Verwertbarkeit medizinischer Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Er rügt, das angefochtene Urteil beruhe auf der Verwertung eines ärztlichen Gutachtens, das nicht von dem zum gerichtlichen
Sachverständigen ernannten Oberarzt der Neurologischen Klinik der Universität M., Priv. Doz. Dr. V., sondern von dem Assistenzarzt
Dr. Sch. erstattet worden sei. Priv. Doz. Dr. V. habe er während der gesamten Begutachtung nicht zu Gesicht bekommen. Dies
habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich gerügt. Statt dem nachzugehen und den Sachverständigen zu befragen,
habe das Landessozialgericht (LSG) seine - des Klägers - Angaben in den Urteilsgründen als unglaubhaft bezeichnet und dies
damit begründet, dass Priv. Doz. Dr. V. das Gutachten mit dem Zusatz "Einverstanden auf Grund eigener Urteilsbildung und Untersuchung"
unterzeichnet habe.
Mit diesen Ausführungen ist der geltend gemachte Verfahrensmangel (Verstoß gegen §
118 SGG iVm §
407a Abs
2 ZPO) nicht iS des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG "bezeichnet". Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass Priv. Doz. Dr. V. die notwendigen Untersuchungen
nicht persönlich durchgeführt hat, hätte das nicht zwangsläufig die Unverwertbarkeit des Gutachtens zur Folge.
Zu der Frage, in welchem Umfang ein vom Gericht bestellter Sachverständiger bei der Erstellung des Gutachtens auf die Mitarbeit
anderer sachkundiger Personen zurückgreifen darf und wie sich Verstöße gegen die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben auf die
Verwertbarkeit des Gutachtens auswirken, hat sich zuletzt der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in zwei Beschlüssen
vom 18. September 2003 (SozR 4-1750 § 407a Nr 1) und vom 15. Juli 2004 (SozR 4-1750 § 407a Nr 2) zusammenfassend geäußert.
Danach ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit - mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens - überschritten, wenn aus
Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten
prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen.
Der Kläger bezieht sich zwar auf diese Rechtsprechung. Seinen Vorwurf, der Sachverständige Priv. Doz. Dr. V. habe im konkreten
Fall die ihm obliegenden Aufgaben unzulässigerweise delegiert, hat er jedoch nicht ausreichend substantiiert.
Dass bei einem ärztlichen Gutachten zum unverzichtbaren Kern der Aufgaben des Sachverständigen stets die persönliche Untersuchung
des Patienten gehört, ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Der 9. Senat des BSG hat in dem vom Kläger
zitierten Beschluss vom 18. September 2003 - B 9 VU 2/03 B - (aaO RdNr 7) lediglich im Fall einer psychiatrischen Begutachtung wegen der Besonderheiten dieses Fachgebiets die persönliche
Begegnung des Sachverständigen mit dem Probanden unter Einschluss eines explorierenden Gesprächs als unverzichtbar für die
eigene verantwortliche Urteilsbildung angesehen. Dagegen gehören, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Beurteilung neurologischer
oder anderer organmedizinischer Krankheitsbilder geht, weder die Durchführung der körperlichen Untersuchung noch die schriftliche
Abfassung des Gutachtens in jedem Fall zu den Tätigkeiten, die der Sachverständige zwingend selbst erledigen muss. Soweit
sich nicht aus der Eigenart des Gutachtenthemas ergibt, dass für bestimmte Untersuchungen die spezielle Sachkunde und Erfahrung
des Sachverständigen benötigt wird, reicht es aus, wenn dieser die von Hilfskräften erhobenen Daten und Befunde nachvollzieht.
Entscheidend ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift
die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt (zu alledem: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens,
4. Aufl 2005, III. Kapitel RdNr 65/66; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
118 RdNr 11g mwN).
In der Beschwerdebegründung hätte deshalb dargelegt werden müssen, dass und warum für die beim Kläger durchgeführten Untersuchungen
eine spezielle Sachkunde oder Erfahrung notwendig gewesen sein könnte oder aus welchen anderen Gründen diese Untersuchungen
zwecks Gewährleistung einer fachkundigen Beurteilung zwingend von dem Sachverständigen Priv. Doz. Dr. V. persönlich hätten
vorgenommen werden müssen. Dazu finden sich jedoch keine Ausführungen.
Da Zulassungsgründe nicht ausreichend vorgetragen sind, war die Beschwerde durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbs 2 iVm §
169 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.