Krankenversicherung
Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten
Genehmigungsfiktion
Zeitliche sowie mengenmäßige Beschränkung des Anspruchs
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten.
Der 1970 geborene Antragsteller erlitt 2005 bei einem Unfall eine Hüftgelenksausrenkung rechts mit begleitendem Hüftkopfbruch
und Bruch des hinteren Hüftpfannenpfeilers. Unfallfolgen waren u.a. eine motorische und sensible Peronaeuslähmung rechts,
chronisch-neuropathische Schmerzen am rechten Unterschenkel und Fuß sowie belastungsabhängige Schmerzen. Zur Behandlung der
Schmerzen wurden die Antikonvulsiva Pregabalin und Gabapentin, die stark wirkenden Opioide Oxycodon, Oxygesic und Tramadol,
das nichtopioide, fiebersenkende Schmerzmittel Novaminsulfon und - wegen der Nebenwirkungen der Schmerzmedikation - das Antidepressivum
Amitriptylin eingesetzt. Wann genau und für welchen Zeitraum welche Schmerzmedikation unter Aufsicht welchen Arztes appliziert
wurde, steht bisher nicht sicher fest (vgl. Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 02.05.2017, Seite
5).
Nach Angaben des Antragstellers war er wegen der hohen Dosierung zwischenzeitlich von Opiaten abhängig; diese Abhängigkeit
habe er ab 2009/2010 nur durch die begleitende Einnahme von "Cannabis-Produkten" überwinden können. Die erreichte Schmerzverminderung
und die geringeren Nebenwirkungen (keine bzw. geringere Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Taubheitsgefühl
im Bereich der Haut) hätten ihm erlaubt, eine Lehre zu beginnen und erfolgreich abzuschließen. Nachdem er zuvor Rente wegen
Erwerbsminderung bezogen habe (11.02.2013 bis 31.03.2015), erziele er inzwischen wieder Erwerbseinkommen.
Ab April 2014 verfügte der Antragsteller über eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten nach entsprechenden Dosierungsvorgaben des behandelnden (Privat-) Arztes Dr. H.
Die Antragsgegnerin übernahm für drei Monate die Kosten für diese Behandlung (15.07.-14.10.2014), bestand dann aber darauf,
die Arzneimittelversorgung zu ändern. Ab November 2014 wurde insoweit ein sog. Off-Lable-Use-Therapieversuch mit dem cannabishaltigen
Mundspray Sativex unternommen.
Am 04.11.2015 beantragte der Antragsteller, die Kosten für die (weitere) Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten zu übernehmen.
Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin nach Anhörung des MDK Nordrhein ab (Bescheid vom 11.11.2015, Widerspruchsbescheid
vom 11.03.2016). Stattdessen übernehme sie weiter die Kosten für das Arzneimittel Sativex.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Klage erhoben - S 8 KR 339/16 Sozialgericht (SG) Düsseldorf -. Zudem hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Über den 30.06.2016 hinaus sei er nicht in
der Lage, die Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten weiter zu finanzieren, da das Erziehungsgeld der Ehefrau i.H.v. 1.800,00
EUR weggefallen sei. Im Übrigen sei es ihm nur bei Einnahme von Cannabisblüten weiter möglich, einen geregelten Alltag zu
führen und seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Die in der Vergangenheit durchgeführte Behandlung mit Schmerzmedikamenten sei
nicht mehr hinnehmbar gewesen, da sie u.a. zu Verlust der Libido, Verdauungsproblemen, Konzentrationsstörungen etc. geführt
hätten. Sativex habe er in die Höchstdosierung übersteigender Menge einnehmen müssen, um die Schmerzen ertragen zu können.
Es hätten sich starke Nebenwirkungen in Form von unerträglichen Kopfschmerzen eingestellt. Im Übrigen sei auch dieses Medikament
cannabishaltig.
Nachdem das SG Düsseldorf dem Eilantrag stattgegeben hatte, hat der Senat auf die dagegen eingelegte Beschwerde hin den Beschluss
des SG abgeändert und den Antrag des Antragstellers abgelehnt (Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 335/16 B ER -). Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung seien nicht erfüllt; insbesondere ein Anordnungsanspruch
sei nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller könne zwar nach §
27 Abs.
1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) die Behandlung seiner Schmerzen u.a. mit Arzneimitteln verlangen, die Behandlung mit Medizinal-Cannabisblüten werde davon
aber nicht erfasst. Selbst wenn man dieses Erzeugnis als Fertigarzneimittel i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) ansähe, so fehle es an einer EU-weiten oder auf die Bundesrepublik Deutschland bezogenen Arzneimittelzulassung (vgl. § 21 Abs. 1 AMG). Ohne diese Zulassung mangele es an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie.
Eine durch allgemeine Grundsätze gedeckte zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. "Off-Label-Use") scheide aus, weil eine
solche eine bereits erteilte Zulassung als (Fertig-) Arzneimittels für eine bestimmte Indikation voraussetze. Daran fehlt
es bei Medizinal-Cannabisblüten. Betrachte man die Blüten als zulassungsfreie Rezepturarzneimittel, so sei das in §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V normierte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu beachten. Danach fehle es an der erforderlichen befürwortenden Entscheidung des
gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Dem Kläger stehe auch unter dem Gesichtspunkt eines Seltenheitsfalls oder Systemversagens
kein Anspruch zu. Das beim Antragsteller bestehende Schmerzsyndrom sei weltweit nicht so selten, dass es weder systematisch
erforscht noch systematisch behandelt werden könnte. Auch lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die i.S.v. §
135 Abs.
1 SGB V antragsberechtigten Stellen oder der GBA aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen mit der Materie nicht oder zögerlich
befasst hätten. Ein Leistungsanspruch des Klägers folge auch nicht aus §
2 Abs.
1a SGB V. Das bestehende Schmerzsyndrom und die davon ausgehenden Beschwerden stellten, wie auch der Antragsteller selber einräume,
keine tödliche oder lebensbedrohliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung dar. Darauf, dass er ggf. nach Änderung
der Gesetzeslage einen Anspruch auf die begehrte Versorgung haben könnte, komme es nicht an. Entscheidend sei allein die derzeitige
Rechtslage. Im Übrigen erschienen die nach dem aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens erforderlichen künftigen Anspruchsvoraussetzungen
keineswegs unstreitig oder offenkundig erfüllt zu sein. Insbesondere stehe nicht fest, dass der Antragsteller bereits eine
sinnvoll strukturierte Schmerztherapie durchgeführt habe.
Mit Wirkung zum 10.03.2017 trat das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften in Kraft. Es
ergänzte §
31 SGB V um den Abs. 6. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung u.a. Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in
Form von getrockneten Blüten, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden
Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder
des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Am 10.03.2017 wies der Antragsteller die Antragsgegnerin per E-Mail auf die Gesetzesänderung hin und beantragte unter Berücksichtigung
der neuen Rechtslage über die Kostenübernahme für Medizinal-Cannabisblüten zu befinden. Die Antragsgegnerin vertrat mit Schreiben
vom selben Tag die Auffassung, dass bisher eine aussagekräftige medizinische Stellungnahme des behandelnden Arztes sowie ein
Rezept, aus dem die Menge und die Form der Verordnung hervorgehe, fehle. Sobald beides vorliege, erfolge eine Prüfung durch
den MDK. Der Antragsteller teilte mit (E-Mail vom 21.03.2017), sein behandelnder Hausarzt, Dr. T, habe noch keine "Handlungsanweisungen
bekommen und keinerlei Informationen, wie das Rezept auszusehen" und "wie der Antrag bei der Krankenkasse" abzulaufen habe.
Er bitte, Dr. T diese Informationen zukommen zu lassen. Die Antragsgegnerin hat den Arzt am 22.03.2017 telefonisch bezüglich
der benötigten Informationen an die Kassenärztliche Vereinigung verwiesen, die insoweit zuständig sei. Auf telefonische Nachfrage
des Antragsstellers informierte ihn die Antragsgegnerin über den Inhalt des neu geschaffenen §
31 Abs.
6 SGB V (Schreiben vom 27.03.2017). Die erstmalige Versorgung mit Cannabisblüten müsse durch sie im Vorhinein genehmigt werden. Dafür
werde zwingend die Verordnung eines Vertragsarztes auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept benötigt sowie Unterlagen,
welche die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen begründeten. Sobald die Unterlagen vollständig vorlägen, werde der MDK eingeschaltet.
Mit E-Mail vom 27.03.2017 wies der Antragsteller auf seinen Kostenübernahmeantrag vom 10.03.2017 und die insoweit laufende
"5 Wochen Regelung" hin. Wegen etwaig noch benötigter medizinischer Unterlagen nahm er Bezug auf die bereits zu den Akten
gereichten Dokumente. Sein Hausarzt sei bereit, ein entsprechendes Rezept auszustellen. Am 28.03.2017 forderte die Antragsgegnerin
den Antragsteller auf, die noch fehlenden medizinischen Unterlagen umgehend einzureichen. Mit Schreiben vom 30.03.2017 teilte
die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass ihres Erachtens die "5 Wochenfrist" erst ab Vorliegen der "vollständigen Unterlagen"
für sie zu laufen beginne. Mit E-Mail vom 30.03.2017 übersandte der Antragsteller Arztberichte von Dr. H und von Dr. T betreffend
die Therapie mit Cannabisblüten und teilte mit, er hoffe, die Unterlagen reichten nun für eine Kostenübernahme. Die Zusendung
eines Betäubungsmittelrezepts mit einer aktuell verfügbaren Sorte Cannabisblüten sei allerdings sinnlos. Zum einen seien solche
Rezepte nur sieben Tage lang gültig. Zudem seien nicht alle Sorten an Cannabisblüten ständig vorrätig. Die vorrätigen Sorten
änderten sich ständig. Sollten noch weitere Unterlagen benötigt werden, bitte er um einen entsprechenden Hinweis.
Bei dem beigefügten Arztbericht von Dr. H handelte es sich um ein Schreiben vom 05.03.2014, gerichtet an das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte. Es hatte dazu gedient, die Genehmigung zum Erwerb von Cannabisblüten nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen. Mit Schreiben vom 30.03.2017 teilte Dr. T hierzu mit, dass er den Antragsteller im Rahmen seiner "schweren Erkrankung"
betreue, die Ausführungen von Dr. H vom 05.03.2014 hätten weiter Bestand, neue Erkenntnisse seien "nicht eingetreten". Er
bitte "um Freischaltung für die Rezeptur von Cannabisprodukten". Die Antragsgegnerin teilte mit (Schreiben vom 30.03.2017),
die übersandten Unterlagen seinen zur abschließenden Beurteilung an den MDK weitergeleitet worden. Bezüglich des (wirksam)
gestellten Antrags auf Versorgung mit Cannabisblüten sei weiterhin nicht auf die E-Mail vom 10.03.2017, sondern auf das Vorliegen
des vollständigen Antrags am 30.03.2017 abzustellen. Der Antragsteller beharrte auf den Beginn der Fünf-Wochen-Frist am 10.03.2017
(E-Mail vom 03.04.2017), die Antragsgegnerin auf dem 30.03.2017 (Schreiben vom 05.04.2017).
Mit Schreiben vom 19.04.2017 forderte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten
für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis auf. Über den am 10.03.2017 gestellten Antrag sei nicht fristgerecht entschieden
worden, so dass er als genehmigt gelte. Die Antragsgegnerin vertrat die Ansicht (Schreiben vom 03.05.2017), dass sie den vom
10.03.2017 datierenden Antrag auf Kostenübernahme abgelehnt habe. Der Antragsteller habe hiergegen keinen Widerspruch eingelegt.
Bezüglich des am 30.03.2017 neu gestellten Antrags habe der MDK sein Gutachten noch nicht übersenden können. Eine telefonische
Rücksprache habe jedoch ergeben, dass der Anspruch auf Kostenübernahme nicht bestehe. Sobald das schriftliche Gutachten vorliege,
werde man ausführlich auf die Begründung des MDK eingehen. Am 03.05.2017 übersandte der MDK der Antragsgegnerin das Gutachten
vom 02.05.2017. Danach leidet der Antragsteller u.a. unter "Polyneuropathie, nicht näher bezeichnet", ICD 10 G 62.9, einem
chronischen neuropathischen Schmerz im rechten Unterschenkel und rechten Fuß sowie einer motorischen und sensiblen Peroneusparese
rechts nach Implantation eines TEP rechts im Jahre 2005. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die vom Antragsteller begehrten
Cannabisblüten verschreibungsfähig seien, auch wenn kein THC- und CBD-Gehalt angegeben werde. Die chronisch neuropathische
Schmerzerkrankung stelle auch eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V dar. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass keine allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsalternativen
bestünden. Wie bereits das Landessozialgericht (LSG) in seinem Beschluss ausgeführt habe, sei zu bezweifeln, dass der Antragsteller
sich einem multimodalen Behandlungskonzept unterzogen habe. Es fehlten insbesondere nichtanalgetische Behandlungsarten, (teil-)
stationäre schmerztherapeutische Behandlungen etc. Auch Literaturhinweise bezüglich einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht
auf spürbar positive Entwicklung auf den Krankenverlauf oder auf schwerwiegende Symptome der Erkrankung durch die Behandlung
mit Cannabisblüten fehlten. Somit könne die Übernahme der Kosten nicht empfohlen werden.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilte unter dem 08.05.2017 mit, dass der Antragsteller keine Ablehnung seines Antrags
vom 10.03.2017 erhalten habe. Man bitte um Nachweis der Zustellung. Der Antragsteller machte geltend, dass auch der von der
Antragsgegnerin anerkannte Antrag vom 30.03.2017 bisher nicht beschieden sei, so dass zumindest jetzt der Kostenübernahmeanspruch
gesetzlich fingiert sei (E-Mail vom 15.05.2017). Die Antragsgegnerin wandte ein, den Bevollmächtigten des Antragstellers gegenüber
mit Schreiben vom 03., 09. und 12.05.2017 über die Ablehnung informiert zu haben. Der Antragsteller wies darauf hin, eine
multimodale, medikamentöse und nichtmedikamentöse Neueinstellung durch die Schmerztherapeutin Dr. X erfolglos durchgeführt
zu haben.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers legte mit Schreiben vom 19.05.2017 Widerspruch gegen "den Bescheid vom 09.05.2017"
ein. Man bestreite weiterhin die Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides vom 10.03.2017. Im Übrigen habe der Antragsteller
alles versucht, auch eine multimodale Behandlung durch die Schmerztherapeutin Dr. X und den Therapeuten W sowie eine Behandlung
mittels des cannabishaltigen, aber verschreibungsfähigen Mundsprays Sativex. Es habe jedoch nicht zumutbare Nebenwirkungen
wie Kopfschmerzen und Schwindel hervorgerufen. Diese seien bei der Behandlung mit Cannabisblüten nicht bzw. nicht in gleichen
Maße aufgetreten. Alternative Behandlungsmethoden kämen nicht mehr in Betracht.
Mit Schriftsatz vom 19.05.2017 (Eingang am 22.05.2017) stellte der Antragsteller beim SG Düsseldorf den Antrag, die Antragsgegnerin
im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für das Arzneimittel Pedianos Arzneimittelblüten zu übernehmen,
soweit die behandelnden Ärzte diese Behandlung verordnen. Zur Begründung nahm er Bezug auf sein bisheriges Vorbringen. Die
Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass ohne Einnahme des Arzneimittels seine Arbeitsfähigkeit und damit die wirtschaftliche
Existenz bedroht seien. Der Bezug von Cannabisblüten mittels der Genehmigung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte
laufe am 20.06.2017 aus. Aufgrund der Änderung des BtMG und der Einfügung des Abs.
6 in §
31 SGB V werde diese Genehmigung nicht verlängert. Im Übrigen sei er finanziell nicht mehr in der Lage, das Arzneimittel aus eigenen
Mitteln zu erwerben. Hinzu komme, dass die streitgegenständliche Therapie mit Kosten in Höhe von monatlich unter 500,00 EUR
deutlich wirtschaftlicher sei als die Versorgung mit dem von der Antragsgegnerin bisher bewilligten Fertigarzneimittel Sativex,
das monatliche Kosten in Höhe von über 2.500,00 EUR verursache bzw. mit dem Alternativmedikament Dronabinol mit monatlichen
Kosten in Höhe von über 1.500,00 EUR.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten des Antragstellers für das Arzneimittel
Pedianos Arzneimittelblüten zu übernehmen, soweit die behandelnden Ärzte des Antragstellers diese Behandlung verordnen.
Die Antragsgegnerin hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,
den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Es liege weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Den Antrag vom 10.03.2017, dem keinerlei medizinische
Unterlagen beigefügt gewesen seien, habe man umgehend abgelehnt. Hinzu komme, dass der verordnende Arzt kein Vertragsarzt
sei. Dr. H sei vielmehr Privatarzt. Erst am 21.03.2017 habe der Antragssteller mitgeteilt, dass der Vertragsarzt Dr. T nunmehr
bereit sei, Cannabisblüten zu verordnen. Daraufhin habe man den Antragsteller über das Antragsprocedere informiert. Erst am
30.03.2017 hätten dann aktuelle medizinische Unterlagen vorgelegen, die man an den MDK habe weiterleiten können. Da die Anspruchsvoraussetzungen
auch danach nicht vorgelegen hätten, habe man der Antrag mit Bescheid vom 03.05.2017 abgelehnt. Das insoweit vom MDK unter
dem 27.04.2017 erstellte Gutachten weise deutliche Zweifel daran auf, dass keine dem medizinischen Standard entsprechende
Behandlungsalternativen mehr bestünden. Bezüglich des Anordnungsgrundes sei zu beachten, dass es - je nachdem wie sich künftig
die finanziellen Verhältnissen des Antragstellers entwickelten - unmöglich sein werde, die Kosten für die ihm nicht zustehenden
Versicherungsleistungen rückerstattet zu erhalten. Das widerspräche dem Interesse der Solidargemeinschaft an der sparsamen
Verwendung von Versicherungsbeiträgen. Hingegen sei nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller bei Nichtgewährung der Leistungen
nicht wiedergutzumachende Schäden entständen. Nach dem Gutachten des MDK könne er auf eine multimodale (nicht-)medikamentöse
schmerztherapeutische Neueinstellung verwiesen werden.
Das SG hat dem Eilantrag stattgegeben (Beschluss vom 19.06.2017). Beim Antragsteller liege unbestritten eine schwerwiegende Erkrankung
vor. Es sei ganz überwiegend wahrscheinlich, dass für die Schmerzbehandlung des Antragstellers eine allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Leistung fehle bzw. eine solche Leistung nach begründeter Einschätzung des Vertragsarztes
unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung käme (§
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
2 SGB V). So sei der Antragsteller nach dem Bericht von Dr. H vom 21.05.2016 schmerztherapeutisch ausbehandelt. Die durchgeführten
Therapien, die aufgetretenen Nebenwirkungen etc. seien im Einzelnen dargelegt worden. Der Vertragsarzt Dr. T habe eine begründete
Einschätzung und Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Antragstellers
abgegeben (§
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
2 2. Alt.
SGB V). Eine derartige Einschätzung sei nach dem Wortlaut der Vorschrift für die Antragsgegnerin verbindlich. Insoweit könne dahingestellt
bleiben, ob Therapiemöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft seien. Unter Berücksichtigung des in der Vergangenheit erzielten
Behandlungserfolgs bestehe auch eine nicht entfernt liegende Aussicht, dass sich die Einnahme von Cannabisblüten (weiterhin)
spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf bzw. die schwerwiegenden Symptome beim Antragsteller auswirke. Unschädlich sei,
dass noch keine konkrete Verordnung vorgelegt worden sei, denn der Vertragsarzt Dr. T habe mitgeteilt, er werde - nach Genehmigung
durch die Antragsgegnerin - eine solche Verordnung ausstellen. Die Verordnung früher auszustellen, mache keinen Sinn, denn
sie sei nur sieben Tage lang gültig. Auch eine Abwägung der Folgen spreche für die Übernahme der Kosten durch die Antragsgegnerin
bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens. So seien allein Nachteile des Antragstellers ersichtlich, wenn der Eilantrag abgelehnt
werde. Bei Stattgabe des Eilantrages, unterliege die Antragsgegnerin zwar, sie werde aber finanziell besser gestellt als bei
Ablehnung des Eilantrags, denn die Kosten der alternativ in Betracht kommenden Schmerzbehandlung des Antragstellers lägen
höher als die Kosten der Behandlung mit Cannabisblüten.
Der Antragsgegnerin wurde der Beschluss vom 19.06.2017 noch am selben Tag mittels Fax übermittelt. Ebenfalls noch am 19.06.2017
hat sie dagegen Beschwerde eingelegt. Das SG habe auf Basis eines unzutreffenden Sachverhalts entschieden, wenn es davon ausgehe, der Antragsteller habe alle alternativ
in Betracht kommenden Behandlungsalternativen erfolglos durchgeführt. So habe er bspw. das Fertigarzneimittel Dronabinol bisher
nicht versucht, keine stationäre oder teilstationäre Behandlung durchgeführt. Der Antragsteller habe inzwischen zwar einen
Vertragsarzt gefunden, der bereit sei, ihm Cannabisblüten zu verordnen. Ansonsten habe sich gegenüber dem Zustand, auf dessen
Basis der Senat den ersten Eilantrag abgelehnt habe, jedoch nichts geändert. Weiter habe das SG nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller langjährig Cannabis ohne ärztliche Aufsicht eingesetzt und das cannabishaltige
Medikament Sativex überdosiert habe. Eine eventuelle Abhängigkeit des Antragstellers von Cannabis wurde nicht ermittelt. Eine
Begründung eines Vertragsarztes i.S.d. §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1b SGB V) liege nicht vor. Vielmehr folge der Vertragsarzt Dr. T quasi blind und fahrlässig den Einschätzungen und Angaben des Privatarztes
Dr. H. Auch auf das Gutachten des MDK vom 02.05.2017 gehe das SG nicht ein. Es sei zu befürchten, dass der Antragsteller finanziell nicht in der Lage sein werde, die im Rahmen des Eilverfahrens
übernommenen Kosten für die Versorgung mit Cannabisblüten nach dem zu erwartenden Obsiegen im Hauptsacheverfahren zurückzuerstatten.
Im Übrigen sei das Rubrum des Beschlusses des SG falsch. Vorstand der Antragsgegnerin sei nicht I O, sondern H I. Zudem sei die Ausnahmegenehmigung des Antragstellers nach
§ 3 Abs. 2 BtMG bis einschließlich zum 20.06.2017 gelaufen. Die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten mache daher erst ab dem 21.06.2017
Sinn.
Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des SG Düsseldorf vom 19.06.2017 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er auf den angefochtenen Beschluss und sein bisheriges Vorbringen Bezug. Das cannabishaltige Mundspray
Sativex habe er doppelt so hoch dosieren müssen wie grundsätzlich empfohlen, weil ansonsten die Schmerzen nicht auszuhalten
gewesen wären. Dasselbe Problem würde sich stellen, wenn er das von der Antragsgegnerin benannte cannabishaltige Medikament
Dronabinol nehmen würde. Auch dies sei nach Auskunft seiner behandelnden Ärzte für ihn zu niedrig dosiert. Eine stationäre
und teilstationäre Behandlung seiner Schmerzen habe in der Uniklinik Köln und der Rehaklinik in Nümbrecht stattgefunden. Welche
anerkannten, noch nicht versuchten Behandlungsmethoden noch übrig bleiben, sei nicht zu erkennen. Im Übrigen verkenne die
Antragsgegnerin, dass sich im Verhältnis zum ersten Eilverfahren Wesentliches geändert habe, nämlich die Gesetzeslage. Nach
dem neu eingefügten §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V bestehe der geltend gemachte Anspruch. Im Übrigen verwehre er sich gegen die Behauptung, er benötige Cannabis, um seine Abhängigkeit
zu decken. Vielmehr befürworteten alle behandelnden Ärzte die Schmerzbehandlung mit Cannabisblüten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des SG Düsseldorf
- S 8 KR 338/16 ER - und der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
1. Rubrum und Tenor des Beschlusses des SG vom 19.06.2017 waren wie aus dem Tenor des vorliegenden Beschluss ersichtlich wegen offenbarer Unrichtigkeit zu berichtigen
(§
142 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
138 Satz 1
SGG). Für die Berichtigung der erstinstanzlichen Entscheidung ist (auch) der Senat als das mit der Sache betraute Rechtsmittelgericht
zuständig (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 06.03.2012 - B 1 KR 43/11 B -; Urteil vom 30.06.2016 - B 5 RE 1/15 R -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller,
SGG, 12. Auflage, 2017, §
138 Rn. 4a; Humpert in Jansen,
SGG, 4. Auflage, 2012, §
138 Rn. 14), der in voller Besetzung entscheidet. Das Rechtsmittelgericht ist dabei von Amts wegen zur Berichtigung verpflichtet
(Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2007 - VII ZR 121/06 - Keller, a.a.O.).
Beim Vorstandsvorsitzenden der Antragsgegnerin hat das SG im Rubrum nicht darauf geachtet, wer aktuell Vorstand bzw. Vorstandsvorsitzender der Antragsgegnerin ist. Beim Beginn der
Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten ist ihm ein Tippfehler unterlaufen,
indem er im Tenor (und in den Gründen I.) auf den 20.06.2016 statt zutreffend auf den 20.06.2017 als Auslaufdatum der Genehmigung
des Antragstellers nach § 3 Abs. 2 BtMG abstellte. Schließlich ergibt sich aus den Gründen II. des Beschlusses des SG, dass dieses richtiger Weise die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten nicht von einer "ärztlichen",
sondern von einer "vertragsärztlichen" Verordnung abhängig machen wollte (§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V), auch insoweit war der Tenor des Beschlusses zu berichtigen.
2. Die statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG dem Eilantrag stattgegeben. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten nach Maßgabe
vertragsärztlicher Verordnung aufgrund fingierter Genehmigung (§
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V) hinreichend glaubhaft gemacht. Die Abwägung aller entscheidungsrelevanter Folgen der (Nicht-) Gewährung der begehrten Leistungen
(§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG), spricht für den geltend gemachte Anspruch.
a) Nach §
86b Abs.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung nach
Maßgabe der in Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungs- (§
86b Abs.
2 Satz 1
SGG) und Regelungsanordnung (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG) zu unterscheiden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der
Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs
(Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen
(§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO)). Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten
Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren mit den glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteilen.
Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls
unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger
Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.1005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom
26.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung
zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich
die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 - und 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, hierzu auch Senat, Beschlüsse vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER (Morbus Pompe) und 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B ER - (Hyperthermie)). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache
nicht vorwegnehmen. Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehende Zeit Rechtsfragen
nicht vertiefend behandeln und Ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat,
Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -). Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für
die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren
einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen
würde (Senat, Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -). Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Beschwerde begründet.
b) aa) Der Antragsteller hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass sich der Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Medizinal-Cannabis
aus der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ergibt (vgl. zum fingierten Naturalleistungsanspruch statt eines alleinigen Kostenerstattungsanspruchs: BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -; kritisch: Helbig in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Auflage, 2016, §
13 Rn. 71.10 m.w.N.). Die Regelung beruht auf dem am 26.02.2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen
und Patienten vom 20.02.2013 (Patientenrechtegesetz, BGBl. I 2013, S. 277). Sie verfolgt das Ziel, Entscheidungsprozesse der Krankenkassen im Interesse der Patienten zu beschleunigen. Insoweit kommt
der Vorschrift gegenüber einer zu langsam arbeitenden Krankenkasse Sanktionswirkung zu (LSG Bayern, Urteil vom 31.01.2017
- L 5 KR 471/15 -). Gemäß §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere eine des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen
nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese
unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten darüber zu unterrichten (§
13 Abs.
3a Satz 2
SGB V). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der
Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V). Werden keine hinreichenden Gründe mitgeteilt, gilt die Leistung gemäß §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung
selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V).
Hier spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin die gebotene Frist für die Verbescheidung des Antrages des Antragstellers
vom 10.03.2017 nicht eingehalten hat, so dass die begehrte Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten als genehmigt gilt (vgl.
(1)). Der Antragsteller war auch leistungsberechtigt und erfüllte mit seinem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen,
den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis (vgl. (2)). Er durfte die nicht offensichtlich
außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung liegende, von ihm beantragte Leistung für erforderlich
halten (vgl. (3)).
(1) Ob die Antragsgegnerin den Antrag auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten nach §
31 Abs.
6 SGB V nicht fristgerecht beschieden hat, richtet sich nach §
13 Abs.
3a SGB V.
Der Umstand, dass §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V die Fiktionswirkung nur auf die "Leistung" erstreckt und die Genehmigung nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V noch nicht die Leistung im engeren Sinne darstellt, spricht nicht gegen den Eintritt der Fiktionswirkung. Denn nach den gesetzlichen
Vorgaben ist die Genehmigung zwingende und wesentliche Voraussetzung für einen Leistungsanspruch des Versicherten nach §
31 Abs.
6 SGB V, und auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/8965 S. 25) verweist uneingeschränkt auf §
13 Abs.
3a SGB V (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.11.2017 - L 5 KR 541/17 B ER -).
(a) Fristbeginn war der 10.03.2017. An diesem Tag ging bei der Antragsgegnerin eine E-Mail des Antragstellers ein, mit der
er unter Bezugnahme auf die am selben Tag in Kraft getretene Gesetzesänderung die Versorgung mit Cannabisblüten beantragte.
Der Antragsteller teilte mit, dass sein Hausarzt Dr. T bereit sei, die Behandlung "zu begleiten und zu rezeptieren".
Unerheblich für den Fristbeginn ist, ob dieser (hinreichend bestimmte) Antrag vollständig in dem Sinne war, dass die Antragsgegnerin
ihn sofort inhaltlich bescheiden oder zumindest zur Prüfung an den MDK weiterleiten konnte. Denn wenn im Rahmen der Amtsermittlung
durch die Antragsgegnerin weitere Informationen vom Antragsteller einzuholen sind, beeinflusst dieser Umstand nicht den Fristbeginn,
sondern kann allenfalls ein hinreichender Grund für das Unvermögen zur rechtzeitigen Entscheidung sein (BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -; Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 62.1).
(b) Anders als die Antragsgegnerin annimmt, hat sie diesen Antrag nicht mit Schreiben vom gleichen Tag abgelehnt. Ihr Schreiben
vom 10.03.2017 stellt nach dem maßgeblichen objektivierten Empfängerhorizont (BSG, Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R -; Urteil vom 03.04.2014 - B 2 U 25/12 R -) keine Ablehnung des Antrages dar. Das Schreiben ist schon der Form nach kein Bescheid. Es fehlen die Überschrift ("Bescheid"),
ein Verfügungssatz, Gründe und eine Rechtsmittelbelehrung (hierzu auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.10.2017 -
L 1 KR 368/17 B ER -). Auch inhaltlich wird nichts verfügt, sondern der Antragsteller nur informiert ("Vielen Dank für Ihre E-Mail vom
10.03.2017. Dazu möchten wir Ihnen folgendes mitteilen:") und beraten ("Bitte setzen Sie sich mit Ihrem behandelnden Arzt
in Verbindung, um das weitere Vorgehen abzusprechen."). Bezeichnenderweise spricht auch die Antragsgegnerin von einer Ablehnung
des Antrags auf Versorgung mit Cannabisblüten durch Schreiben vom 10.03.2017 erst, seitdem der Bevollmächtigte des Antragstellers
unter dem 19.04.2016 die Fiktion der begehrten Genehmigung geltend gemacht hat. Bis dahin hat die Antragsgegnerin stets die
Auffassung vertreten, den Antragsteller mit diesem Schreiben auf den bisher nicht vollständigen Antrag hingewiesen zu haben
(vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.10.2017 - L 1 KR 368/17 B ER -).
(c) Da die Antragsgegnerin bereits im Schreiben vom 10.03.2017 auf die beabsichtigte Prüfung durch den MDK aufmerksam gemacht
hatte, lief gem. §
13 Abs.
3a Satz 1 Halbsatz 2
SGB V zunächst eine Fünf-Wochen-Frist, die mit dem 14.04.2017 endete (§
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V, § 26 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. §§
187 Abs.
1,
188 Abs.
2 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB); vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 62).
(d) Diese Frist wurde von der Antragsgegnerin nicht gemäß §
13 Abs.
3a Satz 5 und 6
SGB V bis zum 03.05.2017 verlängert.
Insoweit genügen die Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. und 27.03.2017 für eine Fristverlängerung nicht. Zwar teilte sie
dem Antragsteller darin vor Ablauf der Fünf-Wochen-Frist (Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 65) mit, noch ein Betäubungsmittelrezept
eines Vertragsarztes und "eine aussagefähige medizinische Stellungnahme Ihres Arztes über das bei Ihnen vorliegende Krankheitsbild"
bzw. "Unterlagen, in denen die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen begründet werden" zu benötigen, bevor der MDK eingeschaltet
werden könne. Ob dies zutreffend und erforderlich war, kann der Senat offenlassen, denn es fehlte in diesen Schreiben auf
jeden Fall eine neue, von der Antragsgegnerin taggenau gesetzte Frist. Ohne eine solche exakte Verlängerung der ursprünglichen
Frist kann der Antragsteller jedoch nicht erkennen, wann die Fiktion der Genehmigung eingetreten ist. Dies widerspräche dem
dargelegten Regelungsgehalt und Beschleunigungszweck des §
13 Abs.
3a SGB V (BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R - mit Bezugnahme auf: BGH Urteil vom 20.4.2017 - III ZR 470/16 - zu § 42a Abs. 2 Satz 3 Landesverwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.10.2017 - L 1 KR 368/17 B ER -; a.A. für eine "angemessene" Erweiterung der Entscheidungsfrist bei rechtzeitiger Mitteilung eines hinreichenden Grundes
auch ohne neue, taggenaue Frist eintretend: Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, September 2017, K §
13 Rn. 58m; Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 67). Um eine solche neue Frist zu setzen, ist es erforderlich, dass entweder das neue,
kalendarisch bestimmte Fristende mitgeteilt oder der konkrete Verlängerungszeitraum in der Weise angegeben wird, dass der
Antragsteller ohne Schwierigkeiten das Fristende taggenau berechnen kann.
Letzteres hat die Antragsgegnerin - vor Ablauf der Fünf-Wochen-Frist - mit Schreiben vom 30.03.2017 getan. Dort teilte sie
mit, nun "in der gesetzlich vorgegebenen Frist von 5 Wochen" über den Antrag zu entscheiden, also bis zum 04.05.2017 einschließlich.
Die Antragsgegnerin hat für diese Fristverlängerung jedoch keinen "hinreichenden Grund" im Sinne des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V angegeben. Als Grund für das neue Fristende teilte sie zwar mit, bisher hätten "aussagefähige medizinische Unterlagen und
ein Betäubungsmittelrezept" gefehlt. Der MDK benötige "Unterlagen, in denen die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen begründet
werden. Auch müsse von dem Arzt die genau Medikation und die bisherige Therapie mitgeteilt werden". Dies genügt indes nicht.
Der Begriff des hinreichenden Grundes in §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ist unbestimmt. Er weist terminologisch und nach seiner Regelungsfunktion jedoch eine Nähe zu dem in §
88 Abs.
1 SGG und §
15 Abs.
1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) verwendeten Begriff des "zureichenden Grundes" auf. Seine sprachliche Weite ermöglicht und gebietet die umfassende Berücksichtigung
der Umstände des Einzelfalles. Eine am Normzweck und an der Binnensystematik des Absatzes 3a orientierte Auslegung legt es
nahe, typisierend in erster Linie solche Gründe anzuerkennen, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Krankenkassen liegen
(Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 66). Zwar hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V grundsätzlich ein von einem Vertragsarzt ausgestelltes Betäubungsmittelrezept erfordert. Allerdings hat sie mit Schreiben
vom 30.03.2017 dennoch die Mitteilung des Antragstellers genügen lassen, dass der behandelnde Haus- und Vertragsarzt Dr. T
bereit sei, ein solches Rezept auszustellen. Das hatte der Antragsteller indes bereits mit seinem Antrag vom 10.03.2017 so
mitgeteilt (" mein Hausarzt Dr. T ist bereit, die Behandlung weiter zu begleiten und zu rezeptieren"). Eine Verzögerung der
Bearbeitung rechtfertigte die Anforderung eines Betäubungsmittelrezeptes daher nicht. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die
Verzögerung durch ihre äußerst unpräzisen Angaben darüber, was sie noch benötige, verantwortet. So steht bis heute nicht fest,
was die Antragsgegnerin mit "aussagefähigen medizinischen Unterlagen" bzw. "Unterlagen, in denen die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen
begründet werden." meinte. Ob sie dabei (ausschließlich) eine "begründete Einschätzung" des Vertragsarztes im Sinn hatte,
dass "dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen" beim Antragsteller "unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen
und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes" "nicht zur Anwendung kommen können" (so §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1b SGB V) oder mehr bzw. anderes, bleibt offen.
(e) Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass selbst bei Annahme einer bis zum 04.05.2017 verlängerten Frist
diese u.U. nicht eingehalten worden wäre. Dazu müsste zunächst das Schreiben der Antragsgegnerin vom 03.05.2017 einen die
beantragte Leistung ablehnenden Bescheid darstellen. So haben jedoch weder der Antragsteller noch sein Bevollmächtigter das
Schreiben verstanden, sondern ihren Widerspruch ausdrücklich erst gegen den (verfristeten) "Bescheid vom 09.05.2017" gerichtet.
Ob ein verständiger Empfänger das Schreiben der Antragsgegnerin vom 03.05.2017 als Bescheid verstehen musste, erscheint zumindest
fraglich. Der Form nach (keine Überschrift "Bescheid", kein Verfügungssatz, keine Gründe, keine Rechtsmittelbelehrung) unterscheidet
es sich in keiner Weise von den sonstigen zwischen den Beteiligten gewechselten Schreiben. Einzig der mitten im Text "versteckte"
Satz, "Daher ist keine Kostenübernahme von Cannabis möglich", deutet auf eine Bescheidung des hierauf gerichteten Antrags
des Antragstellers hin. Allerdings "lehnte" die Antragsgegnerin die Leistung nicht ausdrücklich ab. Zudem kündigte sie zugleich
an: "Sobald uns das Gutachten vorliegt, werden wir ausführlich auf die Begründung des MDK eingehen". Dies kann als Ankündigung
einer (ergänzenden) Begründung eines bereits erlassenen Bescheides oder - wie es Antragsteller und sein Bevollmächtigter taten
- als Ankündigung einer erstmaligen Entscheidung auf Basis der Auswertung des MDK-Gutachtens verstanden werden. Unklarheiten
und verbleibende, begründete Restzweifel gehen nicht zu Lasten der Antragsteller (BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 154/11 R -, Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R -; Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R -; Engelmann in von Wulffen/Schütze/Engelmann, SGB X, 8. Auflage, 2014, § 33 Rn. 6 ff).
Schließlich müsste selbst bei Verständnis des Schreibens der Antragsgegnerin vom 03.05.2017 als Bescheid, dieser dem Antragsteller
oder seinem Bevollmächtigten noch am 04.05.2017 zugegangen sein (BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -; Helbig, a.a.O., § 13 Rn. 62.2). Dafür gibt es keinen Anhalt. Weder findet sich ein Abvermerk in der Verwaltungsakte der
Antragsgegnerin noch eine Zugangsbestätigung des Antragsteller-Bevollmächtigten.
(2) Der Antragsteller hat einen (Sachleistungs-) Antrag auf Versorgung mit Medizinal-Cannabislüten gestellt. Die Fiktion des
§
13 Abs.
3a SGB V greift, denn dieser Antrag ist so konkret, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung hinreichend bestimmt
ist (§ 33 Abs. 1 SGB X; vgl. zu diesem Kriterium: BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R - m.w.N.). Das BSG hat mit Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 1/17 R - ausgeführt:
"Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - hinreichend bestimmt, wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt
des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggfs. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung
bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten
eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige
Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts".
Grundsätzlich wird im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Versorgung mit einem Arzneimittel durch die vom
Arzt gemäß §
73 Abs.
2 Satz 1 Nr.
7 SGB V ausgestellte Verordnung konkretisiert, an der es hier (bisher) fehlt. Sie bezeichnet nicht nur das für die Behandlung notwendige
Medikament, sondern enthält auch Angaben über Dosierung und Einnahmezeitraum. Mittels der Verordnung weiß der Apotheker, der
eine zwangsweise Durchsetzung umzusetzen hätte, was der Versicherte benötigt und was an ihn abzugeben ist. Erst durch die
ärztliche Verordnung wird eine notwendige und erforderliche Medikation zu einer individuell bestimmten Sache (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.1993 - 4 RK 5/92 -). Bei der hier streitigen Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten, die seit 10.03.2017 (§
31 Abs.
6 SGB V i.d.F. vom 06.03.2017, BGBl I 403) zum Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, muss die Verordnung
zudem auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 BtmG und § 8 Abs. 1 Satz 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) vom 20.01.1998, i.d.F. von Art. 43 Gesetz vom 29.03.2017, BGBl I, S. 626), welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält.
Soweit daraus jedoch zum Teil der Schluss gezogen wird, dass ein Antrag auf Versorgung mit Cannabis nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V nur im Fall der - hier nicht vorhandenen - Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung hinreichend bestimmt sei (LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER B -; SG Trier, Beschluss vom 04.09.2017 - S 3 KR 143/17 ER -), kann dem nicht zugestimmt werden (im Ergebnis wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.07.2017 - L 5 KR 140/17 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.10.2017 - L 1 KR 368/17 B ER -; Beschluss vom 04.09.2017 - L 1 KR 305/17 B ER -; SG Koblenz, Beschluss vom 05.10.2017 - S 11 KR 558/17 ER -). Eine solche Auffassung verkennt die besondere Regelungssystematik des §
31 Abs.
6 SGB V und damit den Bezugspunkt der Bestimmtheit.
§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V setzt bei der ersten Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten in standardisierter Qualität die nur in begründeten
Ausnahmefällen abzulehnende Genehmigung der Krankenkasse voraus. Die Fiktion des §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V betrifft danach die Genehmigung der Versorgung mit Cannabis in Form getrockneter Blüten in standardisierter Qualität (wohl
ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -). Etwas Anderes oder Konkreteres wird nicht genehmigt. Insbesondere beinhaltet die (fingierte) Genehmigung nicht ausschließlich
Cannabisblüten der Sorte, Qualität und Quantität, wie sie sich aus der ersten vertragsärztlichen Verordnung ergeben. Vielmehr
ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, die nur "bei der ersten Verordnung" eine Genehmigung vorsieht und die weiteren
Verordnungen in die Therapieverantwortung des behandelnden und verordnenden Vertragsarztes legt, dass die Folgerezepte bezüglich
anderer Faktoren (Sorte, Menge etc.) als dem von Cannabisblüten in standardisierter Qualität vom ersten Rezept abweichen können
und dürfen. Auch die Gesetzesbegründung sieht nur die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ("schwerwiegende Erkrankung", "eine
allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht im Einzelfall nicht zur Verfügung" und "eine
nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankenverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht") durch die Krankenkassen vor (BT-Drucks. 18/8965 Seite 24 f.). Sähe man dies anders, so müsste - entgegen
der vom Gesetzgeber aus Verwaltungspraktikabilitätsgründen gewünschten, einmaligen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen durch
die Krankenkasse - bei jeder qualitativen oder quantitativen Änderung in den Folgeverordnungen eine erneute Genehmigung der
Krankenkasse eingeholt werden.
Kommt es somit bezüglich der Bestimmtheit des (fingierten) Leistungsanspruchs auf die Genehmigung der Versorgung mit Cannabis
in Form getrockneter Blüten in standardisierter Qualität an, so hat der Antragsteller genau dies ("Cannabisblüten") beantragt.
Soweit die Fiktion des §
13 Abs.
3a SGB V nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/8965) ausdrücklich auch auf den Anspruch nach §
31 Abs.
6 SGB V anwendbar ist, und sich nach der Rspr. des BSG (Urteil vom 26.09.2017 - B 1 KR 8/17 R -) aus der Fiktion grundsätzlich unmittelbar (auch) eine Naturalleistungsanspruch ergibt, gelten im Rahmen des §
31 Abs.
6 SGB V Besonderheiten. Dem Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach §
31 Abs.
6 SGB V ist immanent, dass die eigentliche Naturalleistung nicht unmittelbar auf Basis der (fingierten) Genehmigung erlangt werden
kann, sondern erst nach weiteren Zwischenschritten in Form vertragsärztlicher Prüfungen und Verordnungen. Selbst ohne Fiktion
und bei Vorlage einer (Erst-)Verordnung durch einen Vertragsarzt erhalten Versicherte nach Genehmigung durch die Krankenkassen
nicht unmittelbar und ohne zeitliche sowie mengenmäßige Beschränkung Naturalleistungen. Die Betäubungsmittelrezepte gelten
nämlich nur sieben Tage lang und somit lediglich für einen Zeitraum, in dem die Krankenkassen die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V mithilfe des MDK nicht prüfen und bescheiden können, wozu sie auch nicht verpflichtet sind (§
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V; anders nur in dem hier nicht vorliegenden Fall einer ambulanten Palliativversorgung nach §
37b SGB V). Mehr als im Fall einer tatsächlich durch die Krankenkasse geprüften und erteilten Genehmigung kann der Antragsteller aber
auch nicht auf Basis einer (lediglich) fingierten Genehmigung beanspruchen.
Der Antragsteller hat dies erkannt und bereits im Verwaltungsverfahren im Antrag auf "verschreibungsfähige Cannabisblüten"
darauf hingewiesen, sein vertragsärztlich tätiger Hausarzt sei bereit, "die Behandlung weiter zu begleiten und zu rezeptieren".
Entsprechend hat er im einstweiligen Anordnungsverfahren auch nicht die unmittelbare, zeitlich und mengenmäßig unbefristete
Versorgung mit Cannabisblüten durch die Antragsgegnerin begehrt. Vielmehr hat er seinen Antrag auf Versorgung mit Cannabisblüten
zutreffend dahin beschränkt, "soweit die behandelnden Ärzte diese Behandlung verordnen". Exakt dies hat das SG zugesprochen, wobei es ungenau formuliert hat. Statt "ärztlich" muss es "vertragsärztlich" verordnete Medizinal-Cannabisblüten
heißen.
(3) Auch die weiteren Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V sind erfüllt. Mit dem BSG ist insoweit zu fordern, dass der Antragsteller die beantragte Leistung für erforderlich halten durfte und die beantragte
Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung liegt (BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R -; Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -). Die beantragte Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten unterfällt ihrer Art nach seit der Einführung des §
31 Abs.
6 SGB V mit Wirkung vom 10.03.2017 (BGBl 2017 I Nr. 11) dem Leistungskatalog der GKV. Der Antragsteller konnte auch aufgrund der
näher begründeten Befürwortung seines Antrags durch die ihn behandelnde Ärzte die Behandlung für geeignet und erforderlich
halten, auch wenn noch keine Verordnung vorlag (LSG Berlin-Brandenburg, - L 1 KR 368/17 B ER -). Das gilt insbesondere im Hinblick auf den oben dargelegten Umstand, dass die Gültigkeitsdauer eines Betäubungsmittelrezepts
mit einer Woche schwerlich genügen wird, um der Krankenkasse zu ermöglichen, mit Hilfe des MDK die Genehmigungsvoraussetzungen
zu prüfen, sodann zu entscheiden und den Versicherten in die Lage zu versetzen, das Rezept rechtzeitig einer Apotheke vorzulegen.
Insoweit stellt sich ohnehin die Frage, ob bei Antragstellung und Genehmigung durch die Krankenkasse bereits ein Betäubungsmittelrezept
vorliegen muss. Der Wortlaut der Vorschrift ("Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen
Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung
zu erteilen ist.") legt das zwar nahe, fordert das aber nicht zwingend. Gegen ein solches Verständnis spricht, dass sich der
Versicherte mit einem vor der Genehmigung durch die Krankenkasse ausgestellten Betäubungsmittelrezept faktisch auch ohne eine
solche unmittelbar an eine Apotheke wenden und das Rezept einlösen könnte. Der Gesetzeszweck - den Bezug von Cannabisblüten
auf Rezept von der vorherigen Prüfung und Genehmigung durch die Krankenkassen abhängig zu machen - würde unterlaufen. Das
scheint auch der Grund, warum vermehrt Vertragsärzte den Antrag nach §
31 Abs.
6 SGB V für die Versicherten stellen, um möglichem Missbrauch und eigener Haftung vorzubeugen.
Der Senat kann diese Frage offen lassen, denn zumindest der Antragsteller durfte auch ohne Vorlage eines entsprechenden Rezepts
die beantragte Versorgung mit Cannabisblüten für erforderlich halten. Diese Art der Behandlung wurde ihm bereits vor Jahren
von seinen Ärzten empfohlen und wird seither auf Basis einer Genehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG ärztlich begleitet. Auf die im vorangegangenen Eilverfahren S 8 KR 338/16 ER des SG Düsseldorf zu den Akten gereichten Stellungnahmen des behandelnden Privatarztes Dr. H nimmt der Senat Bezug. Dort
heißt es u.a., der Konsum von Cannabis verbessere die Lebensqualität des Antragstellers und werde ärztlich befürwortet.
Ein Rechtsmissbrauch, der den Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten entgegenstehen würde (vgl. zu diesem Kriterium:
BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -), liegt zur Überzeugung des Senats im konkreten Fall fern. Die erstmalige Einnahme von Cannabis im Rahmen einer ärztlich
begleiteten Entwöhnung von Opiaten bei in der Folgezeit wieder hergestellter Erwerbsfähigkeit spricht dagegen. Im Übrigen
hat die Antragsgegnerin in der Vergangenheit selbst - wenn auch nur temporär - die Kosten der Versorgung mit Cannabisblüten
übernommen. Schließlich stellen die Antragsgegnerin und der MDK nicht infrage, dass beim Antragsteller eine schwerwiegende
Erkrankung i.S.d. §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V vorliegt (vgl. zum Begriff: LSG Thüringen, Beschluss vom 10.11.2017 - L 6 KR 1092/17 B ER -).
(4) Die Genehmigungsfiktion ist auch nicht nachträglich durch den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 03. bzw. 09.05.2017
erloschen. Unabhängig von der Frage, ob die Krankenkasse eine solche Genehmigungsfiktion überhaupt zurücknehmen kann (dafür
mit überzeugenden Gründen: BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R -; zu den damit verbundenen Problemen ausführlich: LSG Bayern, Urteil vom 27.06.2017 - L 5 KR 260/16-), verfügt der Bescheid keine Aufhebung eines (fingierten) Verwaltungsaktes, sondern geht von einer Erstbescheidung des Antrages
des Antragstellers aus. Eine Rücknahme nach § 45 SGB X würde der Behörde zudem Ermessen eröffnen. Das bedeutet, dass die Antragsgegnerin Ermessenserwägungen hätte anstellen müssen,
zu denen sie den Versicherten nach § 24 SGB X hätte anhören muss. Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung hätte das Ermessen betätigt und schließlich entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen ausgeübt werden müssen. Der Rücknahmebescheid muss erkennen
lassen, dass Ermessen ausgeübt wurde und welche Aspekte in das Ermessen eingestellt wurden (Padé in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 Rn. 120). An all dem fehlt es hier aufgrund des behördlichen Willens eine Ausgangsentscheidung zu treffen (BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R -).
(5) Bei der Prüfung des Anordnungsanspruches begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die
Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage - wie vorstehend geschehen - an den Erfolgsaussichten der Hauptsache
orientieren (BVerfG, Beschluss vom 02.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Je schwerer jedoch die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden
sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt
werden. Art
19 Abs.
4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre.
Insoweit ist hier zu berücksichtigen, dass die behandelnden Ärzte Dres. H und T mehrfach versichert haben, dass der Antragsteller
austherapiert sei. Alle vor der Einnahme von Cannabisblüten verschriebenen Medikamente und durchgeführten Therapien hätten
- wenn sie die Schmerzen des Antragstellers überhaupt ausreichend vermindert hätten - zu erheblichen Nebenwirkungen wie z.B.
Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Taubheitsgefühl, Verdauungsprobleme, "starke" Kopfschmerzen
geführt. Nach den glaubhaften Angaben des Antragstellers droht bei Absetzung der Medikation mit Cannabisblüten der Verlust
des aktuellen Arbeitsplatzes, der erneute Eintritt von Erwerbsunfähigkeit und Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dies
ist ihm nicht zumutbar. Das gilt umso mehr, als selbst die Antragsgegnerin ihn in der Vergangenheit mit Cannabisblüten versorgt
hat und für die Gegenwart u.a. auf Drobaninol - ein Cannabinoid - als noch nicht versuchte Alternativbehandlung verweist.
Letzteres setzt indes einen von der Antragsgegnerin (eigentlich) verneinten Anspruch nach §
31 Abs.
6 SGB V voraus (BT-Drucks. 18/8965 S. 23). Dasselbe gilt im Übrigen für das cannabinoide Sativex, das zur Überzeugung der Antragsgegnerin
ebenfalls eine Behandlungsalternative darstellt und mit dem der Antragsteller von ihr bereits einige Monate versorgt wurde.
bb) Nach alledem kann offen bleiben, ob der Antragsteller (auch) aufgrund der zum 10.03.2017 neu eingefügten Regelung des
§
31 Abs.
6 SGB V einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit der die begehrte Medizinal-Cannabisblüten-Therapie hat, für den zur Überzeugung
des Senats jedoch auch einiges spricht.
c) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Die Möglichkeit, sich mittels Privatrezept
und Genehmigung des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 3 Abs. 2 BtMG weiter mit Cannabisblätter zu versorgen, besteht seit dem 20.06.2017 nicht mehr. Im Übrigen hat der Antragsteller Bezug genommen
auf die konkrete Darlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse im vorangegangenen Eilverfahren. Danach ist er aufgrund
des Wegfalls des Erziehungsgeldes seiner Ehefrau auch finanziell nicht mehr in der Lage, die Kosten für die von ihm benötigten
Cannabisblüten i.H.v. rund 500,00 EUR im Monat aufzubringen. Schließlich hat er durch die Bescheinigungen der behandelnden
Ärzte Dres. H und T glaubhaft gemacht, dass er bei Umstellung auf andere Schmerzmedikamente wieder unter erheblichen Nebenwirkungen
wie z.B. Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Taubheitsgefühl, Verdauungsprobleme, "starke" Kopfschmerzen
leiden würde. Diese könnte sogar so belastend sein, dass er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann.
d) Die Bewilligung der Sachleistung ist vom SG zutreffend bis zum bestandkräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens befristet worden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Satz 1,
193 Abs.
1 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).