Versagung von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Im Streit steht die Versagung von existenzsichernden Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger ist ua an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt. Ein Ende 2016 im Auftrag des Beklagten erstelltes Gutachten
ergab eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich. Das Jobcenter stellte daraufhin die Zahlung von Arbeitslosengeld
II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ein. Der Beklagte bewilligte vom 1.1.2017 bis zum 31.1.2018 (vorläufig) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel
des SGB XII und ersuchte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Oberbayern um Prüfung der medizinischen Voraussetzung einer dauerhaften
vollen Erwerbsminderung. Der Kläger legte keine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vor und erschien
zu mehreren Begutachtungsterminen bei der DRV nicht. Er könne mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein und begehre
berufliche Eingliederungsleistungen sowie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Für die Zeit ab Februar 2018 versagte der Beklagte Leistungen wegen fehlender Mitwirkung (für Februar bis April 2018 mit Bescheiden vom 27.2.2018 und vom 3.5.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2019;
für September bis Dezember 2018 mit Bescheid vom 30.8.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 30.9.2019 und für die
Zeit ab Januar 2019 mit Bescheid vom 26.4.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 30.9.2019). Die hiergegen erhobene Klage, gerichtet auf die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1.2.2018 bis zum
30.9.2020 ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts <SG> München vom 27.11.2020; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts <LSG> vom 18.6.2021). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Versagungsentscheidungen wegen fehlender Mitwirkung, die erhebliche Schwierigkeiten
bei der Sachverhaltsaufklärung verursacht hätten, seien rechtmäßig. Ein erstmals in der Berufungsinstanz verfolgter Leistungsanspruch
bedeute eine Klageänderung, die sich nicht als sachdienlich darstelle.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht die
grundsätzliche Bedeutung der Sache, Divergenz sowie Verfahrensfehler geltend. Zugleich hat er einen Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gestellt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
(§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), noch der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) noch ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der
ehrenamtlichen Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Soweit der Kläger die Frage nach der Erforderlichkeit einer Begutachtung aufwirft, ist schon zweifelhaft, dass insoweit (zumindest
sinngemäß) Fragen grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine Versagungsentscheidung (vgl § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - <SGB I>) formuliert worden sind. Jedenfalls ist aber in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II nicht ohne Weiteres auf Grundlage der §§
60 ff
SGB I versagt werden dürfen, wenn eine hilfebedürftige Person einem grundsätzlich berechtigten Mitwirkungsverlangen zur Klärung
ihrer Erwerbsfähigkeit krankheitsbedingt keine Folge leistet (vgl BSG vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R - BSGE 131, 116 = SozR 4-4200 § 44a Nr 2, RdNr 22; zu Mitwirkungsobliegenheiten und dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vgl
etwa Spellbrink, jurisPR-SozR 21/2021 Anm 1), was insbesondere bei psychischen Erkrankungen der Fall sein kann. Ebenso ist für das SGB II mit dieser Rechtsprechung geklärt, welche Voraussetzungen im Rahmen der Gewährung existenzsichernder Leistungen an das Merkmal
der "erheblichen Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts" für einen Versagungsbescheid nach §
66 Abs
1 Satz 1
SGB I zu stellen sind (BSG vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R - BSGE 131, 116 = SozR 4-4200 § 44a Nr 2, RdNr 28 f). Der bloße Umstand, dass der Rentenversicherungsträger eine Unterlage oder Untersuchung als notwendig ansieht, begründet
danach keine Mitwirkungsobliegenheit; vielmehr ist es eine Frage des Einzelfalls, welche Möglichkeiten der Aufklärung des
medizinischen Sachverhalts (hier zB auf Grundlage des vorgelegten Entlassungsberichts nach mehrmonatigem stationären Aufenthalt)
bestehen. Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Kläger nicht auseinander und zeigt an keiner Stelle auf, welche weiteren
Fragen grundsätzlicher Bedeutung sich im Anwendungsbereich des SGB XII im Anschluss an diese Rechtsprechung noch stellen könnten. Allein die von ihm vorgetragene fehlerhafte Rechtsanwendung des
LSG kann aber die Zulassung der Revision nicht begründen (vgl BSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B - RdNr 9; BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B - RdNr 5 mwN), denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung
des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits
gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Klägers nicht, der weder entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in
der Entscheidung des Berufungsgerichts aufgezeigt noch einen solchen Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegenübergestellt
hat.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision schließlich zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Auch einen Verfahrensfehler bezeichnet der Kläger nicht diesen Anforderungen entsprechend.
Soweit der Kläger vorbringt, der erkennende Senat des LSG sei ausweislich des Geschäftsverteilungsplans für Streitsachen aus
dem SGB XII zuständig, nicht aber für das
SGB I, habe aber seine Entscheidung gleichwohl auf das
SGB I gestützt, macht er in der Sache keine grundsätzliche Bedeutung geltend, sondern mit dem Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen
Richter (Art
101 Abs
1 Satz 2
Grundgesetz <GG>) einen Verfahrensfehler und absoluten Revisionsgrund (§
202 SGG iVm §
547 Nr 2
Zivilprozessordnung <ZPO>), den er aber nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Der Kläger, der sich gegen die Versagung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt
nach dem SGB XII wendet, trägt selbst vor, dass der erkennende Senat des LSG nach dem Geschäftsverteilungsplan des LSG für Rechtsstreitigkeiten
in Angelegenheiten nach dem SGB XII zuständig ist. Dass der Geschäftsverteilungsplan des LSG insoweit inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist, behauptet er
nicht einmal. Soweit er behauptet, einer Geschäftsverteilung nach Sachgebieten stehe Verfassungsrecht entgegen, zulässig sei
allein die turnusmäßige Verteilung der Rechtsstreitigkeiten über alle Senate, trägt er aber nichts weiter zur Begründung seiner
Auffassung vor. Mit der gesetzgeberischen Vorgabe zur Bildung von Fachsenaten (vgl §
31 SGG) setzt er sich nicht im Ansatz auseinander.
Auch soweit der Kläger vorbringt, das LSG hätte wegen eines (weiteren) in der mündlichen Verhandlung gestellten Befangenheitsantrags
nicht entscheiden dürfen, auch insoweit sei das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, ist ein Verfahrensfehler nicht
ordnungsgemäß bezeichnet. Es fehlen jegliche Ausführungen zur Frage, weshalb das LSG, welches das wiederholte Ablehnungsgesuch,
mit dem alle Senatsmitglieder pauschal abgelehnt worden waren, als rechtsmissbräuchlich und damit offensichtlich unzulässig
angesehen und hierüber im Urteil entschieden hat, die für diese ausnahmeweise zulässige Vorgehensweise geltenden Maßstäbe
(vgl zB BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - NJW 2007, 3771 f; BVerfGE 131, 239, 252 f; BVerfGK 5, 269, 280 f) verkannt haben sollte.
Soweit der Kläger als Verfahrensfehler geltend macht, das LSG habe den Streitgegenstand bzw sein eigentliches Begehren (§
123 SGG) verkannt und es unterlassen, über Leistungsansprüche zu entscheiden, fehlen Ausführungen zur Rechtsprechung des BSG, wonach ein nach §
66 SGB I ergangener Versagungsbescheid nur mit der isolierten Anfechtungsklage nach §
54 Abs
1 Satz 1
SGG angefochten werden kann (vgl BSG vom 12.10.2018 - B 9 SB 1/17 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 8 RdNr 13 f, BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 78/08 R - BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5, RdNr 12, und BSG vom 17.2.2004 - B 1 KR 4/02 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 1 RdNr
12). Es fehlen auch Ausführungen zur Sachdienlichkeit der Klageänderung (§
99 Abs
1 SGG) durch die erweiterte Antragstellung des Klägers in der Berufungsinstanz; da der Beklagte der Klageerweiterung ausdrücklich
widersprochen hatte, hatte das LSG nach seinem Ermessen darüber zu befinden, ob die Klageänderung sachdienlich ist. Dass das
LSG den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenzen seines Ermessens überschritten hat, behauptet der
Kläger nicht einmal.
Aus den dargelegten Gründen kann auch PKH dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.