Wirksamkeit nachträglich entrichteter rückständiger Pflichtbeiträge
Gründe:
I
Streitig ist der Beginn der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Die Klägerin ist die Ehefrau des am 7. Juli 1950 geborenen und am 25. März 2003 - nach Verkündung des Berufungsurteils - verstorbenen
H. B. , der bei der Beklagten rentenversichert war (Versicherter). Der Versicherte erlernte von 1966 bis
1969 den Beruf des Fleischers. Bis April 1992 war er in seinem Ausbildungsberuf sowie in verschiedenen anderen Berufen versicherungspflichtig
beschäftigt. Danach bezog er bis zum 20. August 1992 Arbeitslosengeld. Anschließend war er bis zum 31. Oktober 1996 als Fleischer
selbstständig tätig und in dieser Tätigkeit pflichtversichert. Pflichtbeiträge entrichtete er jedoch nur vom 21. August 1992
bis zum 31. Juli 1994; für die Zeit vom 1. August 1994 bis zum 31. Oktober 1996 führte er keine Beiträge mehr ab. Vom 24.
März bis zum 1. Mai 1998 sind Pflichtbeiträge für eine Pflegetätigkeit vorgemerkt. Ab dem 25. Juni 1998 war der Versicherte
arbeitsunfähig erkrankt; seit dem 1. Juli 1999 bezog er Sozialhilfe.
Den am 2. September 1998 gestellten Antrag des Versicherten auf Gewährung von Rente wegen EU lehnte die Beklagte ab, weil
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien (Bescheid vom 10. Februar 1999; Widerspruchsbescheid vom
28. Juni 1999). Im anschließenden Klageverfahren wies die Beklagte auf die Möglichkeit hin, mittels eines Darlehens des Sozialamtes
die zur Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen notwendigen Pflichtbeiträge nachzuzahlen; nach Hinweis
des Gerichts auf Stellung eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nahm der Versicherte die Klage zurück.
Das Sozialamt erklärte sich gegenüber dem Versicherten zur Nachzahlung der fehlenden Beiträge bereit. Am 5. Juni 2000 beantragte
dieser daraufhin bei der Beklagten die Überprüfung des Ablehnungsbescheids vom 10. Februar 1999. Nachdem bei der Beklagten
am 27. August 2000 die Wertstellung in Höhe von 10.185,50 DM für vom Sozialhilfeträger für die Zeit vom 1. August 1994 bis
zum 31. Oktober 1996 nachgezahlte Pflichtbeiträge (einschließlich Säumniszuschlägen) erfolgt war, bewilligte die Beklagte
dem Versicherten mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2000 Rente wegen
EU ab dem 1. September 2000; dabei ging sie vom Eintritt der EU am 25. Juni 1998 aus. Eine Zahlung der Rente bereits ab dem
1. Juli 1998 lehnte sie ab, weil die Anspruchsvoraussetzungen erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung der Pflichtbeiträge
vorgelegen hätten.
Das Sozialgericht (SG) hat die - auf Zahlung einer Rente wegen EU ab dem 1. Oktober 1999 beschränkte - Klage mit Urteil vom 7. August 2001 abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Entscheidung des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 16. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 22. Dezember 2000 sowie unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28. Juni 1999 verurteilt, dem Versicherten Rente wegen EU bereits ab dem 1. Oktober 1999 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen
zu zahlen (Urteil vom 20. März 2003).
Das LSG hat sein Urteil im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Zu Unrecht habe die Beklagte ihren Ablehnungsbescheid
vom 10. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 1999 nur mit Wirkung vom 1. September 2000 und
nicht mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Der Versicherte habe Anspruch auf Zahlung der Rente wegen EU
ab dem im Berufungsverfahren nur noch streitigen Zeitraum, dh vom 1. Oktober 1999 bis 31. August 2000. In dieser Zeit seien
alle Anspruchsvoraussetzungen für die Rente wegen EU erfüllt gewesen. Der Versicherte habe vor Eintritt der EU 350 Kalendermonate
mit Beiträgen belegt und damit die allgemeine Wartezeit erfüllt. Er sei seit dem 25. Juni 1998 erwerbsunfähig; dies ergebe
sich aus dem Gutachten des Dr. U. vom 12. Juli 2000 und sei auch unter den Beteiligten nicht streitig. Mit der
Beitragsnachzahlung lägen ebenfalls die besonderen versicherungspflichtigen Voraussetzungen vor. Im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum
vor Eintritt der EU vom 25. Juni 1993 bis zum 24. Juni 1998 seien 44 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt.
Die Nachzahlung der Pflichtbeiträge sei zulässig gewesen. Der Versicherte sei in dem Zeitraum, für den die Beiträge entrichtet
worden seien, dh vom 1. August 1994 bis 31. Oktober 1996, als in die Handwerksrolle eingetragener selbstständig tätiger Handwerker
versicherungspflichtig gewesen. Der Anspruch auf Zahlung der Pflichtbeiträge für diesen Zeitraum sei im Zeitpunkt der Wertstellung
noch nicht verjährt gewesen. Ansprüche wegen vorsätzlich vorenthaltener Beiträge verjährten erst nach 30 Jahren nach Ablauf
des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien.
Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen
EU nicht erst ab Wertstellung der Beiträge erfüllt. Nachträglich gezahlte Pflichtbeiträge hätten vielmehr die Wirkung von
rechtzeitig gezahlten Beiträgen. Dieser Grundsatz gelte auch für versicherungspflichtige Selbstständige. Die Gleichstellung
der versicherungspflichtigen Selbstständigen mit versicherungspflichtigen Arbeitnehmern sei gerechtfertigt; denn die Versicherungspflicht
führe zu einer Zahlungsverpflichtung des Versicherten, welche der Rentenversicherungsträger innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen
durchsetzen könne. Der Versicherte sei - im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten - nicht einem freiwillig versicherten Selbstständigen
gleich zu behandeln. Freiwillig Versicherte hätten lediglich einen Anspruch auf Zahlung von freiwilligen Beiträgen bis zum
31. März des Folgejahres. Versäumten sie diese Frist, komme eine Nachzahlung freiwilliger Beiträge grundsätzlich nicht mehr
in Betracht. Auch könne der Rentenversicherungsträger die Zahlung von freiwilligen Beiträgen nicht durchsetzen. Versicherungspflichtige
Selbstständige stünden hingegen Kraft ihrer Versicherungspflicht und nicht aufgrund einer tatsächlichen Beitragsentrichtung
in einem Versicherungsverhältnis zur Beklagten. Es liege keine Besserstellung gegenüber Versicherten vor, deren Pflichtbeiträge
rechtzeitig entrichtet würden, weil eine Anerkennung der Pflichtbeiträge nur in Betracht komme, wenn sie tatsächlich nachgezahlt
würden. Außerdem würden wegen der nachträglichen Beitragsentrichtung Säumniszuschläge erhoben, durch welche die finanziellen
Folgen der verspäteten Zahlung für den Versicherungsträger ausgeglichen würden.
Da der Versicherte sein Begehren im Klageverfahren auf den Zeitraum ab 1. Oktober 1999 beschränkt habe, könne offen bleiben,
ab welchem früheren Zeitpunkt der Rentenanspruch entstanden sei. Ob die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
vorlägen, sei nicht mehr entscheidungserheblich, weil sich der Klageanspruch bereits aus den gesetzlichen Vorschriften ergebe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§
99 und
197 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI). Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei es nicht gerechtfertigt,
bei der Nachzahlung von rückständigen Pflichtbeiträgen pflichtversicherte Selbstständige und abhängige versicherungspflichtig
Beschäftigte gleich zu behandeln. Gemäß §
197 Abs
1 SGB VI seien Pflichtbeiträge zwar wirksam, wenn sie gezahlt würden, solange der Anspruch auf ihre Zahlung noch nicht verjährt sei.
Aus der Wirksamkeit der Zahlung von Pflichtbeiträgen ergebe sich aber nicht zwingend, dass hiermit gleichzeitig die Voraussetzungen
für einen Rentenanspruch rückwirkend zum Zeitpunkt ihrer anfänglichen Geltung erfüllt würden. Zwar sei die Auffassung des
LSG zutreffend, dass nachträglich gezahlte Pflichtbeiträge abhängig Beschäftigter die Wirkung von rechtzeitig gezahlten Beiträgen
entfalteten. Denn der Beginn der Rentenzahlung dürfe nicht von der Zahlung des Arbeitgebers abhängig gemacht werden, auf dessen
rechtzeitige Beitragsabführung der abhängig Beschäftigte keinen Einfluss habe. Im Unterschied dazu erfolge die Beitragszahlung
von Selbstständigen eigenverantwortlich und die Rechtzeitigkeit ihrer Zahlungen sei von keinem Verhalten eines Dritten abhängig.
Gerade für versicherungspflichtige Selbstständige gelte das Versicherungsprinzip, wonach die (Gegen-)Leistung einer Rente
erst gerechtfertig sei, wenn die Beitragszahlung vorliege. Eine Ausnahme sei nur zu machen, wenn die Entrichtung der Pflichtbeiträge
von Dritten (zB dem Arbeitgeber) abhängig sei; denn insoweit liege ein besonderes Schutzbedürfnis dieser Versicherten vor.
Da dies bei Selbstständigen nicht der Fall sei, sei es gerechtfertigt, ihre gezahlten Pflichtbeiträge wie freiwillige Beiträge
zu behandeln. Für sie gelte daher das sich aus §
197 Abs
1 SGB VI ergebende Prinzip, wonach wirksame Pflichtbeiträge erst nach ihrer Zahlung vorlägen und erst bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen
nach §
99 SGB VI berücksichtigt werden könnten. Eine zu ihren Gunsten wirkende Fiktion der Anspruchsvoraussetzungen nach §
99 SGB VI auf den Zeitpunkt der Entstehung der unter Verstoß gegen eigene Belange nicht gezahlten Pflichtbeitragsschulden sei daher
nicht geboten. Eine solche Fiktion lasse sich im Gegensatz zur Auffassung des LSG auch nicht durch die Tatsache rechtfertigen,
dass versicherungspflichtige Selbstständige aufgrund ihrer Versicherungspflicht schon in einem Versicherungsverhältnis zur
Beklagten stünden. Denn für freiwillig versicherte Selbstständige, die ihre Beiträge rechtzeitig und wirksam zahlten, treffe
dies ebenso zu.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 20. März 2003 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil
des Sozialgerichts Halle vom 7. August 2001 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Als Sonderrechtsnachfolgerin iS von § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ist die Klägerin berechtigt,
das von dem Versicherten begonnene Verfahren fortzusetzen.
Zu Recht hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben sowie den Bescheid der Beklagen vom 16. Oktober 2000 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2000 abgeändert und die Beklagte verurteilt, unter Aufhebung ihres Bescheids vom
10. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 1999 Versichertenrente wegen EU bereits ab dem 1. Oktober
1999 zu zahlen.
Gemäß § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der - nach
Rücknahme der Klage - bestandskräftig gewordene Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 28. Juni 1999, mit dem die Gewährung von Rente wegen EU mangels Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
abgelehnt worden war, ging von einer Beitragslücke für die Zeit vom 1. August 1994 bis 31. Oktober 1996 und damit von einem
Sachverhalt aus, der sich nachträglich - nach erfolgter Beitragsnachzahlung durch den Sozialhilfeträger - als unrichtig erweist.
Dieser Bescheid war bei seinem Erlass - latent - rechtswidrig, weil der Versicherte als in die Handwerksrolle eingetragener
selbstständiger Handwerker gemäß §
2 Nr 8
SGB VI aF pflichtversichert und damit grundsätzlich (selbst) zur Beitragsentrichtung verpflichtet war (§
169 Nr 1, §
173 Satz 1
SGB VI) und die Beklagte die rechtzeitige und vollständige Zahlung der Beiträge an sie zu überwachen hatte (§
212 Satz 1
SGB VI). Solange der Versicherte die Voraussetzungen der Pflichtversicherung als Selbstständiger erfüllte, war er zur Zahlung von
Pflichtbeiträgen verpflichtet. Als laufende Beiträge, die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, waren diese gemäß §
23 Abs
1 Satz 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV) spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Tätigkeit, mit der das Arbeitseinkommen erzielt
wurde, ausgeübt wurde. Der Versicherte war somit in Bezug auf die von ihm selbst geschuldeten Beiträge für August 1994 bis
Oktober 1996 letztlich ein "säumiger Zahlungsverpflichteter". Auch der Überprüfungsbescheid vom 16. Oktober 2000 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2000 ist insoweit - teilweise - rechtswidrig, als hiermit die Rentenzahlung für
die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 31. August 2000 abgelehnt wird.
Gemäß §
99 Abs
1 Satz 1
SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen
für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird,
in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Der Versicherte war - unstreitig - seit dem 25. Juni 1998 erwerbsunfähig;
den Rentenantrag hat er am 2. September 1998 - also innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Drei-Monats-Frist - gestellt. Da
die Klägerin den Anspruch auf die Rente ausdrücklich auf einen Zeitraum ab 1. Oktober 1999 beschränkt hat, steht ihr die Rente
antragsgemäß zu; denn (auch) zu diesem Zeitpunkt waren die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente wegen EU erfüllt.
Streitig war vorliegend allein noch die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 2
SGB VI aF. Indes hat der Versicherte durch die Nachzahlung der Pflichtbeiträge für die Monate August 1994 bis Oktober 1996 im maßgeblichen
Fünf-Jahres-Zeitraum vor Eintritt der EU am 12. Juni 1998 - zwischen dem 25. Juni 1993 und dem 24. Juni 1998 - mehr als die
gesetzlich geforderten drei Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt: Die zunächst nur 17 berücksichtigungsfähigen Monate belaufen
sich nach erfolgter Nachzahlung auf 44 Beitragsmonate im gesetzlich erheblichen Zeitraum.
Aufgrund der Versicherungspflicht gemäß §
2 Nr 8
SGB VI aF war der Versicherte zur Beitragszahlung nicht nur verpflichtet; er konnte - innerhalb der zeitlichen Grenzen des §
197 Abs
1 SGB VI - die Pflichtbeiträge für die Zeit von August 1994 bis Oktober 1996 auch nachträglich noch entrichten. Die Beklagte, die
dies im vorangegangenen, durch Klagerücknahme beendeten Streitverfahren selbst vorgeschlagen hatte, hat diese Beiträge - unstreitig
- angenommen (also nicht zurückgewiesen). Zu der Beitragsentrichtung war der Versicherte nicht nur berechtigt, sondern - anders
als der freiwillig Versicherte - gesetzlich verpflichtet. Seine Beitragspflicht nach §
2 Nr 8
SGB VI aF bestand, solange er in die Handwerksrolle eingetragen war und seine selbstständige Tätigkeit tatsächlich ausübte. Es handelt
sich mithin - auch nach Ansicht der Beklagten - um wirksam entrichtete Beiträge, die geeignet waren, die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen zu erfüllen.
Von der Verpflichtung des Versicherten, die für den Zeitraum bis Oktober 1996 fällig gewordenen Pflichtbeiträge noch zu entrichten,
ist schon deshalb auszugehen, weil die Beklagte keine Feststellung dahin getroffen hatte, dass der Versicherte seine selbstständige
Fleischertätigkeit - tatsächlich - vor dem 31. Oktober 1996 eingestellt hatte. Der Versicherte unterlag der Beitragsüberwachung
durch die Beklagte (§
212 Satz 1
SGB VI), die diese nach eigenem Vorbringen "bis hin zum Amtsgericht" betrieben, dh Vollstreckungsmaßnahmen insoweit eingeleitet
hatte. Sie ist mithin selbst von der fortbestehenden Versicherungspflicht des Versicherten ausgegangen und hat alle Mittel
der Beitragsbeitreibung ausgeschöpft. Hätte sich die Beklagte aufgrund der Beitragsüberwachung davon überzeugt, dass der Versicherte
zwar noch in der Handwerksrolle geführt wurde, Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit aber nicht mehr erzielte, hätte sie
durch entsprechenden Bescheid feststellen müssen, dass Versicherungspflicht nach §
2 Nr 8
SGB VI aF nicht mehr vorlag.
Die Nachzahlung der Pflichtbeiträge bewirkt, dass diese als "in" dem fraglichen Zeitraum entrichtet gelten. Denn die Entrichtung
der - fälligen - Pflichtbeiträge wirkt fiktiv auf den Zeitpunkt zurück, in welchem sie geschuldet waren. Die Fälligkeit der
Beiträge eines Pflichtversicherten richtet sich - wie oben ausgeführt - allein nach den allgemeinen Vorschriften (§
23 Abs
1 Satz 2
SGB IV). Der Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Zahlung ist rechtlich ohne Belang. Dies hat bereits das Reichsversicherungsamt in stRspr
so gesehen, allerdings bezogen auf den Beginn einer höheren Rente bzw die Erfüllung der Wartezeit - besondere versicherungsrechtliche
Voraussetzungen gab es zu dieser Zeit noch nicht.
In seiner Entscheidung AN 1937, S IV 82 hat es bezüglich der Nachentrichtung rückständiger Pflichtbeiträge ausgeführt, dass
wesentliche Grundlage des Rentenanspruchs nicht die Beitragsentrichtung, sondern die Ausübung einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung sei, die erst die Beitragspflicht bedinge. Grundlage der Rentengewährung sei der Versicherungsfall. Liege er
vor und seien die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente erfüllt, so sei die Rente von dem in § 1286 der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) aF festgestellten Zeitpunkt an zu gewähren. Dieser Zeitpunkt müsse auch dann maßgeblich sein, wenn Pflichtbeiträge erst
nachträglich beigebracht würden; denn es fehle an einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift, wonach in diesen Fällen der
Rentenbeginn anders als sonst festzusetzen sei. Ausschlaggebend sei, dass der Rentenversicherungsträger die rückständigen
Beiträge erhalten habe, und nicht, wann er sie erhalten habe. Die Nachbringung von Pflichtbeiträgen habe deshalb die Wirkung,
dass sie für den Rentenbeginn so anzusehen seien, als ob sie schon in dem Zeitpunkt verwendet worden seien, für den sie gelten
sollten. Dieser Rechtsprechung ist das Bundessozialgericht (BSG) gefolgt (vgl BSG SozR Nr 9 zu § 1290
RVO). An den vorgenannten Grundsätzen hat sich auch nach In-Kraft-Treten des
SGB VI und der Einführung des Antragsprinzips an Stelle des Versicherungsfallsprinzips nichts geändert.
Für die Kraft Gesetzes versicherungspflichtigen Selbstständigen gelten für den Beginn und das Ende der Versicherungspflicht
grundsätzlich die Regeln entsprechend, die für die versicherungspflichtigen Beschäftigten entwickelt worden sind (vgl Klattenhoff
in Hauck/Noftz,
SGB VI, §
2 RdNr 42, 47; VerbKomm, §
2 SGB VI, RdNr 10.5). Daraus folgt die gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung von Pflichtbeiträgen. Ein Entscheidungsspielraum, ob
er bei bestehender Versicherungspflicht Beiträge entrichten möchte oder nicht, steht dem pflichtversicherten Selbstständigen
ebenso wenig zu wie dem versicherungspflichtigen Beschäftigten. Insoweit unterscheidet sich der pflichtversicherte Selbstständige
wesentlich von den freiwillig Versicherten. Unterschiede bestehen zwischen den versicherungspflichtig Beschäftigten und den
pflichtversicherten Selbstständigen nicht in der grundsätzlich bestehenden gesetzlichen Beitragspflicht, sondern hinsichtlich
des Beitragsverfahrens. Insbesondere hat der selbstständig Tätige die Beiträge selbst zu tragen (§
169 Nr 1
SGB VI) und als Beitragsschuldner die Beiträge unmittelbar an die Träger der Rentenversicherung zu zahlen (§
173 Satz 1
SGB VI). Ausstehende Beiträge können - und müssen in der Regel - innerhalb der Fristen vom Versicherungsträger noch nachgefordert
werden (§
1 Abs
1 Satz 1, §
25 SGB IV). Der Beklagten oblag es aufgrund ihrer Beitragsüberwachungspflicht (§
212 SGB VI), bei Zahlungsunfähigkeit des Versicherten festzustellen, ob die selbstständige Tätigkeit - vorliegend als Fleischer - als
Grundlage der Versicherungspflicht nach §
2 Nr 8
SGB VI aF tatsächlich noch ausgeübt wurde. Hierbei war sie keinesfalls beschränkt auf eine Meldung der Handwerkskammer, die den
Landesversicherungsanstalten neben der Anmeldung auch Änderungen und Löschungen in der Handwerksrolle mitzuteilen hat (vgl
§
196 Abs
1 Satz 1
SGB VI).
Der Versicherte war mithin - versicherungstechnisch - nichts anderes als ein "säumiger Beitragsschuldner". Ein Beitragsschaden
entsteht der Versichertengemeinschaft durch die nachträgliche Zahlung nicht, weil der verspätete Zahlungseingang - wie vorliegend
- durch Säumniszuschläge (§
1 Abs
1 Satz 1, §
24 SGB IV) ausgeglichen wird. Denn §
24 SGB IV sanktioniert die verspätete Beitragszahlung, indem durch die säumnisbedingte Erhöhung des Zahlbetrages ua ein standardisierter
Mindestschadensausgleich vorgenommen wird. Damit soll auch ausgeschlossen werden, dass sich der Beitragsschuldner durch rechtswidriges
Verhalten ein "zinsloses" Darlehen verschafft oder durch eine verspätete Beitragszahlung selbst einen Zinsvorteil erlangt
(vgl Urteil des erkennenden Senats vom 12. Februar 2004 - B 13 RJ 28/03 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Ex post - bei so genannter "geläuterter Sichtweise" - erweist sich die Bewertung des Sachverhalts in den Bescheiden der Beklagten
aus dem Jahre 1999 daher iS des § 44 Abs 1 SGB X als objektiv unrichtig. Diese Unrichtigkeit war durch Vorverlegung des Rentenbeginns - wie beantragt - zu korrigieren. Nicht
zu entscheiden war, ob dem Versicherten über den auch im Revisionsverfahren ausdrücklich beibehaltenen Antrag hinaus Rente
wegen EU bereits vor dem 1. Oktober 1999 zustand.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG.