Krankenversicherung; Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Aufsichtsmaßnahme - Aufsicht; zusätzliche Leistungen; Änderungsanordnung;
stationäre Leistungen; Zusatzleistung; Genehmigung; Gestaltungsspielraum; Ermessen; abschließende Regelung; Genehmigungsvorbehalt;
Ausweitung; Satzung
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vor dem Gericht vom 4. Juni 2014 gegen
die als Aufsichtsmaßnahme ergangene Anordnung der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2014 zur Änderung der Satzung der Antragstellerin.
Die Antragstellerin beschloss am 11. Oktober 2012 mit 33. Satzungsnachtrag die Regelung des § 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich,
Abs. 2 ihrer Satzung, der lautet:
"(1) Die ... erstattet über die in §
24d SGB V geregelten Schwangerschafts- und Mutterschaftsleistungen hinaus die Kosten für folgende von Ärzten durchgeführte oder direkt
von der Versicherten initiierte Leistungen:
Unterbringung des begleitenden Elternteils im Elternzimmer
-.
(2) Erstattet werden jeweils 80 Prozent des Rechnungsbetrages, jedoch nicht mehr als 100 Euro je Schwangerschaft."
Die Antragsgegnerin genehmigte die Satzungsänderung, soweit sie die Vorschrift betrifft, ohne Änderung und schloss sich der
Rechtsauffassung der Antragstellerin an, die Vorschrift sei durch eine Ermächtigung in §
11 Abs.
6 SGB V gedeckt. Die Satzungsregelung trat am 1. Januar 2013 in Kraft.
Mit Schreiben vom 22. April 2013 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Änderung ihrer Rechtsauffassung mit,
wonach die Satzungsregelung nicht mehr als genehmigungsfähig angesehen werde, weil eine Ausweitung stationärer Leistungen
nicht unter §
11 Abs.
6 SGB V gefasst sei und andere Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich seien. Die Antragstellerin möge die Regelung streichen und über
ihre Veranlassungen berichten.
Mit Schreiben vom 12. August 2013 wandte sich die Antragstellerin an das Bundesministerium für Gesundheit und wies auf eine
Wettbewerbsverzerrung durch eine uneinheitliche Aufsichtspraxis hin. Sie bat um ein abgestimmtes Vorgehen. Dazu stellte das
Ministerium eine Abstimmung der Auffassungen auf einer Aufsichtsbehördentagung im November 2013 in Aussicht, zu der es aber
dort nach Angabe der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin nicht kam.
Mit Schreiben vom 12. August 2013 und 6. November 2013 reichte die Antragstellerin nach Darstellung der Antragsgegnerin Änderungsentwürfe
zur Streichung der beanstandeten Regelung ein; das entsprechende Vorgehen sei auch Gegenstand einer Besprechung am 30. September
2013 gewesen.
Am 17. Dezember 2013 beschloss der Verwaltungsrat der Antragstellerin in § 8 Abs. 1c der Satzung hinter "Leistungen" zu ergänzen:
...", wenn die Leistungen mit dem Ziel erbracht werden, einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung des Kindes entgegen
zu wirken und ein konkreter individueller Untersuchungsanlass besteht". Auch diese Änderung beruhte auf einem Hinweis der
Antragsgegnerin, insoweit vom 30. September 2013.
In ihrem Genehmigungsantrag vom 20. Dezember 2013 wies die Antragstellerin auch darauf hin, dass der Verwaltungsrat sich mit
der Anregung zur Streichung der Zuschüsse zur Unterbringung des begleitenden Elternteils im Elternzimmer befasst habe. Er
habe die gewünschte Streichung aber nicht vorgenommen, weil die Rechtslage nicht eindeutig sei und Aufsichtsbehörden der Länder
auch andere Bewertungen vornähmen.
Die Antragsgegnerin genehmigte den Nachtrag am 11. Februar 2014 und wies auf weiteren Änderungsbedarf bezüglich anderer Regelungen
hin.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2014 gab die Antragsgegnerin der Antragstellerin auf, den Inhalt zum ersten Spiegelstrich des § 8c
Abs. 1 ihrer Satzung zu streichen. Sie führte aus, trotz verschiedener Hinweise an und Gesprächen mit Vertretern der Antragstellerin,
zuletzt per E-Mail vom 4. Februar 2014, habe die Antragstellerin die geforderte Änderung abgelehnt. Die fragliche Bestimmung
entspreche nicht der Rechtslage. §
11 Abs.
6 SGB V zähle die Leistungsbereiche ausdrücklich und abschließend auf, für die dem Satzungsgeber ein Gestaltungsspielraum eingeräumt
werde, wie sich auch aus den Gesetzgebungsmotiven ergebe. Die Ausweitung stationärer Leistungen sei dort nicht geregelt. Die
gleiche Regelung sei von anderen Krankenkassen auch verlangt und dort auch schon umgesetzt worden. Nicht entscheidungserheblich
sei, ob §
195 Abs.
2 SGB V durch das Wort "kann" die Antragsgegnerin zur Betätigung von Ermessen verpflichte. Jedenfalls bevorzuge die Satzung der Antragstellerin
diese gegenüber anderen Kassen im Bundesbereich ungerechtfertigt. In diesem Fall habe die Antragsgegnerin keine Wahl mehr
zwischen mehreren rechtmäßigen Entscheidungen, sondern sei zu einem Einschreiten gezwungen. Sie habe weiterhin berücksichtigt,
dass bei der Antragstellerin eine Verweigerungshaltung vorliege, weil sie auf einer rechtlich nicht begründeten Position verharre.
Sie verschaffe sich entgegen dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Solidaritätsprinzip einen Wettbewerbsvorteil. Als Organ
der Staatsverwaltung habe sie die gemeinsame öffentliche Aufgabe der gesundheitlichen Daseinsvorsorge im Hinblick auf die
Funktionsfähigkeit des Systems gegenüber ihrer Marktposition in den Vordergrund zu stellen. Soweit die Antragstellerin auf
die Aufsichtspraxis in Ländern verweise, habe sie keinen Anspruch auf Gleichbehandlung noch trete eine Wettbewerbsverzerrung
ein. Eine auf Grund föderaler Zuständigkeiten nicht auszuschließende Abweichung der Rechtsauffassungen gebe keinen Hinweis
zur Rechtmäßigkeit der jeweiligen Entscheidungen. Insoweit sei auf §
90 Abs.
4 S. 1
SGB IV zu verweisen. Sie setze zur Durchführung der Satzungsänderung eine Frist bis zum 30. Juni 2014, da unter Berücksichtigung
des Zeitablaufs weiteres Zuwarten nicht zumutbar sei. Werde die Frist nicht eingehalten, beabsichtige sie die Änderung selbst
vorzunehmen.
Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid am 4. Juni 2014 Klage erhoben und mit Antrag vom 11. Juni 2014 die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Dazu trägt sie vor, sie halte an ihrem Rechtsstandpunkt in der Sache in Übereinstimmung
mit der Rechtsauffassung anderer Aufsichtsbehörden fest. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin gerade erst
die entsprechende Satzungsregelung erneut genehmigt habe. Eine Umsetzung der Anordnung führe zu einer Wettbewerbsverzerrung
gegenüber Kassen mit entsprechenden genehmigten Inhalten. Sie stehe in direktem Wettbewerb mit mehreren bestimmten Kassen,
die entsprechende Leistungen mit Genehmigung anböten. Aus dem Schreiben des Ministeriums folge gerade, dass dieses einen weiten
Gestaltungspielraum bei der Erweiterung des Leistungsangebotes für gegeben halte. Die Antragsgegnerin werde die Vollziehung
nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung aussetzen, wie sich aus jüngerer Korrespondenz ergebe. Die vorzunehmende Gesamtabwägung
müsse zu Gunsten der Antragstellerin ausfallen.
In der Sache sei die Satzungsregelung als Grundlage von zusätzlichen Vorsorgeleistungen für Schwangere rechtmäßig. So habe
der Gesetzgeber mit Gesetz vom 23. Oktober 2012 §
24d SGB V in das Gesetz eingefügt, wonach die Schwangere während der Schwangerschaft und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche
Betreuung (...) einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge hat. Insoweit
handele es sich bei den Zusatzleistungen um zweckgerechte Ergänzungen, die von §
11 Abs.
6 SGB V umfasst seien. Generell verfolge diese Vorschrift den Zweck, wettbewerbliche Handlungsmöglichkeiten der Krankenkassen auf
der Leistungsseite zu stärken.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 4. Juni 2014 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
5. Mai 2014 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie stellt dar, die mit Schreiben vom 11. Februar 2014 genehmigte Änderung habe nicht die hier umstrittene Regelung betroffen.
Der - auch unerhebliche - Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens treffe nicht zu. Das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung
der aufschiebenden Wirkung überwiege schon deshalb nicht das öffentliche Vollzugsinteresse, weil ihre Änderungsanordnung offensichtlich
rechtmäßig sei. Die getroffene Regelung liege außerhalb der in §
11 Abs.
6 SGB V abschließend geregelten Leistungsbereiche, in denen Zusatzleistungen zulässig seien. Der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes
stünden nach §
194 Abs.
2 SGB V der Regelung entgegen. Zu den Leistungsbereichen, die in §
11 Abs.
6 SGB V in Bezug genommen würden, gehörten die Leistungen von Hebammen bei Schwangerschaft und Mutterschaft nach §
24d SGB V, nicht aber auch ärztliche Leistungen in diesem Zusammenhang. Eine fehlerhafte Praxis anderer Aufsichtsbehörden sei für sie
ggf. unbeachtlich; eine Gleichbehandlung im Unrecht lasse sich damit nicht begründen. Wettbewerbsverzerrungen seien im Übrigen
vor allem zu Lasten der zahlreichen bundesunmittelbaren Träger zu befürchten, die ihrer Rechtsauffassung gefolgt seien.
Angesichts des regelmäßigen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch §
195 Abs.
2 S. 3
SGB V seien im Übrigen auch keine hinreichenden, schützenswerten Interessen der Antragstellerin an deren Anordnung im Einzelfall
zu erkennen.
II.
Es gibt keinen Grund, von der Regel des §
195 Abs.
2 S. 3 des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB V, insoweit i. d. F. d. G. v. 15.12.2008, BGBl. I S. 2426) abzurücken, weil der Senat keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin vom
5. Mai 2014 hat.
Die Antragsgegnerin hat durch §
195 Abs.
2 S. 1
SGB V die Ermächtigung, die ihrer Aufsicht unterliegenden Krankenkassen durch Anordnung zu einer Änderung der Satzung anzuhalten,
wenn sich nach der Genehmigung einer Satzung ergibt, dass sie nicht hätte genehmigt werden dürfen. Die Prüfung knüpft damit
an die Rechtskontrolle durch den Genehmigungsvorbehalt an (vgl. BSG, Urt. v. 19.9.2007 - B 1 A 4/06 R - SozR 4-2500 § 44 Nr. 13 Rndr. 12).
§ 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich der Satzung der Antragsgegnerin ist (auch) in der jetzt maßgeblichen Fassung durch den 38. Nachtrag
nicht genehmigungsfähig, weil sie gegen §
194 Abs.
2 S. 2
SGB V als höherrangiges Recht verstößt. Denn danach darf die Antragstellerin nur Leistungen begründen, soweit das
SGB V dieses zulässt.
Eine Vorschrift, die die Kostenerstattung für den Aufenthalt einer Begleitperson im Elternzimmer als Nebenleistung bei Schwangerschaft
und Mutterschaft zulässt, enthält das
SGB V nicht. Vielmehr folgt aus der Fassung des §
11 Abs.
6 SGB V d. G. v. 23.10.2012 (BGBl. I S. 2246), dass die von der Antragstellerin in § 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich ihrer Satzung vorgesehene Leistung nicht Teil der ermöglichten
Zusatzleistungen ist. Denn §
11 Abs.
6 SGB V verweist insoweit nicht global auf den Leistungsbereich des §
24d SGB V als Feld möglicher Zusatzleistungen, sondern engt dieses durch die ausschließliche Erwähnung der Leistungen von Hebammen
ein. Damit wird der gesamte Bereich der ärztlichen Betreuung als Gegenstand der gesetzlichen Überschrift und des Leistungsbereiches
des §
24d SGB V von der Ermöglichung von Zusatzleistungen ausgenommen.
Die von der Antragstellerin vorgesehene Zusatzleistung weist keinen Bezug zu der Leistung von Hebammen auf. Sie ergänzt stationäre
Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung um die Möglichkeit, einem im Elternzimmer des Krankenhauses
aufgenommenen begleitenden Elternteil dessen Kosten teilweise zu erstatten. Sie knüpft damit allenfalls an die ärztliche Betreuung
aus dem Leistungsrahmen des §
24d SGB V an, die notwendiger Weise Inhalt stationärer Behandlung ist. Hingegen steht sie in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der
Hebammenhilfe, die allein nach §
11 Abs.
6 SGB V Gegenstand zulässiger Leistungen auf Grund einer Satzung sein darf.
Die Antragsgegnerin hatte bei Erlass ihrer Änderungsanordnung keinen Ermessensspielraum (für das Verständnis der Vorschrift
als Ermessensvorschrift grundsätzlich Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB IV, §
195 Rdnr. 7; Bloch in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, § 195 Rdnr. 7; offen gelassen in BSG, Urt. v. 24.4.2002 - B 7/1 A 4/00 R - Juris). §
195 Abs.
2 S. 2
SGB V stellt dem Ansatz nach auf eine gebundene Rechtlage, nämlich den Fall ab, dass eine Satzung nicht hätte genehmigt werden
dürfen. Ob es übergeordnete, die Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung oder eines ihrer Träger betreffende oder andere
gesetzlich verankerte Gesichtspunkte geben kann, eine rechtswidrige Satzung im Hinblick auf eine frühere Genehmigung für einige
Zeit aufrecht zu erhalten, muss hier nicht geklärt werden. Solche Gesichtspunkte hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht.
Angesichts der eindeutigen Rechtslage sind demnach keine Gesichtspunkte von Gewicht ersichtlich, die die Antragsgegnerin in
eine Ermessensabwägung hätte einstellen können. Das Gesetz lässt etwa in §
12 Abs.
3 SGB V erkennen, dass die Rechtmäßigkeit der Leistungen hohe Bedeutung hat und die Verletzung bindend im Aufsichtswege zu sanktionieren
ist. Die von der Antragstellerin geltend gemachten allgemeinen Wettbewerbsverhältnisse sind insoweit, wie die Antragsgegnerin
zutreffend gewichtet hat, von untergeordneter Bedeutung. Angesichts der vorrangigen Bedeutung der Rechtmäßigkeit des Handelns
ist es jedenfalls sachgerecht, wenn die Antragsgegnerin den Wettbewerbsausgleich gegenüber den Krankenkassen, die ihrer -
richtigen - Rechtsauffassung bereits gefolgt sind, für entscheidend erachtet.
Hinsichtlich der Frist, die die Antragsgegnerin der Antragstellerin eingeräumt hat, ergeben sich keine Bedenken. Die Antragstellerin
hat auch nicht geltend gemacht, ihr sei die Umsetzung der Änderungsanordnung innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich gewesen,
oder die Fristbemessung führe als solche zu vermeidbaren Härten.
Der Streitwert war gem. § 62 Abs. 2 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und § 52 Abs. 2 GKG mangels anderer Anhaltspunkte auf 5000,- EUR festzusetzen.
Der Beschluss ist gem. §
177 SGG unanfechtbar.