.05.2009 zeigt, dass der im Berufungsverfahren wiederholte
Vortrag der Beklagten dem Anspruch der Klägerin nicht entgegensteht. Dabei verkennt die Beklagte, dass im vorliegenden Einzelfall
der Anspruch auf Versorgung mit einem Therapierad sich nicht auf § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alternative (Ausgleich einer Behinderung)
sondern - wie das Sozialgericht bereits zutreffend im angefochten Urteil ausgeführt hat - auf §
33 Abs.
1 Satz 1 2. Alternative (einer drohenden Behinderung vorzubeugen)
SGB V stützt. Nach dem Gutachten von Dr. C. erlitt die Klägerin im Rahmen ihrer Frühgeburt eine Schädigung des motorischen Zentrums
des Gehirns (infantile Cerebralparese infolge eines perinatalen hypoxischen Hirnschadens). Infolge dessen besteht eine links-
und beinbetonte Tetraspastik mit entsprechend gestörter Koordination der Bewegungsabläufe mit teilweiser Kraftminderung (Parese).
Diese Funktionsstörungen zeigen sich im verlangsamten, schwerfälligen, spastisch-ataktischen Gangbild, das sich besonders
ausgeprägt im Barfußgang ohne Benutzung von Hilfsmitteln darstellt. Mit angelegtem Schuhwerk (mit eingelegter Einlagenversorgung)
und Benutzung eines Gehstocks oder von Trekkingstöcken wird das Gangbild deutlich sicherer, flüssiger und zügiger, bleibt
jedoch in der maximalen Gehstrecke auf wenige 100 m beschränkt. Dies beruht darauf, dass mit zunehmender Gehzeit die Muskulatur
ermüdet, die Koordination nachlässt und die Gangunsicherheit bis hin zur Stolperneigung zunimmt. Die Funktionseinschränkungen
bedingen in erster Linie eine eingeschränkte Mobilität auch im Hinblick auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Die erforderliche
Krankenbehandlung hat somit das Ziel der Sicherung/Verbesserung der Mobilität. Hierzu ist in erster Linie eine Schulung und
ein Training der koordinativen Fähigkeiten sowie eine Steigerung der Maximalkraft und Kraftausdauer und eine Minderung der
Spastik insbesondere der unteren Extremitäten, erforderlich. Die durchgeführte Krankengymnastik ist auf dieses Therapieziel
ausgerichtet, aber nicht allein ausreichend um das Therapieziel auf Dauer zu erreichen. Nach dem Ergebnis des Gutachtens von
Dr. C. erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen für die Versorgung mit einem Therapie-Rad. Sie verfügt nicht über die koordinativen
Fähigkeiten, um ein handelsübliches Zweirad zu fahren. Sie verfügt jedoch über die notwendigen koordinativen und kräftemäßigen
Voraussetzungen, die es ermöglichen, ein Therapie-Rad sicher und effektiv zu fahren. Eine effektive Kraftübertragung über
die Pedale ist gesichert, der Tritt ist ausreichend "rund" und die Klägerin erreicht die notwendige Mindest-Trittfrequenz.
Zur Bewältigung von Steigerungen ist eine entsprechende Gangschaltung erforderlich. Das Therapierad der Klägerin ist mit einer
24-Gangschaltung ausgestattet. Der Funktionstest ergab, dass die Klägerin den Wechsel zwischen unterschiedlichen Fahrtechniken
sicher beherrscht. Dies gilt insbesondere für den Wiegetritt, der aus neurophysiologischer Sicht die motorischen Bewegungsprogramme
besonders in der diagonalen Achse effizient bahnt und trainiert. Zudem ergeben sich folgende therapeutischen Gesichtspunkte:
Neurophysiologisch stellt das Training mit einem Therapie-Dreirad eine Übungsform dar, die durch relativ einfache, sich zyklisch
wiederholende Bewegungselemente und über die gleichsinnige Aktivierung der Gegenseite neurophysiologisch bahnend und somit
im Hinblick auf die motorischen Bewegungsprogramme koordinationsschulend wirkt. In einer geführten, harmonischen, zyklischen
Bewegung wird die Muskulatur der unteren Extremitäten wechselnd aktiviert. Bei gegebener Trainierbarkeit ist hierdurch bei
regelmäßigem Training eine Steigerung der Maximal-Kraft und Kraftausdauer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreichbar.
Im Training mit dem Therapierad finden sich einzelne Trainingselemente und Trainingsaspekte, die mit jeweils spezifischen
Behandlungsformen - z. B. im Rahmen einer krankengymnastischen Behandlung - durchaus adäquat geübt und trainiert werden können.
Die wesentliche Besonderheit des Trainings mit einem Therapierad liegt jedoch darin, dass diese Aspekte und Trainingselemente
in besonderer Weise kombiniert und zusammengeführt werden. Insbesondere gilt dies für den Wiegetritt, der eine effiziente
Behandlung der motorischen Bewegungsprogramme in der diagonalen Achse ermöglicht sowie besondere Anforderungen an die Kontroll-
und Steuerungssysteme des Gleichgewichts stellt, wobei immer auch gleichzeitige Bewegungs- und Steuerungsabläufe von Treten
und Lenken gefordert werden. Durch den erreichbaren Muskelaufbau wird eine langsamere bzw. spätere Ermüdbarkeit erreicht.
Die Koordination wird unter Belastung verbessert. Dies resultiert in einer längeren Gehzeit/Gehstrecke und in einer Minderung
der Sturzgefährdung durch Verringerung der Stolperneigung. Dies wirkt sich mindernd auf die sekundären Funktionsstörungen
der Klägerin im Bereich der Fehl- und Überlastungsreaktionen, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule aus. Die vermehrte Durchblutung
mindert die Spastik. Dieser Effekt ist direkt nutzbar, wenn das Therapierad zum Erreichen von Orten genutzt wird, an denen
anschließend die weitere Fortbewegung zu Fuß erfolgen soll. Der Trainingserfolg mit dem Therapierad (Ausdauer, Geschwindigkeit/erreichbare
Wegstrecke) ist anders als beim Heimtrainer unmittelbar erkennbar und dadurch motivationssteigernd und kann in das alltägliche
Leben integriert werden. Die Klägerin ist aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung und ihrer Motivation und der bisherigen
Nutzung des alten Behindertendreirades in der Lage, die Vorteile des neuen Therapierades für sich umzusetzen.
Nach dem Ergebnis dieses Gutachtens kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auch nicht entgegenhalten, die zusätzliche
Versorgung der Klägerin sei nicht zweckmäßig, nicht notwendig und nicht wirtschaftlich. Die Versorgung mit einem Therapierad
ist insbesondere unter ergotherapeutischen und rehabilitativen Gesichtspunkten im Fall der Klägerin zweckmäßig. Das spezielle
Training und die Mobilisierung können in ihre Aktivitäten des täglichen Lebens integriert werden und ermöglichen somit einen
ganzheitlichen Therapieansatz. Die Versorgung ist auch notwendig, da sich ein entsprechend hoher Grad an Effizienz und Spezifität
mit anderen Therapiemethoden nicht erreichen lässt. Auch ist die Versorgung wirtschaftlich, da die Kosten gemessen an dem
mehrjährigen Einsatz im Vergleich zu therapeutengebundenen Therapieformen vergleichbar gering sind.
Der Senat folgt dem Gutachten von Dr. C. Es ist ausführlich und nachvollziehbar begründet und läst keinen Widerspruch zwischen
Befunderhebung und Befundbeurteilung erkennen. Zudem setzt sich der Sachverständige mit den Gegenargumenten der Beklagten
auseinander und begründet seine andere Auffassung ausführlich und nachvollziehbar.