Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme mit
dem Ziel einer Gewichtsreduzierung hat.
Der 1969 geborene Kläger leidet an Adipositas per magna sowie verschiedenen damit im Zusammenhang stehenden Erkrankungen (Diabetes
mellitus, Hypertonie, Hyperurikämie, Beschwerden im Bereich der Knie- und Sprunggelenke sowie der Wirbelsäule). Sein Maximalgewicht
erreichte er im Mai 2008 mit 215 Kilogramm bei einer Körpergröße von 183 Zentimetern. Von Mai 2008 bis Februar 2009 nahm er
in eigener Regie am Weight Watchers Programm teil und reduzierte sein Gewicht um 60 Kilogramm. Seit Februar 2009 kam es dann
wieder zu einer Gewichtszunahme. Der Kläger ist regelmäßig bei seinem Hausarzt Dipl.-Med. V. in Behandlung. Physiotherapeutische
Behandlungen fanden nur unregelmäßig statt, ambulante Konsultationen von Psychologen erfolgten nicht. An Ernährungsberatungen
oder gruppentherapeutischen Sitzungen nahm der Kläger nicht regelmäßig teil. Er bezieht von der. ( ) eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung.
Der Kläger beantragte im März 2008 bei der. die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduzierung.
Diese erklärte sich für unzuständig und gab das Verfahren mit Schreiben vom 12. März 2008 an die Beklagte ab. Diese zog ein
arbeitsmedizinisches Gutachten der Dr. K. vom 21. Mai 2007 bei, welches im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht
Altenburg (S 22 RJ 1742/04) erstellt worden war. Dr. K. führte dort aus, dass für das Ziel einer drastischen Gewichtsreduktion verschiedene Maßnahmen
versucht werden sollten. Möglich wäre eine medikamentöse Behandlung mittels einer Art von Appetitzüglern, die der Hausarzt
begleiten könnte. Effektiver wäre eine stationäre Reha-Maßnahme mit dem wichtigen Ziel der Gewichtsreduktion, wo der Kläger
unter Anleitung erlernen könne, sich entsprechend diätisch zu ernähren und den für ihn möglichen Sport zu betreiben. Wegen
der körperlichen Einschränkungen am Bewegungsapparat sei hierfür eine fachliche Beratung unerlässlich. Der Kläger benötige
die Motivation einer Gruppe und vor allem wäre bei einer derartigen Maßnahme eine regelmäßige ärztliche Kontrolle gewährleistet.
Er benötige dringend eine sportliche Therapie, um die derzeit mangelhafte Kondition und rasche Erschöpfbarkeit wieder zu verbessern.
Die Methode der Magenbanding-Operation halte sie nicht primär für zweckmäßig, da der Kläger nach seinen Angaben nicht wirklich
viel esse, so dass eine Magenverkleinerung hier wahrscheinlich nicht helfen würde.
Nach Einholung einer Stellungnahme des ... ( ) vom 31. März 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung der stationären Rehabilitationsmaßnahme
mit Bescheid vom 25. Juni 2008 ab, da zunächst eine kontinuierliche Ernährungsberatung sowie eine Facharztbehandlung ambulant
erfolgen sollten. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte sie ein Gutachten des. vom 22. Juli 2008 ein, wonach die ambulanten
vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Es bestehe kein Reha-Bedarf, sondern Bedarf auf
medizinische, besonders fachärztliche Behandlung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November
2008 zurück.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht ein internistisches Gutachten des Dr. W. vom 27. Juli 2009 eingeholt. Dieser hat darin
ausgeführt, dass nach seiner Auffassung die ambulanten Maßnahmen ausgeschöpft seien. Die einzige sinnvolle und zielführende
Maßnahme für den Kläger sei eine adipositas-chirurgische Maßnahme, aus seiner Sicht die Bildung eines Schlauchmagens. Dieses
chirurgische Vorgehen sei derzeit das einzige evidenzbasierte Verfahren, das langfristig positive Ergebnisse zeige. Im Vorfeld
einer solchen Operation mache sicherlich eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme Sinn.
Das Sozialgericht hat weiter ein psychiatrisches Gutachten des Dr. W. vom 24. November 2010 eingeholt. Er hat ausgeführt,
dass eine ambulante Therapie mit Sport/Bewegung/Ernährungsberatung/Ernährungsüberwachung sinnvoll und indiziert sei. Es sei
insgesamt günstiger und die Erfahrungen seien medizinisch eindeutig besser, wenn ein solches massives Übergewicht zunächst
stationär rehabilitativ behandelt werde, da bei rein ambulanten Maßnahmen ein Ausweichverhalten sich leicht bahnbrechen könne.
Dies könne allerdings nur als relative Indikation gesehen werden. Es müsse festgestellt werden, dass bei entsprechender Willenskraft
und Willensanstrengung des Klägers und optimaler ambulanter Therapie es auch möglich sei, im ambulanten Rahmen entsprechend
Gewicht zu verlieren. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn neben der Adipositas noch eine eigenständige psychische Erkrankung
bestehen würde, die stationär behandelt werden müsste. Eine solche Störung liege jedoch nicht vor.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. August 2011 abgewiesen. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei noch
nicht zwingend erforderlich, um dem Kläger eine Gewichtsreduktion zu ermöglichen. Dies folge insbesondere auch daraus, dass
es dem Kläger zunächst in Eigenregie gelungen sei, sein Gewicht deutlich zu reduzieren. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass der Kläger lediglich in hausärztlicher Behandlung sei. Im Übrigen stünden wohnortnah ambulante Behandlungsmöglichkeiten
zur Verfügung, wie insbesondere das Zentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie am ...
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch auf Gewährung einer
stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduzierung zustehe. Dies hätten die Gutachten der Dr. K., des Dr. W. sowie
des Dr. W. ergeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 5. August 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2008 aufzuheben und dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme mit dem
vorrangigen Ziel einer Gewichtsreduktion zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass der Kläger zunächst ambulant ausreichend versorgt werden könne und verweist auf eine Liste mit ambulanten
Ernährungsberatungen sowie ambulanter Psychotherapie in Wohnortnähe des Klägers.
Der Senat hat bei Prof. Dr. M. und Dr. St. vom ... - Zentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie - eine Stellungnahme
angefordert. Unter dem 16. April 2012 haben sie mitgeteilt, dass am ... insbesondere Ernährungsberatungen in Einzelgesprächen
und unter Anleitung von Diplom-Trophologen erfolgten. Eine Bewegungstherapie sei nach Vorlage bei vorhandenem und durch die
Krankenkasse genehmigtem Reha-Sport-Antrag möglich. Verhaltenspsychologisch geführte Therapiegruppen würden nicht angeboten.
Die Therapien, insbesondere auch die Selbsthilfegruppe Adipositas, seien jedoch nicht mit einer stationären Rehabilitation
zur Gewichtsreduktion vergleichbar.
Der Senat hat am 17. Dezember 2012 und 14. April 2014 Erörterungstermine durchgeführt. Zum genauen Inhalt wird auf die Sitzungsniederschriften
(Bl. 189f. und 222 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
zugestimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der geheimen Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden
(§
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG)).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger (derzeit) keinen
Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsbehandlung hat.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§
27 Abs.
1 Satz 1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V)). Versicherte haben auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere
ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern,
auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§
11 Abs.
2 Satz 1
SGB V). Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in §
11 Abs.
2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen
in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach §
111c SGB V besteht (§
40 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Reicht die Leistung nach Absatz 1 nicht aus, erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung
in einer nach §
20 Abs.
2a des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach §
111 SGB V besteht (§
40 Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V).
Das Gesetz geht von einem Stufensystem aus und schafft in §
40 SGB V im Zusammenhang mit dem Begriff der Erforderlichkeit einen Vor- bzw. Nachrang der einzelnen Leistungen. Ambulante Krankenbehandlung
ist vorrangig gegenüber einer ambulanten Rehabilitation, diese wiederrum ist vorrangig der stationären Rehabilitation. Die
Konzeption eines abgestuften Leistungsangebots bedingt jedoch keine starre oder routinemäßige Ausschöpfung des gesetzlichen
Leistungsspektrums der jeweils vorrangigen Stufe. Die Erforderlichkeit einer konkreten Rehabilitationsleistung, insbesondere
auch ihr Vorzug gegenüber der Art nach vor- oder nachrangiger Leistungen, ergibt sich aus dem individuellen Rehabilitationsbedarf
und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten (vgl. Noftz
in Hauck, Sozialgesetzbuch
SGB V, Stand Juli 2013, §
40 SGB V Rn. 43 f. m.w.N.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist ein Bedarf des Klägers für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduzierung
nicht gegeben. Es ist (derzeit) kein Grund ersichtlich, warum die Gewichtsreduzierung und die Verbesserung der mit dem Übergewicht
in Zusammenhang stehenden Erkrankungen nicht ausreichend durch ambulante Krankenbehandlung bzw. ambulante Rehabilitation gewährleistet
werden kann.
Bereits Dr. K. hatte darauf hingewiesen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Appetitzüglern möglich wäre, die der Hausarzt
begleiten könnte. Darüber hinaus sind sich die Sachverständigen Dr. K. und Dr. W. einig, dass eine Therapie die Gesichtspunkte
Sport sowie Ernährungsberatung und Ernährungsüberwachung beinhalten muss. Zwar führen beide aus, dass dies auch im Rahmen
einer stationären Maßnahme geschehen könne. Allerdings ist - worauf Dr. W. zu Recht hinweist - kein Grund ersichtlich, warum
es dem Kläger bei entsprechender Willenskraft und Willensanstrengung und optimaler ambulanter Therapie nicht möglich sei soll,
im ambulanten Rahmen entsprechend Gewicht zu verlieren.
Nach dem Gutachten der Dr. K. benötigt der Kläger eine sportliche Therapie, um die mangelhafte Kondition und rasche Erschöpfbarkeit
wieder zu verbessern und eine entsprechende Gewichtsreduktion herbeizuführen. Wegen der körperlichen Einschränkungen am Bewegungsapparat
ist eine fachliche Beratung und Überwachung unerlässlich, die jedoch auch ambulant erfolgen kann, wie beispielsweise im ...
- Zentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie, die auf Patienten mit starkem Übergewicht spezialisiert sind. Prof. Dr.
M. sowie Dr. St. haben mitgeteilt, dass dort eine Bewegungstherapie möglich ist.
Im Hinblick auf die Anleitung des Klägers sich diätisch zu ernähren, haben Prof. Dr. M. sowie Dr. St. vom angegeben, dass
Ernährungsberatungen in Einzelgesprächen und unter Anleitung von Diplom-Trophologen erfolgen können. Auch die Beklagte hat
eine Liste mit Ernährungsberatern vorgelegt, die ihre Praxis in der Nähe des Wohnorts des Klägers haben. Bezüglich der Ernährungsüberwachung
kann die Selbsthilfegruppe Adipositas am in Anspruch genommen werden, wodurch die von Dr. K. für erforderlich gehaltene Motivation
einer Gruppe ermöglicht wird. Auch ist die Begleitung durch Psychotherapeuten möglich, die Beklagte hat verschiedene wohnortnahe
Behandlungsmöglichkeiten benannt. Die ärztliche Kontrolle kann durch den Hausarzt gewährleistet werden.
Der Senat hat keine Anhaltspunkte, dass dem Kläger eine ambulant durchzuführende Gewichtsreduzierung nicht gelingen kann.
Er leidet - wie Dr. W. ausführt - an keiner eigenständigen psychischen Erkrankung, die eine stationäre Behandlung erforderlich
macht.
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Dr. W ... Zum einen sind entgegen dessen Auffassung die
ambulanten Maßnahmen nicht ausgeschöpft. Die oben beschriebenen Maßnahmen wurden bisher nicht konsequent durchgeführt. Darüber
hinaus empfiehlt Dr. W., im Gegensatz zu Dr. K., eine adipositas-chirurgische Maßnahme, nämlich die Bildung eines Schlauchmagens.
Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme solle nur der Vorbereitung dienen, nicht aber der eigentlichen Therapie. Soweit ersichtlich,
strebt der Kläger die Durchführung einer solchen operativen Maßnahme aber nicht an. Sie käme auch allenfalls als ultima ratio
in Betracht, wenn keine anderen Möglichkeiten mehr bestehen. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.
Letztlich spricht auch die Stellungnahme von Prof. Dr. M. und Dr. St. vom , dass die dort angebotenen Therapien nicht mit
einer stationären Rehabilitation zur Gewichtsreduktion vergleichbar seien, nicht für die Erforderlichkeit der stationären
Rehabilitation. Entscheidend ist nicht die Vergleichbarkeit, sondern ob eine ambulante Behandlung bzw. ambulante Rehabilitation
ausreichend ist. Das ist hier der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.