Anspruch auf Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung
Beweislast bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung beim Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 07.05. bis 30.09.2015.
Der 1973 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und bezog ab 01.04.2011 Arbeitslosengeld (Alg).
Ab 01.12.2011 erkrankte er arbeitsunfähig wegen einer depressiven Episode (F 32.9) und einer Panikstörung (F 41.0). Nach Ende
der Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur für Arbeit gewährte die Beklagte dem Kläger Krg für die Zeit vom 12.01. bis
30.11.2012. Vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2013 war der Kläger wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Direkt im Anschluss
daran erhielt er vom 01.01.2014 bis zum 06.04.2014 Alg von der Bundesagentur für Arbeit. Arbeitsunfähigkeit (AU) wurde erneut
festgestellt ab 24.02.2014 ua mit der Diagnose F 32.9. Nach Beendigung der Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur für
Arbeit zum 06.04.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger erneut Krg ab dem 07.04. bis zum 26.08.2014. Vom 27.08. bis 31.08.2014
bezog der Kläger wieder Alg, vom 01.09. bis 26.09.2014 war er versicherungspflichtig beschäftigt und vom 27.09.2014 bis zum
06.05.2015 erhielt der Kläger erneut Alg.
Die Beklagte hatte den Kläger bereits mit Bescheid vom 23.07.2014 über das Ende des Anspruchs auf Krg wegen der Bezugsdauer
von 78 Wochen zum 26.08.2014 informiert. Rechtsmittel gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.
Am 26.03.2015 bescheinigte der Hausarzt des Klägers Dr. S. erneut AU bis voraussichtlich 10.04.2015 wegen einer Reaktion auf
schwere Belastung (F 43.9), einer Angststörung (F 41.9) sowie F 32.9. Mit Folgebescheinigungen vom 09.04. und 23.04.2015,
Auszahlscheinen vom 07.05., 01.06., 29.06. und 28.07.2015 sowie ärztlichen Bescheinigungen vom 28.08., 29.09.2015 und 28.10.2015
zur Erlangung von Krg bestätigte er das Vorliegen von AU.
Mit Schreiben vom 28.04.2015 unterrichtete die Beklagte den Kläger unter dem Betreff "Zahlung von Krankengeld", ab dem 07.05.2015
erhalte er Krg. Um den Antrag bearbeiten zu können, werde er gebeten, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden.
Mit Bescheid vom 26.05.2015 lehnte es die Beklagte ab, Krg wegen der ab 26.03.2015 bestehenden AU zu zahlen. Ein Anspruch
auf Krg für die jetzige AU sei nicht mehr gegeben, weil der Kläger für die AU vom 01.12. bis 30.11.2012 und vom 24.02. bis
26.08.2014 bereits Krg bis zur Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen (546 Kalendertage) erhalten habe. Ein erneuter Anspruch
auf Krg entstehe nur, wenn er nachweise, dass er zwischen der letzten AU und der seit 26.03.2015 bestehenden AU mindestens
sechs Monate arbeitsfähig gewesen sei.
Mit seinem Widerspruch vom 03.06.2015 machte der Kläger geltend, er habe in dieser Zeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden.
Zudem sei er vom 01. bis 26.09.2014 beschäftigt gewesen.
Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Mit Gutachten vom 24.06.2015
aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am Vortag diagnostizierte Dr. G. eine somatoforme Schmerzstörung, Angststörung,
depressive Störung, Lumboischialgie rechts mit begrenzten sensiblen und motorischen Defiziten sowie ein Colon irritable. Das
Leistungsvermögen des Klägers lasse derzeit auch eine körperlich leichte Tätigkeit in Vollzeit mit am allgemeinen Arbeitsmarkt
üblichen Mindestanforderungen an psychische Belastbarkeit, Ausdauer, Konzentration nicht zu, so dass AU derzeit als begründet
zu akzeptieren sei. Die aktuell AU begründende komplexe psychische Krankheit habe auch im Zeitraum vom 27.08.2014 bis 25.03.2015
durchgehend bestanden. Zumindest zeitweise in diesem Zeitraum seien die aus der Krankheit resultierenden Funktionseinschränkungen
so gewichtig gewesen, dass, wie aktuell, eine relevantes positives Leistungsbild nicht vorgelegen habe und der Kläger nicht
arbeitsfähig gewesen sei. Es sei der Eindruck entstanden, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses sich außerordentlich ungünstig
auf die psychische Verfassung des Klägers ausgewirkt habe. Dies sei auch kommuniziert worden, der Kläger habe dem explizit
nicht widersprochen. Belegt sei eine notfallmäßige Krankenhausbehandlung am 04.02.2015. Der Kläger habe glaubhaft seine Fähigkeit
kommuniziert, im Januar 2015 sinnvoll an einem Bewerbungsgespräch teilzunehmen.
Am 17.06.2015 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen der Zahlung von Krg. Mit Beschluss vom 03.08.2015 (S 5 KR 1749/15 ER) lehnte das SG den Antrag ab. Unstreitig sei die Höchstbezugsdauer von 78 Wochen durch die Gewährung von Krg in den Jahren 2011 bis 2014
ausgeschöpft. Ein neuer Anspruch auf Krg könne daher nur unter den erschwerten Bedingungen des §
48 Abs
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) entstehen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er wegen seiner psychischen Erkrankung nicht arbeitsunfähig gewesen
sei. Seine nur ca vierwöchige Erwerbstätigkeit könne eine (nahezu) durchgängig bestehende Arbeitsfähigkeit von Ende August
2014 bis Ende März 2015 jedenfalls nicht belegen. Vielmehr spreche die Tatsache, dass Dr. S. im Juli 2014 bestätigt habe,
für eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt bestehe keine ausreichende psychische Belastbarkeit und eine Vorstellung in einer
psychosomatischen Klinik zur stationären Behandlung sei eingeleitet worden (allerdings wohl bis zum heutigen Tage nicht durchgeführt),
dafür, dass der Kläger für vollschichtige Tätigkeiten zumindest nicht durchgängig arbeitsfähig gewesen sei. Die Beschwerde
des Klägers hatte keinen Erfolg (Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 04.11.2015, L 4 KR 3370/15 ER-B).
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2015 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 08.07.2015 zum SG erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft und auf die "Zusicherung
der Beklagten" vom 28.04.2015 verwiesen.
Seit 01.10.2015 befristet bis 31.12.2017 bezieht der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung
(DRV) Bund (Bescheid vom 20.01.2016).
Das SG hat Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt und dessen Karteikartenauszüge über die Behandlung des Klägers
beigezogen. Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat das SG ein Gutachten bei Dr. K. eingeholt. Im Gutachten vom 12.06.2016 diagnostiziert dieser: phasenhaft verlaufende Depression,
aktuell mittelschwere Episode (F 33.1), generalisierte Angststörung (F 41.1), soziale Phobie (F 40.1), Agoraphobie mit Panikattacken
(F 40.01), chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren (F 45.41) und somatoforme Störung des unteren
Gastrointestinaltraktes (F 45.32). Objektive ärztliche Befunde aus der Zeit August 2014 bis März 2015 lägen nicht vor, der
Kläger sei in dieser Zeit auch nicht bei seinem Hausarzt gewesen. Es könne nicht mit Sicherheit bestätigt werden, dass der
Kläger in diesem Zeitraum arbeitsfähig gewesen sei, aber auch das Gegenteil könne nicht mit Sicherheit behauptet werden.
Mit Urteil vom 16.09.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die AU des Klägers sei für den streitigen Zeitraum zwar festgestellt, jedoch seien die Voraussetzungen
des §
48 SGB V nicht eingehalten. Krg werde wegen derselben Krankheit innerhalb von drei Jahren für maximal 78 Wochen gezahlt, dies sei
hier im Zeitraum 01.12.2011 bis 30.11.2014 bereits erfolgt. Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums bestehe ein neuer
Anspruch auf Krg wegen derselben Krankheit nur, wenn in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate keine AU wegen dieser Krankheit
bestanden und der Versicherte erwerbstätig gewesen sei oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe. Sowohl die
bis 26.08.2014 als auch die seit 26.03.2015 bestehende AU beruhe auf denselben Krankheiten (depressive Episode und Angststörung).
Seit Ende des Krg-Bezugszeitraums am 26.08.2014 sei eine Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Monaten nicht nachgewiesen.
Es sei angesichts der Schwere der Erkrankung mit lang andauernder AU und sogar Erwerbsminderung schon unwahrscheinlich, dass
mit dem 27.08.2014 das psychische Krankheitsbild verschwunden oder deutlich abgeklungen sei; allein die fehlende Behandlung
bis 26.03.2015 belege dies nicht. Der Bezug von Arbeitslosengeld bestätige ebenfalls keine Arbeitsfähigkeit, denn nach Erschöpfung
des Anspruchs auf Krg könne Arbeitslosengeld im Wege der Nahtlosigkeitsregelung bezogen werden. Auch das Gutachten von Dr.
K. stütze diese Überzeugung. Dieser habe darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der Karenzzeit bis zum Wiederaufleben des
Anspruchs auf Krg fast auf den Tag genau den Verdacht auf einen Leistungsmissbrauch nahelege. Angesichts des phasenweisen
Verlaufs sei es denkbar, dass der Kläger trotz bestehender psychischer Restsymptomatik zeitweise arbeitsfähig gewesen sei.
Eine durchgängige Arbeitsfähigkeit über mindestens sechs Monate ab 27.08.2014 sei daher nicht nachgewiesen. Aus dem Schreiben
der Beklagten vom 28.04.2015 lasse sich ein Anspruch auf Krg ab 07.05.2015 nicht ableiten, es handele sich nicht um einen
Bewilligungsbescheid. In dem Schreiben heiße es ausdrücklich: "Um Ihren Antrag auf Krankengeld bearbeiten zu können, bitte
ich Sie, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und an mich zurückzuschicken".
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 03.11.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 07.11.2016 eingelegte Berufung des
Klägers. Er bleibt dabei, dass zwischen der letzten AU und dem 26.03.2015 Arbeitsfähigkeit bestanden habe. Dr. K. habe dargelegt,
dass die Bewerbungsbemühungen des Klägers glaubhaft seien. Dies bedeute, dass der Kläger in jedem Fall imstande gewesen sei,
zu arbeiten. Die Bundesagentur für Arbeit habe keine Zweifel an der Arbeitsfähigkeit und Vermittelbarkeit gehabt. Es könne
dem Kläger nicht zur Last gelegt werden, dass er erst im September 2015 eine fachärztliche psychiatrische Behandlung in Anspruch
genommen habe. Das SG berücksichtige nicht, dass es sehr schwierig sei, entsprechende Termine zu bekommen. Im Übrigen liege eine Zusicherung der
Beklagten vor mit dem Schreiben vom 28.04.2015.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16.09.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30.06.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld für die Zeit vom 07.05. bis 30.09.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und die überzeugenden Gründe des angefochtenen Urteils.
Die Berichterstatterin hat am 14.02.2017 einen Erörterungstermin durchgeführt, an dem der Kläger wegen Erkrankung nicht teilnehmen
konnte. Nachfolgend ist der Bericht über die Behandlung in der Notfallambulanz des Klinikums H. vom 04.02.2015, die Rentenakte
der DRV Bund und die Akte der Bundesagentur für Arbeit einschließlich der Vermerke in VerBIS für August 2014 bis Mai 2015
beigezogen worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des
SG (S 5 KR 1749/15 ER und S 5 KR 1971/15), die Akte des LSG Baden-Württemberg (L 4 KR 3370/15 ER-B) sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, der DRV Bund und der Bundesagentur für Arbeit Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet
(§§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG), hat Erfolg.
Die nach den §§
143,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig und in der Sache auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 26.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30.06.2015 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von
Krg für die Zeit vom 07.05. bis 30.09.2015.
Allerdings ist das Schreiben der Beklagten vom 28.04.2015 weder eine Bewilligung noch eine Zusicherung der Gewährung von Krg
ab 07.05.2015 (ebenso LSG Baden-Württemberg 04.11.2015, L 4 KR 3370/15 ER-B). Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte dem Kläger Unterlagen übersandte, damit er die Angaben mache, die sie für
die Prüfung des Anspruchs auf Krg benötigte. In dem Schreiben heißt es ausdrücklich: "Um Ihren Antrag auf Krankengeld bearbeiten
zu können, bitte ich Sie, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und an mich zurückzuschicken". Damit ist zweifelsfrei ersichtlich,
dass noch keinerlei abschließende Regelung über die Bewilligung von Krg getroffen worden war.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§
44 ff
SGB V. Nach §
44 Abs
1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär
behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt (§
46 Satz 1 Nr 2
SGB V in der bis 22.07.2015 geltenden Fassung) bzw von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (§
46 Satz 1 Nr 2
SGB V idF des GKV-VSG vom 16.07.2015 mWv 23.07.2015, BGBl I, 1211). Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die
AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender
Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (st Rspr BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12; BSG 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner
Krankenkasse gemäß §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).
Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krg bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter"
Anspruch auf Krankengeld hat. Die Mitgliedschaft der Bezieher von Arbeitslosengeld I endet grundsätzlich gem §
190 Abs
12 SGB V mit Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung bezogen wird, hier der 06.05.2015. Nach §
192 Abs
1 Nr
2 SGB V bleibt die Mitgliedschaft auch nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs erhalten, wenn ein Anspruch auf Krg besteht oder Krg
bezogen wird.
Ein derartiger Anspruch des Klägers auf Krg besteht ab 07.05.2015. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger im gesamten
streitigen Zeitraum arbeitsunfähig war. Hierfür spricht sowohl das Gutachten von Dr. G. vom MDK vom 24.06.2015 als auch die
weitere Entwicklung mit der Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2015. Im streitigen Zeitraum ist die
AU auch durchgehend ärztlich festgestellt. Der Anspruch auf Krg ist im konkreten Fall auch nicht erschöpft wegen des Vorbezugs
von 78 Wochen.
Nach §
48 Abs
1 SGB V erhalten Versicherte Krg ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der AU wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78
Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (Satz 1). Tritt während der
AU eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert (Satz 2). Da der Kläger ab 01.12.2011 wegen psychischer
Erkrankungen (depressive Episode und Angststörung) arbeitsunfähig war, lief der Dreijahreszeitraum vom 01.12.2011 bis 30.11.2014.
Innerhalb dieses Zeitraums zahlte die Beklagte dem Kläger unstreitig für 546 Kalendertage (= 78 Wochen) Krg.
Nach §
48 Abs
2 SGB V besteht für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krg bezogen haben, nach
Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krg wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten
AU mit Anspruch auf Krg versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate
1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und
2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.
Sowohl die bis 26.08.2014 bestehende AU, wegen der der Kläger in den Jahren 2011 bis 2014 Krg bezog, als auch die seit 26.03.2015
bestehende AU beruhen auf denselben Krankheiten, nämlich der depressiven Episode sowie der Angststörung des Klägers. AU bestand
jeweils wegen der psychischen Erkrankung. Dies ergibt sich eindeutig aus der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. S. vom
12.10.2015 (eingeholt im Verfahren L 4 KR 3370/15 ER-B), wonach eine bereits am 01.04.2014 begonnene Therapie mit Psychopharmaka am 26.03.2015 wieder aufgenommen wurde.
Wegen der Ausschöpfung des Krg-Anspruchs im Dreijahreszeitraum vom 01.12.2011 bis 30.11.2014 konnte ein Anspruch auf Krg erst
in einem neuen Dreijahreszeitraum wiederaufleben, der am 01.12.2014 begann. Seit dem Ende des Bezugs von Krg am 26.08.2014
bis zur erneuten Feststellung von AU durch Dr. S. am 26.03.2015 war der Kläger unstreitig entweder erwerbstätig (so vom 01.
bis 26.09.2014) oder stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und bezog Alg, wie sich aus den beigezogenen Akten der Bundesagentur
für Arbeit ergibt. Die Voraussetzung des §
48 Abs
2 Nr
2 SGB V ist erfüllt.
Problematisch ist jedoch die in §
48 Abs
2 Nr
1 SGB V geregelte Voraussetzung, dass der Kläger für mindestens sechs Monate "nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig" gewesen
sein darf im Zeitraum 26.08.2014 bis 26.03.2015. Es ist in der Tat - wie bereits zuvor vom SG und vom 4. Senat ausgeführt - schon unwahrscheinlich, dass mit dem 27.08.2014 das psychische Krankheitsbild des Klägers verschwunden
war. Dies ergibt sich aus den Ausführungen von Dr. G. vom MDK. Am 10.06.2014 hatte sich der Kläger noch zu einem explorativen
Erstgespräch in der psychosomatischen Klinikambulanz am O.-Klinikum Aalen vorgestellt. Dort wurde aufgrund der Krankheitsschwere,
Komorbidität, Komplexität des Krankheitsbildes, erheblichen Beeinträchtigungen in sämtlichen Lebensbereichen, bei drohender
Chronifizierung, eingeschränkter Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung zum Aufbau einer Behandlungsmotivation und bei nicht verfügbarer
und ausreichender ambulanter Psychotherapie die Indikation für eine psychosomatische Krankenhausbehandlung gesehen. Der Kläger
konnte sich eine teilstationäre Behandlung vorstellen und wurde in die Warteliste aufgenommen (Arztbrief O.klinikum vom 12.06.2014,
Blatt 55 ff Senatsakte). Auch aufgrund der im August 2014 erhobenen Befunde bestand noch eine Indikation zur teilstationären
Behandlung, zu der es jedoch nicht kam. Anschließend war der Kläger allerdings vom 01. bis 27.09.2014 in Vollzeit berufstätig.
Die Beschäftigung endete in der Probezeit durch arbeitgeberseitige Kündigung. Wie Dr. K. in seinem Gutachten vom 12.06.2016
in Übereinstimmung mit Dr. G. ausgeführt hat, bestand der Eindruck, dass sich das Ende des Arbeitsverhältnisses außerordentlich
ungünstig auf die psychische Verfassung des Klägers ausgewirkt habe mit nachfolgend mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum bestehenden erheblichen depressiven Funktionseinschränkungen. An weiteren ärztlichen
Befunden im Zeitraum zwischen August 2014 und März 2015 liegt nur der Bericht über die notfallmäßige Behandlung im Klinikum
H. vom 04.02.2015 vor wegen abdomineller Schmerzen, zudem hat der Kläger am 02.11.2014 die Notfallpraxis H. aufgesucht bei
Verdacht auf HWS/LWS-Blockierung. Beides betrifft nicht direkt die hier maßgebenden psychischen Erkrankungen und bezieht sich
zudem nur auf wenige Tage in einem Zeitraum von sieben Monaten. Ansonsten hat der Kläger in diesem Zeitraum keine ärztliche
Behandlung wahrgenommen, auch nicht bei seinen Hausärzten. Wie Dr. K. ausführlich und überzeugend begründet hat, lässt sich
für den Zeitraum 26.08.2014 bis 26.03.2015 daher weder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der
Kläger für mindestens sechs Monate nicht arbeitsunfähig wegen der psychischen Erkrankungen war, noch lässt sich mangels Anknüpfungstatsachen
das Gegenteil feststellen. Auch unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. G. vom MDK lässt sich zur Überzeugung des Senats
keine Feststellung dahin treffen, dass der Kläger mindestens sechs Monate zwischen dem 26.08.2014 und 26.03.2015 nicht arbeitsfähig
war. Zwar erscheint es überzeugend, dass sich das Ende des Arbeitsverhältnisses auf die psychische Situation des Klägers sehr
ungünstig ausgewirkt haben mag, eine genaue zeitliche Festlegung kann jedoch auch Dr. G. mangels ärztlichen Unterlagen über
den maßgebenden Zeitraum nicht treffen. Er führt selbst aus, dass die Erkenntnisse krankheitsbedingter Funktionseinschränkungen
nach dem Ende des Krg-Bezuges am 26.08.2014 begrenzt sind und folgert lediglich aus der Schwere der Erkrankung, dass (ohne
weitere Festlegung) "zumindest zeitweise ... die aus der Krankheit resultierenden Funktionseinschränkungen so gewichtig (waren),
dass wie aktuell ein relevantes positives Leistungsbild nicht vorlag und der Versicherte nicht arbeitsfähig war". Dass dies
für mindestens sechs Monate der Fall war, ist allerdings eine reine Vermutung, ohne dass sich dies belegen ließe.
Auch aus den Beratungsvermerken der Bundesagentur für Arbeit lässt sich weder eine durchgehende Arbeitsfähigkeit zwischen
August 2014 und März 2015, noch eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit entnehmen. Am 11.09.2014 wurde im Rahmen eines persönlichen
Leistungsprofilings eine Verfügbarkeit ohne Einschränkungen festgestellt. Allerdings fand am 08.10.2014 ein Termin zur Arbeitsvermittlung
wegen Erkrankung des Klägers nicht statt. Anlässlich des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung am 23.10.2014 ist in
den Beratungsvermerken der Bundesagentur für Arbeit festgehalten: "Die Profillage wurde auf Marktprofil geändert. Fazit zur
Standortbestimmung: Schnelle Vermittlung in Arbeit ist möglich innerhalb von drei Monaten." Dies zeigt, dass jedenfalls die
Bundesagentur für Arbeit zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Klägers hatte. Der nächste
persönliche Kontakt fand dann allerdings erst wieder am 02.03.2015 statt (Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung),
hierbei wurde das Profil geändert in "Förderprofil". Aussagen über eine durchgängige Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit
lassen sich damit auch den Akten der Bundesagentur für Arbeit nicht entnehmen. Es handelt sich um eine non liquet Situation.
Weitere Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, sind nicht vorhanden.
Entscheidend ist daher, wer in dem hier vorliegenden Fall der Nichterweislichkeit der negativen Tatsache, dass für mindestens
sechs Monate keine AU wegen der psychischen Erkrankungen bestand, die objektive Beweislast trägt. Dabei gilt der Grundsatz,
dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen - in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen
negativer Tatbestandsmerkmale - trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (vgl BSG 24.10.1957, 10 RV 945/55, BSGE 6, 70, 73; BSG 26.11.1992, 7 RAr 38/92, BSGE 71, 256, 260 mwN = SozR 3-4100 §
119 Nr 7 mwN; ferner Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl, §
103 RdNr
19a mwN). Bezogen auf einen aus §
44 Abs
1 Satz 1 1. Alt
SGB V hergeleiteten Krg-Anspruch bedeutet dies, dass ein Versicherter regelmäßig kein Krg beanspruchen kann, wenn sich mit den
zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht nachweisen lässt, dass er aus Krankheitsgründen nicht in der Lage gewesen
ist, seine Arbeit zu verrichten (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7). Ebenso trifft es grundsätzlich den Versicherten, wenn sich die anspruchsbegründenden Tatsachen in §
48 Abs
2 SGB V nicht nachweisen lassen.
Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass der Grundsatz der objektiven Beweislast in der vorliegenden Konstellation der Modifizierung
bedarf. In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass den Prozessgegner (hier: die Beklagte) der für eine negative
Tatsache beweisbelasteten Partei (hier: der Kläger) eine sogenannte sekundäre Darlegungslast trifft, um die mit dem Beweis
negativer Tatsachen (hier: nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig) verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden. Der Umfang
der sekundären Darlegungslast richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Darlegungen müssen so konkret sein, dass
der beweisbelasteten Partei eine Widerlegung möglich ist (BGH 24.03.2010, XII ZR 175/08, BGHZ 185, 1). Diese Grundsätze setzen allerdings nicht nur eine objektive, sondern eine subjektive Beweisführungslast voraus und können
daher nicht uneingeschränkt auf den Sozialgerichtsgerichtsprozess übertragen werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass
auch im sozialgerichtlichen Verfahren bei der Feststellung negativer Tatsachen trotz der hier bestehenden Pflicht zur Amtsermittlung
Schwierigkeiten auftreten können, denen durch eine Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr Rechnung getragen werden
muss.
Der Anspruch der Versicherten, in einem neuen Dreijahreszeitraum trotz Vorbezugs von 78 Wochen nochmals wegen derselben Krankheit
Krg zu erhalten, ist schon dadurch eng begrenzt, dass zum Zeitpunkt des erneuten Eintretens von AU eine Versicherung mit Anspruch
auf Krg bestanden haben muss. Damit scheiden schon viele Fälle aus, etwa bei Bestehen einer Familienversicherung. Zudem fordert
die Vorschrift kumulativ für die Dauer von mindestens sechs Monaten das Fehlen von Arbeitsunfähigkeit wegen dieser Krankheit
und eine Erwerbstätigkeit bzw ein Zurverfügungstehen zur Arbeitsvermittlung. Beide Voraussetzungen werden idR gemeinsam vorliegen,
dies ist jedoch nicht zwingend. So kann zB Alg auch geleistet werden in Fällen der sog Nahtlosigkeit nach §
145 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) bei Vorliegen von AU. Wird durchgehend eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, dürften auf der anderen Seite kaum Zweifel bestehen,
dass Arbeitsfähigkeit vorlag. Im vorliegenden Fall ist auch zu berücksichtigen, dass Alg nicht im Wege der Nahtlosigkeit gewährt
wurde, sondern nach den §§
136 ff
SGB III. Der Rentenantrag des Klägers wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, nämlich am 10.07.2015. Für die Dauer von fast
einem Monat wurde zudem eine Vollzeittätigkeit ausgeübt und es ließ sich über sieben Monate keinerlei Behandlung wegen der
psychischen Erkrankungen feststellen. Schließlich war der Kläger in der Vergangenheit schon einmal längere Zeit wegen einer
psychischen Erkrankung arbeitsunfähig (im Jahr 2012) und anschließend wieder ein ganzes Jahr lang berufstätig (im Jahr 2013).
Auch aus der Art der Erkrankung kann nicht geschlossen werden, dass sie zwangsläufig weiterhin in einer Ausprägung bestanden
haben muss, die nach medizinischer Erfahrung AU hervorruft.
Bei einer solchen Situation stellt sich die Frage, wie ein Versicherter eine nicht bestehende AU beweisen soll. Es kann kaum
verlangt werden, dass ein gesunder Versicherter regelmäßig seinen Arzt aufsucht, um sich "Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen"
ausstellen zu lassen. Auf der anderen Seite stellt die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder eine uneingeschränkte Zurverfügungstellung
zur Arbeitsvermittlung (kein Fall des §
145 SGB III) ein starkes Indiz dafür dar, dass keine AU bestand. Da der Kläger in der Zeit vom 27.08.2014 bis zum 25.03.2015 durchgehend
entweder erwerbstätig war oder sich uneingeschränkt der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt und zudem Alg nach den §§
136 ff
SGB III bezogen hatte, ist der Senat der Auffassung, dass hier zugunsten des Klägers eine Beweislastumkehr greift, so dass es zu
Lasten der Beklagten geht, dass sich nicht (mehr) feststellen lässt, dass der Kläger nicht arbeitsunfähig war iSv §
48 Abs
2 Nr
1 SGB V. Für den streitigen Zeitraum vom 07.05. bis 30.09.2015 besteht daher der Anspruch auf Krg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, da bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung
dazu vorliegt, wie sich eine non liquet Situation im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzung des §
48 Abs
2 Nr
1 SGB V auswirkt.