Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung
Verstoß gegen das allgemeine Qualitätsgebot
Tatbestand
Streitig ist der auf der Grundlage der DRG F98.Z abgerechnete Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 33.973,50 EUR, insbesondere
die Rechtsfrage, ob der im Jahr 2010 durchgeführte Eingriff dem Qualitätsgebot entsprach.
Die Klägerin ist ein Plankrankenhaus in Mecklenburg-Vorpommern (MV). Sie war im Krankenhausplan u. a. mit dem Gebiet „Innere Medizin“ ausgewiesen, jedoch nicht mit „Herzchirurgie“. Spezielle
Herzzentren mit einer Herzchirurgie befanden sich in K-Stadt bei G-Stadt (Klinikum K-Stadt) und am Universitätsklinikum R-Stadt
(Klinik und Poliklinik für Herzchirurgie).
Die 1923 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte H. K. (Versicherte) wurde vom 12. Juli 2010 bis 22. Juli
2010 stationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Aufgrund des Alters, der körperlichen Konstitution, der Komorbiditäten
und dem deutlich erhöhten perioperativen Risiko eines konventionellen Aortenklappenersatzes wurde sie zur Durchführung eines
perkutanen Aortenklappenersatzes bei einem kombinierten Aortenklappenvitium mit führender Aortenklappenstenose III. Grades
und einer Aorteninsuffizienz I. Grades in der Inneren Medizin, Abteilung Kardiologie, aufgenommen und am 14. Juli 2010 Katheter
gestützt ein Herzklappenimplantat (TAVI) eingesetzt. Das herzchirurgische Standby während der Operation erfolgte (wie stets
bei endovaskulären Aortenklappenimplantationen) aufgrund eines Kooperationsvertrags durch ein vollständiges herzchirurgisches
Team des (ca. 75 km entfernten) UKSH Campus L-Stadt Herzchirurgie.
Für die Behandlung rechnete die Klägerin die DRG F98.Z (Endovaskuläre Implantation eines Herzklappenersatzes oder transapikaler
Aortenklappenersatz) ab und stellte der Beklagten insgesamt 33.973,50 EUR in Rechnung (Rechnung vom 27. Juli 2010). Die Beklagte
wies die Rechnung am 03. August 2010 zurück, da die DRG F98Z mit der Klinik nicht vereinbart sei. Es fehle an den Strukturvoraussetzungen
(Vorhandensein einer Herzchirurgie).
Mit der am 24. Mai 2011 beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 24. Juli 2003 - B 3 KR 28/02 R - hat die Klägerin vorgetragen, die von einem zugelassenen Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrages erbrachten notwendigen
Krankenhausbehandlungen eines Versicherten seien von den Krankenkassen zu vergüten. Gesonderte Vereinbarungen in den Budget-
und Pflegesatzverhandlungen könnten dem nicht entgegenstehen. Da die Klägerin über einen Versorgungsauftrag im Bereich der
Kardiologie verfüge, könne sie auch die DRG F98Z abrechnen. Die TAVI sei der Kardiologie zuzuordnen. In der Kardiologischen
Abteilung der Klinik für Innere Medizin sei 2010 ein breites Spektrum an kardiologischen Erkrankungen, einschließlich interventioneller
Verfahren behandelt worden, und es liege eine volle Weiterbildungsermächtigung für das Fach Kardiologie vor. Prof. Dr. St.
als Chefarzt der Kardiologie und Dr. P. als Oberarzt verfügten über eine zertifizierte Expertise zur Durchführung der endovaskulären
Aortenklappenimplantation. Die vor Ort anwesenden Herzchirurgen hätten bei Auftreten einer Komplikation ohne Zeitverlust und
Verlegung der Patienten unter OP-Bedingungen den Brustkorb eröffnen und am Herzen operieren können. Ein solcher Fall sei nie
eingetreten. Es bestehe uneingeschränkter Konsens, dass Indikationsstellung und Durchführung in interdisziplinären Teams erfolgen
müssten, an dem auch Herzchirurgen beteiligt seien. Eine institutionelle Herzchirurgie müsse nicht vorgehalten werden.
Die mittlerweile in Kraft getretene Richtlinie des GBA zu minimalinvasiven Herzklappenintervention (MHI-RL, Beschlüsse vom
22. Januar 2015 und 16. April 2015) sei auf die 2010 erfolgte TAVI nicht anwendbar. Aus der Übergangsregelung des § 9 könnten
jedoch Rückschlüsse gezogen werden. Wenn der GBA die Erbringung der TAVI bis Mitte 2016 in Häusern ohne Herzchirurgie zulasse,
gehe er davon aus, dass eine qualitative Erbringung der Leistung auch ohne herzchirurgische Fachabteilung gewährleistet sei.
Daher könne für die Vergangenheit nichts Anderes gelten.
Zudem sei das Prüfverfahren nach §§
275 ff
SGB V verletzt worden. Der MDK sei nicht binnen sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung eingeschaltet worden. Dies führe zu einem
Einwendungsausschluss bzw. zu einer Beweislastumkehr.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 33.973,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. §
247 Abs.
1 BGB seit 18. August 2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Klägerin habe mit der endovaskulären Aortenklappenimplantation eine herzchirurgische
Leistung erbracht, die weder vom Versorgungsauf-trag der Klägerin erfasst noch vereinbart worden sei. Das Vorhandensein einer
institutionellen Herzchirurgie sei zwingend erforderlich. Eine entsprechende Forderung sei im Januar 2010 vom Deutschen Konvent
der Kardiologischen und Herzchirurgischen Ordinarien ausdrücklich formuliert worden. Auf den Inhalt des von der Beklagten
zu den Akten gereichten Sitzungsprotokolls (Anlage 3 zum Schriftsatz vom 07. Juli 2011) wird Bezug genommen. Die Aussagen
der MHI-RL seien nicht unbeachtlich. Es werde ein Standard definiert, der auch zuvor schon dem Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprochen habe. Unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 20. November 2008 - B 3 KN 4/08 KR R - sei kein Einwendungsausschluss eingetreten. Dieser trete nur ein, wenn die Berufung
auf Einwendungen nach Würdigung aller Umstände gegen Treu und Glauben verstoße und damit rechtsmissbräuchlich wäre. Um einen
so gravierenden Vorgang handele es sich hier jedoch nicht.
Das SG Schwerin hat die Klage mit Urteil vom 12. Juli 2016 abgewiesen.
Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Vergütungsanspruch wegen der vollstationären Behandlung der Versicherten vom 12.
Juli 2010 bis 22. Juli 2010. Die Durchführung der TAVI sei nicht im Rahmen ihres Versorgungsvertrages erfolgt. Denn der Eingriff
stelle eine herzchirurgische Leistung dar. Dies stehe nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen aus der Zeit von 2010 und
früher fest. Zudem sei die Klägerin bei der Durchführung einer TAVI selbst davon ausgegangen, Herzchirurgen bei der Indikationsstellung
und Durchführung der Operationen hinzuziehen zu müssen. Auch § 4 Abs. 1 MHL-RL sei zu entnehmen, dass es sich um einen herzchirurgischen
Eingriff handele, der eine „institutionalisierte Herzchirurgie“ als Fachbereich in einem Krankenhaus, ggf. in einer gemeinsam
von zwei Krankenhäusern betriebenen Einrichtung erfordere.
Schließlich sei die Beklagte auch nicht mit ihren Einwendungen ausgeschlossen. Dem stehe §
275 Abs.
1c SGB V nicht entgegen. Die Beklagte habe die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung u. a. mit Blick auf bestehende Leistungsverweigerungsrechte
nach allgemeinen Grundsätzen geprüft, wozu sie auch berechtigt gewesen sei. Es hätten aufgrund der Durchführung der TAVI und
der Abrechnung der DRG F98Z (Endovaskuläre Implantation eines Herzklappenersatzes oder transapikaler Aortenklappenersatz)
mehr als nur geringste Anhaltspunkte für eine sachlich-rechnerische Unrichtigkeit bestanden. Obwohl die Klägerin keinen Versorgungsvertrag
auf dem Gebiet der Herzchirurgie gehabt habe, habe sie eine entsprechende Leistung durchgeführt. Sie sei daher verpflichtet
gewesen, der Beklagten davon Mitteilung zu machen, was jedoch nicht erfolgt sei.
Gegen das der Klägerin am 26. Juli 2017 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 09. August 2016.
Den Feststellungen des LSG Hessen zum medizinischen Erkenntnisstand im Jahr 2013, an welche sich das BSG im Urteil vom 16. August 2021 – B 1 KR 18/20 R – gebunden gefühlt habe, sei zu widersprechen. Die vom LSG Hessen herangezogenen Veröffentlichungen seien im Jahr 2010 noch
nicht bekannt gewesen. Das Qualitätsgebot sei durch die Klägerin eingehalten worden. Im Gegensatz zu dem vom BSG entschiedenen Fall habe vorliegend eine hinreichende Kooperationsvereinbarung bestanden.
Die Indikation zur Durchführung der TAVI habe vorgelegen und sei gemeinsam mit dem herzchirurgischen Team der Universitätsklinik
L-Stadt gestellt worden. Die Behandlung der Versicherten habe dem seinerzeit allgemein anerkannten medizinischen Standard
entsprochen. Es seien alle Voraussetzungen erfüllt gewesen, um eine sofortige herzchirurgische Intervention im Bedarfsfall
beginnen zu können. Das herzchirurgische Team sei durchgängig während des Eingriffs anwesend gewesen und hätte im Falle eines
Notfalls unmittelbar ohne Zeitverlust und ohne Verlegung des Patienten den Brustkorb eröffnen und am Herzen operieren können.
Neben einer Herz-Lungen-Maschine habe ein komplettes herzchirurgisches Equipment während der gesamten Prozedur zur Verfügung
gestanden. Die räumliche uns sächliche Ausstattung habe bereits seinerzeit der heutigen entsprochen; anders als heute habe
es lediglich an der förmlichen Einrichtung einer herzchirurgischen Klinik und an einer entsprechenden Aufnahme in den Krankenhausplan
gefehlt.
Die Klägerin habe keinen Grund gehabt, im Jahr 2010 an der Zulässigkeit und der sich daraus wiederum ergebenden Verpflichtung
zur Erbringung der TAVI als Sachleistung zu zweifeln. Es könne nicht Jahre nach Leistungserbringung aus den heuten vorliegenden
medizinischen Kenntnissen und rechtlichen Vorgaben auf das Jahr 2010 rückgeschlossen werden. Zur Beurteilung der Rechtslage
sei auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung abzustellen. Aus der Übergangsregelung in § 9 MHI-folge, dass eine qualitätsgesicherte
TAVI auch ohne Fachabteilung für Herzchirurgie habe erfolgen können. Anderenfalls hätte die Übergangsregelung aus Gründen
des Patientenschutzes nicht ergehen dürfen. Die Übergangsfrist belege zudem, dass die TAVI bundesweit über Jahre hinweg von
Häusern ohne Versorgungsauftrag für Herzchirurgie erbracht wurde und dass auch durch Kooperationen grundsätzlich die notwendigen
Qualitätsvorgaben eingehalten werden können.
Im Jahr 2010 sei die Leistung nach den Vorgaben der Weiterbildungsordnung – wie auch heute – dem Gebiet der Inneren Medizin zuzuordnen gewesen. Der Eingriff sei durch eine typisch kardiologische
Vorgehensweise charakterisiert und unterfalle damit eindeutig der Kardiologie und damit der Inneren Medizin. Der Begriff „interdisziplinäre
Leistung“ werde erst heute (und zudem fälschlich) im Zusammenhang mit der TAVI verwendet und könne daher nicht nachträglich
für die damals vorzunehmende Einordnung herangezogen werden. Im Zeitpunkt der Behandlung der Versicherten sei das Krankenhaus
der Klägerin u. a. mit dem Gebiet Innere Medizin im Krankenhausplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgewiesen gewesen
(Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 2008, Anlage K 36). Der Versorgungsauftrag eines Krankenhauses könne nicht durch Äußerungen
von Fachleuten einschränkt werden, da diesen kein Rechtsnormcharakter zukomme.
Sofern während der kardiologischen Behandlung eine Brustkorberöffnung durchgeführt werden müsse (sog. Konversion), könne dies
nicht die Notwendigkeit einer herzchirurgischen Abteilung begründen. Bei der Konversion handele es sich um einen reinen Notfall.
Dieses Notfallszenario könne jedoch nicht in Frage stellen, dass es sich bei dem transfemoralen Herzklappenersatz um eine
interventionelle kardiologische Behandlung einer Erkrankung des Herzens handele. Andernfalls würde aus einer Notfallsituation
der Regelfall abgeleitet. Die Tatsache, dass die theoretische Möglichkeit dieser Komplikation bekannt sei, ändere nichts daran,
dass es sich bei dem tatsächlichen Eintritt um einen Notfall handele. Im Rahmen von Notfallbehandlungen komme es aber nicht
auf den Versorgungsauftrag an.
Im Jahr 2010 habe es keine eindeutigen und insbesondere keine rechtlich verbindlichen medizinischen Erkenntnisse gegeben,
die gefordert hätten, dass die TAVI nur in Häusern mit beiden Fachabteilungen habe erbracht werden dürfen. Der GBA habe in
den tragenden Gründen zur MHI-RL explizit dargelegt, dass die Fachpresse in Deutschland (bis zum Jahr 2015!) überwiegend die
Meinung vertreten habe, dass auch eine Kooperation zwischen Herzchirurgen und Kardiologen ausreiche.
Der im Jahr 2010 maßgebliche Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis lasse sich anhand des einzig maßgeblichen Positionspapiers
(Figulla et. al., Positionspapier zur kathetergeführten Aortenklappenintervention, Der Kardiologe 3/2009, S. 199 ff.) ermitteln,
welches von beiden involvierten Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und Deutsche Gesellschaft für Herz-,
Thorax- und Gefäßchirurgie) gemeinsam erstellt worden sei. Hierin werde eine Fachabteilung für Herzchirurgie im Sinne einer
institutionalisierten oder „in-house“-Herzchirurgie nicht gefordert. Das Gegenteil folge auch nicht aus dem interdisziplinären
Positionspapier der europäischen Fachgesellschaften aus dem Jahr 2008 (Vahanian et. al., Transcatheter valve implantation
for patients with aortic stenosis: a position statement from the European Association of Cardio-Thoracic Surgery <EACTS> and
the European Society of Cardiology <ESC>, in collaboration with the European Association of Percutaneous Cardiovascular Interventions
<EAPCI>, European Journal of Cardio-thoracic Surgery 34 <2008> 1-8). Hierin werde empfohlen, die TAVI „in hospitals with cardiac
surgery on-site“ durchzuführen. Damit werde keineswegs eine „institutionelle“ Herzchirurgie im behandelnden Krankenhaus oder
gar eine Aufnahme in den Krankenhausplan verlangt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der erwähnten Veröffentlichungen
Bezug genommen.
Insoweit im Anschluss an eine Sitzung des Deutschen Konvents der Kardiologischen und Herzchirurgischen Ordinarien zum Thema
„Interventionelle Klappentherapie“ im Januar 2010 festgehalten worden sei, dass „Herzklappeninterventionen [...] nur an einem
Zentrum vorgenommen werden [sollen], an welchem sowohl die interventionelle Kardiologie als auch die Herzchirurgie als Kliniken
vorhanden und etabliert sind“, habe diese Auffassung in der Fachwelt keine Bedeutung erlangt. Die Erforderlichkeit einer herzchirurgischen
Klinik sei im Protokoll nur als „Soll-Vorschrift“ formuliert worden. Das Protokoll sei zudem – soweit ersichtlich – jedenfalls
vor der hier maßgeblichen Leistungserbringung im Juli 2010 nicht veröffentlicht worden. Auch eine förmliche Beschlussfassung
der Teilnehmer des Konvents mit dem zitierten Inhalt lasse sich nicht feststellen. Das Protokoll gebe lediglich einen – nicht
abgestimmten – Vorschlag zur Beschlussfassung wieder. Insoweit verweist die Klägerin ergänzend auf einen Aufsatz (Scharmer,
Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 2106–2108, „Operation? Kathetereingriff? Wie die Entscheidung bei Aortenklappenstenose fallen
sollte“, Anlage K50), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
Im Jahr 2010 habe in der Fachliteratur lediglich Konsens dahingehend bestanden, dass der Eingriff nicht von einer Fachrichtung
alleine habe durchgeführt werden dürfen, sondern dass vielmehr Kardiologen und Herzchirurgen Indikationsstellung und Eingriff
hätten gemeinschaftlich durchführen müssen. Diese Vorgaben habe die Klägerin eingehalten.
Schließlich habe die Beklagte auch gegen § 275 SGBV a. F. verstoßen, da zur Beantwortung der streitigen medizinischen Frage
medizinischer Sachverstand erforderlich gewesen sei, was die Beklagte dazu verpflichtet habe, eine gutachterliche Stellungnahme
des MDK einzuholen. Ein MDK-Prüfverfahren sei jedoch nicht eingeleitet worden. Die Beklagte könne mit ihren Einwendungen hinsichtlich
der angeblich nicht abrechenbaren DRG F98Z daher nicht mehr durchdringen. Eine Rechtsgrundlage für die Zahlungsverweigerung
der Beklagten liege bereits aufgrund des fehlenden Einzelfallprüfverfahrens nicht vor.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Schwerin vom 12. Juli 2016 verurteilt, an die Klägerin 33.973,50
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Die TAVI gehe mit einer erheblichen Gefahr von Komplikationen und mit einer hohen Sterblichkeit einher; es werde von einer
10 prozentigen Letalität in den ersten 30 Tagen nach dem Eingriff berichtet. Daher komme nur eine Kooperation mit einer herzchirurgischen
Klinik in unmittelbarer räumlicher Nähe zum versorgenden Krankenhaus in Betracht. Diese Forderung habe schon im Jahr 2010
bestanden und sei nun in die MHI-RL übernommen worden. Folgte man der Auffassung der Klägerin, hätte jedes Krankenhaus mit
einer Inneren Medizin/Kardiologie die Leistung erbringen können, was als abwegig bezeichnet werden müsse. Aus den von der
Klägerin zitierten Arbeiten ergebe sich eindeutig, dass in der Fachöffentlichkeit jedenfalls kein Konsens über die Entbehrlichkeit
einer Abteilung für Herzchirurgie bestanden habe, ohne dass es auf die Details zur Veröffentlichung einzelner Positionspapiere
ankomme.
Darüber hinaus müsse die Indikation zur TAVI im streitigen Abrechnungsfall angezweifelt werden. Alternativ komme grundsätzlich
die offen-chirurgische Operation in Betracht. Ein Verstoß gegen §
275 SGB V liege nicht vor. Es gehe hier allein um eine rein rechtliche Fragestellung, nämlich um den Inhalt des Versorgungsauftrags
bzw. die Beachtung des Qualitätsgebotes, weshalb die Einbindung des MDK insoweit nicht erforderlich gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (vgl. §
151 Absatz
1 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (vgl. §
143 SGG) ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Hierbei kommt es indes nicht entscheidend darauf an, ob
die TAVI als (auch) herzchirurgische Leistung anzusehen ist und deshalb nicht vom Versorgungsauftrag der Klägerin umfasst
wart. Diese Frage kann der Senat dahinstehen lassen; er neigt allerdings dazu, der Argumentation der Klägerin folgend die
TAVI den kardiologischen Interventions-Leistungen zuzurechnen.
Ein Vergütungsanspruch der Klägerin für die streitige Leistung besteht jedoch deshalb nicht, weil die im streitigen Abrechnungsfall
erbrachte Leistung wegen Verstoßes gegen das Qualitätsgebot (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) nicht erforderlich war und damit zugleich gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs.
1 SGB V) verstieß. Die Durchführung einer TAVI in einem Krankenhaus, das nicht über eine herzchirurgische Abteilung/Klinik verfügte,
entsprach (auch) im Juli 2010 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Nach eingehender Prüfung und umfangreicher Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung hält der Senat
an seiner schon im Urteil vom 15. März 2022 – L 6 KR 2/18 – vertretenen Auffassung fest und folgt insoweit auch weiterhin den Feststellungen des BSG im Urteil vom 16. August 2021 – B 1 KR 18/20 R. Die darin zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand im Jahr 2013 wiedergegebenen bzw. getroffenen Feststellungen gelten auch
und erst recht für das hier streitige Jahr 2010.
Mit dem BSG stimmt der Senat damit überein, dass die Klägerin im Interesse und zum Schutz der Versicherten den „sichersten Weg“ der Behandlung
wählen musste, denn bei der TAVI handelte es sich im Jahr 2010 noch um eine relativ neue, riskante und hochkomplexe Behandlungsmethode.
Ist der Nutzen einer Methode im Grundsatz zwar anerkannt, fehlt es hinsichtlich der Einzelheiten der Leistungserbringung aber
noch an verbindlichen rechtlichen Vorgaben und einem allgemeinen Konsens, gebieten es das Qualitäts- und das Wirtschaftlichkeitsgebot,
den Weg des gesicherten Nutzens zu gehen und Gesundheitsgefahren für die Versicherten soweit wie möglich dadurch auszuschließen
(BSG, a. a. O., Rn. 19). Hieraus folgt, dass umso höhere Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität des Leistungserbringers
zu stellen sind, je komplexer oder riskanter die in Rede stehende Methode ist. Für die Methode TAVI, die einen herzchirurgischen
Eingriff ersetzen soll und zugleich für den Komplikationsfall – auch nach Auffassung der Klägerin – den Rückgriff auf ein
herzchirurgisches Vorgehen erfordert, beinhaltet der Weg des gesicherten Nutzens, dass die Leistung so lange spezialisierten
Krankenhäusern mit institutionalisierten („In-House“-) Fachabteilungen für Kardiologie und für Herzchirurgie vorbehalten bleiben
muss, wie nicht ein allgemeiner Konsens dahingehend besteht, dass auch in Häusern mit einer Ausstattung unterhalb dieses „Goldstandards“,
bspw. im Rahmen eines Kooperationsmodells, die Leistung qualitätsgerecht erbracht werden kann.
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 16. August 2021 – B 1 KR 18/20 R –ausgeführt, dass – unabhängig von den Feststellungen der Vorinstanz – zumindest bei der erforderlichen Einbeziehung der
europäischen und internationalen Publikationen im Jahr 2013 kein breiter fachlicher Konsens darüber bestanden hat, dass TAVI-Leistungen
auch in Krankenhäusern ohne herzchirurgische Fachabteilung erbracht werden konnten (a. a. O., juris Rn. 31). Dass im Jahr
2010 hingegen ein Konsens bestanden haben sollte, der im Jahr 2013 dann nicht mehr vorlag, ist nicht nur nicht ersichtlich,
sondern durch die vorliegenden Veröffentlichungen (und Protokolle) widerlegt.
Ein derartiger Konsens hat im Zeitpunkt des hier streitigen Eingriffs (Juli 2010) eindeutig nicht bestanden. Er lässt sich
insbesondere nicht anhand der von der Klägerin bemühten wissenschaftlichen Veröffentlichungen feststellen. Im Gegenteil folgt
hieraus, dass seinerzeit gerade kein Konsens bestanden hat, sondern dass sich die wissenschaftliche Meinungsbildung noch in
einem dynamischen Stadium der Entwicklung befunden hat. Insoweit die Klägerin darauf hinweist, dass sich aus den seinerzeit
publizierten Arbeiten ein Konsens über die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer herzchirurgischen Klinik oder Abteilung
in dem den Eingriff vornehmenden Krankenhaus nicht ergebe, verkennt sie, dass es hierauf nicht ankommt. Vielmehr bedarf es
zur Einhaltung des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots des
SGB V durch ein diese Voraussetzungen nicht erfüllendes Krankenhaus im Gegenteil der positiven Feststellung eines Konsenses dahingehend,
dass eine herzchirurgische Klinik/Fachabteilung entbehrlich ist.
Es kann daher dahinstehen, ob die in dem europäischen Positionspapier (Vahanian et. al. 2008) gewählte Formulierung („in hospitals
with cardiac surgery on-site“), wie die Klägerin meint, tatsächlich nicht als Forderung nach einer eigenen herzchirurgischen
Klinik zu verstehen ist, sondern auch ein Kooperationsmodell und die Anwesenheit eines herzchirurgischen Teams genügen lässt.
Jedenfalls wird ein derartiges Modell nicht ausdrücklich als ausreichend dargestellt. Gleiches gilt auch für das deutsche
Positionspapier (Figulla et. al. 2009). Hierin wird wiederholt eine enge Zusammenarbeit von Kardiologen und Herzchirurgen
sowohl bei der Indikationsstellung als auch bei der Durchführung des Eingriffs gefordert, ohne dass in irgendeiner Weise das
Vorhandensein einer herzchirurgischen Klinik im durchführenden Krankenhaus erörtert oder insbesondere für entbehrlich erklärt
würde. Das Verlangen nach Zusammenarbeit bzw. Kooperation kann auch keineswegs nur in diesem Sinne verstanden werden, da sich
die Sinnhaftigkeit einer engen Zusammenarbeit durchaus auch in Herzzentren, mithin in Häusern mit sowohl kardiologischer als
auch herzchirurgischer Klinik ergibt. Auch dort verbietet sich nach dem Positionspapier etwa dann die Durchführung des Eingriffs
durch die kardiologische Klinik, wenn sich das „Rückfallszenario“ der Konversion, also des Übergangs zum offen-chirurgischen
Eingriff im Falle einer Komplikation wegen einer aktuellen Auslastung des Personals oder der sächlichen Ausstattung der herzchirurgischen
Klinik nicht darstellen lässt. Auch für Herzzentren hat die Forderung nach einer gemeinsamen Arbeit von Kardiologen und Herzchirurgen
und nach einer engen Zusammenarbeit mit einem in der Herzchirurgie ausgewiesenen Anästhesisten mithin ihre Berechtigung.
Dahingegen stellt die Forderung im Protokoll der Kardiologischen und Herzchirurgischen Ordinarien aus Januar 2010, sowohl
die interventionelle Kardiologie als auch die Herzchirurgie sollten als Kliniken vorhanden und etabliert sein, eine gewichtige
Stimme dar, die selbst eine unterstellte (aber nicht feststellbare) überwiegende gegenteilige Meinung der übrigen Fachwelt
nicht als breiten Konsens erscheinen ließe. Ob und unter welchen Umständen diese jedenfalls als Beschlussvorlage von namhaften
Fachmedizinern formulierte Forderung seinerzeit veröffentlicht war, ist unerheblich. Keineswegs sind hierfür die Maßstäbe
anzulegen, die das BSG im Rahmen seiner Off-Label-Use Rechtsprechung entwickelt hat (veröffentlichte Phase III-Studie oder gleichwertige, außerhalb
eines Zulassungsverfahrens gewonnene, veröffentlichte Erkenntnisse, vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 1/06 R – Rn. 19). Die im Konvent der Ordinarien formulierte Forderung ist jedenfalls Gegenstand der weiteren wissenschaftlichen
Diskussion geworden, wie die von der Klägerin vorgelegte Arbeit von Scharmer aus dem Jahr 2011 eindrucksvoll belegt. Hiernach
wurde die formulierte Forderung nach einer eigenen Herzchirurgie von den bei einem Expertengespräch im Februar 2011 anwesenden
Herzchirurgen „einmütig bestätigt“. Ausweislich der Teilnehmerliste handelte es sich hierbei um zumindest sieben hochrangige
Fachleute, ganz überwiegend habilitierte Chefärzte von Herzzentren zahlreicher Bundesländer.
Der klägerseits angeregten Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum seinerzeitigen wissenschaftlichen
Meinungsstand bedurfte es für eine abschließende Beurteilung daher nicht mehr.
Der Senat folgt der Entscheidung des BSG vom 16. August 2021 ferner auch dahingehend, dass die Übergangsregelung des § 9 Satz 1 MHI-RL auf vor Inkrafttreten erfolgte Leistungserbringungen nicht anwendbar ist. Das BSG hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass die Leistungserbringung vom 01. Januar 2013 bis 30. Juni 2014 durch die Regelung
nicht habe legitimiert werden sollen, sondern vielmehr Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Übergangsregelung sein sollte.
Die Klägerin kann sich schließlich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Insoweit hat das BSG in der o. g. Entscheidung bereits ausgeführt, für die Einräumung eines Vertrauensschutzes bestehe kein Bedürfnis, weil die
Krankenhäuser die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Berechtigung zur Leistungserbringung im jeweiligen Einzelfall durch die
Krankenkasse vorab verbindlich klären zu lassen. Nur ergänzend sei angemerkt, dass jeglicher Vortrag der Klägerin dazu fehlt,
dass die Beklagte bundesweit Rechnungen in anderen Fällen, in denen die TAVI in Krankenhäusern ohne eigene Herzchirurgie durchgeführt
worden ist, beglichen hätte. Lebensnah ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf die weiteren zwischen den Beteiligten geführten
Rechtsstreitigkeiten über Forderungen von über einer Million EUR das Gegenteil der Fall war. Insoweit fehlt es bereits an
einem Vertrauen begründenden Tatbestand.
Die Beklagte ist letztlich auch nicht mit Einwendungen gegen die streitige Abrechnung der im Krankenhaus der Klägerin erbrachten
Leistungen ausgeschlossen. Zwar hat das BSG bereits entschieden, dass ein Verstoß gegen das Prüfverfahren nach §
275 SGB V zu einem Verwertungsverbot der im anschließenden Gerichtsverfahren ermittelten Tatsachen führen kann (vgl. BSGE 111, 58). Dies betrifft aber ausschließlich die Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in §
275 Abs.
1c S 2
SGB V. Mit der Einführung dieser Norm hat der Gesetzgeber das Interesse der Krankenkassen an der zeitlich unbeschränkten Einzelfallprüfung
von Krankenhausvergütungen dem Ziel der beschleunigten Abwicklung von Krankenhausabrechnungen untergeordnet, soweit dazu Prüfungen
nach §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V durchgeführt werden. Nach fruchtlosem Ablauf der Ausschlussfrist des §
275 Abs.
1c S 2
SGB V besteht für weitergehende medizinische Ermittlungen schlechthin kein Anlass mehr, selbst wenn sich die fragliche Vergütungsforderung
im Einzelfall möglicherweise als fehlerhaft erweist. Im vorliegenden Fall ging es jedoch nicht um die Beantwortung den Einzelfall
betreffender medizinischer Fragestellungen, sodass die Beauftragung des MDK nicht erforderlich war. Vielmehr war ausschließlich
eine Rechtsfrage zu klären. Die Beklagte hat bereits ohne besonderen medizinischen Sachverstand allein aufgrund der abgerechneten
Fallpauschale DRG F98Z („Endovaskuläre Implantation eines Herzklappenersatzes oder transapikaler Aortenklappenersatz“) und
den gemäß §
301 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB V zu übermittelnden Diagnose- und OPS-Schlüsseln erkennen können, welchen Eingriff die Klägerin bei der Versicherten durchgeführt
hatte. Darauf gestützt hat sie die Begleichung der streitigen Rechnung abgelehnt, weil nach ihrer Ansicht der damals anerkannte
Stand der Medizin die Vorhaltung sowohl einer Kardiologie als auch einer Herzchirurgie zwingend erforderlich machte. Weitere
medizinische Ermittlungen und Feststellungen zum Sachverhalt waren schlichtweg nicht erforderlich.
Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 02. Juni 2021 – L 5 KR 2088/19) unterstützt die von ihr vertretene Auffassung nicht, weil es dort um die Erfüllung bestimmter Kriterien im Einzelfall –
die sich aus der Richtlinie des GBA zur Kinderherzchirurgie ersichtlichen Qualitätskriterien –, also um die Ermittlung von
Tatsachen unter Rückgriff auf die Patientenakte ging. Dort heißt wörtlich: „Hierfür wäre die Einleitung einer MDK-Einzelfallprüfung
zwingend gewesen, weil allein anhand der nach §
301 SGB V übermittelten Daten keine Prüfung erfolgen kann“ (a. a. O., juris Rn. 20). Das Gegenteil ist hier der Fall.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 197a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
154 Abs.
2 VwGO.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor; eine grundsätzliche Bedeutung kommt den hier aufgeworfenen Fragen im Hinblick auf die bereits erfolgte
Klärung durch das BSG nicht mehr zu.