Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Gewährung eines "Taschengeldes" sowie einer Weihnachtsbeihilfe aus Mitteln der Sozialhilfe.
Der Kläger war ab dem 09. November 1990 in Untersuchungshaft. Am 27. Mai1991 wurde der Kläger in Strafhaft umgestellt. Seit
diesem Zeitpunkt erhält der Kläger ein Taschengeld gemäß §
46
Strafvollzugsgesetz (
StVollzG).
Am 09. November1990 und 20. November1990 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines "Taschengeldes" sowie
einer Weihnachtsbeihilfe, da er über keinerlei Einkommen verfüge. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 11. Dezember 1990 abgelehnt,
da die Beklagte einen vorrangigen Anspruch gegenüber dem Vollzugsträger als gegeben ansah. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger
mit Schreiben vom 08. Januar 1991 Widerspruch eingelegt. Gleichzeitig beantragte der Kläger bei der Justizvollzugsanstalt
Taschengeld. Dieses wurde mit Schreiben vom 08. Januar1991 durch die Justizvollzugsanstalt abgelehnt. Die hiergegen erhobene
Beschwerde des Klägers wurde zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 20. März 1991 führte der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein
aus, daß für Untersuchungsgefangene aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen Regelung ein Taschengeld im Gegensatz zum Strafvollzug
für Strafgefangene nicht zu zahlen sei.
Auf die hiergegen durch den Kläger beantragte gerichtliche Entscheidung wurde durch Beschluß des Oberlandesgerichts Schleswig
vom 27. Mai1991 der Antrag des Klägers als unbegründet verworfen. Das OLG Schleswig führte aus, ein Anspruch gegenüber dem
Vollzugsträger bestehe nicht, da es insoweit an einem Rechtsanspruch eines Untersuchungsgefangenen auf Taschengeld als auch
an einer haushaltsrechtlich tragfähigen Grundlage für dessen Auszahlung durch die Vollzugsbehärde fehle. Diese Entscheidung
des OLG Schleswig ist rechtskräftig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni1991, zugegangen am 02. Juli 1991, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen
den Bescheid vom 10. November 1990 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, man folge der entgegen der vorangegangenen
Entscheidung des OLG Schleswig vertretenen Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1988. Danach bestehe auch für
einen Untersuchungsgefangenen ein der Sozialhilfe vorgehender Anspruch gegenüber dem Vollzugsträger auf Gewährung des notwendigen
Lebensunterhaltes innerhalb der Vollzugsanstalt einschließlich eines etwaigen Taschengeldes. Da über hinaus weist die Beklagte
darauf hin, daß der benötigte Bedarf zunächst durch den Einsatz der Arbeitskraft innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu befriedigen
sei. Entsprechende Bemühungen, Arbeit zu erhalten, seien jedoch nicht erkennbar.
Der Kläger hat am 31. Juli1991 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung seiner Klage vor, daß grundsätzlich ein Anspruch auf
Taschengeld und Weihnachtsbeihilfe gegenüber der Beklagten bestehe. Hinsichtlich der behaupteten Arbeitsmöglichkeit trägt
der Kläger vor, daß er aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen, wie Bronchialasthma, verschiedener Allergien generell
für bestimmte Arbeiten nicht einsetzbar sei. Geplant sei ein Einsatz in der Küche. Hier seien auch ärztliche Untersuchungen
seitens der Justizvollzugsanstalt durchgeführt worden, man habe ihn jedoch dort nicht eingesetzt. Im übrigen betreibe er auch
die Gewährung eines Erwerbsunfähigkeitsrentenverfahrens.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Dezember 1990 sowie desWiderspruchsbescheidesvom
27 Juni 1991 zu verurteilen, dem Kläger vom 09. November 1990 bis zum 26. Mai1991 Taschengeld sowie für dasWeihnachtsfest
1990 Weihnachtsgeld zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt die Beklagte vor; daß zwar grundsätzlich ein Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger auch für Untersuchungsgefangene
bestehen könne. Der Nachrang der Sozialhilfe ergebe sich jedoch vorliegend daraus, daß der Kläger die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme
während der Untersuchungshaft nicht genutzt habe. Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen
werde bestritten...
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat gegenüber
der Beklagten einen Anspruch auf die beantragten Leistungen aus Mitteln der Sozialhilfe (§113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4
VwGO).
Der Kläger ist bedürftig im Sinne des § 11 Abs. 1
BSHG, da er seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, vorallem aus seinem Einkommen undvermögen,
beschaffen kann. Zum notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 12 Abs. 1
BSHG sind auch die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zu rechnen. Der Kläger verfügt weder über eigenes Einkommen noch
Vermögen, noch kann er seinen Lebensunterhalt vorrangig aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten.
Die Tatsache, daß sich der Klägerwährend des streitbefangenen Zeitraumes in Untersuchungshaft befunden hat, steht der grundsätzlichen
Gewährung von Sozialhilfeleistungen nicht entgegen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. Febr. 1988, NStZ 1988, Seite 335 f. unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in BVerwGE 51, 281). Weiter führt das OVG Rheinland-Pfalz in der oben zitierten Entscheidung aus:
"Somit ist ... die Frage der Sozialhilfegewährung im Einzelfall nach folgenden Gesichtspunkten zu entscheiden: Zum einen danach,
ob der Zweck der Untersuchungshaft oder die Eigenart deren Vollzugs die Hilfeleistung ausschließt; zum anderen danach, ob
der mit der Hilfeleistung verfolgte Zweck während der U-Haft erreicht werden kann; schließlich - unter dem Aspekt des Nachrangs
der Sozialhilfe - danach, ob der Bedarf, dessentwegen die Hilfe begehrt wird, bereits anderweitig gedeckt ist."
Wie das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der zitierten Entscheidung weiter zutreffend ausführt, schließt weder der
Zweck noch die Eigenart des Vollzugs der Untersuchungshaft die Gewährung eines Geldbetrages zur Befriedigung der persönlichen
Bedürfnisse des täglichen Lebens aus. Gemäß §
119 Abs.
3,
4
StPO darf sich der Untersuchungsgefangene auf seine Kosten Bequemlichkeiten verschaffen, soweit sie mit dem Zweck der Haft vereinbar
sind und nicht die Ordnung in der Vollzugsanstalt stören. Wenn dann zugleich dem Untersuchungsgefangenen gemäß §
119 Abs.
3
StPO nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die durch den Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt
erforderlich sind, ergibt sich hieraus, daß die Gewährung eines Geldbetrages zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse
des täglichen Lebens und die Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe durch den Zweck der Untersuchungshaft oder der Eigenart deren
Vollzugs nicht ausgeschlossen sind (vgl. Keck, Zum Taschengeldanspruch in Untersuchungshaft, in ZfStrVo 1/90, S.18 f. (19);
OVG RheinlandPfalz, a.a.O.).
Der vorliegend geltend gemachte Bedarf des Klägers ist auch nicht vorrangig durch andere Leistungen zu befriedigen gewesen.
Insbesondere ergibt sich für den Kläger kein der Sozialhilfe vorgehender Taschengeldanspruch analog den Bestimmungen des §
46
StVollzG durch den Vollzugsträger. Auf die insoweit vom OVG Nordrhein-Westfalen vertretene Ansicht (OVG NordrheinWestfalen, Beschluß
v. 14. März 1988, NFtZ 1988, Seite 384), nach der der Vollzugsträger ohne Vorliegen einer ausdrücklichen Regelung im Rahmen
der Fürsorgepflicht auch gegenüber dem Untersuchungsgefangenen zur Gewährung eines Taschengeldes verpflichtet ist, kann es
vorliegend nicht ankommen. In dem hier zu entscheidenden Sachverhalt stand bereits bei Erlaß desWiderspruchsbescheides fest,
daß der Kläger keinen evtl., dem Anspruch gegenüber der Beklagten vorgehenden Taschengeldananspruch gegenüber dem Justizvollzugsträger
hat. Der Kläger hatte diesbezüglich alles unternommen, einen solchen Anspruch geltend zu machen. Durch Beschluß des Oberlandesgerichtes
Schleswig vom 27. Mai1991 ist ein solcher möglicher Anspruch jedoch rechtskräftig abgewiesen worden. Damit konnte der Kläger
nicht mehr auf einen vorrangigen anderen Leistungsanspruch verwiesen werden, so daß es vorliegend auf die grundsätzliche Rechtsfrage,
ob ein solcher analoger Anspruch nach §
46
StVollzG dem Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger vorgehen kann, nicht mehr ankam.
Somit war vorliegend allein entscheidungserheblich, ob der Kläger zur Herstellung des sozialhilferechtlichen Nachrangprinzips
auf den Einsatz seiner Arbeitskraft während der Untersuchungshaft zur vorrangigen Befriedigung seines bestehenden Bedarfes
verwiesen werden konnte. Diese Frage war nach Überzeugung der Kammer aus folgenden Erwägungen zu verneinen:
Der Kläger hat mit der Klagbegründung vorgetragen, daß ein möglicher Arbeitseinsatz, zu dem Untersuchungsgefangene gemäß §
119 Abs.
3
StPO nicht verpflichtet werden können (vgl. Calliess/Müller-Dietz,
Strafvollzugsgesetz, Kommentar, §
177 Rdn. 1), wegen der beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zustandegekommen ist. Der Kläger hat
weiterhin konkrete Tatsachen dafür vorgetragen, daß ein ihm gesundheitlich möglicher Einsatz nicht durch sein Verschulden
nicht zustandegekommen ist. Der Kläger hat vorgetragen, daß für einen vorgesehenen Einsatz im Küchenbereich der Justizvollzugsanstalt
bereits ärztliche Untersuchungen (Röntgen, Urinund Stuhlproben) seitens der Justizvollzugsanstalt vorgenommen wurden. Wie
der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nochmals klargestellt hat,
handelte es sich bei diesen Untersuchungen nicht um die üblichen Untersuchungen, die bei Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt
durchgeführt werden, sondern diese sollten vielmehr einem vorgesehenen Arbeitseinsatz in der Küche dienen. Diese seien erforderlich
gewesen, da wegen des Umganges mit Lebensmitteln auch für die Justizvollzugsanstalt die gleichen gesundheitlichen Voraussetzungen
vorliegen müßten wie dies im sonstigen Gaststätten- oder Küchenbetrieb erforderlich sei.
Dieses Vorbringen des Klägers wird durch die unstreitige Tatsache erhärtet, daß der Kläger seit der Umstellung in den Strafvollzug
ein Taschengeld gemäß §
46
StVollzG erhält. Voraussetzung für die Gewährung eines Taschengeldes nach §
46
StVollzG ist, da Strafgefangene zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, daß der Gefangene ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt
erhält. Unverschuldet bedeutet in diesem Zusammenhang die Nichtaufnahme der Arbeit bei Arbeitsunfähigkeit des Gefangenen infolge
Krankheit, Alter oder Gebrechlichkeit (vgl. Calliess/MülIer-Dietz a.a.O., § 46 Rdn. 1 unter Hinweis auf die Bundestagsdrucksache
7/918, 69). Des weiteren hat der Kläger unbestritten vorgetragen, daß er ein Rentenverfahren wegen Erwerbsunfähigkeit gegen
die LVA betreibt.
Diesem Vorbringen sowie diesen Tatsachen ist die Beklagte in keinster Weise substantuert entgegengetreten. Sie hat es vielmehr
bei der pauschalen Behauptung belassen, daß dem Kläger bei entsprechendem Verlangen Arbeit zugewiesen worden wäre. Die Beklagte
gründet insoweit ihr Vorbringen lediglich auf eine Aktennotiz aus einer internen Besprechung des Sozialausschusses, daß zu
erfahren war, daß der Kläger; wenn er sich um Arbeit bemüht hätte, jederzeit Gelegenheit zu solcher erhalten hätte. Diese
nicht näher bezeichnete und konkretisierte Auskunft ist jedoch nach Überzeugung der Kammer nicht geeignet, die oben dargestellten
Indizien, die einen Schluß auf die unverschuldete Nichtarbeitsaufnahme zulassen, zu erschüttern.
Im übrigen wäre es nach Ansicht der Kammer Sache der Beklagten gewesen, bereits während des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens,
währenddessen sich der Kläger noch in Untersuchungshaft befand, diesen auf die sozialhilferechtlich bestehende Verpflichtung
zur Arbeitsleistung hinzuweisen. Auch ein in Freiheit befindlicher Hilfesuchender wird vom Sozialhilfeträger dazu angehalten
werden, sich beim Arbeitsamt arbeitsuchend zu melden. Es ist nicht erkennbar; aus welchen Gründen die Beklagte hier vorliegend
beim Kläger von ihrer Hinwirkungspflicht, die sich bereits aus §
14
SGB I ergibt, absehen konnte. Die Beklagte hat jedoch weder in dem Erstbescheid vom 11. Dezember1990 noch während des weiteren
Verwaltungsverfahrens bis zum Ende der Untersuchungshaft diesbezüglich beim Kläger auf die Herstellung des Nachranges der
Sozialhilfe durch Arbeitsaufnahme während der Untersuchungshaft hingewirkt.
Hinsichtlich der Höhe des zu gewährenden Bedarfes wird sich die Beklagte im Rahmen des ihr gemäß § 4 Abs. 2
BSHG obliegenden Ermessens an der Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 1988 (NStZ 1988, 335 f.) zu orientieren haben. Diesen Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz zur Höhe des zu gewährenden Anspruchs schließt sich
die Kammer vorilegend an. Der in § 21 Abs. 3 Satz 2 BSHG normierte Betrag von 30 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes ist als offensichtlich unangemessen hoch anzusehen. Andererseits
wird das Taschengeld gemäß §
46
StVollzG ebenfalls nicht dem Bedarf eines Untersuchungsgefangenen gerecht, weil dem Untersuchungshäftling größere Möglichkeiten für
die Bedarfsdeckung durch eigene Mittel eingeräumt sind. In Ermangelung weitererAnhaltspunkte für die Bemessung der Höhe eines
angemessenen Barbetrages zur Deckung des persönlichen Bedarfs eines Untersuchungsgefangenen ist mit dem OVG Rheinland-Pfalz
von einem Bedarf von monatlich 15 % des Regelsatzes eines Haushaltvorstandes auszugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
1
VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus §
188 S. 2
VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§
708 Nr. 11,
711
ZPO.
Die gemäß § 131 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO zulassungsbedürftige Berufung war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe gemäß 131 Abs. 3
VwGO nicht vorliegen. Insbesondere ist aus den oben dargelegten Gründen nicht von einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
auszugehen.