Sozialhilferecht: Adressat bei Rücknahme eines rechtswidrigen Sozialhilfebescheides
Tatbestand:
Der 1938 geborene Kläger, seine 1939 geborene Ehefrau und ihr gemeinsamer Sohn ..., geboren 1974, standen seit Anfang 1985
in der sozialhilferechtlichen Betreuung des Beklagten. Der Kläger bezog neben 50,- DM Kindergeld monatlich Arbeitslosenhilfe,
die sich im entscheidungserheblichen Zeitraum des Jahres 1986 auf wöchentlich 209,40 DM (= 907,40 DM monatlich) belief. Die
Mietkosten betrugen 526,59 DM zuzüglich einer Pauschale für Heiz- und Warmwasserkosten in Höhe von 169,62 DM.
In dem vom Kläger und seiner Ehefrau unterzeichneten Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe vom 2. Januar 1985 heißt es: "Ich
bin verpflichtet, unverzüglich und unaufgefordert Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen, die für die Leistung erheblich
sind, insbesondere in den Einkommens-, Vermögens-, Familien- und Aufenthaltsverhältnissen ..." Entsprechende Hinweise enthielten
die an den Kläger adressierten Bescheide über die Bewilligung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt.
Im August, September und Oktober 1986 wurde der Familie des Klägers mit an den Kläger adressierten Bescheiden Hilfe zum Lebensunterhalt
in Höhe von monatlich 712,09 DM (zuzüglich einer Nachzahlung aus vorangegangenen Monaten) bewilligt. Bei der Berechnung des
Hilfebedarfs ging der Beklagte von der Summe der auf die Familienmitglieder entfallenden, nach §§ 11, 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) berechneten Regelsätze aus und addierte die Unterkunftskosten. Vom so ermittelten Bedarfssatz rechnete er die dem Kläger
gezahlte Arbeitslosenhilfe und das Kindergeld ab. Das dem Kläger in Höhe von 279,-- DM monatlich bewilligte Wohngeld wurde
vom Beklagte unmittelbar vereinnahmt.
Am 23. September 1986 wurde dem Konto des Klägers nachgezahlter Kindergeldzuschlag gutgeschrieben. Auf Befragen des Beklagten
erklärte der Kläger hierzu am 3. November 1986, daß er für die Monate Januar bis Oktober 1986 eine Kindergeldzuschlagnachzahlung
in Höhe von 460,-- DM erhalten habe. Er sei nicht zur Erstattung dieser Nachzahlung bereit, weil er hiervon die Familienrechtsschutzversicherung
sowie die Telefonrechnung bezahlt habe. Auch sei er vom 8. Juli bis 16. August 1986 im Krankenhaus gewesen und habe in dieser
Zeit erhöhte Aufwendungen gehabt.
Mit an den Kläger adressierten Bescheid vom 27. November 1986 nahm der Beklagte die Bewilligungsbescheide für die Monate August
1986 in Höhe von 105,33 DM und Oktober 1986 in Höhe von 460,-- DM zurück und führte zur Begründung aus, daß der im Oktober
1986 nachgezahlte Kindergeldzuschlag Einkommen im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes sei. Da es nicht berücksichtigt worden
sei, sei im Oktober 1986 eine Überzahlung in Höhe von 460,-- DM eingetreten. Unter Berücksichtigung der weiteren, im Berufungsverfahren
nicht mehr strittigen Rückforderung der Sozialhilfeleistung für den Monat August 1986, forderte der Beklagte den Kläger auf,
zu Unrecht erhaltene 565,33 DM zu erstatten. Sollte der Kläger nicht in der Lage sein, den Betrag in einer Summe zu zahlen,
könne er einen Antrag auf Stundung stellen.
Mit seinem Widerspruch vertrat der Kläger u.a. die Ansicht, daß die Nachzahlung des Kindergeldzuschlags kein Einkommen, sondern
Vermögen darstelle. Dieses Vermögen sei nicht einzusetzen gewesen.
Der Oberkreisdirektor des ... wies den Widerspruch nach beratender Beteiligung sozialerfahrener Personen mit Bescheid vom
13. Juli 1987 zurück und führte zur Begründung aus, daß für August und Oktober 1986 in Höhe von zusammen 565,33 DM Sozialhilfe
zu Unrecht gewährt worden sei, weil in dieser Höhe kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt bestanden habe. Der Kindergeldzuschlag
sei in Höhe des Nachzahlungsbetrages von 460,-- DM als Einkommen im Oktober 1986 anzusetzen, da er im maßgeblichen Zeitraum,
nämlich dem Kalendermonat des Zuflusses, aufgebraucht worden sei. Das Vertrauen des Klägers in den Bestand der Sozialhilfebewilligungen
sei nicht schutzwürdig, weil er die Rechtswidrigkeit der Bewilligung gekannt bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt
habe. Die Rückzahlung werde nur verlangt werden, wenn der Kläger hierzu finanziell in der Lage sei.
Mit der am 13. August 1987 erhobenen Klage hat der Kläger vertiefend vorgetragen, daß der nachgezahlte Kindergeldzuschlag
der Deckung des Lebensunterhalts für in der Vergangenheit liegende Zeiträume gedient habe; mit Ablauf dieser Zeiträume sei
der Nachzahlungsbetrag dem Vermögen zuzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des ...
Kreises vom 13. Juli 1987 betreffend die Rückzahlung von Sozialhilfe aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, stattgegeben.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung vertritt der Beklagte unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin vom 24. Mai 1984 - 6 B 18/83 - Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1985, 822 die Ansicht, daß Sozialhilfebewilligungen zugunsten eines minderjährigen Kindes dann als Leistung an den Vater anzusehen
seien, wann dieser - rechtswidrig - Sozialhilfeleistungen an sein Kind dadurch erwirkt habe, daß er den Bezug von Kindergeldzuschlag
verschwiegen habe. In einer solchen Konstellation könne die dem Kind zu Unrecht gewährte Sozialhilfe vom Vater zurückgefordert
werden. Der nachgezahlte Kindergeldzuschlag müsse als Einkommen des Klägers berücksichtigt werden, da er die Nachzahlung nicht
für seinen Sohn verwandt habe. Wäre die Nachzahlung berücksichtigt worden, wären 433,09 DM Sozialhilfe nicht an den Sohn des
Klägers gezahlt worden.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen, als er mit seinem Bescheid vom 27. November 1986 in der
Gestalt dem Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des ... vom 13. Juli 1987 seinen Bescheid über die Bewilligung laufender
Hilfe zum Lebensunterhalt für Oktober 1986 hinsichtlich eines Bewilligungsbetrages in Höhe von 433,09 DM zurückgenommen und
die Erstattung von 433,09 DM überzahlter Hilfe zum Lebensunterhalt verlangt hat.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er teilt die Ansicht des Verwaltungsgerichts, daß die Rückforderung überzahlter Sozialhilfe nur gegenüber dem jeweiligen Leistungsempfänger
erfolgen könne.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verdichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der überreichten Verwaltungsvorgänge
des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid des Beklagten vom 27. November 1986 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors ... vom 13. Juli 1987 hinsichtlich des mit der Berufung allein noch zur
Entscheidung des Senats gestellten Umfangs rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, §
113 Abs.
1 Satz 1
VwGO.
Nach § 45 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB-X) darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt,
auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 (des § 45 Abs. 1 SGB-X) ganz oder
teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden. Wem gegenüber die Rücknahme zu erklären ist,
läßt sich dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB-X nicht zweifelsfrei entnehmen. Jedoch ergibt sich aus dem Zweck der Norm, die
Rücknehmbarkeit einer rechtswidrigen Begünstigung gegenüber dem Leistungsempfänger zu ermöglichen,
vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1987 - 5 C 39.85 - Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 78, 165 = Fürsorgerechtliche
Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 37, 1,
daß grundsätzlich gegenüber dem Leistungsempfänger, dem Begünstigten, die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes zu
erklären ist. Wer Leistungsempfänger gewesen ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des Bescheides; seine Adressierung ist ein
Indiz für die Bestimmung des Begünstigten.
Im dargelegten Sinne ist die Rechtsprechung des Senats zu verstehen, wenn es im Urteil vom 7. November 1985 - 8 A 448/84 - heißt, daß die Rücknahme einer Bewilligung von Sozialhilfe nur derjenigen Person gegenüber erklärt werden kann, die Adressat
des begünstigenden Verwaltungsaktes war.
Vgl. ferner Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NW) Urteil vom 2. September 1987 - 17 A 710/85 - Urteil vom 28.
September 1990 - 24 A 1623/88 -.
Als Begünstigter des an den Kläger adressierten Bewilligungsbescheides vom 22. September 1986 kommen nur die Ehefrau und der
Sohn des Klägers in Betracht. Wer vom diesen beiden Familienangehörigen in welchem Umfang Begünstigter des Bewilligungsbescheides
vom 22. September 1986, mit dem die Sozialhilfeleistungen für die Familie des Klägers für den Monat Oktober 1986 durch den
Beklagten geregelt wurden, ist, läßt sich dem Bewilligungsbescheid zwar nicht zweifelsfrei entnehmen. Es ist nicht dargelegt,
welchem Familienmitglied Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt werden sollte. Aufgrund der pauschalen Addition der auf die Familienmitglieder
(der "Bedarfsgemeinschaft") entfallenden Regelsätze und der undifferenzierten Summierung der Unterkunftskosten ist nicht nachvollziehbar,
wessen Bedarf befriedigt werden sollte. Auch ist nicht dargelegt, in welchem Umfang das seinen Bedarf überschießende Einkommen
des Klägers auf den Bedarf seiner Ehefrau bzw. seines Sohnes angerechnet wurden. Jedoch kommt der Kläger selbst als Begünstigter
nicht in Betracht, da sich aus dem Bescheid ergibt, daß das Einkommen des Klägers seinen rechnerischen Sozialhilfebedarf überstiegen
hat. Letztlich kann für die Entscheidung des Senats daher offenbleiben, in welchem Ausmaß die Ehefrau des Klägers bzw. sein
Sohn durch den Bewilligungsbescheid begünstigt werden sollten.
Da der Bewilligungsbescheid vom 22. September 1986 an den Sohn (bzw. an die Ehefrau) des Klägers gerichtet war, mußte ihm
(ihnen) gegenüber der Bewilligungsbescheid zurückgenommen werden. Der Senat vermag sich der vom Beklagten angeführten Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts Berlin,
Urteil vom 24. Mai 1984 - 6 B 18/83 - aaO,
auch nach erneuter Prüfung nicht anzuschließen, wonach dieser Grundsatz dann durchbrochen werde, wenn Sozialhilfeleistungen
für ein Kind durch Täuschungshandlungen des Sorgeberechtigten erwirkt werden. Etwaige Täuschungshandlungen des Sorgeberechtigten
haben von sich aus keinen Einfluß auf den Bestand der Bewilligungsbescheide, die, solange sie nicht gegenüber den Begünstigten,
also auch den minderjährigen Kindern, zurückgenommen sind, Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung sind.
Auch führte die etwaige Täuschungshandlung des Sorgeberechtigten nicht zu einer Leistung an ihn. Denn die auf die Kinder entfallenden
Sozialhilfeleistungen haben deren "Vermögen" unmittelbar vermehrt, nicht hingegen das Vermögen des gesetzlichen Vertreters.
Vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 18. Juli 1985 -- 4 B 52/84 -- FEVS 36, 16.
Es kommt demnach für die Senatsentscheidung nicht darauf an, ob der Kläger Sozialhilfeleistungen für seinen Sohn rechtswidrig
erwirkt hat. Ferner kann dahinstehen, ob der Beklagte den nachgezahlten Kinderzuschlag zu Recht als Einkommen des Klägers,
und zwar zudem als im Oktober 1986 erzieltes Einkommen angesehen hat.
Da die Aufhebung des Bewilligungsbescheides rechtswidrig ist, scheitert das auf § 50 SGB-X gestützte Erstattungsverlangen
bereits aus diesem Grunde.
Ob dem Beklagten ein Erstattungsanspruch gegen den Kläger nach anderen Rechtsvorschriften zusteht, kann auf sich beruhen,
da etwa aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen in Betracht kommende Ansprüche jedenfalls nicht durch Leistungsbescheid geltend
gemacht werden können. Ein Anspruch auf Kostenersatz nach § 92a Abs. 1 BSHG kommt bei rechtswidrig geleisteter Hilfe - und von der teilweisen Rechtswidrigkeit seiner Leistungen geht der Beklagte aus
- nicht in Betracht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 112.81 FEVS 33, 5.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
154 Abs.
2,
188 Satz 2
VwGO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des §
132 Abs.
2 VwGO nicht gegeben sind.