Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für eine behauptete Schädigung am 27.06.2014.
Der Kläger ist 1969 in L geboren und kongolesischer Staatsangehöriger. Zum Zeitpunkt der behaupteten Tat lebte er in einer
Asylbewerberunterkunft in U.
Unter dem 19.05.2015 beantragte er bei dem Kläger Leistungen nach dem
OEG.
Zur Begründung führte er aus, er sei am angegebenen Tattag von dem Mitbewohner F und vier weiteren Männern in der Unterkunft
grundlos bedroht worden. Um sich zu retten, sei er aus dem Fenster seines Zimmers in der ersten Etage gesprungen und habe
sich beim Auftreffen auf dem Boden den Knöchel gebrochen. Er bezog sich ergänzend auf die Akten des wegen dieses Vorfalls
eingeleiteten Strafverfahrens.
Mit Bescheid vom 22.07.2015 wies der Beklagte den Antrag des Klägers nach Auswertung der Strafakten ab, da nicht feststellbar
sei, was am Tattag geschehen sei.
Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2015 als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich
die rechtzeitig erhobene Klage des Klägers, mit welcher er weiterhin Beschädigtenversorgung begehrt hat.
Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe auf dem Bett gesessen, als jemand begonnen habe, von außen seine Tür einzuschlagen.
Er habe daraufhin versucht, seine Geldbörse und eines seiner beiden Handies an sich zu nehmen. Die Tür sei dann eingetreten
worden und der F habe mit einem gezückten Messer in der zerstörten Tür gestanden. Daraufhin habe er sein anderes Handy aus
dem Fenster geworfen, sein auf dem Tisch liegendes Tablet an sich genommen und sei mit diesem aus dem Fenster gesprungen.
Er benötige das Tablet, weil sich auf diesem Kontakte und Adressen befänden.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 zu verurteilen,
ihm Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht (SG) hat zur Sachverhaltsaufklärung über den von dem Kläger behaupteten Vorfall ausschließlich die Polizeibeamten KOK'in I sowie
PK N schriftlich befragt. Beide Polizeibeamten haben sinngemäß bekundet, die bei dem Vorfall eingesetzten Beamten gewesen
zu sein, sich aber an Einzelheiten des Einsatzes nicht mehr erinnern zu können. Weitere Zeugen hat das SG nicht gehört.
Auf dieser Grundlage hat das SG die Klage mit Urteil vom 18.10.2016 als unbegründet abgewiesen und dazu ausgeführt:
"Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 22.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 ist rechtmäßig. Der Kläger
hat keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach §
1 OEG mit Verbindung mit dem BVG, weil sich ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf ihn im Sinne von §
1 Abs.
1 S. 1
OEG nicht feststellen lässt.
Nach §
1 Abs.
1 S. 1
OEG erhält Versorgung nach den Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach
dem
OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs im Sinne von §
1 Abs.
1 S. 1
OEG zählt, müssen grundsätzlich nachgewiesen, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad
der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Zweifel mehr besteht (LSG NRW, Urteil vom 29.09.2010,
Az: L 6 (7) VG 16/05).
Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält es die Kammer nicht in einem die volle richterliche Überzeugung
begründenden Maße für wahrscheinlich, dass der Kläger Opfer eines Angriffs im Sinne von §
1 Abs.
1 S. 1
OEG geworden ist. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vielmehr der Auffassung, dass die behauptete Tat nicht
bewiesen werden konnte.
Fest steht für die Kammer alleine, dass der Kläger sich die bei ihm vorliegende Verletzung zugezogen hat. Wie es dazu gekommen
ist, ist demgegenüber ungeklärt.
Dem Vortrag des Klägers, wie er ihn im gerichtlichen Verfahren geboten hat, konnte die Kammer nicht folgen. Sie hält ihn nicht
für glaubhaft.
Es verwundert bereits, dass eine Person, die von einer anderen, mit einem Messer bewaffneten Person bedroht ist, bevor sie
flüchtet, noch ihren Tabletcomputer an sich nimmt, weil sich hierauf wichtige Kontaktdaten befänden. Die Kammer hält dies
für völlig lebensfremd und nicht nachvollziehbar.
Ebenfalls nicht nachvollziehen kann die Kammer die Widersprüchlichkeit innerhalb der verschiedenen Varianten des klägerischen
Vortrags während und vor dem gerichtlichen Verfahren. Gegenüber der Polizei hat der Kläger nämlich angegeben, er habe zur
Tatzeit zur Arbeit gehen wolle und sich deswegen im Hausflur der Unterkunft befunden. Der F sei mit einem Messer und vier
weitere Personen mit Eisenstangen bewaffnet auf ihn zugestürmt. Dabei hätten diese gerufen, den Kläger töten zu wollen. Er
sei in sein Zimmer zurück gelaufen und dort dann aus dem Fenster gesprungen. Anschließend sei er zu einem Zeugen gehumpelt
und habe diesen gebeten, die Polizei zu rufen, was dieser sodann getan habe.
Die beiden Sachverhaltsvarianten unterscheiden sich in zentralen Punkten, weswegen es der Kammer nicht möglich war, einer
zu folgen. Gleichzeitig führt dies aber auch zu massiven Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Klägers.
Die Kammer befindet sich mit ihrer Einschätzung in Übereinstimmung mit der Polizei (vgl. mehrere Vermerke innerhalb der Ermittlungsakte),
der Staatsanwaltschaft (vgl. Einstellungsverfügung) sowie des Beklagten.
Für die Behauptungen des Klägers spricht nichts als dessen eigener, in sich widersprüchlicher, Vortrag. Die Zeugen, die von
der Polizei vernommen wurden, gaben an, dass von niemandem ein Tumult oder eine Jagd beobachtet worden sei. Lediglich habe
der von dem Kläger benannte F in der Unterkunft randaliert.
Der Zeuge, zu dem der Kläger gehumpelt war, gab gegenüber der Polizei an, er habe sich gerade vor seinem Haus befunden und
an seinem Auto gearbeitet, als der Kläger auf einem Bein hüpfend zu ihm gekommen sei und ihn aufgefordert habe, einen Krankenwagen
und die Polizei zu rufen. Dies habe er sodann getan. Der Kläger habe sich sodann auf die Vorstufe des Hauses des Zeugen gesetzt
und sei von da an mit seinem Tabletcomputer, welchen er dabei gehabt habe, beschäftigt gewesen. Tumult oder ähnliches hat
der Zeuge aus der Richtung der Unterkunft des Klägers nicht wahrgenommen.
Die Kammer kann auch diesbezüglich nicht als mit der üblichen Lebenserfahrung vereinbar ansehen, dass der soeben mit dem Tode
bedrohte Kläger sich ruhig in 50m Entfernung zum behaupteten Tatgeschehen aufhält, dies auch nicht dann, wenn der Kläger -
wie behauptet - sich vergewissern wollte, ob sein Tablet noch funktioniere. Zudem konnte der Zeuge einen Tumult in der nahegelegenen
Unterkunft ebenfalls nicht beobachten oder hören.
Schließlich ändert sich auch nichts dadurch, dass die Zimmertür des Klägers beschädigt war, da sich auch insoweit nicht aufklären
ließ, wie es dazu gekommen war. Die von dem Gericht befragten Polizeibeamten konnten insoweit mangels Erinnerung nichts beitragen.
Die Klage war daher abzuweisen."
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung seines
bisherigen Vorbringens in vollem Umfang aufrecht hält.
Beide Beteiligten halten die Ermittlungen des SG für unzureichend - sowohl in Hinsicht auf die Frage, welche Ereignisse zu dem vom Kläger geschilderten Verletzungen führten
als auch in Hinsicht auf die daraus ggf. folgenden dauernden Gesundheitsschäden.
Der Kläger und der Beklagte beantragen beide,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Ermittlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
2. Zudem ist der Kläger, - wie sich im Termin vor dem erkennenden Senat gezeigt hat - der deutschen Sprache nicht hinreichend
mächtig. Er ist daher mit Hilfe eines vereidigten Dolmetschers auch selbst nochmals ergänzend zum Geschehensablauf genau zu
befragen um den Sachverhalt aufzuklären und um ihm rechtliches Gehör zu gewähren. Nur dann ist seinem grundrechtlichen Anspruch
ist ein faires Verfahren hinreichend Rechnung getragen. Auch lässt sich nur so klären, ob die vom SG bezeichneten Widersprüche in den Angaben des Klägers u. U. auf Übersetzungsfehlern beruhen.
3. Erst wenn der genaue Geschehensablauf auch dann nicht festzustellen wäre, käme es u. U. auf die vom SG spekulativ in den Raum gestellte Annahme an, wie sich ein Mensch nach einem Angriff wie dem vom Kläger vorgetragenem "nach
üblicher Lebenserfahrung" verhält. Seriöse empirische Untersuchungen sind hierzu allerdings bislang nicht bekannt und vom
SG auch nicht benannt.