Ansprüche nach Arbeitsunfällen
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über Ansprüche des Klägers aufgrund zweier
anerkannter Arbeitsunfälle.
Die nach erfolglos durchgeführten Verwaltungsverfahren erhobenen Klagen hat das SG nach Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung abgewiesen (Urteil vom 20.5.2020). Das LSG hat die Berufung im Einverständnis der Beteiligten durch den Einzelrichter zurückgewiesen (Urteil vom 4.10.2021).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger einen Verfahrensmangel und
im Übrigen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
die geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht formgerecht bezeichnet bzw dargelegt worden sind (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist - mit Ausnahme absoluter Revisionsgründe (§
202 Satz 1
SGG iVm §
547 ZPO) - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf
dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht.
Diese rügt, das Urteil sei unter Verletzung des gesetzlichen Richters ergangen, weil das LSG allein durch den bestellten Berichterstatter
entschieden habe. Gemäß §
155 Abs
3 SGG kann der Vorsitzende im Einverständnis der Beteiligten auch sonst an Stelle des Senats entscheiden. Ist ein Berichterstatter
bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden (§
155 Abs
4 SGG - "konsentierter Einzelrichter"). Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei Urteilen mit und ohne mündliche Verhandlung
über das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich der mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen
Richtern besetzte Senat (§
33 Abs
1 Satz 1
SGG; §
33 Abs
1 Satz 2
SGG iVm §
12 Abs
1 Satz 2
SGG) entscheidet. Die Frage, ob das LSG durch den Senat in voller Besetzung oder durch einen Berufsrichter allein befinden darf,
berührt das von Verfassungs wegen (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter in seiner einfachrechtlichen Ausprägung (vgl BSG Beschluss vom 13.2.2014 - B 4 AS 359/13 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 30.3.2011 - B 12 KR 92/10 B - juris RdNr 5; BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 14 mwN). Daher kann nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen des §
155 Abs
3 und Abs
4 SGG, dh im Einverständnis mit den Beteiligten, statt des vollständig besetzten Senats der Vorsitzende oder der Berichterstatter
allein entscheiden.
Nach dem Vortrag in der Beschwerdebegründung lag eine wirksame Einverständniserklärung des Klägers iS des §
155 Abs
3 SGG durch den damaligen Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Urteilsverkündung
(§
132 SGG) vor. Die Erklärung eines Beteiligten, mit einer Entscheidung durch den bestellten Berichterstatter einverstanden zu sein
und damit auf die besondere Art der Gewährung rechtlichen Gehörs durch den gesamten Berufungssenat zu verzichten, muss klar,
eindeutig und vorbehaltlos sein. Denn die Erklärung hat insoweit weitreichende Folgen, als die Entscheidung durch den gesamten
Spruchkörper eine höhere Richtigkeitsgewähr als diejenige eines einzelnen Richters bietet. Nur wenn eine derartige eindeutige
Erklärung abgegeben wird, wird die Zuständigkeit des Vorsitzenden oder des bestellten Berichterstatters begründet, anstelle
des vom Gesetz grundsätzlich berufenen Senats über den Berufungsrechtsstreit entscheiden zu dürfen (vgl BSG Beschluss vom 13.2.2014 - B 4 AS 359/13 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 21; BSG Urteil vom 23.8.2007 - B 4 RS 2/06 R - SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 17). Soweit die Beschwerdebegründung darauf abstellt, dass es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar sei, den
Kläger angesichts abweichender früherer Äußerungen an der Einverständniserklärung seines Prozessbevollmächtigten im Termin
zur mündlichen Verhandlung festzuhalten, zeigt sie jenseits des zeitlichen Ablaufs kein Umstandsmoment auf, aus dem sich die
Treuwidrigkeit ergeben könnte (vgl zur Treuwidrigkeit BSG Beschluss vom 16.6.2016 - B 13 R 35/16 B - SozR 4-1500 § 155 Nr 5 RdNr 8 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, vor § 60 RdNr 12a
ff mwN). An die Einverständniserklärung seines Prozessbevollmächtigten ist der Kläger gebunden (§
73 Abs
6 Satz 7
SGG iVm §
85 Abs
2 ZPO).
Die Einverständniserklärung des Klägers ist auch nicht wirksam widerrufen worden. Soweit es in der Rechtsprechung für zulässig
erachtet wird, auch ein wirksam erteiltes Einverständnis bei wesentlicher Änderung der Prozesslage zu widerrufen (vgl dazu BSG Beschluss vom 16.6.2016 - B 13 R 35/16 B - SozR 4-1500 §
155 Nr 5 RdNr 8 mwN; Sommer in Roos/Wahrendorf/Müller,
SGG, 2. Aufl 2021, §
155 RdNr 21; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 155 RdNr 12a mwN), zeigt die Beschwerdebegründung eine solche Änderung nicht auf. Überdies übergehen die Ausführungen bereits, dass ein im
Nachhinein erklärter Widerruf auf das bereits verkündete Urteil nicht mehr zurückwirken könnte.
2. Der Kläger zeigt auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu den Voraussetzungen einer Entscheidung durch den
Einzelrichter (§
155 Abs
3 und
4 SGG) nicht auf (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Zwar stellt die Beschwerdebegründung die an eine Grundsatzrüge zu stellenden Anforderungen zutreffend dar (dazu zB auch BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 5 mwN). Es fehlt in der Folge indes bereits an einer klar formulierten Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit
einer konkreten Norm des revisiblen Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aus dem Beschwerdevorbringen
selbst herauszufiltern (zB BSG Beschluss vom 19.8.2019 - B 14 AS 264/18 B - juris RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 6 mwN). Im Übrigen beschränkt sich der Vortrag zu den weiteren Voraussetzungen einer Grundsatzrüge (Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit,
Breitenwirkung) auf deren bloße Behauptung ohne die erforderlich Substantiierung.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.