Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) - Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) -.
Der am 30. Dezember 1940 geborene Kläger war nach seinen Angaben in einer Beschäftigungsaufstellung vom 28. November 1994
wie folgt beruflich tätig: Dezember 1956 - Juli 1958 Seemann, August 1958 - August 1959 Bauarbeiter bei dem Bauunternehmen
I., Bremen, August 1959 - August 1960 Bauarbeiter bei dem Bauunternehmen Johann J., Bremen, September 1960 - April 1973 Maschinenführer
bei dem Unternehmen BTF Textilwerke K., Bremen, Juli 1961 - Dezember 1963 Soldat, April 1973 - Oktober 1986 Estrichleger bei
der L., Bremen, Oktober 1986 - August 1987 Estrichleger bei dem Bauunternehmen M., Traunstein, ab August 1987 Estrichleger
bei der L., Bremen. Seit dem 1. September 1996 erhält er von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Oldenburg-Bremen eine Versichertenrente
wegen Erwerbsunfähigkeit, nachdem er ab 9. Juli 1993 eine Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hatte. Ferner
bezieht er von der Beklagten eine Verletztenrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente wegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung
der Lendenwirbelsäule (Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO).
Am 3. November 1994 erstattete der Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde N. eine "Ärztliche Anzeige über
eine Berufskrankheit" wegen der Erkrankungen "peribronchovasale Fibrose und Asthma", die der Kläger auf die Inhalation von
Abgasen, Lösungsmitteln und anderen Noxen zurückführt. - Die Beklagte holte von der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bremen/Bremerhaven
eine Auskunft über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten des Klägers vom 29. November 1994 ein, in der u. a. eine Arbeitsunfähigkeitszeit
vom 9. März 1993 - 6. September 1994 aufgezeichnet ist wegen der Leiden: Bandscheibenvorfall, Bursitis, Lumboischialgie, Peronaeuslähmung,
intervertebrale Diskopathie; Krankheit der weißen Blutkörperchen, Polyneuropathie, hirnorganisches Psychosyndrom. Nach einer
Auskunft der AOK für die Kreise Berchtesgadener Land und Traunstein sind für die Zeit der Mitgliedschaft vom 22. Oktober 1986
- 18. August 1987 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten gespeichert.
Die Beklagte zog von der LVA Oldenburg-Bremen medizinische Unterlagen, u. a. einen Entlassungsbericht der O. über ein von
dem Kläger in der Zeit vom 27. Mai 1993 - 8. Juli 1993 absolviertes Heilverfahren, bei (Entlassungsdiagnosen: chronische Nervus-peronaeus-Läsion
beiderseits, kleiner mediolateraler Diskusprolaps, Bandscheibenprotrusion L4/L5, unklare Leukozytose bei Nikotinabusus). Das
Zentralkrankenhaus (ZKH) P. übersandte ihr einen Entlassungsbericht vom 21. Juli 1994 über eine vom 27. April 1994 - 1. Juni
1994 durchgeführte stationäre Behandlung (Diagnosen: Polyneuropathie unklarer Genese, Schulter-Arm-Syndrom links, anamnestisch
rezidivierende Lumboischialgien, peribronchovasale Staubfibrose). Es übersandte ihr einen Befundbericht der Abteilung für
Pathologie der Ruhr-Universität Bochum vom 5. März 1996 über eine energiedispersive Mikroanalyse (Biopsiematerial der Lunge).
Darin heißt es in der Beurteilung, es handele sich um aluminium- und eisenhaltige Silikate mit Titanablagerungen, das Spektrum
der Siliziumablagerungen in Kombination mit der polarisationsoptisch nachweisbaren Doppelbrechung spreche für Quarzpartikel.
Von dem Arzt N. holte die Beklagte Krankheitsberichte vom 9. Februar 1995 und 15. April 1996/18. Juli 1996 ein, die im Wesentlichen
Arztbriefe (ab 13. September 1993) an den Hausarzt des Klägers enthalten und u. a. folgende Diagnosen nennen: chronisch-obstruktive
Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität, generalisierte Lungenparenchymerkrankung, z. B. peribronchovasale Staubfibrose.
Die M. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 29. Dezember 1994 mit, der Kläger sei dort vom 22. Oktober 1986 - 18. August
1987 beschäftigt gewesen und seine Tätigkeit habe im Einbau von Industriefußböden bestanden. Als Material seien Sondersplitt,
Zement, Bitumen, Colasphalt und Kunststoffdispersion verwendet worden; Lieferant sei das Unternehmen Q., Hamburg, gewesen,
Zement sei von örtlichen Werken bezogen worden. Handschuhe und die vorgeschriebene Arbeitskleidung habe der Kläger getragen.
- Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten kam in einer Arbeitsplatzanalyse vom 7. Juli 1995 zu dem Ergebnis, dass
der Kläger in dem Mitgliedsbetrieb R., Bremen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen
ausgesetzt war. Wegen des Ermittlungsberichts im Einzelnen wird auf Bl. 50 - 54 Verwaltungsakte Bezug genommen. Der TAD der
für die S. Baugesellschaft mbH zuständigen Tiefbau-Berufsgenossenschaft (TBG) führte in einer Stellungnahme vom 1. Juli 1996
aus, dass der Kläger während seiner Tätigkeit bei der S. Baugesellschaft mbH vom 22. Oktober 1986 - 18. März 1987 einer gesundheitlichen
Gefährdung durch Lösungsmitteldämpfe ausgesetzt und eine geringe Gefährdung durch weitere Gefahrstoffe möglich gewesen sei,
die jedoch nach Art und Umfang nicht weiter festgestellt werden könne. Wegen dieses Ermittlungsberichts wird auf Bl. 109 -
115 Verwaltungsakte Bezug genommen.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. med. T. vom 15. Oktober 1996 ein. Zusammenfassend
legte er dar, dass bei dem Kläger im Rahmen einer Behandlung wegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung aufgrund der radiologischen
Befunde der Verdacht auf eine Pneumokoniose geäußert worden sei und im Rahmen der weiteren Untersuchungen durch energiedispersive
Röntgenmikroanalyse der gewonnenen Lungenproben die Deposition von Quarzpartikeln im Rahmen einer peribronchovasalen Staubfibrose
habe gesichert werden können. Aufgrund der jetzt gewonnenen radiologischen und lungenfunktionsanalytischen Ergebnisse und
unter Berücksichtigung der Arbeitsanamnese sei er der Auffassung, dass sich bei dem Kläger aufgrund einer beruflichen Quarzstaubexposition
bei der Verarbeitung von Beton- und Steinmassen eine Silikose als Berufskrankheit nach Nr. 4103 (gemeint: 4101) der Anlage
1 zur BKVO entwickelt habe. Aufgrund dieser Berufskrankheit bestehe eine obstruktive Atemwegserkrankung, die zu Lungenfunktionsstörungen
führe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund dieser berufsbedingten Lungenfunktionsstörung schätze er auf 20 v.
H. ein. Als Stichtag für den Eintritt des Versicherungsfalles sehe er das Datum der ersten lungenfachärztlichen Untersuchung
(in der Lungenfacharztpraxis Dr. med. U. und N.) aufgrund der Lungenerkrankung 1993 (13. September) an. Bereits zu diesem
Zeitpunkt sei eine Lungenfunktionseinschränkung vom jetzigen Ausmaß nachgewiesen.
Die Beklagte legte den Vorgang dem Landesgewerbearzt beim Senator für Arbeit der Freien Hansestadt Bremen (Dr. med. V.) vor,
der in einer Stellungnahme vom 26. November 1996 die Durchführung weiterer Ermittlungen zu den Berufskrankheiten der Nr. 4101
sowie der Nrn. 4301 und 4302 der Anlage 1 zur BKVO (durch allergisierende Stoffe bzw. durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
der Krankheit ursächlich waren oder sein können) empfahl.
Die Beklagte holte daraufhin erneute Arbeitsplatzanalysen des TAD der TBG vom 21. Februar 1997 und 8. September 1997 sowie
ihres TAD vom 1. April 1997 ein. Der TAD der TBG führte aus, nach Rücksprache mit dem Abteilungsleiter der S. Baugesellschaft
mbH, Herrn W., sei festzustellen, dass bei der Tätigkeit des Klägers als Estrichleger eine Staubbelastung über das allgemeine
Maß hinaus auf Baustellen nicht vorgelegen habe. Lediglich bei Aufräumarbeiten, wenn hin und wieder auch besenrein habe übergeben
werden müssen, seien die Versicherten unterschiedlich, immer nur kurzzeitig, einer gewissen Staubbelastung ausgesetzt gewesen.
Mit Sicherheit aber habe es sich dabei nicht um quarzhaltigen Staub gehandelt, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen
für eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO nicht gegeben seien. Auch sei der Kläger einer Gesundheitsgefährdung durch Lösungsmittel nicht ausgesetzt gewesen. Demgegenüber
kam der TAD der Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei seinen Tätigkeiten in ihrem Mitgliedsunternehmen gesundheitsgefährlichen
Arbeitsstoffen (Quarzfeinstäuben) ausgesetzt gewesen sei (R., Bremen, Zeiträume 16. März 1973 - 18. Oktober 1986, 24. August
1987 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Februar 1993).
Die Beklagte holte ein internistisch-allergologisches Fachgutachten des Prof. X./Assistenzärztin Y. (Institut für Arbeits-
und Sozialmedizinische Allergiediagnostik, Bad Salzuflen) vom 18. September 1997 ein. Sie nannten darin folgende Diagnosen:
Bekannte Pneumokoniose und Polyneuropathie, Lungenüberblähung bei Raucheranamnese, Ausschluss einer obstruktiven Bronchialerkrankung,
kein Nachweis einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität, chronische Sinupathie. Unter Zusammenfassung ihrer Untersuchungs-
und Testergebnisse führten sie aus, dass der Kläger an einer bereits seit Jahren bekannten Pneumokoniose und Polyneuropathie
leide. Ferner habe sich eine Lungenüberblähung nachweisen lassen, die wahrscheinlich in Verbindung mit dem langjährigen Zigarettenkonsum
des Klägers stehe. Das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung habe sich nicht bestätigen lassen. Die arbeitsplatzbezogenen
Expositionstestungen seien weitgehend reaktionslos verlaufen. Ferner sei keine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität
nachgewiesen worden. Dies sei ein starker Beleg für die Feststellung, dass bei dem Kläger keine unspezifische Steigerung der
Bronchomotorik vorliege. Zu der Frage, ob ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tätigkeit
des Klägers als Bauarbeiter/Estrichleger bestehe, nahmen sie dahingehend Stellung, dass das Vorliegen einer Berufskrankheit
nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO bereits im Gutachten von Dr. med. T. vom 15. Oktober 1996 festgestellt worden sei und eine Berufskrankheit nach den Ziffern
4301, 4302 und 1315 - Erkrankungen durch Isozyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - der Anlage 1 zur BKVO nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können.
Die Beklagte holte Stellungnahmen des Landesgewerbearztes Dr. med. V. vom 21. November 1997, der sich den Gutachten von Prof.
Dr. Z./Y. und von Dr. med. T. anschloss, und ihres beratenden Arztes, des Internisten und Lungenfacharztes Dr. med. AB., vom
12. März 1998 ein. Letzterer führte aus, der Auffassung von Dr. med. T., als Folge der Silikose bestehe bei dem Kläger eine
obstruktive Atemwegserkrankung und die hierdurch gegebene MdE sei auf 20 v. H. einzuschätzen, könne er nicht folgen. Eine
obstruktive Atemwegserkrankung als Folge einer Quarzstaublungenerkrankung könne nur dann als wahrscheinlich gelten, wenn eine
disseminierte Knötchenaussaat silikotischer Art im Bereich des gesamten Lungenparenchyms vorliege. Zusätzlich sei zu fordern,
dass als Folge der silikotischen Knötchenaussaat eine deformierende Erkrankung feiner und feinster Bronchien unterstellt werden
könne. Bei einem derart gegebenen pathologisch-anatomischen Terrain könne unterstellt werden, dass die Silikose Wegbereiter
für die Etablierung einer obstruktiven Atemwegserkrankung gewesen sei. Ein derartiger pathogenetischer Mechanismus könne aber
im Falle des Klägers nicht unterstellt werden. Im Rahmen der Untersuchungen, die anlässlich der Begutachtung in Bad Salzuflen
durchgeführt worden seien, habe überdies eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht bestätigt werden können. Ferner sei eine
restriktive Ventilationsstörung nennenswerter Art nicht bestätigt worden. Die dort gewonnenen Untersuchungsergebnisse entkräfteten
die von Dr. med. T. beschriebenen Befunde. Dementsprechend sei den Anerkennungsvorschlägen von Dr. med. T. und von Dr. med.
V. nicht zu folgen. Angesichts der Geringfügigkeit der röntgenologisch belegbaren Staubveränderungen seien turnusmäßige Nachuntersuchungen
nicht erforderlich.
Mit Bescheid vom 23. April 1998 erkannte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO an, lehnte jedoch die Zahlung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, der Umgang mit quarzhaltigen Arbeitsmaterialien
bei versicherten Tätigkeiten habe nach den röntgenologischen Befunden Veränderungen im Bereich der Lunge verursacht. Wesentliche
Lungenfunktionseinschränkungen als Folge der Berufskrankheit hätten klinisch nicht festgestellt werden können. Infolge der
Berufskrankheit sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht in rentenberechtigendem Grade von wenigstens 20 v. H. gemindert.
Unabhängig von den Folgen der Berufskrankheit bestünden eine Polyneuropathie und eine Lungenüberblähung.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. April 1998 Widerspruch ein, den er damit begründete, nach dem Gutachten von
Dr. med. T. vom 15. Oktober 1996 und nach den von seinem behandelnden Arzt N. erhobenen Befunden erreiche die MdE für die
anerkannte Berufskrankheit den rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 v. H. - Die Beklagte holte einen weiteren Befundbericht
von dem Internisten und Lungenfacharzt N. vom 12. Juni 1998 ein, in dem er ausführte, der Kläger stelle sich zu regelmäßigen
Kontrolluntersuchungen bei bekannter chronisch-obstruktiver Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität sowie der generalisierten
Lungenparenchymerkrankung vor. Das Beschwerdebild sei über die letzten Jahre konstant; bei Belastungen sowie infolge von Infekten
bestünden Atembeschwerden. Die Funktionsparameter einschließlich der Blutgase zeigten im Verlauf der letzten Jahre keine wesentlichen
Befundänderungen. Ferner forderte die Beklagte eine Stellungnahme von Dr. med. AB. vom 6. Juli 1998 an, in der er an seiner
bisherigen Beurteilung festhielt. Der Widerspruch blieb daraufhin erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. August 1998, auf
den verwiesen wird, Bl. 233-235 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 27. Februar 1998 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998) lehnte die Beklagte die
Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach den Nrn. 4301 oder 4302 der Anlage 1 zur BKVO ab und stützte sich auf die Feststellungen über die Krankheits- und Arbeitsvorgeschichte des Klägers sowie auf das Gutachten
von Prof. Dr. Z./Y. vom 18. September 1997. Klage vor dem Sozialgericht (SG) Bremen (Az. S 18 U 212/98) und Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Bremen (Az. L 2 U 54/99) blieben erfolglos (Urteil des SG Bremen vom 11. Oktober 1999 und Beschluss des LSG Bremen vom 8. Juni 2001). Jeweils auf
Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hatten das SG ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin, Sozialmedizin Dr.
med. BB. vom 19. April 1999 mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 3. August 1999 und das LSG ein Gutachten des Dr. med.
T. vom 13. Juni 2000 eingeholt.
Gegen den Bescheid vom 23. April 1998 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1998) hat der Kläger am 25. August
1998 beim SG Bremen Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die anerkannte Berufskrankheit (Quarzstaublungenerkrankung/Silikose)
bedinge eine MdE um 20 v. H., da die vorhandene Funktionseinschränkung ausschließlich auf die Quarzstaubablagerungen in seiner
Lunge zurückzuführen seien.
Die Beklagte hat sich auf die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen und den Inhalt ihrer Akte bezogen.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat das SG ein Gutachten des Dr. med. BB. vom 19. April 1999 eingeholt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, bei dem Kläger lägen ein
leichtgradiges schicksalhaftes Asthma bronchiale mit vollreversibler obstruktiver Ventilationsstörung und leichter bronchialer
Hyperreagibilität, ein Lungenemphysem (sichtbar durch die verstärkte Strahlentransparenz retrokardial und retrosternal im
konventionellen Röntgenbild) mit Emphysemblasen in beiden Spitzenfeldern und eine gering ausgeprägte disseminierte Lungenparenchymerkrankung
vor, wobei letztere aufgrund der vorliegenden Ergebnisse mit ausreichender Wahrscheinlichkeit einer Silikose zuzuordnen sei.
Die für eine Silikose sprechenden röntgenologischen Veränderungen seien sehr gering ausgeprägt und die Silikose sei nicht
in der Lage, signifikante lungenfunktionsanalytisch fassbare Einschränkungen auszulösen.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juli 1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich dem Gutachten von Dr. med. BB. vom 19. April 1999 angeschlossen und das Gutachten von Dr.
med. T. vom 15. Oktober 1996 als nicht überzeugend bezeichnet, der offensichtlich die obstruktive Atemwegserkrankung ohne
nähere Differenzierung mit einer MdE von 20 v. H. eingeschätzt habe. Ferner hat das SG dargelegt, dass während der wesentlich eingehenderen stationären Untersuchung des Klägers anlässlich der Erstattung des Gutachtens
von Prof. Dr. Z./Y. vom 18. September 1997 eine Broncho-Obstruktion nicht habe nachgewiesen werden können. Insbesondere hat
es darauf hingewiesen, dass Dr. med. BB. die als Silikose zu bezeichnende Lungenparenchymerkrankung als gering ausgeprägt
bezeichnet und dargelegt habe, dass mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass die röntgenologisch
sichtbaren Ausprägungen der silikotischen Veränderungen nicht in der Lage seien, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu induzieren.
Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Gerichtsbescheid (Bl. 57-66 Prozessakte) Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen den ihm am 13. August 1999 zugestellten Gerichtsbescheid am 19. August 1999 Berufung beim LSG Bremen
eingelegt. Er trägt weiterhin vor, die Silikose bedinge eine MdE rentenberechtigenden Grades. Da bei ihm eine Berufskrankheit
nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO mit einer MdE von 20 v. H. anerkannt sei, genüge es für eine Rentengewährung, wenn die Quarzstaublungenerkrankung lediglich
eine MdE von 10 v. H. bedinge. Das Gutachten des Dr. med. BB., auf das sich das SG gestützt habe, sei insgesamt nicht überzeugend, während Dr. med. T. zutreffend in seinem Gutachten vom 15. Oktober 1996 eine
MdE von 20 v. H. festgestellt habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 22. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides
vom 23. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1998 zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente
in Höhe von mindestens 10 v. H. der Vollrente ab 13. September 1993 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und trägt vor, die Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1
zur BKVO führe in der Regel nicht zu einer ob- struktiven Atemwegserkrankung, sondern zu einer restriktiven Ventilationsstörung, die
jedoch nicht festgestellt worden sei. Die von Dr. med. T. beschriebene obstruktive Atemwegserkrankung würde zu einer Berufskrankheit
nach den Nrn. 4301 oder 4302 BKVO passen, jedoch sei für eine solche Berufskrankheit die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat das Gericht ein radiologisches Gutachten des Arztes für Radiologische Diagnostik CB. vom 10. Januar 2000 zur Klärung
der Frage eingeholt, ob und ggf. in welchem Umfang die Lungen durch Quarzstaubexposition (Silikose) geschädigt sind. In seiner
Beurteilung hat der Sachverständige ausgeführt, nach dem Ergebnis der thorakalen Computertomographie vom 7. Januar 2000 finde
sich ein fibrosierender Lungengerüstprozess mit Emphysemblasen vor allem in den dorsobasalen Lungenabschnitten. Vereinzelt
seien winzige knotige Pleuraveränderungen und eine leichte Vergrößerung der mediastinalen Lymphknoten zu erkennen. Die beschriebenen
Lungengerüstveränderungen seien ohne Zweifel als pathologisch einzustufen. Auch die kleinen umschriebenen Überblähungszonen
mit intakter Läppchenperipherie bei zentrolubulärem Emphysem mit zusätzlich paraseptalen subpleuralen Emphysemblasen seien
pathologisch. Insgesamt sei die Befundkonstellation in erster Linie vereinbar mit einer diffus retikulären Fibrose, die Ausdruck
einer Silikose sein könne. Eine Bewertung dieser strukturellen Veränderungen sei jedoch nur in Zusammenschau mit dem histologischen
Befund (feingewebliche Untersuchung) möglich. Die beschriebenen Veränderungen seien jedoch nicht spezifisch; die nahezu pathognomonischen
Veränderungen mit disseminierten kleinknotigen Verdichtungen, ebenso zarte wandständige Verkalkungen der mediastinalen Lymphknoten
lägen nicht vor. Ebenfalls seien keine größeren intrapulmonalen Schwielenbildungen vorhanden.
Wiederum auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. BB. vom 16. Oktober 2000 eingeholt. Zusammenfassend hat er ausgeführt,
dass folgende Aspekte zu berücksichtigen seien: Röntgenmorphologisch lägen ein Emphysem und eine subpleurale Fibrosierung
der Lunge vor. Im Zusammenhang mit dem histologischen Befund sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass
eine Silikose bestehe. Als weitere konkurrierende Erkrankungen lägen vor: eine subpleurale Fibrose mit Emphysemblasen (assoziiert
mit der Silikose) und ein Asthma bronchiale. Funktionsanalytisch sei die Vitalkapazität auf 93 v. H. vom Soll eingeschränkt;
die totale Lungenkapazität habe 130 v. H. vom Soll. Die Problematik einer MdE von 10 v. H. sei aufgrund der individuellen
Tagesschwankungen von Lungenfunktionsparametern Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Aus diesem Grund sei die Einschätzung,
ob eine MdE von 10 v. H. zu vertreten sei, schwierig und sicherlich auch angreifbar. Aufgrund der morphologischen Veränderungen,
die einer Silikose zuzuordnen seien, und der nachgewiesenen Funktionsstörungen (auch wenn sie eher dem Asthma bronchiale zuzuordnen
seien) halte er trotz der konkurrierenden Erkrankungen eine MdE von 10 v. H. für vertretbar.
Die Beklagte hat zu dieser gutachtlichen Äußerung eine Stellungnahme von Dr. med. AB. vom 9. November 2000 überreicht. Er
hat darin ausgeführt, eine Wahrscheinlichkeitsaussage des Inhalts, dass als Folge einer Quarzstaublungenerkrankung eine MdE
in Höhe von 10 v. H. gegeben sei, habe Dr. med. BB. nicht gegeben, vielmehr bleibe die Zuordnung dieser MdE im Bereich des
Vagen. Eine MdE in Höhe von 10 v. H. als Folge von Quarzstaubeinwirkungen könne angesichts mehrerer konkurrierender Erkrankungen
nicht angenommen werden.
Wiederum auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. BB. vom 22. Februar 2001 eingeholt, in der er die Auffassung von
Dr. med. AB. als zutreffend bezeichnet und ausgeführt hat, mit ausreichender Sicherheit könne er nicht belegen, dass die Berufskrankheit
Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO eine MdE von 10 v. H. bedinge. Ein gangbarer Weg wäre es, die Computertomographie-Aufnahmen nochmals durch Privatdozent Dr.
med. DB., Chefarzt der Radiologischen Abteilung der Thoraxklinik in Heidelberg-Rohrbach, begutachten zu lassen mit der Fragestellung,
ob er aus den vorliegenden Bildern und dem histologischen Befund die Diagnose einer Silikose begründen könne.
Das Gericht hat daraufhin ein Gutachten von dem Arzt für Radiologie Privatdozent Dr. med. DB. vom 20. Juli 2001 eingeholt.
Er hat ausgeführt, in den Richtlinien der BG-lichen Entschädigungspraxis sei festgehalten, dass erfahrungsgemäß eine Silikose
eine radiologische Ausprägung des Streuungsgrades kleiner rundlicher Fleckschatten von mindestens 2/2 haben müsse, bevor sie
lungenfunktionswirksam sei. Auf den Thoraxaufnahmen seien (einvernehmlich unter den Gutachtern) ebenso wie auf den Computertomogrammen
keine derartigen Streuungsgrade von rundlichen Fleckschatten zu erkennen. Komplizierende Befunde oder Hinweise für eine atypische
Mischstaubpneumokoniose fänden sich ebenfalls nicht. Eine irreversible Obstruktion im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr.
4301 der Anlage 1 zur BKVO liege nicht vor. Dr. med. AB. habe jede Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers abgelehnt, da aufgrund der Lungenfunktionsuntersuchungen
kein Anhalt bestehe, dass die Leistungsbreite der Lunge eingeschränkt sei. So sei anzunehmen, dass auch durch das mit der
HR-Computertomographie nachweisbare zentroazinäre Lungenemphysem, gleichgültig welcher Ätiologie, keine nachweisbaren Lungenfunktionsstörungen
begründet werden könnten. Insbesondere bestehe kein Anhalt für eine respiratorische Partial- oder Globalinsuffizienz, da die
Sauerstoffsättigungskurven keine Zeichen der Belastungsinsuffizienz aufgewiesen hätten und auch die Diffusionskapazität in
Ordnung sei. Die normale Konstellation der Atemgase unter Belastung schlössen eine BK-relevante Lungenfibrose durch eine Silikose
oder eine Mischstaubpneumokoniose oder eine sonstige idiopathische Lungenfibrose weitgehend aus. Eine irreversible Beeinträchtigung
der Diffusionskapazität der Lunge, der spirometrischen Messdaten der Atemgase wie bei einer Lungenfibrose, finde sich ebenfalls
nicht. Die von Dr. med. T. postulierte eingeschränkte Dehnungsfähigkeit der Lunge sei nicht als Folge einer Lungenfibrose
anzusehen. Die von den Vorgutachtern festgestellten reversiblen Überblähungszustände mit Erhöhung des intrathorakalen Gasvolumens,
reversibler Erniedrigung der FEV1, erhöhten Atemwegswiderständen seien somit nicht Folgezustände der radiologisch geringgradigen
Silikose oder als Folge der Inhalation sonstiger bei der Estrichverlegung anfallender Stoffe anzusehen, sondern entsprächen
einer von einer Berufskrankheit unabhängigen pulmonalen Erkrankung. Die Diskussion zwischen Dr. med. BB. und Dr. med. AB.,
ob eine MdE von 10 v. H. vorliege, möchte er nicht kommentieren, jedoch habe es den Anschein, dass Dr. med. BB. aufgrund der
gering eingeschränkten, auf 93 v. H. geminderten Vitalkapazität und der geringgradig auf 130 v. H. der Norm erhöhten totalen
Lungenkapazität eine geringgradige MdE für möglich halte, obwohl sie BK-unabhängig sei. Dem pneumologischen Gutachter könne
zugute gehalten werden, dass er seine Bewertung der MdE mit der inkorrekten Interpretation der HR-Computertomographie-Befunde
durch den Radiologen Wienkamp begründet habe. Die Interpretation des HR-Computertomogramms durch den Radiologen, dass eine
nennenswerte Lungenfibrose im Lungenmantel vorliege, werde durch die normalen Lungenfunktionswerte widerlegt. Alle Vorgutachter
hätten keinen Hinweis auf eine restriktive Ventilationsstörung gefunden, wie sie bei einer radiologisch ausgeprägten Lungenfibrose
zu erwarten wäre. In der Zusammenschau aller vorgebrachten Fakten sei daher die Feststellung einer MdE auch aus fachradiologischer
Sicht abzulehnen.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. B 9/43500/97/-3) und die Gerichtsakte des Landessozialgerichts Bremen/Sozialgerichts
Bremen (Az. L 2 U 54/99, S 18 U 212/98) beigezogen. Diese Akten und die Prozessakte (Az. L 16/12 U 43/99, S 18 U 178/98) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Zahlung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO.
Die im Berufungsverfahren durchgeführte weitere medizinische Sachaufklärung, deren wesentliche Ergebnisse und Begründungen
im Tatbestand wiedergegeben sind, hat ebenfalls zu der eindeutigen Schlussfolgerung geführt, dass wegen der anerkannten Berufskrankheit
eine MdE - auch nur in Höhe von 10 v. H. - nicht angenommen werden kann. Dies hat Dr. med. BB., der sich in seiner vorangegangenen
Äußerung vom 16. Oktober 2000 zunächst nicht eindeutig festgelegt hatte, in seiner letzten Stellungnahme vom 22. Januar 2001
klargestellt. Diese Bewertung ist durch das auf seine Anregung hin zur Beseitigung letzter Zweifel eingeholte radiologische
Gutachten des Priv.-Doz. Dr. DB. bestätigt worden. Dieser hat nach Auswertung der Röntgenbefunde, insbesondere der der HRCT-Aufnahmen,
ebenfalls das Vorliegen einer MdE wegen der Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) verneint und dies nachvollziehbar mit den
nur geringfügigen silikosetypischen Veränderungen, die eine Einschränkung der Lungenfunktion nicht erwarten lassen, begründet.
Er hat der Auffassung des Radiologen CB., dass eine nennenswerte Lungenfibrose im Lungenmantel vorliege, widersprochen. Allerdings
hatte auch dieser Arzt in seinem Gutachten vom 10. Januar 2000 bereits erhebliche Zweifel daran geäußert, dass die Silikose
stärkergradige radiologische Veränderungen herbeigeführt habe, da pathognomonische (d. h. für eine Krankheit kennzeichnende)
Veränderungen mit disseminierten (d. h. verbreiteten) kleinknotigen Verdichtungen nicht vorlägen.
Demgegenüber ist die abweichende Auffassung des Sachverständigen Dr. T., die er in den Gutachten vom 15. Oktober 1996 und
vom 13. Juni 2000 (letzteres erstattet im Berufungsverfahren - L 2 U 54/99 -) geäußert hat, nicht überzeugend. Angesichts der nur geringfügigen silikosetypischen Befunde, kann seiner Auffassung, die
von ihm festgestellte obstruktive Atemwegserkrankung sei silikosebedingt, nicht gefolgt werden. Sie ist vielmehr, falls sie
überhaupt vorliegt (vgl. hierzu die von dem Gutachter Prof. Dr. Z. erhobenen unauffälligen Befunde), einer anderen Ätiologie
zuzuordnen, zumal eine Silikose regelmäßig nicht mit einer obstruktiven Atemwegserkrankung verbunden ist.
Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.