Sachlich-rechnerische Richtigstellung einer vertragsärztlichen Honorarforderung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung seiner Honorarforderung für die Quartale 1/2012 bis
1/2015 und eine daraus folgende Honorarrückforderung.
Der Kläger ist im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) als hausärztlicher Internist zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Nach Durchführung einer Plausibilitätsprüfung hob die Beklagte die Honorarbescheide für die genannten
Quartale - soweit sie den Honoraranspruch für Regional- und Ersatzkassen betrafen - auf, setzte das Honorar mit gesondertem
Bescheid neu fest und machte eine Gesamtrückforderung von (zunächst) 55.375 Euro geltend (Bescheid vom 29.7.2016). Dabei kürzte die Beklagte die vom Kläger abgerechneten Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 35100 (Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände), 35110 (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen), 03360 (Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment) und 03362 (Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).
Der Widerspruch des Kläger blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21.2.2018). Das SG hat die Bescheide der Beklagten hinsichtlich der GOP 03360 und 03362 EBM-Ä aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über die Rückforderung erneut zu entscheiden. Im Übrigen hat
es die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.10.2019). In den Entscheidungsgründen hat das SG ua ausgeführt, die Beklagte habe das ihr zustehende Schätzungsermessen teilweise fehlerhaft ausgeführt, da es bei der Höhe
der Rückforderung die Honorarkürzungen wegen Verletzung der Pflicht zur fachlichen Fortbildung nach §
95d SGB V nicht berücksichtigt habe.
Gegen das Urteil des SG haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die angefochtenen
Bescheide abgeändert, soweit bei der Rückforderungsberechnung die Honorarkürzungen wegen Verletzung der Pflicht zur fachlichen
Fortbildung nach §
95d SGB V in den Quartalen 3/2014 bis 1/2015 nicht berücksichtigt wurden und hat dementsprechend die Rückforderungssumme auf 53.085,75
Euro reduziert (Änderungsbescheid vom 1.10.2020). Das LSG hat sodann auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen; die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen (Urteil vom 20.10.2021). Der Kläger habe grob fahrlässig falsch abgerechnet. Es seien offensichtliche, für jedermann verständliche Abrechnungsbestimmungen
missachtet worden. Es liege ein Dokumentationsmangel vor, so dass von einer Erfüllung des obligaten Leistungsinhaltes der
jeweiligen GOP nicht ausgegangen werden könne.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtsache geltend (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Er wendet sich dabei insoweit allein gegen das Urteil des LSG, als die Klage hinsichtlich der Absetzung der GOP 35110 und 03360 EBM-Ä erfolglos geblieben ist.
II
A. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) liegen nicht vor.
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres
aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde
oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle
nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen
Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7).
Der Kläger bezeichnet allein folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
"Kann für eine Abrechnung vertragsärztlich erbrachter Leistungen nach dem EBM die Einhaltung allgemeiner und/oder besonderer
Dokumentationspflichten auch dann obligatorisch sein, wenn die entsprechende Gebührenordnungsposition (GOP) eine solche Pflicht in ihrer Leistungslegende nicht ausdrücklich vorsieht?"
1. Die aufgeworfene Frage ist bereits nicht klärungsbedürftig. Sie kann auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats
im Grunde bejaht werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Arzt seit jeher verpflichtet, die bei der Behandlung eines
Patienten gemachten Feststellungen und durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu dokumentieren (BSG Urteil vom 7.2.2007 - B 6 KA 11/06 R - SozR 4-2500 § 95c Nr 2 RdNr 23; vgl auch BSG Urteil vom 2.11.2005 - B 6 KA 63/04 R - BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 35; BSG Urteil vom 28.9.2016 - B 6 KA 44/15 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 55 RdNr 32; BSG Urteil vom 15.7.2020 - B 6 KA 13/19 R - SozR 4-5531 Nr 01100 Nr 1 RdNr 33 mwN; für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung siehe auch etwa § 57 <Dokumentation>
Bundesmantelvertrag-Ärzte <BMV-Ä> und § 8 Abs 3 <Rechte und Pflichten der Vertragszahnärzte> Bundesmantelvertrag-Zahnärzte
<BMV-Z>; zur Aufzeichnungspflicht der Leistungserbringer vgl §
294, §
295 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB V; zur allgemeinen Dokumentationspflicht von Behandlern siehe auch §
10 Abs 1 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie §
12 Abs
1 Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer und auch §
630f BGB idF des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten <PatRVerbG> vom 20.2.2013, BGBl I 277, mWv 26.2.2013).
Bereits nach § 57 Abs 1 BMV-Ä hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der
Behandlung "in geeigneter Weise zu dokumentieren". Wenn dazu keine weitergehenden Anforderungen zB in der Leistungslegende
formuliert werden (vgl etwa zur Dokumentation eines mindestens sechsmonatigen Schmerzintervalls bei der Akupunktur als Teil der Leistungslegende:
BSG Urteil vom 13.2.2019 - B 6 KA 56/17 R - SozR 4-5531 Nr 30790 Nr 1), ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass sich Inhalt und Umfang der erforderlichen Dokumentation grundsätzlich
nach den medizinischen Erfordernissen richten (BSG Urteil vom 15.7.2020 - B 6 KA 13/19 R - SozR 4-5531 Nr 01100 Nr 1 RdNr 33; BSG Beschluss vom 30.9.2020 - B 6 KA 12/20 B - juris RdNr 12; ebenso zu §
630f BGB idF des PatRVerbG: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 8. Aufl 2022, Abschn B RdNr 202 f mwN; Wagner in Münchener Komm zum
BGB, 8. Aufl 2020, §
630f RdNr 8 mwN; vgl auch BGH Urteil vom 23.3.1993 - VI ZR 26/92 - NJW 1993, 2375 = juris RdNr 9; BGH Urteil vom 6.7.1999 - VI ZR 290/98 - NJW 1999, 3408 = juris RdNr 13). Welche Dokumentationserfordernisse hieraus konkret folgen, richtet sich nach der jeweiligen medizinischen Behandlung. Aus
den medizinischen Erfordernissen kann damit die Notwendigkeit einer Dokumentationspflicht für die jeweilige Behandlung folgen,
auch wenn die einschlägige Leistungslegende des EBM-Ä selbst keine weitergehenden Anforderungen diesbezüglich enthält.
2. Auch soweit es dem Kläger um die aus seiner Sicht fehlerhafte Auslegung des Inhalts der streitigen GOP durch das LSG gehen sollte, wenn er zB formuliert, dass "in Ansehung der klar umgrenzten Bestimmung obligater Leistungsinhalte
in der Leistungslegende zur GOP 35110 EBM … kein Raum für eine ergänzende Auslegung besteht", liegt darin keine grundsätzliche Bedeutung. Insofern ist in
der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass sich im Regelfall aus der Anwendung der Grundsätze zur Auslegung der Leistungslegende
der Bewertungsmaßstäbe im ärztlichen und zahnärztlichen Bereich auf eine konkrete Gebührenziffer eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache auch dann nicht ergibt, wenn sich das BSG mit dieser konkreten Position noch nicht ausdrücklich befasst hat (vgl zB BSG Beschluss vom 13.12.2000 - B 6 KA 30/00 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2012 - B 6 KA 31/12 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 15.5.2014 - B 6 KA 55/13 B - RdNr 11; BSG Beschluss vom 17.2.2016 - B 6 KA 63/15 B - juris RdNr 4, 6; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160 RdNr 7a).
Im Übrigen entnimmt das LSG den streitigen GOP gerade keine über die üblichen Darlegungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten bzw -obliegenheiten hinausgehenden Pflichten.
Wenn es - einleitend - ausführt, dass der "Dokumentation ärztlicher Leistungen … große Bedeutung" zukomme, diese "Beweisfunktion"
habe und "dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung" diene (Urteilsumdruck S 17 f), formuliert das LSG keine zusätzliche Verpflichtung des Vertragsarztes, sondern spricht ersichtlich nur dessen Obliegenheit
an, die genauen Umstände der Leistungserbringung schon im eigenen Interesse zu dokumentieren, um zu einem späteren Zeitpunkt
die erbrachte Leistung nachweisen zu können. Da dies im Fall der hier streitigen Behandlungen nach Auffassung des LSG nicht
der Fall war, hat es den Leistungsinhalt der GOP 35110 und 03360 EBM-Ä als nicht erfüllt angesehen. Wenn der Kläger vor diesem Hintergrund beispielsweise rügt, das "LSG überdehnt
den obligaten Leistungsinhalt" (Beschwerdebegründung S 9), die "Lesart durch das LSG widerspricht … auch der allgemein anerkannten Auslegungsmethodik im Hinblick auf vertragsärztliche
Vergütungsbestimmungen" (Beschwerdebegründung S 11), und "die Annahme eines zusätzlichen Dokumentationserfordernisses findet dabei allerdings ebenfalls keine Entsprechung in
der Leistungslegende der streitigen GOP" (Beschwerdebegründung S 13), greift er im Ergebnis lediglich die Beweiswürdigung bzw die Richtigkeit des Urteils des LSG an. Eine solche Rüge reicht
indessen nicht aus, um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzutun (vgl BSG Beschluss vom 27.6.2012 - B 6 KA 65/11 B - juris RdNr 23). Auch mit der Bezugnahme auf den Inhalt einer Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22.5.2019 - L 11 KA 70/18 B ER - juris) spricht der Kläger keine abstrakten Rechtsfragen, sondern Tatsachenfragen und die Frage der Richtigkeit der Rechtsanwendung
durch das Berufungsgericht an (zu dem Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vgl bereits BSG Beschluss vom 25.11.2020 - B 6 KA 6/20 B - juris RdNr 11). Eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung wird damit nicht aufgezeigt.
3. Nichts anderes gilt, soweit der Kläger rügt, das LSG habe hinsichtlich der GOP 35110 EBM-Ä das Bestehen weitergehender Dokumentationspflichten mit §§ 12, 21 der Psychotherapie-Richtlinie vom 19.2.2009 (vgl nunmehr: § 24 und § 38 Psychotherapie-Richtlinie in Fassung der letzten Änderung vom 20.11.2020) begründet, was eine unzulässige Ausdehnung der Leistungslegende darstelle. Auch hiermit wendet er sich im Kern lediglich
gegen die Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall. Unabhängig davon hat der Senat bereits entschieden, dass zur
Bestimmung des notwendigen Leistungsinhalts einer GOP des EBM-Ä gegebenenfalls auch auf andere, verbindliche normative Vorgaben zurückgegriffen werden kann (vgl BSG Urteil vom 16.5.2018 - B 6 KA 16/17 R - SozR 4-5531 Nr 33076 Nr 1 RdNr 24 zu Vorgaben der Bundesmantelvertragspartner zur Qualitätssicherung). Auch zu weiteren möglichen normativen Grundlagen von Dokumentationspflichten hat sich der Senat bereits geäußert (vgl BSG Beschluss vom 17.3.2016 - B 6 KA 60/15 B - juris RdNr 11 zu Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten nach der Röntgenverordnung; BSG Urteil vom 2.7.2014 - B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 45 RdNr 24 zu Dokumentationspflichten nach der Arzneimittel-Richtlinie; BSG Urteil vom 7.2.2007 - B 6 KA 11/06 R - SozR 4-2500 § 95c Nr 2 RdNr 23 zu Dokumentationspflichten nach dem Psychotherapeutengesetz).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).
C. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Der Streitwert entspricht der Höhe der Honorarkürzung durch die Absetzung der GOP 35110 und 03360 EBM-Ä.