Sozialhilferecht: Kosten für diätätische Ernährung als besondere Belastungen, Nachträgliche Verringerung des einzusetzenden
Einkommens
Tatbestand:
Der Kläger greift einen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid an, durch den er zur Rückzahlung von Pflegegeld für die Jahre
1987 und 1988 verpflichtet wird.
Er wurde im Jahre 1913 geboren und ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 % anerkannt. Er lebt zusammen
mit seiner Ehefrau in einem Zweifamilienhaus, das seine Ehefrau von ihrem Vater geerbt hat und das sie im Jahre 1984 ihrem
gemeinsamen Sohn übertragen hat, der mit seiner Familie ebenfalls in dem Haus wohnt. Seit September 1982 bezieht der Kläger
das sog. pauschalierte Grundpflegegeld nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BSHG, das ihm in jeweils voller Höhe bewilligt wurde, da sein Renteneinkommen die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschritt.
Durch Bescheid vom 10. Dezember 1986 setzte der zuständige Rentenversicherungsträger für die Ehefrau des Klägers rückwirkend
zum 1. April 1985 ein Altersruhegeld fest, das in den Jahren 1987 und 1988 zwischen 144,48 DM und 153,29 DM lag. Die Beklagte
nahm, als der Kläger im Januar 1989 u.a. eine Erhöhungsmitteilung über die Rente seiner Ehefrau vorlegte, eine Neuberechnung
der Einkommensgrenze vor und ermittelte eine Überzahlung von 2.157,06 DM für die Jahre 1987 und 1988 (vgl. Bl. 215/216 und
233 Rücks. d. Sozialhilfeakte). Im Juli 1989 machte der Kläger geltend, seine Ehefrau sei Diabetikerin und bedürfe einer kostenaufwendigeren
Ernährung. Dies nahm die Beklagte zum Anlaß, ab Juli 1989 bei der Berechnung der Einkommensgrenze eine "besondere Belastung"
(§ 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG) in Höhe von 155,-- DM zu berücksichtigen (vgl. Berechnungsbogen für das ADV-Verfahren Bl. 254 d. Sozialhilfeakte). Dieser Betrag entspricht dem in der Fachlichen Weisung zu § 23 Abs. 4 Nr. 2 BSHG vorgesehenen Betrag für kostenaufwendigere Ernährung bei Diabetes mellitus (vor dem 1. Oktober 1988 waren insoweit 119,--
DM vorgesehen).
Durch Bescheid vom 3. August 1989 nahm die Beklagte die den Zeitraum von Januar 1987 bis Dezember 1988 betreffenden Bewilligungsbescheide
unter Hinweis auf § 45 SGB X zurück, da der Kläger die Rente seiner Ehefrau nicht bekannt gegeben habe. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte
der Kläger vor allem geltend, er könne nicht einsehen, daß der Mehrbedarf für kostenaufwendigere Ernährung nicht schon für
die Jahre 1987 und 1988 anerkannt werde, da er doch ab Juli 1989 von der Beklagten berücksichtigt worden sei. Seine Ehefrau
sei nicht von heute auf morgen erkrankt, sondern leide schon seit 1982 an Diabetes mellitus.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. August 1990 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die maßgeblichen Bewilligungen seien
rechtswidrig gewesen, da davon ausgegangen worden sei, daß die Ehefrau des Klägers kein eigenes Einkommen habe. Er genieße
auch keinen Vertrauensschutz. Der für die Jahre 1987 und 1988 gleichfalls geltend gemachte Mehrbedarf für kostenaufwendigere
Ernährung könne für die Vergangenheit nicht mehr berücksichtigt werden. Dem stehe § 5 BSHG entgegen.
Der Kläger hat mit seiner dagegen erhobenen Anfechtungsklage seinen Rechtsstandpunkt weiterverfolgt und insbesondere darauf
hingewiesen, daß die krankheitsbedingten Mehrbelastungen seiner Ehefrau berücksichtigt werden müßten, da sie ihre Rente für
diesen Mehrbedarf auch eingesetzt habe. Er hat ein Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. med. ... vom 9. November 1990
vorgelegt, in dem es heißt, daß seine Ehefrau wegen eines Diabetes mellitus auch in den Jahren 1987 und 1988 einer strengen
kostenaufwendigeren Diät bedurft habe. -- Soweit der Mehrbedarf die Höhe der Rente unterschritt (119,-- DM bis September 1988),
so daß frei verfügbare Teile der Rente verblieben, hat der Kläger nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis seine Klage
zurückgenommen; es sind damit nur noch 2.027,31 DM im Streit. Insoweit hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide
durch Gerichtsbescheid vom 24. Juni 1991 aufgehoben: Der Mehrbedarf für kostenaufwendigere Ernährung sei im Rahmen des § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG bei der Berechnung der maßgeblichen Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Dies führe dazu, daß die Hilfe in der noch streitigen
Höhe zu Recht bewilligt worden sei. Die Regelung des § 5 BSHG stehe der nachträglichen Berücksichtigung des Mehrbedarfs nicht entgegen. Im Rahmen der Frage, ob ein begünstigender Verwaltungsakt
wegen Rechtswidrigkeit rücknehmbar sei und ob er zugunsten des Hilfeempfängers für die Vergangenheit korrigiert werden könne,
komme § 5 BSHG nur eingeschränkte Bedeutung zu.
Gegen den am 8. Juli 1991 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 5. August 1991 Berufung eingelegt, mit der sie
der vom Verwaltungsgericht zu § 5 BSHG vertretenen Rechtsansicht widerspricht.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 26. Juni 1991 aufzuheben und die Klage, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er weist darauf hin, daß ihm die gewährten Leistungen materiellrechtlich zugestanden hätten, auch wenn dies auf anderen tatsächlichen
Voraussetzungen beruhe, als auf denjenigen, von denen die Beklagte bei Erlaß ihrer Bescheide ausgegangen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den angefochtenen Gerichtsbescheid sowie die den Kläger
betreffende Sozialhilfeakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind zu Recht aufgehoben
worden, da sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§
113 Abs.
1 Satz 1
VwGO).
Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide sowie das Erstattungsverlangen der Beklagten setzten voraus, daß die Bewilligung insoweit
rechtswidrig war, die Leistungen dem Kläger also materiell-rechtlich nicht zustanden (§§ 45, 50 Abs. 1 u. 2 SGB X). Dies ist indes in Höhe des noch streitigen Betrages nicht der Fall.
1. Nach den insoweit vom Kläger nicht angegriffenen Berechnungen überstiegen sein Einkommen und das seiner Ehefrau die von
der Beklagten errechnete Einkommensgrenze nach § 81 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 79 Abs. 1 BSHG um einen Betrag, der in dem betreffenden Zeitraum zwischen 123,48 DM und 138,38 DM schwankte. Dabei hat die Beklagte 70 %
des jeweils überschießenden Betrages als zumutbaren Eigenanteil angesetzt und insoweit eine Überzahlung angenommen. Bei der
Prüfung, welcher Eigenanteil angemessen ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 BSHG), hat die Beklagte indessen "besondere Belastungen" im Sinne von § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG hinsichtlich der Ehefrau nicht berücksichtigt. Dies ist fehlerhaft und führt dazu, daß bei einer entsprechenden Berücksichtigung
dieser Belastungen sich eine Überzahlung nicht ergibt, die Bewilligung von Pflegegeld also nicht aus dem von der Beklagten
angenommenen Grund rechtswidrig ist.
a) Die Höhe der zu gewährenden Hilfe in Form des pauschalierten Pflegegeldes hängt nach § 28 BSHG davon ab, in welchem Umfang dem Kläger und seiner Ehefrau die Aufbringung der benötigten Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen
nach den Bestimmungen des Abschnittes 4 des Bundessozialhilfegesetzes nicht zuzumuten ist. Hinsichtlich des hier nur interessierenden
Einkommens enthalten die Unterabschnitte 1 und 2 des Abschnittes 4 die entsprechenden Bestimmungen über den Umfang des zumutbaren
Einkommenseinsatzes. Zunächst wird in den §§ 76 bis 78 BSHG geregelt, was insoweit zum berücksichtigungsfähigen Einkommen zählt. Bereits auf dieser Prüfungsstufe fallen zahlreiche Einkommensteile
(§ 76 Abs. 2 BSHG) bzw. zahlreiche Einkommensarten (§§ 76 Abs. 1, 77, 78 BSHG) durch das Berücksichtigungsraster. Die Rente der Ehefrau des Klägers ist allerdings berücksichtigungsfähiges Einkommen im
Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG, wobei die Beklagte zutreffend von der sog. Netto-Rente ausgegangen ist, da die Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 2 BSHG vorweg abzuziehen sind.
Dem Einkommen ist sodann bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen eine Einkommensgrenze gegenüberzustellen, anhand deren die
erwähnte Zumutbarkeitsfrage zu beantworten ist. Die Einkommensgrenze ist für den Kläger nach § 79 Abs. 1 BSHG mit dem erhöhten Grundbetrag nach § 81 Abs. 1 Nr. 5 BSHG zu errechnen. Dies hat die Beklagte getan und ist dabei zu den erwähnten, die Einkommensgrenze übersteigenden Beträgen gelangt.
"Besondere Belastungen" im Sinne von § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG hat sie nicht berücksichtigt. Dies ist indes zwingend vorgeschrieben; ein Ermessens steht der Beklagten bei der Anwendung
des § 84 Abs. 1 BSHG nicht zu (BVerwG, Urt. v. 26.10.1989, ZfSH/SGB 1990 S. 358 = NDV 1990 S. 57).
Der Ehefrau des Klägers erwuchsen in dem betreffenden Zeitraum "besondere Belastungen" durch die Diät wegen ihres Diabetes
mellitus. Dies steht nach Überzeugung des Senats fest, da das von dem Kläger eingereichte ärztliche Attest (Bl. 24 d.A.) insoweit
keine Zweifel aufkommen läßt. Die Beklagte bestreitet den Umstand besonderer Belastungen auch nicht; sie will ihn lediglich
aus Gründen, auf die noch einzugehen ist, nicht "rückwirkend" berücksichtigen. Wenn man mithin in tatsächlicher Hinsicht davon
ausgeht, daß die Ehefrau des Klägers wegen ihrer Erkrankung eine kostenaufwendigere Ernährung zu bestreiten hatte, stellt
sich die Rechtsfrage, wie dieser Umstand bei der Ermittlung des zumutbaren Eigenanteils (§ 28 BSHG) zu berücksichtigen ist. Insofern hat die Beklagte in ihrer Fachlichen Weisung zu §§ 79 bis 87 BSHG (sowohl in der Fassung vom 9.2.1982, SR 18/82, als auch in der Fassung vom 31.3.1988, SR 5/88, jeweils Nr. 4.2 nebst Anlage
2) "Aufwendungen bei Krankheit" als besondere Belastung im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 angesehen. Dem ist ohne weiteres aus
Rechtsgründen zu folgen (ebenso z.B. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, Komm. 13. Aufl. § 84 Rdnr. 13). Ferner ist festzustellen, daß "besondere Belastungen" vom zu berücksichtigenden Einkommen abzuziehen sind (vgl.
BVerwG, Urt. v. 26.10.1989, a.a.O.). Insoweit ist allerdings der Wortlaut des § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG mißverständlich, denn er könnte die Annahme nahelegen, die "besonderen Belastungen" verringerten den zuvor ermittelten Eigenanteil
des Hilfesuchenden. Diese Berechnungsweise wäre für den Hilfesuchenden günstiger, denn der Eigenanteil ist regelmäßig schon
um einen Prozentsatz des übersteigenden Einkommens gekürzt, so daß ein doppelter Kürzungseffekt einträte. Dies ist indes nicht
gerechtfertigt, so daß die allgemeine Meinung zu Recht annimmt, die besonderen Belastungen verringerten lediglich das zu berücksichtigende
Einkommen.
Die konkrete Höhe der abzuziehenden "besonderen Belastungen" ist entsprechend der Fachlichen Weisung der Beklagten zu § 23 BSHG -- Mehrbedarf Ernährung -- vom 4. Februar 1982 (SR 8/82) mit 119,-- DM bis einschließlich September 1988 und danach mit 155,--
DM anzunehmen. Diese Beträge beruhen auf fachwissenschaftlichen Erkenntnissen und finden in der Verwaltungspraxis aller Sozialhilfeträger
seit langem Anwendung. Daher besteht keine Veranlassung, hier die besondere Belastung der Ehefrau des Klägers mit einer anderen
Höhe anzusetzen. Soweit diese besonderen Belastungen das errechnete übersteigende Einkommen nicht erreichen und damit aufgezehrt
haben, hat der Kläger die Klage zurückgenommen. Für die Zeit ab Oktober 1988 war das übersteigende Einkommen geringer als
die besonderen Belastungen, so daß in Wahrheit kein übersteigendes Einkommen nach § 84 Abs. 1 BSHG verblieb und damit gemäß § 79 Abs. 1 BSHG eine Aufbringung von Mitteln nicht zumutbar war. Ein Fall des Einsatzes unter der Einkommensgrenze liegenden Einkommens (§
85 BSHG) ist nicht gegeben.
b) Die nachträgliche Berücksichtigung besonderer Belastungen berührt hier entgegen der Ansicht der Beklagten nicht den aus
§ 5 BSHG und den Strukturprinzipien der Sozialhilfe entwickelten Grundsatz, daß Hilfe für die Vergangenheit grundsätzlich nicht zu
gewähren ist. Auch der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, wonach die Problematik des § 5 BSHG hier zwar angesprochen sei, der Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang aber nur eine -- nicht näher definierte -- eingeschränkte
Bedeutung zukomme, vermag der Senat nicht zuzustimmen. Die nachträgliche Berücksichtigung besonderer Belastungen betrifft
die Ebene der Einkommensermittlung bzw. -- mit anderen Worten -- die Frage, in welchem Umfang der Hilfesuchende zur Selbsthilfe
im Hinblick auf die gewährte Hilfe in der Lage war oder in welchem Umfang Einkommen gegebenenfalls für andere Zwecke verwendet
werden durfte. Ergibt diese Ermittlung -- wie hier --, daß ihm eine Selbsthilfe nicht möglich war, ist die gewährte Hilfe
zu Recht erbracht. Um eine nachträgliche Hilfegewährung geht es daher bei diesen Fallgestaltungen nicht. Allerdings ist der
gedankliche Ansatz der Beklagten insoweit zutreffend, als zwischen dem Einkommen (der Selbsthilfemöglichkeit) und dem Bedarf,
der eine Hilfegewährung notwendig macht, regelmäßig ein enger Zusammenhang besteht: Je geringer das Einkommen, desto höher
ist die zu gewährende Hilfe. Daher könnte man zu der Überlegung verleitet werden, es mache keinen Unterschied, ob nachträglich
eine weitere Hilfe zuerkannt oder ein geringeres Einkommen anerkannt werde. Das nachträgliche "Rechtmäßig-Machen" bereits
erhaltener Hilfe sei -- so lautet wohl die Überlegung der Beklagten -- wegen des engen Zusammenhangs zwischen Einkommen und
Bedarf wie eine nachträgliche Hilfegewährung zu werten und daher unzulässig. Hieran ist richtig, daß ein Hilfesuchender, der
sein Einkommen nicht in voller Höhe angegeben hat, nicht nachträglich die infolgedessen erhaltene höhere Hilfe damit rechtfertigen
kann, er habe sich z.B. Gegenstände des notwendigen Lebensunterhalts, für die er eine einmalige Beihilfe hätte beanspruchen
können, selbst beschafft. In derartigen Fällen dürfte der Hilfesuchende in der Tat mit seinem Verhalten die Notwendigkeit
einer vorherigen Bewilligung der Hilfe unterlaufen haben. Er hätte sich nämlich die Hilfe selbst bewilligt, anstatt sein vorhandenes
Einkommen zur Deckung des vom Sozialhilfeträger anerkannten Bedarfs einzusetzen. Wenn indes dieser Zusammenhang zwischen Einkommen
und Bedarf nicht besteht, das Gesetz vielmehr die Ermittlung des Einkommens von Bedarfsgesichtspunkten befreit hat, trägt
dieser Gedanke nicht mehr. So liegt es hier:
Schon auf der anfangs erwähnten Ebene der Einkommensberechnung nach den §§ 76 bis 78 BSHG zeigt sich, daß die dort enthaltenen Regelungen über besondere Fälle, in denen Einkommen nicht zu berücksichtigen ist bzw.
geringer angesetzt werden kann, nicht gleichsam die Kehrseite einer an sich im Sinne des § 5 BSHG notwendigen Anerkennung eines Bedarfs sind. Die Grundrente (§ 76 Abs. 1 BSHG) ist z.B. völlig von Bedarfsgesichtspunkten gelöst: Wofür der Hilfesuchende sie verwendet, bleibt ihm überlassen. Dasselbe
gilt für Einkommen nach § 77 Abs. 2 BSHG und Zuwendungen nach § 78 BSHG. Der Sozialhilfeträger muß nicht die Voraussetzungen des § 78 BSHG ("Rechtfertigung" der Zuwendung nach § 78 Abs. 1 BSHG bzw. "Härte" nach § 78 Abs. 2 BSHG) im Vorwege anerkennen. Die Einkommensebene ist hier verselbständigt. Noch deutlicher wird dies bei den Absetzungen von Einkommensteilen
nach § 76 Abs. 2 BSHG: Die von dem Hilfesuchenden in freier Entscheidung getätigten Ausgaben nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BSHG stellen keine verkappte Bedarfsdeckung dar. Das Bundessozialhilfegesetz hat dem Hilfesuchenden vielmehr gestattet, über sein Einkommen in gewissen Grenzen frei zu verfügen. Die entsprechenden Ausgaben
brauchen nicht im Vorwege (§ 5 BSHG) genehmigt, sondern lediglich im Nachhinein gegebenenfalls anerkannt zu werden. Der Gesetzgeber hätte dies freilich auch
anders regeln können: Er hätte Beiträge zu privaten Versicherungen und Werbungskosten als Bedarf des Hilfesuchenden vorsehen
können mit der Folge, daß diese Aufwendungen in die Bedarfsberechnung eingehen müßten und die zu gewährende (ergänzende) Hilfe
erhöhen würden. Rein rechnerisch betrachtet -- hierin dürfte die Ansicht der Beklagten ihre Ursache haben -- führt dies zum
selben Ergebnis, wenn man nur die Höhe der letztlich gewährten Hilfe betrachtet. Diese Betrachtungsweise würde indes den Unterschied
verschleiern zwischen der Anerkennung von Aufwendungen als Bedarf und ihrer Berücksichtigung als einkommensmindernder Posten.
Als Bedarf müßten sie sich im Rahmen der sozialhilferechtlichen Prinzipien halten, d.h. strikt notwendig sein und vor allem
als Notlage bekanntgemacht werden (§ 5 BSHG). Der Gesetzgeber wollte indes diese Prinzipien bei Personen mit eigenem Einkommen lockern, da diesem Personenkreis eine
größere Verfügungsfreiheit über das Einkommen zustehen soll (vgl. auch § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG). Dies wirkt sich etwa bei den Beiträgen zu den privaten Versicherungen dadurch aus, daß sie lediglich "angemessen", indes
nicht "notwendig" zu sein brauchen (§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG). Und ferner bedeutet diese Verfügungsfreiheit, daß diese Aufwendungen nicht wie sozialhilferechtlicher Bedarf im Vorwege
"angemeldet" zu werden brauchen. Der hier herausgestellte Unterschied zwischen der Bedarfsebene einerseits und der Ebene der
Einkommensabzüge andererseits wird im übrigen stets zu Recht betont, wenn Hilfesuchende ohne eigenes Einkommen Hilfen für
private Versicherungen (Hausrat, Haftpflicht) im Rahmen des § 12 BSHG begehren. Bei dieser Gelegenheit wird regelmäßig darauf verwiesen, daß die Berücksichtigung von Versicherungsbeiträgen nach
§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG nichts dafür besage, daß derartige Aufwendungen zum notwendigen Lebensunterhalt nach § 12 BSHG gehörten, so daß Hilfe nicht zu gewähren sei. Die §§ 11 ff. BSHG einerseits und § 76 BSHG andererseits haben eine unterschiedliche Zielsetzung; im ersten Fall wird der notwendige Lebensunterhalt umschrieben, im
zweiten, was zum Einkommen des Hilfesuchenden gehört. Es ist nicht dasselbe, ob ein einkommensloser Hilfesuchender Anspruch
auf eine Versicherung aus Mitteln der Sozialhilfe haben soll, oder ob dem Bezieher eines Einkommens gestattet wird, einen
Teil seiner Einkünfte für eine Vorsorgemaßnahme zu verwenden, ohne dadurch den Anspruch auf sonstige Hilfe zu verlieren. Je
mehr eigenes Einkommen der Hilfesuchende hat, desto eher kann es gerechtfertigt sein, ihm die eigenverantwortliche Disposition
über seine Mittel im Rahmen vernünftiger Zwecke nicht zu verwehren (VGH München, Urt. v. 31.1.1991, FEVS Bd. 42 S. 48, 51).
Für die besonderen Belastungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG gilt das zuvor Gesagte gleichermaßen: Sie ermöglichen einen Abzug vom Einkommen und stellen etwas anderes als einen sozialhilferechtlichen
Bedarf dar (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 10.11.1965, FEVS Bd. 13 S. 41, 45). Andernfalls hätte der Gesetzgeber zu einer
anderen Regelungstechnik greifen müssen und im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen -- nur für sie gilt § 84 BSHG -- besondere Belastungen als Bedarf anerkennen müssen, der eine zusätzliche Hilfe auslöste. Dies würde -- wie der vorliegende
Fall zeigt -- oftmals dann scheitern, wenn besondere Belastungen den Bedarfslagen der Hilfe zum Lebensunterhalt zuzurechnen
wären und wegen vorhandenen Einkommens eine Hilfe nicht möglich wäre. Auch im vorliegenden Fall erhält die Ehefrau des Klägers
-- entgegen der Ansicht der Beklagten -- keinen Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 4 Nr. 2 BSHG. Dies ist nicht möglich, weil das Einkommen der Eheleute zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts einschließlich der
Mehrbedarfe ausreicht (§ 11 Abs. 1 BSHG). Die Anerkennung von besonderen Belastungen aufgrund krankheitsbedingter Mehraufwendungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG ist etwas anderes als eine Hilfeleistung für einen anerkannten Bedarf. Bei § 84 BSHG (und § 28 BSHG) geht es um die Zumutbarkeit der Aufbringung eigener Mittel; das ist eine andere Kategorie als die sozialhilferechtliche
Notwendigkeit der Deckung eines Bedarfs, die vorliegen muß, wenn hierfür Hilfe beansprucht wird (vgl. zu diesen unterschiedlichen
Ebenen BVerwG, Urt. v. 10.11.1965, a.a.O., S. 45). Die Ehefrau des Klägers benötigte keine Sozialhilfeleistungen, sie war
auch nicht Hilfeempfängerin des Pflegegelds. Sie konnte über ihr Einkommen eigenverantwortlich disponieren und hat es -- wie
jetzt feststellbar ist -- im Ergebnis zu Recht für besondere Belastungen eingesetzt.
Die hier dargelegte Trennung der Bedarfs- und Einkommensebene ist kein "Freibrief" für das Verschweigen von Einkommen. Der
Hilfesuchende wird gut daran tun, seine Einkommenslage stets vollständig zu offenbaren. Dies ist schon deshalb ratsam, weil
damit späteren Streitfällen entgegengewirkt werden kann und er auch nicht das Risiko trägt, die Rechtslage falsch eingeschätzt
zu haben. Für den Hilfesuchenden ist nämlich die nachträgliche Klärung seiner Einkommenslage durchaus risikobehaftet. Zum
einen wird er die Einkommensabzüge und auch die besonderen Belastungen zu beweisen haben -- was nachträglich schwerer sein
dürfte --, zum anderen kann sich herausstellen, daß die entsprechenden Beträge nach den einschlägigen Bestimmungen nicht anerkannt
werden können. Die Verpflichtung des Hilfesuchenden, Veränderungen in seinen Einkommensverhältnissen unverzüglich anzugeben,
hat unter diesem Aspekt einen vernünftigen Sinn. Allerdings ist diese Verpflichtung nicht Selbstzweck; der Hilfesuchende braucht
Einkommen, von dem er meint, es sei nach dem zuvor Gesagten nicht berücksichtigungsfähig, nicht anzugeben, wenn er das Risiko
tragen will, sich getäuscht zu haben (vgl. dazu BSG, Urt. v. 12.2.1980, SozR 4100, § 152 AFG Nr. 10). Die Nichtangabe von unerheblichen Tatsachen (vgl. §
60 Abs.
1 Nr.
1 u. 2
SGB I) führt jedenfalls nicht um ihrer selbst Willen zu sozialhilferechtlichen Sanktionen oder gar zur Rechtswidrigkeit von Bewilligungsbescheiden
(vgl. BSG, Urt. v. 12.2.1980, a.a.O.; Freitag, BochKomm., SGB-AT §
60 Rdnr. 24 u. 26 f.; Hauck/Haines,
SGB I §
60 Rdnr. 9; Burdenski/v.Maydell/Schellhorn,
SGB I, 2. Aufl., Vorbem. §§
60 -- 67, Rdnr. 3). Wirken sich verschwiegene Tatsachen materiell-rechtlich nicht auf den Leistungsanspruch aus, bleibt das
Verschweigen folgenlos. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Kläger die Rente seiner Ehefrau der Beklagten "rechtzeitig"
bekanntgegeben hat.
2. Die Bewilligung des Pflegegeldes in dem betreffenden Zeitraum könnte der Höhe oder sogar dem Grunde nach aus anderen als
den von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden angeführten Erwägungen rechtswidrig sein, etwa weil sonstige Rechenfehler
oder Rechtsfehler vorliegen. So wäre gegebenenfalls zu überprüfen, ob die Kosten der Unterkunft bei der Berechnung der Einkommensgrenze
(zugunsten des Klägers) zu hoch angenommen worden sind. Andererseits könnte festzustellen sein, daß bei der Berechnung der
Einkommensgrenze ab Juli 1987 die Erhöhung des Grundbetrags aufgrund der Zweiten Verordnung vom 11. Juni 1987 (BGBl. I S.
1547) (zu Lasten des Klägers) nicht berücksichtigt worden ist, die Beklagte aber gleichzeitig auch (zugunsten des Klägers) die
zum 1. Juli 1987 eingetretene Rentenerhöhung nicht beachtet hat. Schließlich könnten Fragen des Einsatzes von Vermögen eine
Bedeutung erlangen (vgl. aber insoweit den Widerspruchsbescheid vom 29. April 1987). Alles dies braucht indes nicht vertieft
zu werden, da es nicht Regelungsgegenstand der angefochtenen Bescheide ist; sie enthalten nur die Rücknahme wegen angeblicher
Rechtswidrigkeit aufgrund des Renteneinkommens der Ehefrau des Klägers. Würde man diesen von der Beklagten herangezogenen
Rücknahmegrund lediglich als Begründungselement für die angefochtenen Verwaltungsakte betrachten und damit den Regelungsgegenstand
der Bescheide erweitern, ergäbe sich nichts anderes: Auf andere Rechtswidrigkeitsgründe könnte die Rücknahme der Bewilligungsbescheide
schon deshalb nicht mit Erfolg gestützt werden, weil die Beklagte insoweit keine Ermessenserwägungen angestellt hat, die nach
§ 45 SGB X indes erforderlich wären (BVerwG, Urt. v. 8.6.1989, FamRZ 1990 S. 106, 108; Urt. v. 27.6.1991 -- BVerwG 5 C 4.88 --; Urt. d. Sen. v. 1.9.1989, OVG Bf IV 4/89). Es ist nämlich ein entscheidender Unterschied im Rahmen der Ausübung fehlerfreien Ermessens, ob die Beklagte ihre Bescheide
-- wie hier -- auf das Verschweigen von Einkommen stützt oder ob etwa ein sonstiger (einfacher) Rechenfehler nachträglich
korrigiert werden soll. Die dabei jeweils anzustellenden Überlegungen hätten den Vertrauensschutz des Klägers in erheblich
anderer Weise zu berücksichtigen und zu würdigen.