Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 21 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
In der Zeit vom 21.02.1958 bis 23.05.1959 war der 1932 geborene Kläger in der ehemaligen DDR inhaftiert. Im August 1959 reiste
er in die Bundesrepublik Deutschland aus. In der Zeit von 1960 bis 1991 übte der Kläger seinen Beruf als Zahnarzt aus.
Mit Beschluss vom 14.09.1995 erklärte das Landgericht Neubrandenburg, I RhB 17/94, das Urteil des Kreisgerichts Ueckermünde
vom 02.05.1958 für rechtswidrig und hob das Urteil auf. Es stellte fest, dass der Kläger in der Zeit vom 21.02.1958 bis zum
23.05.1959 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung verbüßt hat.
Im April 1998 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 21 StrRehaG. Er trug vor, durch die rechtsstaatswidrige Inhaftierung mit Einzelhaft, Dunkelzelle und menschenrechtswidrigen Haftbedingungen
leide er bis heute unter manifesten Haftbeschwerden. Es träten rezidivierend Träume mit starken Schweißausbrüchen, Herzrasen,
Kreislauf- und Atmungsprobleme, Angstzustände und Depressionen und allgemeine starke körperliche Belastungen auf. Die Beschwerden
hätten sich seit 1991 durch das von ihm betriebene Rehabilitierungsverfahren und die damit verbundene Aufarbeitung seiner
Haft verstärkt. Nach der Entlassung aus der Haft sei er wegen der Folgen einer Unterernährung und seelischen Erkrankungen
in der Zeit von 1960 bis 1966 ärztlich behandelt worden. Er führe seit den 90er Jahren eine Selbstmedikation durch. Nach Einholung
einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 02.11.1998 den Antrag des Klägers ab. Beim
Kläger lägen heute keine Gesundheitsstörungen von Krankheitswert mehr vor, die mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit in einem
ursächlichen Zusammenhang mit den Haftbedingungen ständen. Es habe lediglich in den Jahren 1960 bis 1966 eine fachärztliche
Behandlung stattgefunden. Danach seien nach den Angaben des Klägers die auftretenden Beschwerden selbst behandelt worden.
Die im Rahmen der mit den Anträgen auf Rehabilitierung auftretenden Belastungen rechtfertigten keine Anerkennung nach dem
StrRehaG.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Angstzustände, Depressionen und Folgen der starken körperlichen Belastungen
seien auf die Haft zurückzuführen, und nicht durch die Anträge auf Rehabilitierung entstanden, vielmehr nur verstärkt worden.
Daraufhin veranlasste der Beklagte eine gutachterliche Untersuchung des Klägers durch den Neurologen und Psychiater C. Dieser
führte aus, dass keine Hinweise für Gesundheitsstörungen feststellbar seien, die auf die Inhaftierung in der DDR zurückzuführen
seien. Am 09.04.1959 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der am 27.04.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 21 StrRehaG begehrt.
Er hat geltend gemacht, der Sachverhalt sei von dem Beklagten unzureichend aufgeklärt worden.
Das SG hat ein Gutachten von der Neurologin und Psychiaterin U eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Inhalt des Gutachtens
vom 11.01.2001 verwiesen.
Mit Urteil vom 04.04.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 15.05.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.06.2001 beim SG Köln Berufung eingelegt.
Er verfolgt sein Begehren weitert. Er vertritt die Auffassung, dass das Gutachten der Sachverständigen U nicht verwertbar
sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.04.2001 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.11.1998
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.1999 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung eine Beschädigtenrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat den Leiter des Funktionsbereichs Klinische und Experimentelle Psychopathologie der Poliklinik für Neurologie
und Psychiatrie der Universität A Dr. I und den Leiter der Klinik und Polyklinik für Neurologie und Psychiatrie der Universität
A mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gutachten vom 23.04.2002 und
29.04.2002 verwiesen.
Mit Schreiben vom 14.10.2002 und 05.12.2002 wurde dem Kläger für die Erhebung von Einwendungen, für Anträge auf Erläuterung
und zu Ergänzungsfragen betreffend der Gutachten gemäß §
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). i,V-.m, §
411 Abs.
4 Zivilprozessordnung und für die Stellung eines Antrages nach §
109 SGG eine Frist von 4 Wochen gesetzt. Einen Antrag nach §
109 SGG hat der Kläger nicht gestellt. Aufgrund der vom Kläger erhobenen Einwände gegen die Gutachten hat der Senat ergänzende Stellungnahmen
von Dr. I und Dr. M eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahmen vom 18.11.2002 und 10.02.2003
verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Beklagten,
B-Akte und Schwerbehindertenakte, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente zu.
Nach § 21 StrRehaG erhält derjenige, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen
und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dabei müssen der versorgungsrechtlich geschützte Tatbestand, die gesundheitliche Schädigung sowie die Schädigungsfolgen
voll nachgewiesen werden, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit
feststehen.
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges
(§ 21 Abs. 5 StrRehaG). Es muss mehr dafür als dagegen sprechen, dass für die Gesundheitsstörung eine gesundheitliche Schädigung während der Freiheitsentziehung
i.S. einer zumindest annähernd gleichwertigen Bedingung ursächlich gewesen ist.
Zur Überzeugung des Senates ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht erwiesen, dass als Folge der haftbedingten Einwirkungen
beim Kläger eine psychische Störung besteht. Zwar handelt es sich bei der in den Jahren 1958/1959 erlittenen Haft um ein psychisches
Trauma i.S.v. Nr. 71 Abs. 1 S. 251 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) 1996, das geeignet ist, eine psychische Störung zu verursachen. Die durch die Haft verursachten psychischen Störungen
sind aber nach den übereinstimmenden Feststellungen aller im Verfahren gehörten Sachverständigen abgeklungen. Das Bestehen
von anhaltenden haftbedingten Störungen ist nicht mit hinreichender Sicherheit erwiesen. Nach den übereinstimmenden Feststellungen
der im Verfahren gehörten Sachverständigen U, Dr. M und Dr. I sind bis auf das Auftreten von Schlafstörungen mit Alpträumen
mit vegetativen Symptomen (Herzrasen und Schweißausbrüchen) beim Kläger keine weiteren psychischen Auffälligkeiten feststellbar.
Beim Kläger handelt es sich um eine eher extravertierte, sozial kompetente und kontaktorientierte Persönlichkeit mit leicht
histronischer Komponente, einer überdurchschnittlichen intellektuellen Gesamtkapazität, einer ungestörten Streßtoleranz und
einer gut psychophysischen Belastbarkeit. Hinweise auf eine psychopathologische relevante Störung der Persönlichkeit, Wutausbrüche,
Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, übertriebene Schreckreaktionen oder eine Beeinträchtigung des sozialen und beruflichen
Funktionsniveaus sind nicht feststellbar gewesen. Insbesondere sind die Kriterien der vom Kläger im Berufungsverfahren geltend
gemachten posttraumatischen Belastungsstörungen und andauernden Persönlichkeitsstörung nach den überzeugenden Darlegungen
des Sachverständigen Dr. M nicht erfüllt. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfordert nach ICD-10 und
DSM IV das Vorliegen eines Traumas, das geeignet ist, eine psychische Störung hervorzurufen (Kriterium A), ein ständiges Wiedererleben
des traumatischen Erlebnisses (Kriterium B), eine anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder
eine Abflachung der allgemeinen Reabilität (Kriterium C) und anhaltende Symptome eines erhöhten Arousals (Kriterium D). Für
die Diagnosestellung einer post- traumatischen Belastungsstörung müssen die Aspekte und Symptome aus allen vier Kriterien
erfüllt sein (Sachverständigenbeiratsbeschluss vom 12./13.11.1997 und vom 03./04.11.1999). Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen
des Sachverständigen Dr. M die diagnostischen Kriterien A und B; Anhaltspunkte für das Vorliegen der Kriterien C und D sind
nach dem Ergebnis der klinischen Untersuchung, der anamenestischen Angaben des Klägers sowie der testpsychologischen Untersuchung
nicht ersichtlich. Ebenso liegen die diagnostischen Kriterien für die Annahme einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach
ICD-10 nicht vor. Die Diagnose der andauernden Persönlichkeitsänderung beschreibt eine Charakteränderung im Sinne einer mißtrauischen
feindlichen Haltung mit sozialen Rückzug, Gefühlen der Leere, Hoffnungslosigkeit und Entfremdung nach Verfolgung, Inhaftierung
oder Folter. Nach den Feststellungen sämtlicher im Verfahren gehörten Sachverständigen handelt es sich beim Kläger um eine
psychisch unauffällige, in ihren intellektuellen und konzentrativen Leistungsfähigkeit ungestörte Persönlichkeit.
Die von den Sachverständigen für glaubhaft gehaltenen Schlafstörungen mit wiederholt aufgretenen Alpträumen mit vegetativen
Symptomen sind nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M möglicherweise im Sinne einer prolongierten Anpassungsstörung
auf die haftbedingten Einwirkungen zurückzuführen. Der Nachweis einer Möglichkeit reicht für die Bejahung eines Ursachenzusammenhanges
nicht aus, vielmehr ist der Nachweise einer Wahrscheinlichkeit zu führen.
Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen der Sachverständigen U, Dr. M und Dr. I zu zweifeln. Die
Gutachten sind in sich schlüssig, widerspruchfrei und nachvollziehbar begründet. Sie beruhen auf einer eingehenden ambulanten
Untersuchung des Klägers sowie kritischen Auswertung des Akteninhaltes. Sie stimmen auch mit den Vorgaben der AP 1996 zur
Kausalitätsbeurteilung von Folgen psychischer Traumen überein. Die AP 1996 geben den der herrschenden- medizinischen Lehrmeinung
entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissensstand u.a. über die Auswirkungen und Ursachen von Gesundheitsstörung nach versorgungsrechtlich
geschützen Tatbeständen wieder. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltung sind
an die in den AP 1996 enthaltenen Erkenntnisse für Begutachtungen gebunden (BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R). Nach Nr. 71 Abs. 1 AP 1996 können psychische traumbedingte Störungen nach rechtswidriger Haft in der DDR in Betracht kommen,
sofern die Belastungen ausgeprägt und dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Die Störungen sind nach
ihrer Art, Ausprägung, Auswirkungen und Dauer verschieden, die kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen Beschwerden
entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome
der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf die begrenzt zu sein.
Der Senat sieht auch keinen Anlass, an der Sachkunde der gehörten Sachverständigen zu zweifeln. Bei den beiden Sachverständigen
Dr. M und Dr. I handelt es sich um erfahrende Sachverständige auf dem psychiatrischem Fachgebiet, die vom Senat wiederholt
zur gutachterlichen Beurteilung von Folgen psychischer Traumen herangezogen worden sind. Sie verfügen über die Sachkunde psychiatrische
Sachverhalte gutachterlich zu beurteilen und sind mit den rechtlichen und medizinischen Vorgaben der Begutachtung von Folgen
psychischer Traumen vertraut. Desweiteren hat Dr. M nach eigener Urteilsbildung durch die Unterschriftsleistung die volle
fachliche und straf- und zivilrechtliche Verantwortung für den gesamten Inhalt des schriftlichen Gutachtens übernommen. Die
Heranziehung von Hilfspersonen, vorliegend die wissenschaftliche Mitarbeiterin M und die Oberärztin L, ist zulässig.
Die Ladung des Sachverständigen Dr. M zum Termin ist nicht erforderlich. Ein Sachverständiger ist zur Erläuterung seines Gutachtens
von Amts wegen mündlich zu hören, wenn das Gutachten unklar oder widersprüchlich ist, bestehende Zweifel durch schriftliche
Nachfragen nur unzugänglich geklärt werden können und ein Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf objektiv besteht (BSG, Urteil vom 12.04.2000 B 9 VS 2/99 R m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dem Kläger ist Gelegenheit gegeben worden, sein Fragerecht nach §
202 SGG i.V.m. §
411 Abs.
4 ZPO schriftlich auszuüben. Auf die vom Kläger erhobenen Einwände haben die beiden Sachverständigen Dr. M und Dr. I ergänzend
Stellung genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.