Anspruch auf Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung
Anforderungen an die Meldepflichten des Versicherten bei abschnittsweiser Bewilligung für Folge-Arbeitsunfähigkeits-Feststellungen
Zulässigkeit einer Nachholung der Feststellung beim Vorliegen einer schweren depressiven Episode
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit
vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017 hat.
Die 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Ihr wurde ab dem 14. April 2016 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
Zum 30. April 2016 wurde nach 25 Jahren ihr Arbeitsverhältnis nach einem langwierigen Konflikt mit dem Vorgesetzten beendet.
Die Klägerin ist kinderlos und lebt getrennt von ihrem Ehemann. Die Beklagte gewährte der Klägerin Krankengeld in Höhe von
63 EUR netto täglich.
Am 29. August 2016 stellte sie sich erstmals in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Agaplesion
Elisabethenstift Darmstadt vor. In der Zeit vom 31. Oktober 2016 bis 14. November 2016 sowie in der Zeit vom 22. November
2016 bis 19. Dezember 2016 befand sie sich dort in teilstationärer Behandlung (Diagnosen: schwere depressive Episode ohne
psychotische Symptome - F32.2 -, bekanntes Hypophysenadenom). Ihre bereits im Jahr 2003 verstorbene Mutter habe an Depressionen
gelitten. Auch ihre Geschwister würden an Depressionen leiden. Ihr Cousin habe sich im Jahr 2015 erhängt. Der Klägerin sei
es während der teilstationären Behandlung aufgrund der somatoformen Symptomatik schwer gefallen, die Tagesklinik aufzusuchen
(Somatische Anamnese: u.a. Zustand nach Schilddrüsen-Radiojod-Therapie 2002, bekanntes Hypophysenadenom, Zustand nach Cervix-Carcinom
2009). Sie habe immer wieder unter Angabe von diversen körperlichen Beschwerden gefehlt, eine stark reduzierte Belastbarkeit
und Ausdauer gezeigt und sei schon nach geringen Anstrengungen schnell erschöpft und frustriert gewesen. Aufgrund der dringenden
psychiatrischen Behandlungsnotwendigkeit sei ihr eine Verlegung in die offene allgemeinpsychiatrische Station der Klinik empfohlen
worden. Sie sei auf die Warteliste gesetzt und mit dieser Option am 19. Dezember 2016 aufgrund der Erkältungssymptomatik aus
der tagesklinischen Behandlung entlassen worden (Befundbericht vom 16. Januar 2017, Bl. 58 der Gerichtsakte). Noch am gleichen
Tag bescheinigte Dr. D. der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 26. Dezember 2016 (Diagnose: J20.9G - akute Bronchitis).
Am 29. Dezember 2016 (einem Donnerstag) suchte die Klägerin die Zentrale Notaufnahme des Agaplesion Elisabethenstifts auf.
Da die Klägerin "schwer grippal erkrankt mit Krankheitsgefühl und Ansteckungsgefahr" gewesen sei, wurde sie nicht stationär
aufgenommen. Ein neuer Termin zur Aufnahme wurde besprochen (Befundbericht vom 29. Dezember 2016).
Die Gemeinschaftspraxis Dres. E. und F. E. (Vertretungspraxis) stellte am 29. Dezember 2016 Arbeitsunfähigkeit seit 27. Dezember
2016 bis 3. Januar 2017 fest (Diagnosen: J20.9G - akute Bronchitis - und F32.9G - depressive Episode). Diese Bescheinigung
reichte die Klägerin bei der Beklagten ein und teilte mit, dass sie wegen schwerer Erkältung, Durchfall und Erbrechen am 27.
Dezember 2016 und 28. Dezember 2016 nicht habe zum Arzt gehen können. Auch die Klinik habe sie am 29. Dezember 2016 wegen
der Erkältung wieder weggeschickt.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nur bis zum 26. Dezember 2016 Anspruch auf
Krankengeld habe.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und verwies erneut darauf, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht vor dem 29.
Dezember 2016 habe zum Arzt gehen können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es liege kein Ausnahmefall vor, bei welchem
eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen Krankengeldanspruch notwendig sei. Die Arbeitsunfähigkeit
hätte im Rahmen eines ärztlichen Hausbesuches festgestellt werden können.
Am 29. Juni 2017 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass
sie an Depression, schwerer Erkältung, Durchfall und Erbrechen gelitten habe und vor dem 29. Dezember 2016 nicht habe zum
Arzt gehen können.
Nach mündlicher Verhandlung am 10. Juli 2018 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 12. Juli 2018 die Klage abgewiesen.
Gemäß §
44 Absatz
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung - Krankheit sie arbeitsunfähig
mache. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen könnten, bestimme sich nach dem Versicherungsverhältnis,
das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für Krankengeld vorliege. An die Stelle des Versicherungsverhältnisses
trete bei einem nachgehenden Anspruch die hieraus erwachsene Berechtigung. Der Anspruch entstehe gemäß §
46 Satz 1
SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen
von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Der Anspruch auf Krankengeld bleibe gemäß Satz 2 jeweils bis
zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese
Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolge. Die Anspruchsvoraussetzungen
müssten bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeits-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt
jeweils erneut vorliegen. Der Hausarzt der Klägerin habe am 19. Dezember 2016 bis zum 26. Dezember 2016 Arbeitsunfähigkeit
festgestellt. Die nächste Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei erst am 29. Dezember 2016 und damit nicht an dem den 26.
Dezember 2016 folgenden Werktag erfolgt. Zwar habe Dr. E. eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 27. Dezember 2016 bescheinigt.
Die Feststellung dieser Arbeitsunfähigkeit sei aber erst am 29. Dezember 2016 getroffen worden. Eine anderweitige ärztliche
Feststellung, welche die Lücke schließen könne, sei nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Auch im Krankenhaus sei
die Klägerin erst am 29. Dezember 2016 vorstellig geworden. Eine Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit, welche von dem Erfordernis
einer ärztlichen Feststellung am 27. Dezember 2016 absehen lassen könnte, liege bei einem akuten Infekt und einer nicht näher
bezeichneten depressiven Episode nicht vor. Das Gericht könne sich auch nicht vom Vorliegen einer psychischen Erkrankung überzeugen,
die einen Zustand der Passivität ausgelöst habe, welcher es der Klägerin unmöglich gemacht habe, zum Arzt zu gehen oder eine
Praxis anzurufen. Auch Dr. E. habe bei der Klägerin am 29. Dezember 2016 lediglich eine akute Bronchitis und eine nicht näher
bezeichnete depressive Episode festgestellt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst nur vorgetragen habe,
an schwerer Erkältung, Erbrechen und Durchfall gelitten zu haben. Erst im Klageverfahren sei die Schwere der psychischen Erkrankung
vorgetragen worden. Der Befund des Elisabethenstifts vom 29. Dezember 2016 lasse keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkennen,
dass es der Klägerin unmöglich gewesen sei, am 27. Dezember 2016 einen Arzt aufzusuchen. An diesem Tag in die Zeit zwischen
den Weihnachts- und Neujahrstagen dürfte es zwar schwierig gewesen sein, einen Arzt zu finden, der seine Praxis geöffnet habe.
Der von der Klägerin aufgesuchte Vertretungsarzt sei nur ca. 1,1 km von dem Wohnhaus der Klägerin entfernt. Ihn hätte sie
auch bereits am 27. Dezember 2016 aufsuchen können. Damit habe die Mitgliedschaft der Klägerin als versicherungspflichtig
Beschäftigte mit Krankengeldanspruch am 26. Dezember 2016 geendet. Bei einer freiwilligen Versicherung bestehe kein Krankengeldanspruch.
Es bestehe auch kein nachgehender Leistungsanspruch. Ende die Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen, bestehe gemäß
§
19 Abs.
2 Satz 1
SGB V Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt
werde. Der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz sei gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis
(hier der freiwilligen Versicherung) grundsätzlich aber nachrangig.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 18. Juli 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. August 2018 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, dass sie sich in der Zeit vor dem 29. Dezember 2016 in einem seelischen
und gesundheitlichen Ausnahmezustand befunden habe. Die Weihnachtsfeiertage seien bei der bereits bestehenden Depression für
sie zu einer zusätzlichen psychosozialen Belastungssituation geworden, die sie handlungsunfähig gemacht habe. Wegen Erkältung,
Durchfall und Erbrechen sei sie wegeunfähig gewesen. Erschwerend sei hinzugekommen, dass ihr vertrauter Hausarzt sich in dieser
Zeit im Urlaub befunden habe und sie sich einem fremden Arzt habe anvertrauen müssen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juli 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld
für die Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie darauf verwiesen, dass die Möglichkeit eines ärztlichen
Hausbesuches ggf. durch den ärztlichen Notdienst bestanden hätte. Ferner habe im weiteren Verlauf nach dem 29. Dezember 2016
kein stationärer Aufenthalt stattgefunden.
Dr. E. hat unter dem 4. Februar 2019 mitgeteilt, dass die Klägerin am 29. Dezember 2106 die (Vertretungs-)Praxis aufgesucht
habe. Sie habe von Schnupfen, laufender Nase, reichlich produktivem Husten, keinem Fieber aber Frösteln, Gliederschmerzen
berichtet. Er, Dr. E., habe Bronchitis und anamnestisch Depression diagnostiziert. Es erscheine plausibel, dass die Klägerin
vorher die Praxis nicht habe aufsuchen können.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 ist rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Beklagten für die
Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017, weil sie in dieser Zeit arbeitsunfähig war und dies ärztlich festgestellt worden
ist. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juli 2018 sowie der Bescheid waren daher aufzuheben und die
Beklagte zur Krankengeldzahlung zu verurteilen.
Hinsichtlich der Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs wird gemäß §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Wie vom Sozialgericht ausgeführt, kann ausnahmsweise
die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für den weiteren Bewilligungsabschnitt - rückwirkend auf den letzten Tag des abgelaufenen
Krankengeld-Bezugs - nachgeholt werden, wenn der Versicherte aufgrund von Geschäfts- oder Handlungsfähigkeit an einer Wiedervorstellung
beim Arzt gehindert gewesen ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R, juris Rn. 24 mwN).
Für eine fehlende Geschäftsunfähigkeit liegen im Fall der Klägerin keine Anhaltspunkte vor. Auch eine Handlungsunfähigkeit
im rechtlichen Sinne hat nicht vorgelegen. Eine solche wird z.B. angenommen bei Bergunfällen mit Rettung erst nach einigen
Tagen oder Ohnmachtsunfällen Alleinstehender mit Auffinden erst Tage später (vgl. Schifferdecker in: KassKomm, §
46 SGB V, Rn. 41). Darüber hinaus kann eine tatsächliche Handlungsunfähigkeit vorliegen, wenn der Versicherte sich in einem gesundheitlichen
Ausnahmezustand befindet, der ihn derart lähmt, dass er gerade noch in der Lage ist, sich um die körperlichen Grundbedürfnisse
zu kümmern, nicht hingegen einen Arzt aufzusuchen oder anzurufen (SG Aachen, Urteil vom 14. März 2017, S 13 KR 312/16, juris Rn. 26). Dies kann insbesondere beim Vorliegen einer schweren Depression der Fall sein (vgl. Sonnhoff in: jurisPK
§
46 SGB V, Rn 42). Bereits bei einer mittelgradigen depressiven Episode hat der Betroffene "meist große Schwierigkeiten, alltägliche
Aktivitäten fortzusetzen". Dies betrifft Betroffene mit einer schweren depressiven Episode in verstärktem Maße. Liegt hingegen
lediglich eine leichte depressive Episode (F32.9) vor, sind die Betroffenen "oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen"
(s. http://www.icd-code.de/icd/code/F32.2.html), weshalb regelmäßig keine tatsächliche Handlungsunfähigkeit vorliegen wird
(vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. November 2016, L 5 KR 100/16, juris Rn. 16).
Bei der Klägerin lag hingegen eine schwere depressive Episode (F32.2) vor. Aufgrund dieser schweren psychiatrischen Erkrankung
ist sie vom 31. Oktober 2016 bis 14. November 2016 und vom 22. November 2016 bis 19. Dezember 2016 in der Klinik für Psychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie im Agaplesion Elisabethenstift teilstationär behandelt worden. Diese Klinik hat mit Befundbericht
vom 16. Januar 2017 eine dringende psychiatrische Behandlungsnotwendigkeit festgestellt und eine Verlegung in die offene allgemeinpsychiatrische
Station empfohlen. Die Entlassung aus der teilstationären Behandlung am 19. Dezember 2016 erfolgte aufgrund der bei der Klägerin
vorliegenden Erkältungssymptomatik. Es wurde ferner festgestellt, dass sich bei der Klägerin eine stark reduzierte Belastbarkeit
und Ausdauer gezeigt habe. Schon nach geringen Anstrengungen sei sie schnell erschöpft und frustriert gewesen. Es sei ihr
schwer gefallen, die Tagesklinik aufzusuchen, weshalb ihr von Seiten der Klinik eine vollstationäre Weiterbehandlung empfohlen
wurde. Der entsprechende Befundbericht der Klinik vom 16. Januar 2017 lag weder der Beklagten im Verwaltungsverfahren noch
dem Gericht im erstinstanzlichen Verfahren vor und konnte deshalb weder von der Beklagten noch vom Sozialgericht berücksichtigt
werden. Diese haben sich vielmehr auf eine nicht näher bezeichnete depressive Episode (F32.9) bezogen.
Zu der schweren psychiatrischen Erkrankung kam hinzu, dass die Klägerin schwer grippal erkrankt war (Befundbericht der Zentralen
Notaufnahme des Elisabethenstifts am 29. Dezember 2016) und an Durchfall und Erbrechen litt.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zudem überzeugend dargelegt, dass sie an den Weihnachtsfeiertagen und den Tagen
danach schwer depressiv gewesen sei. Hinzu seien der grippale Infekt mit Durchfall und Erbrechen gekommen. Sie habe die Zeit
im Bett oder auf der Couch verbracht und allenfalls auf die Toilette gehen können. Ihr Körper habe nicht mehr gewollt. Sie
sei in der Zeit wie ausgeblendet gewesen. Sie sei froh gewesen, dass sie diese Zeit überlebt habe.
Zur Überzeugung des Senats war die alleinlebende Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung insoweit handlungsunfähig, als sie nicht
in der Lage war, am 27. und 28. Dezember 2016 einen Arzt aufzusuchen bzw. sich anderweitig um eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
zu kümmern. Aufgrund der schweren depressiven Symptomatik war sie in ihrem Handlungsantrieb stark reduziert. Sie konnte sich
gerade noch um ihre notwendigsten körperlichen Bedürfnisse kümmern. Hinzu kamen die körperlichen Beschwerden aufgrund des
grippalen Infekts mit Durchfall und Erbrechen, die sie stark beeinträchtigten und am Verlassen der Wohnung hinderten. In diesem
Zustand war es ihr nicht möglich, einen - noch dazu ihr fremden - Vertretungsarzt aufzusuchen. Auch war sie nicht in der Lage,
diesen zu einem Hausbesuch zu veranlassen bzw. einen ärztlichen Notdienst oder eine Notfallambulanz zu bemühen. Denn hierzu
hätte sie die Dringlichkeit ihres Anliegens deutlich machen müssen, wozu sie aufgrund der Antriebsminderung jedoch nicht fähig
war. Insoweit ist zu bedenken, dass ein Vertretungsarzt - zumal an den Tagen "zwischen den Jahren" - ohnehin nur wenige Kapazitäten
für Hausbesuche haben wird und dies medizinisch dringenden Behandlungsfällen vorbehalten wird. Die Inanspruchnahme eines ärztlichen
Notdienstes oder einer Notfallambulanz hingegen wird regelmäßig die (isolierte) Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mangels
eines medizinischen Notfalls nicht rechtfertigen (s. Sonnhoff in: jurisPK §
46 SGB V, Rn 43). Unter diesen Umständen fällt es bereits Versicherten ohne psychiatrische Erkrankung schwer, sich um eine rechtzeitige
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen eines Hausbesuchs bzw. durch den ärztlichen Notdienst zu kümmern. Bei einer
schweren psychiatrischen Erkrankung wie der bei der Klägerin im streitigen Zeitraum vorliegenden schweren Depression (F32.2)
wird es regelmäßig nicht möglich sein, eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen ärztlichen Hausbesuch, einen ärztlichen
Notdienst oder eine Notfallambulanz zu erlangen.
Aufgrund der Angaben der allein lebenden Klägerin und der ärztlichen Feststellung (Befundberichte des Elisabethenstifts vom
29. Dezember 2016 und 16. Januar 2017) ist vorliegend davon auszugehen, dass der Klägerin am 27. und 28. Dezember 2016 der
hierfür erforderliche Antrieb fehlte. Sie war insoweit handlungsunfähig im tatsächlichen Sinne.
Im Fall der Klägerin lag daher ein Ausnahmefall vor, der es rechtfertigt, dass die am 27. und 28. Dezember 2016 unterbliebene
ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise rückwirkend nachgeholt werden konnte. Indem sich die Klägerin
am 29. Dezember 2016 in der Notfallklinik sowie bei dem Vertretungsarzt vorgestellt hat, hat sie das ihr Zumutbare getan,
um den Krankengeldanspruch über den 26. Dezember 2016 hinaus sicherzustellen. Die Klägerin war darüber hinaus durchgehend
bis zum 13. März 2017 arbeitsunfähig und hat dies entsprechend nachgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.