Kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde – hier verneint für die grundsätzliche
Bedeutung von Rechtsfragen zur rentenrechtlichen Anerkennung von Zeiten schulischer Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres
Gründe
I
Die 1956 geborene Klägerin, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, siedelte 1972 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland
über. Auf ihren Antrag vom 19.10.2017 führte die Beklagte ein Kontenklärungsverfahren durch und stellte die im beigefügten
Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Jahre zurücklagen, verbindlich fest (Bescheid vom 5.4.2018; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2019).
Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.1.2022). Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 25.5.2022 zurückgewiesen. Die Klägerin könne über die von der Beklagten
bereits vorgemerkten Zeiten hinaus die Feststellung rentenrechtlicher Zeiten nicht beanspruchen. Hinsichtlich der weiteren
im erstinstanzlichen Verfahren formulierten Klageanträge sei die Klage unzulässig, weil die darin liegende Klageänderung unwirksam
sei. Das betreffe das Begehren der Klägerin, die Beklagte zur Feststellung und "Berücksichtigung" weiterer versicherungspflichtiger
Beschäftigungen insbesondere bei der Universitätsklinik M zu verpflichten; das Land Rheinland-Pfalz "anzuweisen", ihr einen
ausbildungsgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen; die Beklagte zur Vornahme weiterer Korrekturen am angegriffenen Bescheid zu
verurteilen; die Beklagte zur Korrektur einer falschen Angabe bezüglich ihrer Staatsangehörigkeit in internen Unterlagen zu
verurteilen sowie dazu, eine derartige Angabe in Zukunft zu unterlassen und im Rahmen ihrer Amtshaftung Schadensersatz zu
leisten; die Beklagte zur Auskunft darüber zu verpflichten, wann sie das erste Mal gegenüber welchen Stellen oder Personen
eine falsche Auskunft zu ihrer Staatsangehörigkeit erteilt habe. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren zudem die Feststellung
begehrt habe, dass die Beklagte die Schuld an der Nicht-Übernahme in den öffentlichen Dienst als wissenschaftliche Mitarbeiterin
an der J - Universität sowie der Universitätsklinik M trage, liege eine unzulässige Klageänderung im Berufungsverfahren vor.
Gleiches gelte für das erstmals im Berufungsverfahren formulierte Begehren, die Beklagte über die bereits erstinstanzlich
geltend gemachten Amtshaftungsansprüche hinaus zur Zahlung eines Betrags in Höhe entsprechender Gehälter, Entrichtung entsprechender
Sozialversicherungsbeiträge sowie Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz zu verurteilen.
Die Klägerin hat am 27.6.2022 auf der Geschäftsstelle des BSG Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der Berufungsentscheidung, die ihr
am 3.6.2022 zugestellt worden war, und die Beiordnung eines vom BSG auszuwählenden Rechtsanwalts beantragt. Eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat die Klägerin
vorgelegt.
II
Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für ein Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin ihre Bedürftigkeit ausreichend dargetan hat. Die von ihr angestrebte
Nichtzulassungsbeschwerde bietet jedenfalls keine hinreichende Erfolgssausicht. Da die Klägerin die Bewilligung von PKH nicht
beanspruchen kann, bleibt kein Raum für die zudem begehrte Beiordnung eines Rechtsanwalts (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die Revision darf gemäß §
160 Abs
2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Prüfung des Streitstoffs
anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist nicht zu erkennen, dass ein vor dem BSG zugelassener Bevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) erfolgreich eine Nichtzulassungsbeschwerde begründen könnte.
1. Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfolgreich geltend gemacht werden könnte. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage
aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Derartige Rechtsfragen sind nicht erkennbar. Es ergibt sich unmittelbar aus
§
149 Abs
5 Satz 1
SGB VI, unter welchen Voraussetzungen der Rentenversicherungsträger einen Feststellungsbescheid zu erlassen hat. In der Rechtsprechung
des BSG ist geklärt, dass der Vorschrift ein Gebot der tatbestandsmäßigen Feststellung aller Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- und
Ausfallzeiten im erfassten Zeitraum zu entnehmen ist (vgl BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 13 R 19/14 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 5 RdNr 16; BSG Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 5/20 R - BSGE 132, 198 = SozR 4-2400 § 26 Nr 5, RdNr 21). Welche Zeiten als Beitragszeiten gelten, folgt aus §
55 Abs
1 SGB VI. In diesem Zusammenhang ist höchstrichterlich entschieden, dass die Anerkennung von Beitragszeiten von der tatsächlichen
Beitragsentrichtung abhängt, abgesehen von den im Gesetz abschließend aufgeführten Fällen einer vermuteten oder fingierten
Beitragszahlung (vgl zuletzt BSG Urteil vom 21.10.2021 - B 5 R 23/21 R - SozR 4 <vorgesehen> = juris RdNr 17 mwN). Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer beitragsfreien Zeit in Gestalt einer Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung
bzw wegen Arbeitslosigkeit bzw wegen Schwangerschaft oder Mutterschutz ergeben sich unmittelbar aus § 54 Abs 1 Nr 2, Abs 4
iVm §
58 Abs
1 Satz 1 Nr
4 bzw Nr
3 bzw Nr
2 SGB VI. Das BSG hat bereits entscheiden, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, nur solche Zeiten schulischer Ausbildung als rentenrechtlich
erheblich anzuerkennen, die nach Vollendung des 17. Lebensjahres liegen (vgl BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - juris RdNr 23 ff; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG <Kammer>
Beschluss vom 7.4.2010 - 1 BvR 718/09 - nicht veröffentlicht). Ebenso wenig ist erkennbar, dass sich hier Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen
und prozessualen Auswirkungen einer Klageänderung (§
99 SGG) stellen.
Dass die Klägerin den angegriffenen Vormerkungsbescheid offensichtlich für fehlerhaft hält, vermöchte eine Revisionszulassung
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache von vornherein nicht zu begründen (vgl zB BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7).
2. Ebenso wenig ist nach der Aktenlage zu erkennen, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) vorliegt. Die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.
3. Schließlich weist nichts darauf hin, dass ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte,
der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Revisionszulassung führen würde. Insbesondere gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass das LSG einen PKH-Antrag der unvertretenen
Klägerin übergangen haben könnte. Die Klägerin hat zwar möglicherweise mit Schreiben vom 3.9.2020 gegenüber dem SG sinngemäß einen PKH-Antrag gestellt, indem sie das Fehlen einer "adäquaten anwaltlichen Vertretung" geltend gemacht hat (vgl dazu, dass das Treffen einer Sachentscheidung ohne vorherige Entscheidung über einen gestellten PKH-Antrag eine Gehörsverletzung
darstellt, wenn dem Beteiligten bei zeitgerechter Entscheidung über seinen Antrag PKH zugestanden hätte, zB BSG Beschluss vom 22.7.2020 - B 13 R 17/19 BH - juris RdNr 8 mwN). Ihrem Berufungsvorbringen lässt sich aber kein Hinweis darauf entnehmen, dass sie (auch) die Bewilligung von PKH für das
Berufungsverfahren beantragen wollte.