Sozialhilferecht: Begriff des "angemessenen" Hausgrundstücks i.S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG
Gründe:
I.
Die geschiedene Klägerin lebt mit vier minderjährigen Kindern in einem Reihenhaus in B. Das Haus steht im Alleineigentum der
Klägerin. Mit Bescheid vom 26.08.1993 gewährte die Beklagte der Klägerin ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen.
Das Hausgrundstück wurde nicht als geschütztes Vermögen i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG anerkannt. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.1995 zurück, weil der Verkehrswert
von ca. 300.000,-- zu hoch sei. Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben. Ihren Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 18.01.1996 ab. Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II.
Die Beschwerde ist zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, daß die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
166 VwGO i. V. m. §
114 ZPO). Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlaß zu abweichender Entscheidung.
1. Die Parteien streiten (lediglich) darüber, ob das Hausgrundstück der Klägerin als geschütztes Vermögen i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG anzusehen ist. Das ist nach summarischer Prüfung zu verneinen.
§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG hat seine derzeitige Fassung durch Art. 1 Nr. 3 b des 6. Änderungsgesetzes vom 10.12.1990 (BGBl. I S. 2644) erhalten. Nach der zuvor geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung vom 20.01.1987, BGBl. I S. 401, 494) durfte die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung eines kleinen Hausgrundstücks,
besonders eines Familienheims, wenn der Hilfesuchende das Hausgrundstück allein oder zusammen mit Angehörigen, denen es nach
seinem Tode weiter als Wohnung dienen soll, ganz oder teilweise wohnt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war die Frage, ob ein Hausgrundstück als "klein" anzusehen ist und deshalb
zum Schonvermögen gehört, nach der sog. Kombinationstheorie zu beurteilen (vgl. BVerwGE 47, 103, 108 = BayVBl. 1975, 278 LS; 59, 294, 296 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.1.1991 = BayVBl. 1991, 373, 374). Diese Betrachtungsweise stützt sich auf den sozialhilferechtlichen Individualisierungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 BSHG) und gebietet, personenbezogene Kriterien, nämlich die Zahl der Bewohner des Hausgrundstücks und ihre Wohnbedürfnisse, sowie
sach- und wertbezogene Kriterien, nämlich die Größe des Grundstücks sowie seinen Wert einschließlich der Baulichkeit, kombiniert
zu berücksichtigen, sofern sich zu ihnen im Einzelfall in tatsächlicher Hinsicht berücksichtigungsfähige Anhaltspunkte ergeben
(BVerwGE 59, 294, 297; BVerwG, Urt. v. 17.1.1991, a.a.O.).
An diese Auslegung hat der Gesetzgeber in der am 01. Januar 1991 in Kraft getretenen Neufassung des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG angeknüpft (Senatsurteil vom 13.10.1992 - 2 BA 21/92 -).
2. Ob ein Hausgrundstück - bei sozialhilferechtlicher Betrachtungsweise - als "angemessen" einzustufen ist, ist demnach aufgrund
einer Gesamtwürdigung der in § 88 Abs. 2 Nr. 7 Satz 2 und 3 BSHG genannten personen- und wertbezogenen Kriterien zu entscheiden. Diese Gesamtwürdigung ergibt, daß das Hausgrundstück der
Klägerin jedenfalls deshalb nicht als "angemessen" i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG angesehen werden kann, weil der Verkehrswert zu hoch ist.
a) Die kombinierte Betrachtungsweise darf nicht dahingehend verstanden werden, daß der Verkehrswert zu vernachlässigen ist,
wenn die Größe der Baulichkeit sowie ihr Zuschnitt und die Ausstattung bezogen auf die Zahl der zu berücksichtigenden Bewohner
nicht unangemessen sind (vgl. BVerwG, U. v. 17.01.1980 - 5 C 48.78 - = BVerwGE 59, 294; OVG Bremen, U. v. 13.10.1992 - 2 BA 21/92 -). Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, daß das Grundstück auch in wertmäßiger Hinsicht als "angemessenes Hausgrundstück"
angesehen werden kann.
Das gilt auch nach der Neufassung des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG. Der Auffassung der Klägerin, ein Familienheim und eine eigengenutzte Eigentumswohnung seien unabhängig vom Verkehrswert
geschützt, wenn die in § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG angesprochenen Grenzen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes eingehalten werden, ist nicht zu folgen. Zum einen nimmt der Wortlaut
des Gesetzes insoweit nur auf das Merkmal der Größe Bezug ("unangemessen groß"); zum anderen wäre eine solche Auslegung mit
den Grundprinzipien des Sozialhilferechts, insbesondere dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 BSHG), der auch für das Schonvermögen gilt (BVerwGE 47, 106, 108), nicht zu vereinbaren. Der Verkehrswert des Hausgrundstücks stellt vielmehr auch nach der Änderung des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG eine Bezugsgröße von erheblichem Gewicht dar (im Ergebnis ebenso: OVG Lüneburg, U. v. 12.06.1995 - 12 L 2513/94 - = NJW 1995, 3202 f.).
b) Im Widerspruchsbescheid geht die Beklagte von einem Verkehrswert des Hausgrundstücks von ca. DM 300.000,-- aus. Diese Annahme
ist nach der Aktenlage nicht zu beanstanden.
Der Kaufpreis betrug nach dem notariellen Kaufvertrag vom 22.12.1987 DM 246.950,--. In der Folgezeit ist unstreitig ein wertsteigender
Dachgeschoßausbau vorgenommen worden. Das Haus hat danach 6 Zimmer, Küche, Bad mit einer Wohnfläche von insgesamt ca. 140
mý. Berücksichtigt man zudem die allgemeine Preissteigerung, ist die Annahme eines Verkehrswerts von DM 300.000,-- nachvollziehbar.
Dem entspricht zudem, daß nach einem Vermerk in der Behördenakte (vom 13.10.1994, Bl. 39 BA) für vergleichbare Häuser in derselben
Straße Preise in dieser Höhe erzielt worden sind.
Die Klägerin hält zwar die Annahme eines Verkehrswerts von DM 300.000,-- zu hoch; hinreichend begründete Anhaltspunkte für
eine niedrigere Wertschätzung zeigt sie jedoch nicht auf. Die Grundstücksbelastungen fallen nicht wertmindernd ins Gewicht
(BVerwGE 47, 103, 109; BVerwG, U. v. 26.10.1989 - 5 C 34/86 - = NJW 1990, 1309, 1312).
c) Begegnet hiernach die Annahme eines Verkehrswerts von DM 300.000,-- keinen durchgreifenden Bedenken, kann das Hausgrundstück
nicht mehr als "angemessen" i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG eingestuft werden.
Nach der zu § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a. F. ergangenen Rechtsprechung sind deutlich geringere Verkehrswerte nicht mehr dem Schonvermögen zugeordnet worden (u.a.
BVerwG, U. v. 26.10.1989, a.a.O.: mindestens DM 200.000,-- Verkehrswert; OVG Lüneburg, FEVS 41, 453, 457: ca. DM 180.200,--
Verkehrswert; OVG Münster, FEVS 31, 341: DM 238.000,-- Verkehrswert; OVG Koblenz, U. v. 13.09.1990 - 12 A 10183/90.OVG -: DM 275.000,-- Verkehrswert; OVG Lüneburg, B. v. 12.11.1992 - 4 L 5456/92 -: DM 260.000,-- Verkehrswert; OVG Lüneburg, U. v. 12.06.1995 - 12 L 2513/94 - = NJW 1995, 3202: DM 285.000,-- Verkehrswert).
Der Senat hat im Urteil vom 13.10.1992 (2 BA 21/92) - ebenfalls im Falle einer geschiedenen Frau mit vier in deren Haus lebenden Kindern - entschieden, daß ein Hausgrundstück
mit einem Verkehrswert zwischen DM 200.000,-- und DM 220.000,-- nicht mehr als geschütztes Vermögen i. S. des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a. F. anzusehen ist. In diesem Urteil ist auf die Immobilienspiegel des Ringes Deutscher Makler (RDM) verwiesen worden, die
für Bremen in dem Arbeitskreis der Sachverständigen im RDM-Fachverband Bremen erarbeitet und jährlich aktualisiert werden,
wobei dem Arbeitskreis ausschließlich öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige angehören. Aus ihnen ergibt sich
- wie im erwähnten Senatsurteil festgestellt -, daß im 1. Quartal 1989 in Bremen für Reihenhäuser (Mittelhäuser ohne Garage)
mit einfachem Wohnwert (dieser Wert setzt sich aus der Lagekomponente und der Qualitätskomponente zusammen) und ca. 100 mý
Wohnfläche Schwerpunktpreise von DM 120.000,-- und für Reihenhäuser in gleicher Art mit mittlerem Wohnwert und ca. 125 mý
Wohnfläche Schwerpunktpreise von DM 180.000,-- erzielt wurden. Für das 1. Quartal 1990 betragen die Vergleichszahlen DM 120.000,--
und DM 200.000,- - (mittlerer Wohnwert ca. 100 mý Wohnfläche), für das 1. Quartal 1991 DM 130.000,-- und DM 220.000,--.
Darüber hinaus ist im erwähnten Urteil des Senats die Aufstellung der "Gesamtkaufpreise von 1- und 2- Familienhäusern im Vergleich
der Jahre 1987 bis 1990" in Bremen, die vom Gutachterausschuß für Grundstückswerte bei der Kataster- und Vermessungsverwaltung
Bremen erstellt worden ist, herangezogen worden. Danach wurden 1989 in Bremen rd. 54 % der 1- und 2-Familienhäuser zu einem
Preis bis zu DM 200.000,-- veräußert, und zwar etwa 12 % bis zu DM 100.000,-- und etwa 42 % bis zu DM 200.000,--. Im Jahre
1990 lagen in rd. 45 % der Verkaufsfälle die Preise bei bis zu DM 200.000,--, in etwa 7 % bei bis zu DM 100.000,-- und etwa
38 % bei bis zu DM 200.000,--.
Berücksichtigt man vor diesem Hintergrund, daß der Kaufpreis für das Objekt der Klägerin 1987 bereits bei rd. DM 247.000,--
lag und in der Folgezeit unstreitig (auch noch) ein wertsteigender Dachgeschoßausbau vorgenommen worden ist, so wird deutlich,
daß das klägerische Hausgrundstück - bezogen auf den für die Entscheidung maßgeblichen Zeitraum (ab 01.09.1993) - nicht mehr
als "angemessen" i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG angesehen werden kann, und zwar selbst dann nicht, wenn man zugunsten der Klägerin auch davon ausginge, daß die Neufassung
des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG nicht nur bei den Wohnflächengrenzen zu berücksichtigen sein sollte (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 12.06.1995, a.a.O, für einen
Verkehrswert von mindestens DM 285.000,--).
d) Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, daß das Hausgrundstück deshalb als geschützt i. S. von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG anzusehen ist, weil es mit öffentlichen Mitteln gefördert worden ist und wird. Ein solcher Zusammenhang ist weder im Gesetz
angelegt, noch ergibt er sich zwingend aus Sinn und Zweck der Förderung des Wohnungsbaus aus öffentlichen Mitteln. Diese Förderung
ist nicht etwa auf Wohnobjekte beschränkt, die § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG unterfallen.
e) Schließlich führt der Hinweis der Klägerin auf die Härteregelung in § 88 Abs. 3 BSHG zu keinem anderen Ergebnis. § 88 Abs. 3 BSHG verlangt nicht die gänzliche Freilassung des Vermögens. Vielmehr kann einer Härte auch dadurch begegnet werden, daß Sozialhilfe
in Form eines Darlehens bei dinglicher Sicherung durch das vorhandene Vermögen gewährt wird. Ist aber diese Form der Sozialleistung
statthaft, spielt es keine Rolle, ob die Beklagte - wie hier - die Voraussetzungen des § 89 BSHG als erfüllt angesehen hat, oder ob insoweit ein Härtefall nach § 88 Abs. 3 BSHG vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.1974 - V C 50.73 - = BVerwGE 47, 103, 111). Gründe dafür, daß die Klägerin aus Härtegründen von jeder Form des Einsatzes ihres Hausgrundstücks freizustellen war,
sind nicht zu erkennen.