Gründe
I.
Der Senat hat dem Kläger - nach der durch §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) gebotenen Anhörung - durch Kostenentscheidung im Berufungsurteil vom 14.06.2017 Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG von 500 EUR auferlegt. In der mündlichen Begründung zur Höhe des dem Kläger auferlegten Kostenanteils hat der Senat auf seinen
voraussichtlichen Aufwand für die Abfassung, Absetzung und Zustellung des Urteils verwiesen. Der Kläger hat die Berufung nach
Verkündung des Urteils am 29.06.2017 zurückgenommen und zugleich beantragt, die Entscheidung über die Verschuldenskosten aufzuheben.
Ein Urteilsentwurf war zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen, worüber der Kläger auf Nachfrage durch den Senat informiert
war.
II.
Die Entscheidung über die Verschuldenskosten ist aufzuheben. Der Beschluss ergeht durch alle Berufsrichter des Senats. §
155 Abs.
2 Satz 1 Nr.
5 SGG greift nicht ein, da die Kostenentscheidung nach §
192 Abs.
1 SGG im Zusammenhang mit einer Sachenscheidung des Senats getroffen wurde (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
155 Rn.8), trotz der später erfolgten Berufungsrücknahme grundsätzlich Bestand hat (§
192 Abs.
3 SGG) und insoweit dieser Beschluss nicht im vorbereitenden Verfahren ergeht.
Die Entscheidung durch Beschluss ist dem Senat nicht nach §
192 Abs.
3 SGG verwehrt. Der Antrag des Klägers ist als Gegenvorstellung zu werten. Durch die Rücknahme der Berufung ist das Urteil des
Sozialgerichts rechtskräftig geworden, einschließlich der dort ebenfalls nach §
192 SGG getroffenen Kostenentscheidung. Zugleich hat das Urteil des Senats vom 14.06.2017 seine Wirkung verloren. Die Kostenentscheidung
nach §
192 Abs.
1 SGG wird aber in ihrem Bestand durch die Rücknahme der Berufung nicht berührt und kann grundsätzlich nur durch eine zu begründende
Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden (§§
192 Abs.
3,
153 Abs.
1 SGG). Es wird deshalb vertreten, die Rücknahme der Klage (hier: der Berufung) nach Verkündung, auch vor Absetzung des Urteils,
berühre den Kostenausspruch nach §
192 SGG nicht (Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte,
SGG 2. Aufl. 2013, §
192, Rn. 13; Krauß in:Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
192, Rn. 56).
Dies hält der Senat für unzutreffend.
Obwohl die Entscheidung über Verschuldenskosten im Urteil grundsätzlich endgültig ist und nur durch Kostenentscheidung im
Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden kann, gebietet eine am Zweck der Regelung orientierte Auslegung, hiervon Ausnahmen
zuzulassen. In der Rechtsprechung finden sich hierfür Beispiele. So sieht etwa für den Fall einer Klagerücknahme im Revisionsverfahren
das BSG die Möglichkeit, auf Antrag des Klägers über die Auferlegung der Kosten nach §
192 Abs.
1 und
2 SGG durch einen zu begründenden Beschluss aufzuheben, denn "ansonsten bliebe nämlich diese Entscheidung trotz Klagerücknahme
gemäß §
192 Abs
3 Satz 1
SGG wirksam" (BSG, Beschluss vom 28.10.2010 - B 13 R 229/10 B -, SozR 4-1500 § 192 Nr 1, Rn. 14). Hierzu verweist das BSG auf §
102 Abs.
3 Satz 1 und
2 SGG, der für den Fall der Klagerücknahme auf Antrag eine Einstellung des Verfahrens durch Beschluss und eine Entscheidung über
Kosten vorsieht soweit diese entstanden sind.
§
102 SGG wendet sich allerdings nicht an den iudex ad quem, das Rechtsmittelgericht, sondern an den iudex a quo, den erkennenden Richter.
In der Kommentarliteratur wird betont, dass es sich bei der Regelung des §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG nicht um eine Straf- sondern vielmehr um eine Schadenersatznorm handele. Die Vollstreckung einer Schadensersatzleistung in
Kenntnis des nicht entstandenen Schadens ist ähnlich greifbar gesetzwidrig, wie die Vollstreckung aus einem Zahlungstitel
in Kenntnis der vor seinem Erlass bereits erfolgten Zahlung (vgl. § 847
BGB). Eine am Zweck der Regelung in §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG - Entlastung der Gerichte von missbräuchlicher Inanspruchnahme - orientierte Auslegung der Vorschrift ergibt ebenfalls, dass
im Falle der Rücknahme der Klage oder Berufung nach Verkündung, aber vor Rechtskraft der Entscheidung und vor Eintritt des
Devolutiveffekts eines Rechtsmittels, die Aufhebung der Kostenentscheidung nach §
192 SGG durch das erkennende Gericht selbst erfolgen können muss, wenn der Aufwand und die Kosten, die das Gericht als im Sinne des
§
192 Abs.
1 Nr.
2 SGG als verursacht angesehen und deshalb zur Grundlage der Bemessung der Verschuldenskosten gemacht hat, durch die Rücknahme
vermieden werden. Denn anderenfalls müsste der Kläger die Absetzung und Zustellung der die Kostenentscheidung nach §
192 SGG enthaltenden Entscheidung abwarten und hiergegen Rechtsmittel einlegen, also gerade nach dem Zweck der Vorschrift unerwünschten
zusätzlichen Aufwand und Kosten verursachen, um eine Aufhebung der Entscheidung erreichen zu können. Auch der erkennbare Zweck
der Regelung in §
192 Abs.
3 SGG, den höheren Instanzen "einfache Erledigungen" zu "verbauen" (vgl. Groß, in: Lüdtke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl. 2016, §
192 Rn. 30) spricht eher dafür, dass der Gesetzgeber den hier zu entscheidenden Fall einfach nicht bedacht hat.
Durch die Rücknahme des Rechtsmittels ist hier die Grundlage für die Auferlegung von Verschuldenskosten entfallen, da ein
Urteilsentwurf noch nicht erstellt war und deshalb durch die Rücknahme der Berufung der bei der Festsetzung der Verschuldenskosten
zugrunde gelegte Aufwand des Senats für die Abfassung, Absetzung und Zustellung der schriftlichen Entscheidung entfällt.
Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Urteil bleibt hierdurch auch hinsichtlich der Kosten nach §
192 SGG unberührt.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).