Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) in der
Zeit vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019.
Der 1991 geborene Kläger nahm im Wintersemester 2010/2011 an der Universität E ein Bachelor-Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen
auf. Nach Abschluss dieses Studiums begann er im Sommersemester 2016 an derselben Universität ein Masterstudium ebenfalls
im Studiengang des Wirtschaftsingenieurwesens.
Bis zum 31.07.2018 war er aufgrund einer neben dem Studium ausgeübten Beschäftigung bei der Beklagten pflichtversichert. Nach
Beendigung dieser Tätigkeit und der Aufnahme einer Tätigkeit als Werkstudent bei der S GmbH ab dem 01.08.2018 (befristet bis
zum 31.12.2018) mit einer Arbeitszeit von 20 Stunden/Woche und einem Monatslohn von 813,28 € prüfte die Beklagte seinen Versicherungsstatus.
Im Rahmen dieser Prüfung legte er eine Studienbescheinigung seiner Universität vor, nach der er sich im Wintersemester 2018/2019
im 17. Hochschul- und im 6. Fachsemester des Studiengangs Master of Science - Wirtschaftsingenieurwesen, Vert. Maschinenbau
und Wirtschaft befand. Nach einem Telefonvermerk vom 22.01.2019 teilte ein Mitarbeiter der Universität der Beklagten mit,
der Kläger sei seit dem Wintersemester 2010/2011 immatrikuliert. Der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen sei gleich geblieben.
Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 22.01.2019 fest, dass die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers in der Kranken- und
Pflegeversicherung am 01.08.2018 begonnen habe.
Mit Bescheid vom 05.02.2019 setzte die Beklagte die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung ab dem 01.08.2018 in Höhe
der Mindestbeiträge fest. Für die Zeit vom 01.08.2018 bis zum 31.01.2019 habe der Kläger einen Betrag i.H.v. 927,20 € zu zahlen.
Der monatliche Beitrag ab dem 01.02.2019 betrage 156,79 €. Am selben Tag erließ die Beklagte einen Beitragsbescheid zur Pflegeversicherung.
Am 13.02.2019 legte der Kläger gegen die Bescheide vom 05.02.2019 Widerspruch ein. Er sei in der KVdS versichert, da er erst
im 6. Fachsemester sei. Sein Masterstudiengang entspreche inhaltlich in keiner Weise dem zuvor belegten Bachelorstudiengang.
Es handele sich nach dem Hochschulrecht um zwei verschiedene Studiengänge. Beide vermittelten einen eigenen berufsqualifizierenden
Abschluss und hätten eigene Studienordnungen. Für beide Studiengänge seien eigene Zulassungskriterien und Regelstudienzeiten
festgelegt. Die Hochschule beginne die Fachsemester mit Beginn des Masterstudiengangs neu zu zählen.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Universität E mit, es handele sich um einen konsekutiven Masterstudiengang.
Ab dem 01.04.2019 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Werkstudent bei der D GmbH auf, bei der die Arbeitszeit ebenfalls 20
Stunden/Woche betrug und er eine Vergütung i.H.v. 12,00 €/Stunde bzw. ab dem 16.10.2019 13,00 €/Stunde erhielt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2019 zurück. Nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (a.F.) seien Studenten bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters versicherungspflichtig,
längstens jedoch bis zum 30. Lebensjahr. Die Begrenzung auf 14 Fachsemester beziehe sich auf einen Studiengang. Ein Studiengang
sei als die Gesamtheit der Lerninhalte eines wissenschaftlichen Studienfachs an einer Hochschule zu sehen. Bei einem Masterstudiengang,
der sich an einen Bachelorstudiengang anschließe, seien die Fachsemester der beiden Studiengänge zusammenzurechnen, sofern
es sich um den gleichen Studiengang handele. Da der Kläger seit dem 01.10.2010 immatrikuliert sei, sei das 14. Fachsemester
mit Ablauf des Sommersemesters 2017 erfüllt gewesen.
Der Kläger hat am 11.12.2019 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben.
Seit dem 01.01.2020 führt ihn die Beklagte aufgrund der Änderung des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V durch das MDK-Reformgesetz vom 14.12.2019 (BGBl. I 2789) wieder in der KVdS.
Ergänzend zum Vortrag im Widerspruchsverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass die Möglichkeit bestehe, zum Masterstudiengang
Wirtschaftsingenieurwesen zugelassen zu werden, ohne zuvor den Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen abgeschlossen
zu haben. Diese Studierenden müssten dann zusätzliche Fächer belegen. Daraus ergebe sich, dass es sich nicht um den gleichen
Studiengang handele. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Inhalte nicht aufeinander aufbauten, sondern teilweise die gleichen
Inhalte unter anderen Veranstaltungsbezeichnungen gelehrt würden. Es handele sich also nicht um eine Vertiefung. Diese Veranstaltungen
seien vielmehr darauf zugeschnitten, dass Studierende mit einem anderen Bachelor diesen Master studieren könnten. Zudem sei
grundsätzlich die Fachsemesterstruktur von Bachelor- und Masterstudiengängen unterschiedlich; teilweise sei ein Ablauf 7+3
und teilweise 6+4 vorgesehen. Daher müsse die Zählung der Fachsemester bei Beginn des Masterstudiengangs neu beginnen. Dies
sei auch ein Grund für die nun erfolgte Reform der Regelung zur KVdS, da durch die verschiedensten Fächerkombinationen keine
einheitliche Rechtsanwendung herrsche. Zudem entspreche die Beitragsstruktur der freiwilligen Versicherung nicht der wirtschaftlichen
Situation von Studierenden und sei unangemessen.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2020 hat das Sozialgericht das Verfahren hinsichtlich der Erhebung der Beiträge zur
sozialen Pflegeversicherung abgetrennt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019 zu verpflichten,
in dem Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V durchzuführen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Die Hochschulen seien seit dem 01.01.2017 verpflichtet,
den Krankenkassen die Einschreibung in einen konsekutiven Studiengang zu melden. Neben der Bestätigung der Universität E,
dass ein konsekutiver Studiengang vorliege, ergebe sich dies auch aus den Schilderungen des Klägers über die inhaltliche Nähe
der Lehrinhalte des Bachelor- und Masterstudiengangs.
Mit Urteil vom 08.10.2020 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 05.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019
aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine Pflichtversicherung nach
§
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. durchzuführen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen der Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. lägen vor, da der Kläger noch nicht das 14. Fachsemester überschritten habe. Vielmehr habe er sich im streitgegenständlichen
Zeitraum im 5. bis 8. Fachsemester befunden, da er sich im Sommersemester 2016 in einen neuen Studiengang eingeschrieben habe.
Es könne für die Voraussetzungen des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. nicht darauf ankommen, in welchen konkreten Studiengang er eingeschrieben gewesen sei, sondern nur darauf, wann er diesen
Studiengang begonnen habe. Die von der Beklagten angenommene Zusammenrechnung der Fachsemester zweier Studiengänge, wenn es
sich bei dem zweiten Studiengang um einen konsekutiven Masterstudiengang handele, ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Dem Gesetzgeber
sei bei Erlass der Norm die sprachliche Differenzierung zwischen Hochschul- und Fachsemestern bekannt gewesen. Der Gesetzeswortlaut,
der ausdrücklich auf Fachsemester Bezug nehme, entspreche also dem Willen des Gesetzgebers, eine Versicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. auch über eine längere Dauer als 14 Hochschulsemester zu ermöglichen. Da der Gesetzgeber bei Einführung von Studiengängen
zum Erwerb eines Bachelor- oder Mastergrades den Wortlaut des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. nicht geändert habe, sei davon auszugehen, dass die von der Kammer vertretene Auslegung des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. bis zur mit Wirkung vom 01.01.2020 in Kraft getretenen Reform weiterhin dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe.
Eine dem Wortlaut entgegenstehende Auslegung folge auch nicht aus dem Sinn und Zweck der weiteren Voraussetzungen des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F., den Personenkreis, der von der günstigeren Versicherung profitiere, zu begrenzen. Der Schutz der Versichertengemeinschaft
vor einer unsachgemäßen Inanspruchnahme der KVdS sei bereits durch die ebenfalls in §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. normierte Altersgrenze gewährleistet. Die durch die Kammer vertretene Auffassung werde auch durch den Zweck der Rechtssicherheit
und einheitlichen Rechtsanwendung nahegelegt. Weiche man von der eindeutigen Unterscheidung in Hochschul- und Fachsemester
ab, führe dies aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Studiengänge und unterschiedlicher Kombinationen von Studiengängen
zu Rechtsunsicherheiten.
Gegen dieses ihr am 28.10.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.11.2020 Berufung eingelegt. Die Zusammenrechnung
der Fachsemester eines Bachelor- und eines nachfolgenden konsekutiven Masterstudiengangs entspreche dem Zweck des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F., der mit seiner zeitlichen Beschränkung sicherstellen solle, dass nur Personen von der Pflichtversicherung für Studierende
profitierten, die tatsächlich ein zielgerichtetes Studium durchführten. Dies ergebe sich aus den Entscheidungen des BSG vom 07.06.2018 - B 12 KR 15/16 R - und des SG Berlin vom 07.02.2019 - S 72 KR 748/18.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08.10.2020 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts. Zwischen seinem Bachelor- und seinem Masterstudiengang bestehe weder eine
zeitliche noch eine inhaltliche Einheit. Sein Masterstudium diene allein der Verbesserung seiner Berufsaussichten und habe
nicht direkt an sein Bachelorstudium angeschlossen. Ein Jahr nach seinem Bachelorabschluss habe er keine Prüfung abgelegt.
Nach bestandener Bachelorarbeit habe er keine Festanstellung finden können und sich dann in das Masterstudium eingeschrieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der
Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat durfte gemäß §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die gemäß §§
143,
144 SGG statthafte, fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht
hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.
1. Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Bescheid vom 05.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15.11.2019, mit dem die Beklagte den Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft
des Klägers ab dem 01.08.2018 festgesetzt hat. Das Schreiben vom 22.01.2019, mit dem die Beklagte den Kläger über den Beginn
der freiwilligen Mitgliedschaft am 01.08.2018 unterrichtet hat, ist nicht Gegenstand des Verfahrens, da es sich hierbei nicht
um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X handelt. Eine freiwillige Mitgliedschaft nach dem Ausscheiden aus einer Versicherungspflicht beginnt nach §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V kraft Gesetzes; eine Regelung durch Verwaltungsakt ist nicht erforderlich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte
mit ihrem Schreiben vom 22.01.2019 eine Rechtsfolge setzen wollte.
In zeitlicher Hinsicht wird der Gegenstand des Verfahrens dadurch begrenzt, dass der Kläger seit dem 01.01.2020 aufgrund der
Änderung des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V durch das MDK-Reformgesetz vom 14.12.2019 (BGBl. I 2789) wieder bei der Beklagten in der KVdS versichert ist, was die Beklagte
mit dem Beitragsbescheid vom 26.05.2020 umgesetzt hat.
2. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG statthaft, da die Beklagte ausweislich des Verfügungssatzes des angefochtenen Bescheides vom 05.02.2019 den Beitrag zur gesetzlichen
Krankenversicherung festgesetzt hat. Gegenstand dieses Bescheides ist damit (zutreffend, s.o.) nicht das Bestehen oder Nichtbestehen
der Versicherungspflicht in der KVdS und damit eines Rechtsverhältnisses im Sinne des §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG, sondern ausschließlich die Beitragsfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft.
Der Kläger verfolgt mit seiner Klage das Ziel der Durchführung der studentischen Krankenversicherung sowie einer entsprechenden
Beitragsreduzierung.
3. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger ist nicht beschwert i.S.v. §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Der Bescheid vom 05.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019 ist rechtmäßig. Nach dem Ausscheiden
aus der Versicherungspflicht mit Ablauf des 31.07.2018 bestand für den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nach §
9 Abs.
1 Nr.
1 i.V.m. §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass er nach §
223 Abs.
1 und
2 i.V.m. §
250 Abs.
2 SGB V verpflichtet ist, Beiträge zu zahlen. Diese hat die Beklagte zu Recht auf der Grundlage des §
240 Abs.
4 Satz 1
SGB V festgesetzt.
a) Durch die zum 01.08.2018 aufgenommene Beschäftigung bei der S GmbH ist eine Versicherungspflicht des Klägers nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V nicht eingetreten. Dies gilt ebenso für die zum 01.04.2019 begonnene Beschäftigung bei der D GmbH. Denn in diesen Beschäftigungen
war der Kläger nach §
6 Abs.
1 Nr.
3 und Abs.
3 Satz 2
SGB V versicherungsfrei. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Anhaltspunkte dafür, dass diese Beschäftigungen nicht
die Voraussetzungen des sog. Werkstudentenprivilegs erfüllten und stattdessen eine Versicherungspflicht bestand, sind angesichts
des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 12 KR 5/03 R - Rn. 17, juris) und des vom Kläger erzielten Entgelts nicht ersichtlich.
b) Ebenso wenig bestand für den Kläger in der Zeit vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine Versicherungspflicht in der KVdS
nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F., da er das 14. Fachsemester überschritten hatte.
Nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. sind Studenten versicherungspflichtig, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind,
unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen
Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des
30. Lebensjahres.
Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum Student einer staatlichen Hochschule und hatte das 30. Lebensjahr noch nicht
überschritten. Nach Überzeugung des Senats hatte er jedoch das 14. Fachsemester überschritten, so dass die Voraussetzungen
der Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. nicht vorliegen.
Nach Auffassung des Senats ergibt eine Auslegung des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F., dass für die Beurteilung, ob die 14 Fachsemester überschritten sind, die Fachsemester von Bachelor- und Masterstudiengängen
zusammenzurechnen sind, wenn - wie bei dem Kläger - zwischen diesen beiden Studiengängen ein zeitlicher und fachlicher Zusammenhang
besteht, so dass diese als einheitlicher Studiengang anzusehen sind.
Zwar ist dem Sozialgericht zuzugeben, dass sich eine solche Zusammenrechnung noch nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Dieser
spricht lediglich von Fachsemestern. Allerdings ergeben sich aus dem Wortlaut entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch
keine zwingenden Anhaltspunkte, dass eine Zusammenrechnung nicht zulässig wäre (so aber anscheinend SG Bremen, Urteil vom
05.07.2021 - S 64 KR 322/20 -, Rn. 33, juris, das für eine Auslegung in dem hier vertretenen Sinn eine planwidrige Regelungslücke verlangt).
Jedoch folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass eine Zusammenrechnung der Fachsemester in der oben dargestellten und
hier vorliegenden Konstellation zulässig und geboten ist.
Die Regelung in §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. geht darauf zurück, dass der Gesetzgeber es im Jahr 1988 für erforderlich hielt, die beitragsgünstige Krankenversicherung
der Studenten über die bloße Abwehr einer missbräuchlichen Begründung hinaus durch die Einführung allgemeiner Schranken nach
der Höchstdauer der Fachstudienzeit und des Alters zu begrenzen; dabei orientierte er sich an einem Zeitraum, in dem ein Studium
regelmäßig durchgeführt werden kann und typischerweise entweder erfolgreich abgeschlossen oder endgültig aufgegeben wird,
nämlich innerhalb von 14 Fachsemestern oder bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres (BSG, Urteil vom 07.06.2018 - B 12 KR 15/16 R - Rn. 17 f. m.w.N., juris; LSG Hamburg, Urteil vom 25.02.2021 - L 1 KR 147/19 -, Rn. 52, juris).
Für Bachelor- und Masterstudiengänge sind die Regelstudienzeiten in § 19 HRG geregelt. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 HRG kann die Hochschule aufgrund von Prüfungen, mit denen ein erster berufsqualifizierender Abschluss erworben wird, einen Bachelor-
oder Bakkalaureusgrad verleihen. Die Regelstudienzeit beträgt mindestens drei und höchstens vier Jahre (Satz 2). Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HRG kann die Hochschule aufgrund von Prüfungen, mit denen ein weiterer berufsqualifizierender Abschluss erworben wird, einen
Master- oder Magistergrad verleihen. Die Regelstudienzeit beträgt mindestens ein Jahr und höchstens zwei Jahre (Satz 2). Nach
§ 19 Abs. 4 HRG beträgt die Gesamtregelstudienzeit bei konsekutiven Studiengängen, die zu Graden nach den Absätzen 2 und 3 führen, höchstens
fünf Jahre.
Aus der Regelung des § 19 Abs. 4 HRG ergibt sich also, dass auch nach hochschulrechtlichen Gesichtspunkten ein konsekutiver Studiengang mit einer Gesamtregelstudienzeit
vorliegt, wenn zunächst ein Bachelorstudium abgeschlossen und anschließend ein Masterstudium absolviert wird.
An der Regelung des § 19 Abs. 3 HRG zeigt sich auch, dass ein solcher konsekutiver Studiengang grundsätzlich innerhalb der 14 Fachsemester-Grenze des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. durchgeführt werden kann. Der Sinn und Zweck der Regelung ist also erfüllt (ebenso SG Stralsund, Urteil vom 20.01.2017
- S 3 KR 11/15 -, Rn. 28, juris; SG Berlin, Urteil vom 07.02.2019 - S 72 KR 748/18 -, Rn. 22, juris; LSG Hamburg, Urteil vom 25.02.2021 - L 1 KR 147/19 -, Rn. 53, juris).
Dass ein solcher konsekutiver Studiengang als ein einheitlicher Studiengang anzusehen ist, kann auch aus einem Vergleich mit
der Ausbildungsförderung geschlossen werden. Nach § 7 Abs. 1a BAföG wird u.a. für einen Master- oder Magisterstudiengang i.S.d. § 19 HRG Ausbildungsförderung geleistet, wenn er auf einem Bachelorstudiengang aufbaut und der Auszubildende außer diesem noch keinen
Studiengang abgeschlossen hat.
Auch der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Rahmen eines Kindergeldanspruches entschieden, dass ein Masterstudium jedenfalls dann
Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist (und damit nicht zum Verbrauch der Erstausbildung führt), wenn es zeitlich und
inhaltlich auf den vorangegangenen Bachelorstudiengang abgestimmt ist und das - von den Eltern und dem Kind - bestimmte Berufsziel
erst darüber erreicht werden kann (BFH, Urteil vom 03.09.2015 - VI R 9/15 -, Rn. 16, 17, 21, juris).
Hintergrund ist das durch den sog. Bologna-Prozess eingeführte mehrstufige Studiensystem, in dem der "Bachelor" oder "Baccalaureus"
nach einer Regelstudienzeit von mindestens drei und höchstens vier Studienjahren (§ 19 Abs. 2 HRG) den niedrigsten akademischen Grad darstellt, der entweder zur Berufstätigkeit oder zu einem "Masterstudium" in derselben
oder teilweise sogar in einer anderen Fachrichtung qualifiziert. Ziel der Unterteilung der Hochschulausbildung in mehrere
abgestufte akademische Abschlüsse ist die Verkürzung der Studiendauer und die Flexibilisierung der akademischen Ausbildung
(SG Stralsund, Urteil vom 20.01.2017 - S 3 KR 11/15 -, Rn. 32, juris).
Um einen solchen konsekutiven Studiengang anzunehmen, in dem eine Zusammenrechnung der Fachsemester für die Fachsemester nach
§
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. zulässig ist, muss also ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den beiden (Einzel-)Studiengängen
bestehen (SG Berlin, Urteil vom 07.02.2019 - S 72 KR 748/18 -, Rn. 23, juris).
Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats bei dem Studium des Klägers erfüllt.
Er hat zunächst an der Universität E ein Bachelor-Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen absolviert. Nach Abschluss
dieses Studiums hat er an derselben Universität ein Masterstudium ebenfalls im Studiengang des Wirtschaftsingenieurwesens
begonnen. Der Studiengang bzw. der fachliche Bereich ist also identisch geblieben.
Auch der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang besteht. Nach Darstellung des Klägers hat er sein Masterstudium nicht direkt
an sein Bachelorstudium angeschlossen. Ein Jahr nach seinem Bachelorabschluss habe er keine Prüfung abgelegt. Nach bestandener
Bachelorarbeit habe er keine Festanstellung finden können und sich dann in das Masterstudium eingeschrieben. Diese kurze zeitliche
Unterbrechung der Fortsetzung der universitären Ausbildung von einem Jahr führt noch nicht dazu, einen engen zeitlichen Zusammenhang
zu verneinen. Immerhin hat der Kläger das zweite Studium im Alter von 25 Jahren aufgenommen, also noch vor Vollendung des
30. Lebensjahres.
c) Damit war der Kläger als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 188 Abs. 4 Satz 1 SBV) nach §
223 Abs.
1 und
2 i.V.m. §
250 Abs.
2 SGB V verpflichtet, Beiträge zu zahlen. Diese hat die Beklagte zu Recht nach §
240 Abs.
4 Satz 1
SGB V auf der Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen i.H. des neunzigsten Teils der monatlichen Bezugsgröße festgesetzt (2018:
33,83 € x 30 = 1.015,00 €; 2019: 34,61 € x 30 = 1.038,33 €). Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung der Beiträge der Höhe
nach unzutreffend ist, bestehen nicht; auch der Kläger hat insofern keine Bedenken erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§
160 Abs.
2 SGG). Insbesondere kommt der - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage, ob im Hinblick auf die
Fachsemesterbegrenzung die Semester im Bachelor- und im Masterstudiengang zusammenzuzählen sind, im Hinblick auf den Wegfall
der Fachsemesterbegrenzung in §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V a.F. mit Wirkung ab 01.01.2020 keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu.