Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
In der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig und der sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherte ledige Mutter
Verpflichtung zur Entrichtung von Mindestbeiträgen während des Elterngeldbezugs
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die freiwillig krankenversicherte Klägerin
dagegen, auch während der Elternzeit trotz fehlenden Einkommens zur Zahlung von Mindestbeiträgen zur gesetzlichen Kranken-
(GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) herangezogen zu werden.
Die ledige Klägerin war ab 2013 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwilliges Mitglied der beklagten Kranken-
und Pflegekasse. Sie befand sich vom 22.7.2014 bis 25.5.2017 in Elternzeit. Vom 22.7.2014 bis 24.5.2015 bezog sie Elterngeld.
Gegenüber den Beklagten gab sie an, während der Elternzeit keine Einnahmen zu haben. Die Beklagten setzten die zu zahlenden
Beiträge zur GKV und sPV nach der Mindestbemessungsgrundlage fest. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind ohne
Erfolg geblieben (SG-Gerichtsbescheid vom 4.12.2017; LSG-Urteil vom 25.1.2019). Mit ihrer Beschwerde wendet sie sich gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.1.2019 ist gemäß
§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).
Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Die geltend gemachten Zulassungsgründe legt sie jedoch nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen gemäß §
160a Abs
2 S 3
SGG entsprechenden Weise dar.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen,
welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten
(Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach
dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur
und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG Beschluss vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B - Juris RdNr 9 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe
ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich
im Fall einer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten
und die als verletzt angesehenen Normen des
Grundgesetzes zu benennen (BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - Juris RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin formuliert auf Seite 3 f der Beschwerdebegründung:
"Es stellt sich die Rechtsfrage, ob die Festsetzung von Mindestbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung
während der Elternzeit verfassungsrechtlich zulässig ist."
"Insbesondere stellt sich die Rechtsfrage, ob die Festsetzung von Mindestbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung
während der Elternzeit mit Art.
3 Abs.
2 GG vereinbar ist: Die aufgeworfene Rechtsfrage lautet somit, ob §
240 Abs.
4 S. 1
SGB V vereinbar ist mit Art.
3 Abs.
2 GG."
"Weiter stellt sich die Rechtsfrage, ob die Festsetzung von Mindestbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung
während der Elternzeit mit Art.
3 Abs.
1 GG, Art.
6 Abs.
1 GG und Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gem. Art.
20 Abs.
1 GG (Garantie des Existenzminimums) vereinbar ist."
Die Rechtsfrage sei erneut klärungsbedürftig, weil der Senat in seinem Urteil vom 30.11.2016 (B 12 KR 6/15 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 2) die verfassungsrechtlichen Vorgaben noch nicht erschöpfend beachtet und deshalb die Rechtsfrage
der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit der einschlägigen Rechtsgrundlagen noch nicht abschließend geklärt habe. Art
3 Abs
2 GG sei nicht geprüft worden. Auch sei der Gesichtspunkt der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht berücksichtigt
worden. Aufgrund der Einkommenslosigkeit während der Elternzeit führe die Beitragsverpflichtung auch zwingend dazu, dass das
Existenzminimum nicht mehr gewahrt werde. Die ledige Mutter dürfe auch nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe verwiesen
werden. Die Erziehung von Kindern dürfe kein Sozialhilferisiko sein. Als unverheiratete Mutter werde sie gegenüber verheirateten
und familienversicherten Müttern benachteiligt.
Die Klägerin legt insbesondere die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht in zulässigkeitsbegründender
Weise dar, weil sie sich nicht hinreichend mit der durch die Rechtslage vorgegebenen versicherungsrechtlichen Systematik und
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Senats auseinandersetzt. In grundlegender Hinsicht berücksichtigt die Klägerin nicht,
dass sie vor und während der Elternzeit freiwilliges Mitglied der GKV war. Hierfür sieht das Gesetz in §
240 Abs
4 S 1
SGB V die Erhebung von Beiträgen nach einer Mindestbemessungsgrundlage vor, eine beitragsfreie freiwillige Versicherung in der
GKV ist somit ausgeschlossen. Ebenfalls sieht die versicherungsrechtliche Systematik vor, dass Personen, die die Mindestbeiträge
im Rahmen einer freiwilligen Mitgliedschaft in der GKV nicht aufbringen können, Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II bzw SGB XII in Anspruch nehmen können (vgl ua § 26 Abs 2 S 1 SGB II). Soweit die Klägerin hierzu pauschal vorträgt, die Erziehung von Kindern dürfe kein Sozialhilferisiko sein, legt sie bereits
nicht dar, inwieweit die gesetzlichen Regeln überhaupt an die "Erziehung von Kindern" und nicht an den Umstand der Einkommenslosigkeit
angeknüpft wird. Schließlich befasst sich die Klägerin nicht hinreichend mit dem Urteil des Senats vom 30.11.2016 (B 12 KR 6/15 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 2). Er hat darin entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass eine wegen
Übersteigens der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherte und deshalb in
der sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherte ledige Mutter während des Elterngeldbezugs Mindestbeiträge zu entrichten
hat. Warum die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen erneut klärungsbedürftig sein sollen, legt die Klägerin durch ihren pauschalen
Hinweis auf den speziellen Gleichheitssatz in Art
3 Abs
2 GG nicht hinreichend dar.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen
Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon
dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Auf Seite 10 der Beschwerdebegründung führt die Klägerin aus, das angefochtene Urteil weiche von den Entscheidungen des BVerfG
vom 5.4.2005 (1 BvR 774/02 - BVerfGE 113, 1 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 30) und vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) ab. In der zuerst genannten Entscheidung habe das BVerfG die Rechtssätze aufgestellt, dass eine
Regelung, die zur Beitragsleistung auch bei Einkommenslosigkeit auf Grund von Kindererziehung verpflichte, mit Art
3 Abs
2 GG nicht vereinbar sei, und dass eine Regelung zur Beitragserhebung, die zwar auf Männer und Frauen gleichermaßen anwendbar
sei, in der sozialen Wirklichkeit aber vor allem Frauen treffe eine faktische Benachteiligung von Frauen darstelle. Hiervon
sei das LSG schon deshalb abgewichen, weil es die Entscheidung für nicht anwendbar gehalten habe, weil es um Satzung eines
Versorgungswerks für Rechtsanwälte gegangen sei. Zudem habe es eine "faktische" Benachteiligung von Frauen verneint. Dem Urteil
des BVerfG vom 3.4.2001 sei der Rechtssatz zu entnehmen, es sei mit Art
3 Abs
1 iVm Art
6 Abs
1 GG nicht zu vereinbaren, dass bei der Festlegung von Beitragspflichten in der Sozialversicherung, Personen, die Kinder betreuen
und erziehen und damit einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems
leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Hiervon sei das LSG
abgewichen, weil es die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid zurückgewiesen habe.
Eine entscheidungserhebliche Divergenz legt die Klägerin insbesondere deshalb nicht dar, weil sie nicht hinreichend ausführt,
inwieweit die in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerfG zum selben Gegenstand ergangen sind. Hinsichtlich des Beschlusses
des BVerfG vom 5.4.2005 berücksichtigt die Klägerin nicht, dass die dortige Beschwerdeführerin Pflichtmitglied des berufsständischen
Versorgungswerks der Rechtsanwälte war und sich der angeordneten Beitragspflicht grundsätzlich nicht entziehen konnte (BVerfGE
113, 1 S 2, 27 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 30). Demgegenüber war die Klägerin vor ihrer Elternzeit und währenddessen lediglich freiwilliges Mitglied
der GKV. Hinsichtlich des Urteils des BVerfG vom 3.4.2001 setzt sich die Klägerin nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber
die darin festgestellte Ungleichbehandlung zwischenzeitlich durch den für Kinderlose erhöhten Beitragssatz zur sPV beseitigt
hat (vgl §
55 Abs
3 S 1
SGB XI; zum "generativen Beitrag" vgl ausführlich BSG Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - BSGE 124, 26 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.