Abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährige Versicherte
ab dem 1.7.2014.
Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte dem im April 1950 geborenen Kläger auf einen entsprechenden Antrag des Jobcenters
(vgl § 5 Abs 3 SGB II) ab dem 1.1.2014 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Die Rente wurde auf der Grundlage von 43,8283 Entgeltpunkten
und einem Abschlag von 0,06 aufgrund einer um 20 Kalendermonate vorzeitigen Inanspruchnahme dieser Rentenleistung berechnet
(Bescheid vom 21.11.2013). Nach Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes (vom 23.6.2014, BGBl I 787) beantragte der Kläger, ihm ab dem 1.7.2014 eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu zahlen.
Die Beklagte stellte daraufhin die Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 1.1.2014 unter Einbeziehung weiterer Anrechnungszeiten
neu fest (Bescheid vom 27.11.2014). Die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte lehnte sie hingegen ab, weil es nach §
34 Abs
4 SGB VI nicht zulässig sei, von einer bindend bewilligten Altersrente in eine andere Altersrente zu wechseln (Bescheid vom 15.12.2014, Widerspruchsbescheid vom 25.3.2015). Das Klageverfahren gegen diese Entscheidungen ist ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG vom 8.4.2016 bzw des LSG vom 28.6.2018; Beschluss des BSG vom 1.4.2019 - B 13 R 204/18 B).
Am 19.5.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut ab dem 1.7.2014 einen Wechsel in die Altersrente für besonders
langjährige Versicherte. Die Beklagte lehnte dies wiederum ab (Bescheid vom 27.6.2019, Widerspruchsbescheid vom 14.8.2019). Auch der Klage und Berufung ist ein Erfolg versagt geblieben (Urteile des SG vom 15.9.2020 bzw des LSG vom 27.7.2021). Das LSG hat ausgeführt, dem begehrten Wechsel der Rentenart stehe §
34 Abs
4 SGB VI entgegen. Der Kläger könne auch aus § 44 Abs 1 SGB X nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil die Beklagte im Bescheid vom 21.11.2013 das damals geltende Recht richtig angewandt
habe. Der zum 1.7.2014 in Kraft getretenen Rechtsänderung komme keine Rückwirkung zu. Ebenso wenig bestünden verfassungsrechtliche
Bedenken dagegen, dass die zum 1.7.2014 gewährten Vergünstigungen nicht auf Bestandsrentner ausgedehnt worden seien und für
diese auch keine Ausnahme von der für alle Altersrentner geltenden Regelung in §
34 Abs
4 SGB VI angeordnet sei. Dem Gesetzgeber sei es durch das Gleichbehandlungsgebot des Art
3 Abs
1 GG nicht verwehrt, für die Anwendung neuer gesetzlicher Regelungen Stichtage vorzusehen. Der Umstand eines bereits bestehenden
Altersrentenbezugs sei ein sachgerechtes Differenzierungsmerkmal, das die mit der Stichtagsregelung einhergehende Ungleichbehandlung
rechtfertige.
Der Kläger hat - nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe - gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde
zum BSG eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) ist nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG erforderlichen Weise dargelegt. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§
162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten
Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 §
160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl 2020, §
160a RdNr 32 ff). Die Beschwerdebegründung des Klägers entspricht diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang.
Er benennt folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam:
"Ist für vor dem 1. Januar 1953 geborene Normadressaten nach §
236b Abs.
2 Satz 1
SGB VI (,) der Wechsel in eine 'andere Rente wegen Alters' nach §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI am 1.7.2014 ausgeschlossen, wenn die Wartezeit von 45 Jahren nach §
236b Abs.
1 Nr.
2 SGB VI ausschließlich mit der Anrechnung zusätzlicher Kalendermonate aus Entgeltersatzleistungen und freiwilligen Beiträgen nach
§
51 Abs.
3a Nr.
3,
4 SGB VI i.d.F. am 1.7.2014 erfüllt ist (,) und der Normadressat erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres in Rentenbezug ist?"
Hilfsweise: "Erfasst §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI auch den Fall, dass die Voraussetzungen für eine andere Altersrente erst durch eine nach der Bewilligung der ersten Altersrente
erfolgte(n) Gesetzesänderung erfüllt werden können bzw. ist der in §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI normierte Ausschluss einer solchen Umwandlung ggf. verfassungswidrig?"
Der Kläger führt dazu aus, die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährige Versicherte ab Vollendung des 65. Lebensjahrs
gemäß §
38 SGB VI sei bereits zum 1.1.2012 eingeführt worden. Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz habe zum 1.7.2014 für Versicherte bestimmter
Geburtsjahrgänge wie dem des Klägers die Altersgrenze für diese Rentenart in §
236b SGB VI auf 63 Jahre abgesenkt. Zugleich seien in §
51 Abs
3a SGB VI die auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechenbaren Zeiten deutlich ausgeweitet worden, und zwar insbesondere für Zeiten des
Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung sowie für Zeiten mit freiwilligen Beiträgen. Er - der Kläger - habe
nur aufgrund dieser Verbesserungen in §
51 Abs
3a SGB VI, die auf Dauer angelegt seien, am 1.7.2014 die Wartezeit von 45 Jahren erstmalig erfüllt. Unter diesen Umständen begegne
es verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber die in §
236b SGB VI geschaffene Vergünstigung nicht auf Bestandsrentner ausgedehnt und für diese keine Ausnahme von dem für alle Altersrentner
geltenden Verbot des Wechsels der Rentenart (§
34 Abs
4 SGB VI) vorgesehen habe. Die Begünstigung nur der ab dem Stichtag 1.7.2014 neu hinzukommenden Altersrentner sei sachlich nicht gerechtfertigt.
Aus dem deshalb vorliegenden Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz könne sich ein unmittelbarer Anspruch auf Einbeziehung
in die Privilegierung ergeben.
Es kann hier offenbleiben, ob der Kläger die Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen in einem Revisionsverfahren
hinreichend aufgezeigt hat. Hierzu führt er lediglich aus, die Beklagte müsse für den Fall, dass die von ihm genannte abstrakte
Rechtsfrage mit "Nein" zu beantworten sei, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen sowie der angefochtenen Bescheide
verurteilt werden, ihm eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.7.2014 zu bewilligen.
Nähere Ausführungen dazu, weshalb das BSG auf der Grundlage der vom LSG getroffenen und nach §
163 SGG für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen zu dieser Entscheidung gelangen könnte, enthält die Beschwerdebegründung
jedoch nicht (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 25.8.2015 - B 5 R 256/15 B - BeckRS 2015, 71870 RdNr 9 f; BSG Beschluss vom 30.12.2015 - B 13 R 345/15 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 5.9.2017 - B 5 R 121/17 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 1.4.2019 - B 13 R 204/18 B - juris RdNr 13).
Jedenfalls hat der Kläger einen weiteren Klärungsbedarf zu der von ihm mit seinen beiden Fragen thematisierten Problematik
einer Verfassungswidrigkeit bzw einer gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Regelung zum Verbot eines Wechsels der
Rentenart (§
34 Abs
4 Nr
3 SGB VI) im Zusammenhang mit den zum 1.7.2014 geschaffenen Erleichterungen für den Zugang zu einer Altersrente für besonders langjährig
Versicherte nicht ausreichend dargetan. Leitet eine Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung
von Normen des
GG ab, muss sie unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substanzieller Argumentation darstellen, welche gesetzlichen
Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 11 mwN). Dabei muss auch aufgezeigt werden, dass und weshalb der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit
überschritten hat (vgl BSG Beschluss vom 8.9.2016 - B 9 V 13/16 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 5.9.2017 - B 5 R 121/17 B - juris RdNr 10). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Zwar referiert der Kläger die Rechtsprechung des BVerfG zur Befugnis des Gesetzgebers, bei der Regelung bestimmter Lebenssachverhalte
Stichtagsregelungen einzuführen. Seine Behauptung, der Gesetzgeber habe mit der Begünstigung nur derjenigen Versicherten,
denen bei Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes am 1.7.2014 nicht schon eine (andere) Altersrente bindend bewilligt
worden war (sog "Rentenzugänge", vgl dazu BT-Drucks 18/1489 S 4), keine sachgerechte Stichtagswahl getroffen, zeigt aber nicht hinreichend auf, dass der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum
sachwidrig überschritt. Mit dem Inhalt der Argumentation zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung in §
34 Abs
4 SGB VI im BSG-Urteil vom 26.7.2007 (B 13 R 44/06 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 1 RdNr 27 f) setzt sich der Kläger nicht näher auseinander. Vielmehr behauptet er lediglich, dieser Entscheidung habe ein "gänzlich anders
gelagerter Sachverhalt" zugrunde gelegen, untersucht aber nicht, welches das maßgebliche Sachverhaltselement für die Anwendung
des §
34 Abs
4 SGB VI darstellt und ob insoweit eine Vergleichbarkeit besteht. Auch Aspekte der Finanzierbarkeit des Rentenversicherungssystems
und der Einbettung in die Systematik der Regelungen des
SGB VI (insbesondere unter Berücksichtigung des in §
306 Abs
1 SGB VI normierten Grundsatzes für Rechtsänderungen, die sich auf die persönlichen Entgeltpunkte bzw auf die Rentenhöhe auswirken)
erörtert er nicht (vgl dazu bereits BSG Beschluss vom 1.4.2019 - B 13 R 204/18 B - juris RdNr 12). Ebenso wenig belegt er seine These, es sei Zweck des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes gewesen, "die langjährige Beitragszahlung
besonders zu berücksichtigen", mit entsprechenden Fundstellen aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren. Die Behauptung
des Klägers, eine Differenzierung zwischen Bestandsrentnern und Zugangsrentnern führe zu einer "ungleichen Enteignung der
freiwilligen Beiträge für Bestandsrentner", weil diese "bei gleicher Bezugsdauer" weniger Leistungen erhielten, setzt sich
nicht damit auseinander, dass Bestandsrentner bereits vor dem 1.7.2014 Altersrentenleistungen - ggf auch aus freiwilligen
Beiträgen - tatsächlich bezogen haben und die entsprechenden Rentenzahlungen auch nach diesem Stichtag nicht gekürzt worden
sind. Inwiefern die Beitragszahlungen der Bestandsrentner für die Zukunft "entwertet" worden sein könnten, erschließt sich
dem Senat nicht. Letztlich beanstandet der Kläger im Kern, dass im Falle eines späteren Rentenbeginns (ab dem 1.7.2014) für
ihn keine Rentenabschläge wirksam geworden wären. Mit den Ausführungen des Senats zu einer vergleichbaren Konstellation befasst
er sich jedoch nicht (vgl BSG Urteil vom 17.6.2020 - B 5 R 2/19 R - NZS 2021, 61 RdNr 34 ff; die Verfassungsbeschwerde hiergegen wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.2.2021
- 1 BvR 2201/20). Ein weiterer Klärungsbedarf ist deshalb nicht ausreichend dargetan.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.